L 12 AS 4967/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1988/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 4967/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12.10.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtaufnahme bestimmter Schriftstücke und der Nichtdokumentation geführter Telefonate des Beklagten mit der Stadt Leimen in seine Verwaltungsakte sowie die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten dessen Kommunikation mit der Stadt Leimen per Telefon und E-Mail in der Verwaltungsakte des Klägers zu dokumentieren.

Der am 29.10.1963 geborene Kläger begehrte im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Mannheim (SG; S 14 AS 1747/12 ER) betreffend die Akteneinsicht in seine Verwaltungsakte die Verpflichtung des Beklagten, ihm Kopien der vollständigen Korrespondenz des Beklagten mit der Stadt Leimen bezüglich der Kosten der Unterkunft zu übersenden. Hintergrund des Verfahrens war der Verdacht des Klägers, dass die von ihm eingesehene Akte nicht vollständig sei. Mit Beschluss vom 20.06.2012 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Hiergegen legte der Kläger am 25.06.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG; L 7 AS 2749/12 ER-B) Beschwerde ein. Trotz Bereitschaft des Beklagten dem Kläger bei der Stadtverwaltung Leimen Akteneinsicht zu gewähren, lehnte der Kläger dies ab, mit der Begründung, dass es ein Zerwürfnis mit dem Amtsleiter der Stadt Leimen gebe und dieser voraussichtlich dann die Akteneinsicht behindern bzw. einschränken werde. Nach Übersendung von Kopien der maßgeblichen Vorgänge aus der Verwaltungsakte durch das LSG erklärte der Kläger das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 18.08.2012 für erledigt.

Bereits am 19.06.2012 hat der Kläger beim SG Klage (S 14 AS 1988/12) erhoben, mit dem Begehren, festzustellen, dass die Nichtaufnahme bestimmter Schriftstücke und der Nichtdokumentation geführter Telefonate mit der Stadt Leimen in seine Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen sei sowie festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, dessen Kommunikation mit der Stadt Leimen per Telefon und E-Mail in der Verwaltungsakte des Klägers zu dokumentieren. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, der Beklagte habe bestätigt, dass er bereits am 30.01.2012 die ihn betreffende Akte hinsichtlich der Unterkunftskosten eingesehen habe, und der Beklagte bestreite auch nicht seinen Vortrag, dass sich die Korrespondenz mit der Stadt Leimen betreffend die Kosten der Unterkunft des Klägers nicht darin befunden habe.

Der Beklagte hat demgegenüber darauf hingewiesen, dass alle eingehenden Schriftstücke auch zur Akte genommen würden. Ebenso würden alle Telefon- und E-Mailkontakte in der Akte dokumentiert. Dies sei auch in der Vergangenheit so gewesen. Allerdings verkenne der Kläger, dass der Beklagte erst zum 01.01 2012 errichtet worden sei und wegen der damit einhergehenden Umzüge sowie den Anfangsschwierigkeiten (neue Mitarbeiter, Postlauf, Telekommunikation, IT etc.) Schriftstücke mitunter als Irrläufer wochenlang zwischen verschiedenen Abteilungen unterwegs gewesen seien. Dies sei zwar bedauerlich, sei aber leider so gewesen. Diese Anfangsschwierigkeiten seien aber längst überwunden.

Der Kläger hat hieraufhin erwidert, dass sich aufgrund der Paginierung durch die vom LSG erhaltenen Behördenaktenkopien ergebe, dass allerfrühestens im April, wahrscheinlich aber erst auf die Feststellungsklage des Klägers vom 19.06.2012 oder seine Beschwerde beim LSG (L 7 AS 2749/12 ER-B) vom 25.06.2012 oder auf die hierauf folgende Behördenaktenanforderung des LSG oder erst auf seinen Strafantrag 240 Js 15716/12 vom 16.07.2012, die geheim gehaltenen Ausdrucke zur Behördenakte hinzugefügt worden seien. Durch die nicht-chronologische Reihenfolge, und den Umstand, dass die Akte bei der Einsichtnahme durch den Kläger am 30.01.2012 überhaupt keine Korrespondenz des Beklagten mit der Stadt Leimen enthalten habe, sei offensichtlich, dass bei der Aktenführung betrogen worden sei und erst sehr spät nachträglich die Ausdrucke der Korrespondenz mit der Stadt Leimen hinzugefügt worden seien. Soweit der Beklagte den Übergang vom Sozialamt zum Beklagten vorschiebe, rechtfertige dies nicht den Betrug bei der Aktenführung. Denn zum einen sei die Akte hinsichtlich der Unterkunftskosten einfach fortgeführt worden und zum anderen habe sich an der betrügerischen Aktenführung zum Jahreswechsel nichts geändert. Im Übrigen seien auch dieselben Personen vom Sozialamt zum Beklagten übernommen worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 12.10.2012, dem Kläger zugestellt am 18.10.2012, hat das SG das Verfahren mangels vorheriger Durchführung eines Vorverfahrens unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart vom 09.05.2011 (Az.: S 20 SO 1922/11) nicht ausgesetzt, sondern die Klage als unzulässig abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am Montag, dem 19.11.2012 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung führt der Kläger aus, dass sich die zitierte Entscheidung des SG Stuttgart auf eine Untätigkeits-Leistungsklage beziehe und nicht auf eine Feststellungsklage. § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nicht auf eine Feststellungsklage anwendbar. Eine Feststellungsklage sei ohne Vorverfahren sogleich zulässig.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12.10.2012 aufzuheben und

1. festzustellen, dass es rechtswidrig war, dass der Beklagte die Nachricht der Stadt Leimen, durch die er vom Vergleich 5 K 1290/09 vom November 2011 erfuhr, nicht in die ihn betreffende Akte aufgenommen hat,

2. festzustellen, dass es rechtswidrig war, dass der Beklagte seine Anspruchsüberleitungsaufforderung vom 08.12.2011 an die Stadt Leimen nicht in die ihn betreffende Akte aufgenommen hat,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, über jedes Telefongespräch mit der Stadt Leimen oder deren Vertretern betreffend seine Unterkunft und deren Kosten, soweit sie mit seiner Person in Verbindung stehen, einen Aktenvermerk anzulegen und ausgedruckt in die ihn betreffende Akte aufzunehmen,

4. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, jede E-Mail von der Stadt Leimen oder deren Vertretern und an die Stadt Leimen oder deren Vertreter auszudrucken und in die ihn betreffende Akte aufzunehmen,

5. festzustellen, dass es rechtswidrig war, dass der Beklagte seine ihn betreffende Korrespondenz mit der Stadt Leimen erst auf seine Rechtsmittel hin sehr spät nachträglich ausdruckte und in die ihn betreffende Behördenakte aufnahm,

6. festzustellen, dass es rechtswidrig war, dass der Beklagte keine Vermerke über mit der Stadt Leimen in seiner Sache geführte Telefonate anlegte.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§ 105 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit §§ 143, 151 SGG) aber nicht begründet. Insbesondere ist die Berufung fristgerecht erhoben worden. Die Berufungsfrist beträgt einen Monat ab Zustellung des Urteils, § 151 Abs. 1 SGG. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 18.10.2012 zugestellt. Der 18.11.2012 war ein Sonntag, so dass die Berufungsfrist gemäß § 64 Abs. 3 SGG erst am Montag, dem 19.11.2012 endete. Zur Fristwahrung reicht nach § 151 Abs. 2 SGG auch die frist- und formgerechte Einlegung der Berufung beim SG. Die Berufung des Klägers ging am 19.11.2012 beim SG und damit fristgerecht ein.

Zutreffend hat das SG die Klage des Klägers als unzulässig abgewiesen.

Hinsichtlich der Klaganträge Ziffer 1, 2, 5 und 6 ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG, auch in analoger Anwendung, unzulässig.

Gem. § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG kann mit der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Mangels Vorliegens eines Verwaltungsaktes kommt eine direkte Anwendung der Vorschrift nicht in Betracht. Bei Klagen, deren primäres Rechtsschutzbegehren sich nicht auf einen Verwaltungsakt (z.B. bei einer allgemeinen Leistungsklage oder Feststellungsklage) bezog, ist § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG nicht, auch nicht analog anwendbar (vgl. Keller: in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 131 Rn. 7c). § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG ist nach Wortlaut und Systematik der Vorschrift auf Fälle begrenzt, in denen ein Verwaltungsakt betroffen ist. Für eine entsprechende Anwendung bei Leistungs- und Feststellungsklagen besteht kein Bedürfnis, da derselbe Zweck mit der Feststellungsklage des § 55 SGG zu erreichen ist, bei der im Falle eines Feststellungsinteresses auch vergangene Rechtsverhältnisse festgestellt werden können.

Im Hinblick auf sämtliche Klaganträge ist aber auch eine Feststellungsklage nach § 55 SGG unzulässig. Unabhängig von der Frage, ob vor Erhebung der Feststellungsklage die Durchführung eines Verwaltungs- und Vorverfahrens erforderlich ist (so die Argumentation des SG unter Hinweis auf Keller: in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, a.a.O. § 55 Rn. 3b), fehlt es bereits an einem konkret feststellungsfähigen Rechtsverhältnis. Es handelt sich schon nicht um ein konkretes Rechtsverhältnis, das festgestellt werden könnte. Ein konkretes feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt nur vor, wenn konkrete Rechte in Anspruch genommen oder bestritten werden, wenn also die Anwendung einer Norm auf einen konkreten Sachverhalt streitig ist (Keller: in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, a.a.O. § 55 Rn. 5). Daran fehlt es hier. Es besteht keine dem Kläger gegenüber bestehende Verpflichtung des Beklagten sämtliche Korrespondenz mit der Stadt Leimen, unabhängig von der Relevanz für das Verwaltungsverfahren, zu dokumentieren. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Verlauf des Verwaltungsverfahrens von der Behörde bestimmt wird. Sie hat über den äußeren Verlauf des Verfahrens zu entscheiden (sog. Prinzip des Amtsbetriebs) und von Amts wegen den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln (sog. Untersuchungsgrundsatz). Nach dem Untersuchungsgrundsatz bestimmt die Behörde Art und Umfang der Ermittlungen, insbesondere auch ob und welche Beweismittel zu verwenden sind. Hierzu gehören auch Auskünfte jeglicher Art (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, S. 501). Daraus folgt auch die Notwendigkeit der Dokumentation und damit des Nachweises des entscheidungserheblichen Sachverhalts im Rahmen der ordnungsgemäßen Aktenführung. Sinn und Zweck der Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung ist daher allein die Dokumentation und ggf. Beweisführung der für das Verwaltungsverfahren entscheidungserheblichen Umstände; dies korrespondiert nicht mit einer entsprechenden vom Bürger gegenüber der Behörde einklagbaren Verpflichtung. Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung können allenfalls unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Umkehr der Beweislast führen (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23.08.2010 - 7 ZB 10.1489 -; Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 22.12.2000 - 2 L 38/99 -). Hierdurch werden die Interessen des betroffenen Bürgers in ausreichendem Maße geschützt, zumal dem Bürger auch weitreichende Verfahrensrechte während des Verwaltungsverfahrens zustehen (z.B. Anhörung des Betroffenen nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass dem Kläger die Möglichkeit der Akteneinsicht nach § 25 SGB X zusteht, allerdings nur soweit die Kenntnis des Akteninhalts zur Geltendmachung oder Verteidigung seiner rechtlichen Interessen erforderlich ist (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X) und die Vorgänge wegen berechtigter Interessen der Beteiligten oder dritter Personen nicht geheim gehalten werden müssen (§ 25 Abs. 3 SGB X). Daher ist selbst die Akteneinsicht nur bei berechtigtem Interesse und selbst dann ggf. nur beschränkt vom Gesetz vorgesehen.

Ein feststellungsfähiges Recht des Klägers auf vollständige Dokumentation der Korrespondenz zwischen dem Beklagten und der Stadt Leimen besteht daher nicht.

Es fehlt weiter ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung nach § 55 Abs. 1 letzter Halbsatz SGG. Berechtigtes Interesse ist jedes als rechtlich schutzwürdig anzuerkennendes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (vgl. Bundessozialgericht (BSG) Urteil v. 12.12.1991 - 7 Rar 56/90 -; Ulmer in: Hennig, SGG, Band 1, Stand Dez.12, § 55 Rn. 20). Vorliegend ist kein als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse des Klägers erkennbar. Insbesondere ist in Bezug auf die in den Klaganträgen Ziffer 1 und 2 genannten Schreiben nicht erkennbar, inwieweit der Kläger an der Feststellung der ggf. verspäteten Aufnahme dieser Schreiben in die Verwaltungsakte des Klägers ein berechtigtes Feststellungsinteresse haben soll.

Letztlich handelt es sich vorliegend um eine unzulässige Elementenfeststellungsklage (vgl. Keller: in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, a.a.O. § 55 Rn. 9; Lüdtke, SGG, 4. Aufl. 2012, § 55 Rn. 53). Zwar ist eine Feststellungsklage auf Feststellung einzelner Rechte und Pflichten aus einem Rechtsverhältnis möglich, aber keine Feststellungsklage wegen einzelner Elemente (z.B. Rechtsfragen, Tatfragen oder Verwaltungsgepflogenheiten). Sie ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, da durch diese vorliegend der Streit der Beteiligten im Ganzen nicht bereinigt werden kann.

Nur am Rande sei angemerkt, dass der erforderliche Meinungsstreit zwischen den Beteiligten (Lüdtke, a.a.O., § 55 Rn. 56) zumindest hinsichtlich der Klaganträge Ziffer 3 und 4 nicht vorliegt. Der Beklagte hat angegeben, dass nach anfänglichen Umstellungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit der Errichtung des Beklagten alle eingehenden Schriftstücke auch zur Akte genommen würden. Ebenso würden alle Telefon- und E-Mailkontakte in der Akte dokumentiert. Dies entspricht zumindest hinsichtlich der Klaganträge Ziffer 3 und 4 dem Begehren des Klägers. Ein Meinungsstreit über den Umfang der Dokumentationspflicht besteht zwischen den Beteiligten somit nicht.

Daher ist die Feststellungsklage, wie vom SG im Ergebnis zu Recht angenommen, unzulässig und die gegen den Gerichtsbescheid vom 12.10.2012 angestrengte Berufung unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war für den Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens ausschlaggebend, dass die Rechtsverfolgung des Klägers insgesamt ohne Erfolg geblieben ist und der Beklagte keinen berechtigten Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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