L 4 AS 616/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 26 AS 3963/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 4 AS 616/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Beschwerde gegen einen ablehnenden PKH-Beschluss ist auch in einem Hauptsacheverfahren nur statthaft, wenn ohne Zulassung in der Hauptsache die Berufung statthaft wäre (ausführlich: Thüringer LSG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - L 4 AS 1878/11 B, unveröffentlicht). Das gilt trotz der Änderung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ab 11. August 2010.
2. Darf im Höhenstreit mit unbeziffertem Sachantrag eine Verurteilung nur dem Grunde nach erwirkt werden, ist der Wert der Rechtsmittelbeschwer gemäß § 202 SGG i.V.m. § 3 ZPO zu schätzen. Dabei ist auf ungefähre Angaben des Beschwerdeführers zumindest abzustellen, solange keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Bezifferung mutmaßlich falsch ist.
3. Eine spätere Korrektur der Angabe des Beschwerdeführers kann als sachwidrige Erweiterung des Leistungsbegehrens unberücksichtigt bleiben, wenn sie erkennbar darauf gerichtet ist, die Statthaftigkeit der Beschwer herbeizuführen ohne ansonsten von sachlichen Erwägungen getragen zu sein.
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 6. März 2012 wird als unzulässig verworfen.

Kosten der Beschwerde sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 12. April 2012 bei dem Thüringer Landessozialgericht eingelegte Beschwerde der Klägerin gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 6. März 2012 erlaubt keine Entscheidung in der Sache, weil sie bereits unzulässig ist.

Die Beschwerde ist gemäß § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 S. 2 2. Hs. ZPO nicht statthaft. Statthaft wäre sie nur, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache mit einem statt-haften Rechtsmittel anzufechten wäre (vgl. hierzu ausführlich: Hessisches Landessozialge-richt 6. Juli 2009 – L 9 B 274/08 AS und 8. Juli 2009 – L 6 AS 174/09 B; sich anschließend: Hessisches Landessozialgericht, 13. Juli 2009 - L 7 AL 89/09 B und für Rechtslage ab 11. August 2010: 4. Oktober 2010 - L 7 AS 436/10 B). Dabei haben Gründe, welche die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG rechtfertigen könnten, außer Acht zu bleiben (vgl. für Beschwerdeverfahren: Hessisches Landessozialgericht, 12. Januar 2009 - L 7 AS 421/08 B ER m.w.N.).

Der Senat hält an seiner Auffassung (vgl. ausführlich: Beschluss vom 7. Dezember 2011 - L 4 AS 1878/11 B) auch in Ansehung der Änderung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 5. August 2010 (BGBl I 1127) fest, die mit Wirkung ab 11. August 2010 in Kraft getreten ist (Art. 12 S. 1 des Änderungsgesetzes). Zwar hat der Gesetzgeber danach ausdrücklich eine Begrenzung durch den Beschwerdewert nur für Prozesskostenhilfeverfahren im einstweiligen Rechtsschutz vorgesehen. Dem ist aber nicht ein aus der Gesetzesbegründung erkennbarer Wille zu entnehmen, für Hauptsacheverfahren im Umkehrschluss die Statthaftigkeit der Be-schwerde entgegen § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 S. 2 2. Hs. ZPO zu erweitern. Die Gesetzesbegründung (BR-Drucks. 152/10, S. 23) weist nur darauf hin, dass der Streit in Rechtsprechung und Literatur über den Umfang des Beschwerdeausschlusses in PKH-Verfahren für den einstweiligen Rechtsschutz gesetzlich geklärt werden soll. Eine weiterge-hende Regelungsabsicht, die sicherlich sinnvoll gewesen wäre, ist nicht zu erkennen. Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme des Bundesrates im Gesetz-gebungsverfahren [BR-Drucks 152/10 (Beschluss), S. 5], der eine weitergehenden Ausschluss der Beschwerde auch für Hauptsacheverfahren ausdrücklich empfahl. Ist der Gesetzgeber der Empfehlung nicht gefolgt, bedeutet das nur, insoweit keine klarstellende Regelung treffen zu wollen. Nicht hingegen ist weitergehender daraus zu entnehmen, entgegen der im Beschluss des Bundesrates benannten obergerichtlichen Rechtsprechung die Beschwerde im Übrigen ausdrücklich zu eröffnen. Zumal die Begründung des Beschlusses ausdrücklich erkennen lässt, mit der Empfehlung keine andere Regelung, sondern in Ansehung des Meinungsstreits in der Rechtsprechung lediglich eine Missverständnisse ausschließende Klarstellung sicher-stellen gewollt zu haben.

Anhand dieses Maßstabs wäre ein Rechtsmittel in der Hauptsache ohne Zulassung nicht er-öffnet.

Nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG i.d.F. ab 1. April 2008 - SGG F. 2008 - bedarf die Beru-fung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).

Abzustellen ist nach § 202 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 ZPO auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels, hier der Beschwerde gegen die PKH-Ablehnung, auch wenn eigentlich sich § 127 Abs. 2 S. 2 2. Hs ZPO auf das Rechtsmittel in der Hauptsache bezieht, für das ein Zeit-punkt, zu dem es eingelegt werden soll, in der Regel - noch - nicht bestimmt werden kann.

Wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr sind nicht betroffen, weil im Höhenstreit der Streitgegenstand auf den Bewilligungszeitraum, hier vom 1. Mai 2011 bis 31. Oktober 2011 zu begrenzen ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 49/10 R, juris).

Ebenso wenig ist ein Wert der Beschwer von mehr als 750 Euro festzustellen.

Erlauben Höhenstreite im SGB II allein die Geltendmachung höherer Leistungen ohne bezif-ferten Sachantrag (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012 - B 4 AS 167/11 R, juris), ist der Wert der Beschwer für die Statthaftigkeit der Berufung anhand des wirtschaftlichen Interesses des Klägers am Ausgang des Rechtsstreits gemäß § 202 SGG i.V.m. § 3 ZPO zu schätzen. Ähnlich wie im Zivilprozess bei unbezifferten Klageanträgen ist insoweit von dem Rechtsmit-telführer zur Bestimmung des Werts der Rechtsmittelbeschwer die Angabe zu verlangen, in welcher ungefähren Höhe er höhere Leistungen geltend macht. Die Angabe ist dann grund-sätzlich als Mindestbetrag bei der Bestimmung des Wertes zu berücksichtigen (vgl. zum Schmerzensgeldprozess in Zivilsachen: Herget in Zöller, ZPO, 29. Aufl, § 3 ZPO Rn. 16, S. 93 m.w.N.).

Maßgeblich für den Senat ist vorliegend, dass der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 7. Juni 2012 auf Hinweis des Berichterstatters ausdrücklich mitgeteilt hat, die Klägerin mache einen höheren monatlichen Regelbedarf für Alleinstehende in Höhe von mindestens 36 Euro geltend. Darauf abgestellt ist der Wert der Beschwer für sechs monatliche Zahlungszeiträume auf insgesamt 216 Euro zu beziffern. Es sind für den Senat auch keine Anhaltspunkte ersicht-lich, die ungeachtet dieser Angabe einen höheren Anspruch begründen können. Zumal selbst für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die angegriffene Regelung für verfassungs-widrig erklären würde, der Regelbedarf erneut vom Gesetzgeber innerhalb seines verbleiben-den Beurteilungsspielraumes festzusetzen wäre. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei hin-reichenden Anhaltspunkten der Senat bei seiner Schätzung von den mitgeteilten Angaben abzuweichen hat oder wenigstens abweichen darf.

Unbeachtlich bleibt, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in Kenntnis der verfah-rensrechtlichen Folgen seiner Bezifferung durch einen weiteren Hinweis des Berichterstatters in einem späteren Schriftsatz mitgeteilt hat, nunmehr einen höheren monatlichen Leistungsan-spruch auf Grundlage eines Regelbedarfes für Alleinstehende in Höhe von 594 Euro unter Bezugnahme auf die Äußerung eines Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren zu ver-folgen. Eine solche spätere Erweiterung des ursprünglichen Leistungsbegehrens darf nur Be-rücksichtigung finden, wenn sie von sachlichen Gründen getragen ist. Das ist für den Senat hier ausgeschlossen, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zunächst die später geltend gemachte Höhe selber als "Extremwert" bezeichnet und erst in Kenntnis der verfahrensrecht-lichen Folgen eines niedrigen Leistungsbegehrens gleichwohl zur Begründung verwendet hat.

Eine anwaltliche Beiordnung nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO kommt daher nicht in Betracht.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Bewilligungsverfahren wie das Hauptsa-cheverfahren kostenfrei ist (§ 183 SGG) und eine Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten ausgeschlossen ist (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 4 ZPO, für Be-schwerdeverfahren: § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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