L 12 AS 753/13 B ER und L 12 AS 754/13 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 895/13 ER
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 753/13 B ER und L 12 AS 754/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen, mit der die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt wurde, wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstat-ten. Der Antrag der Antragstellerin, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskos-tenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Schönfeld, Robert-Koch-Straße 18, 45879 Gelsenkirchen zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Im zu Grunde liegenden Verfahren streiten die Beteiligten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Die 1987 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie reiste im Oktober 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 04.02.2013 die Gewährung von Arbeitslosengeld (AlG) II. Sie erklärte bei der Antragstellung, in den Jahren zuvor selbstständig gearbeitet zu haben und seit 2011 von Herrn Z. unterstützt zu werden.

Der Antrag wurde mit bindend gewordenem Bescheid vom 12.02.2013 abgelehnt. Die Antragstellerin könne keine Leistungen beanspruchen, da sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche herleite.

Am 15.04.2013 stellte die Antragstellerin einen Überprüfungsantrag nach
§ 44 SGB X. Mit Bescheid vom 15.04.2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Die Überprüfung habe ergeben, dass weder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen noch das Recht falsch angewandt worden sei.

Am 15.04.2013 ersuchte die Antragstellerin das Sozialgericht Gelsenkirchen um die Ge-währung vorläufigen Rechtschutzes. Gegen den Bescheid vom 15.04.2013 werde noch Widerspruch eingelegt. Sie verfüge über keine Einkünfte und könne ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten. Bisher sei sie von ihrem Bekannten, Herrn Z., unterstützt worden. Dieser sei jedoch ebenfalls Leistungsbezieher nach dem SGB II und könne sie nicht weiter unterstützen.

Der Antragsgegner vertrat die Auffassung, es fehle bereits an der Eilbedürftigkeit. Die Antragstellerin werde von einem Bekannten unterstützt. Der Ablehnungsbescheid sei bestandskräftig geworden, ein Widerspruch sei gegen den Bescheid vom 15.04.2013 bislang nicht eingelegt worden. Aus überreichten Kontoauszügen im Verwaltungsverfahren seien interne Umbuchungen zu ersehen. Diese ließen auf weitere Konten der Antragstellerin oder Zugriffsmöglichkeiten auf fremde Konten schließen. Im Übrigen sei sie nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II als bulgarische Staatsbürgerin, die nur zum Zwecke der Arbeitssuche einen Aufenthaltstitel habe, von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Das Sozialgericht Gelsenkirchen hat den Antrag mit Beschluss vom 23.04 2013 abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) lägen nicht vor. Dies setze voraus, dass Eilbedürftigkeit im Sinne einer dringenden und gegenwärtigen Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich mache, gegeben sei und eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten sei. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Antragstellerin unter Berücksichtigung auch widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten sei. Hieran mangele es jedoch. Für den Zeitraum bis 14.04.2013 fehle es an einem Anordnungsgrund, da die Antragstellerin insoweit eine Leistungsgewährung für die Vergangenheit begehre. Für die Vergangenheit werde der Bedarf als gedeckt angesehen, so dass es insoweit an der Eilbedürftigkeit mangele, denn in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes könnten nur Mittel gewährt werden, um eine aktuelle und damit gegenwärtig noch bestehende Notlage zu beseitigen.

Aber auch für die Zeit ab 15.04.2013 sei der Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Im vorliegenden Verfahren, in dem eine Überprüfung eines bindend gewordenen Bescheides nach § 44 SGB X begehrt werde, seien besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen. Soweit es um die Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides gehe, sei es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungs- und sich anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten. Etwas anderes gelte nur dann, wenn massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt und glaubhaft gemacht würden (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.07.2011 – L 5 AS 226/11 B ER – und LSG NRW Beschluss vom 25.05.2011 – L 7 AS 206/11 B ER –). Eine solche besondere Eilbedürftigkeit habe die Antragstellerin weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Bereits bei der Antragstellung im Februar 2013 habe sie mitgeteilt, über keine Einkünfte zu verfügen. Sie werde jedoch seit 2011 laufend durch Herrn Z. unterstützt. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 12.02.2013 habe sie jedoch keinen Widerspruch eingelegt und erst zwei Monate später eine Überprüfung dieses Bescheides begehrt, ohne dargelegt zu haben, dass Umstände eingetreten seien, die eine Änderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse belegen würden. Der alleinige Hinweis im Rahmen der Antragsschrift, Herr Z. könne keine weiteren finanziellen Unterstützungsleistungen erbringen, sei nicht ausreichend.

Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 25.04.2013 zugestellt.

Hiergegen richtet sich ihre Beschwerde vom 25.04.2013. Die Antragstellerin stehe völlig mittellos da und würde von Herrn Z. durchgefüttert. Das sei jedoch nicht länger möglich und er müsse die Antragstellerin, wenn keine Leistungen gewährt würden, aus Eigeninteresse heraus auf die Straße setzen. Insofern liege eine besondere Notsituation vor, die eine Eilentscheidung erforderlich mache. Im Übrigen sei die Antragstellerin Staatsbürgerin der Europäischen Union, die sich länger als drei Jahre durchgehend im Bundesgebiet aufhalte, auch wenn ihr nie eine Freizügigkeitsbescheinigung ausgestellt worden sei. Aus europarechtlichen Gründen habe sie daher Anspruch auf die begehrte Leistung.

Ihr Widerspruch sei mittlerweile mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2013 abschlägig beschieden worden. Sie stehe kurz vor dem Rauswurf aus der Wohnung des Herrn Z ...

Der Antragsgegner hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Auch das Vorbringen der Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde führt zu keiner abweichenden Entscheidung. Es besteht lediglich in einer Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags, der, wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, nicht ausreichend ist, die für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderliche Eilbedürftigkeit und damit den Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Die Antragstellerin bringt mit ihrem Vortrag weiterhin zum Ausdruck, dass ihr Bedarf durch Herrn Z. gedeckt werde, auch wenn dieser mit der vorhandenen Situation unzufrieden ist. Das Sozialgericht hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass in einem Verfahren nach § 44 SGB X, das gerichtet ist auf die Rechtmäßigkeit eines bindend gewordenen Bescheides, erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zu stellen sind. Im Zugunstenverfahren ist der Anordnungsgrund nur zu bejahen, wenn massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden. (LSG NRW, Beschluss vom 05.04.2013 – L 19 AS 529/13 B ER). Nach wie vor hat die Antragstellerin nicht einmal dargelegt, dass in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Angesichts dessen erscheint es bei einer Interessenabwägung nicht vertretbar, der Antragstellerin im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes auf Kosten der Allgemeinheit Leistungen zu gewähren, die diese im Falle eines Unterliegens in der Hauptsache nicht erstatten könnte.

Auch der Hinweis auf einen möglicherweise kurz bevorstehenden Rauswurf aus der Wohnung des Herrn Z. führt zu keiner abweichenden Entscheidung. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im Zusammenhang mit streitigen Kosten der Unterkunft (KdU) nicht ausreichend, dass einem Mieter, der mit seinen Mietzinszahlungen im Verzug ist, eine Kündigung des Mietverhältnisses bzw. die Erhebung einer Räumungsklage droht, vielmehr ist der Anordnungsgrund nur glaubhaft gemacht, wenn die Räumungsklage bereits erhoben worden ist (vgl. hierzu L 12 AS 303/13 B ER, Beschluss vom 02.04.2013). Damit ist die Situation der Antragstellerin vergleichbar, so dass hier keine abweichende Beurteilung geboten ist.

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen damit ungeachtet der dem Fall innewohnenden europarechtlichen Problematik nicht vor. In dem Zusammenhang verweist der Senat – ohne dass es darauf vorliegend im Einzelnen ankäme – darauf hin, dass er den Leistungsausschluss bulgarischer Staatsangehöriger nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II als von Artikel 24 Abs. 2 der Richtlinien 2004/38 EG – Unionsbürgerrichtlinie – gedeckt ansieht, soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden (vgl. Beschluss des Senats vom 20.08.2012 – L 12 AS 531/12 B ER –). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch weiterhin fest.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Da das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne der §§ 73a SGG und 114 Zivilprozessordnung (ZPO) bietet, war die gegen die Versagung gerichtete Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen. Insoweit beruht die Kostenentscheidung auf §§ 73a, 127 Abs. 4 ZPO.

Aus den gleichen Gründen war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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