L 13 SB 303/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 SB 45/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 303/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu 1/3 zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung in einem Verfahren, das durch Annahme eines Teilanerkenntnisses und übereinstimmende Erklärung zur Hauptsachenerledigung im Übrigen beendet wurde und dem ein Streit über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und des Merkzeichens G zugrunde gelegen hatte.

Die 1963 geborene Klägerin ist in zweiter Ehe verheiratet. Sie hat keinen Schulabschluss und keine Ausbildung und war in verschiedenen beruflichen Tätigkeiten, zuletzt bis in das Jahr 1993, beschäftigt. Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II) sowie aufgrund eines Überfalles ihres früheren Ehemannes am 12. April 1998 mit erheblichen Messerstichverletzungen im Bauch- und Darmbereich, im Genitalbereich sowie im Bereich der unteren Extremitäten eine Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Insoweit ist auf den Antrag der Klägerin vom 17. Mai 1998 mit Bescheid vom 30. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2001 zunächst eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) – jetzt Grad der Schädigungsfolgen (GdS) - von 50 anerkannt worden. Auf die hiergegen vor dem Sozialgericht Neuruppin am 15. Dezember 2001 erhobene Klage (Az: S 3 VG 155/01) hat der Beklagte insbesondere mit Rücksicht auf das im dortigen Verfahren erstattete Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. M vom 7. August 2006 ab dem 1. Januar 2003 eine MdE von 60 aufgrund der Schädigungsfolgen

1. posttraumatische Belastungsstörung 2. Folgen von multiplen Messerstichverletzungen des Bauches und des Dammbereiches mit Beteiligung des Mastdarmes, der Scheide und der Vulva sowie des Dünndarmes, des Dickdarmes und der Leber mit nachfolgender operativer Versorgung und daraus entstehenden ausgeprägten Verwachsungen mit entsprechenden Beschwerden und Störungen der Darmfunktion (subileusartig) sowie operativ behandelte Narbenbrüche am rechten Oberbauch, an der linken Leiste und Ausbildung eines Rezidiv-Narbenbruches im rechten Oberbauch mit Zustand nach vollständig abgeheilter Fistel im Bereich der Bauchnarbe 3. Beschwerden nach operativ versorgten multiplen Messerstichverletzungen am Gesäß, beiden Oberschenkeln und am linken Unterschenkel

mit entsprechender Rentengewährung anerkannt. Die darüber hinaus gehende Klage sowie Berufung ist erfolglos geblieben.

Im schwerbehindertenrechtlichen Erstfeststellungsverfahren hat der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Februar 2001, geändert durch Bescheid vom 13. März 2002, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2002 einen GdB von 50 ab der Antragstellung am 18. Mai 1998 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen anerkannt:

- Posttraumatische Belastungsstörung (Einzel-GdB 40) - Narben nach Messerstichverletzungen intraabdominelle Verwachsungsbeschwerden (Einzel-GdB 20) - Psychische Störungen (Einzel-GdB 20).

Die zudem begehrten Merkzeichen "G", "H" (Hilflosigkeit) und "Gl" (Gehörlos) lehnte der Beklagte indes ab.

Auf den Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 5. Januar 2006, mit dem sie neben der Feststellung eines höheren GdB zudem erneut die Merkzeichen "G" und "H" geltend machte, anerkannte der Beklagte mit Bescheid vom 29. November 2007 nach Beiziehung von Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie Beiziehung der im sozialen Entschädigungsverfahren vor dem Sozialgericht Neuruppin erstatteten Gutachten einen GdB von 60 seit dem 5. Januar 2006 (Neufeststellungsantrag), lehnte jedoch die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "H" weiterhin ab. Den hiergegen von der Klägerin am 17. Dezember 2007 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2008 zurück und lehnte die Übernahme von Kosten für das Verwaltungsverfahren gemäß § 63 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ab.

Die Klägerin hat am 14. März 2008 Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung eines Befundberichtes der die Klägerin behandelnden Hausärztin Dr. vom 27. Januar 2009 sowie von Unterlagen aus dem vor dem Sozialgericht Neuruppin anhängig gewesenen Rentenverfahren mit dem Aktenzeichen L 21 RJ 109/03 die Fachärztin für Orthopädie und Chirurgie Dr. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Die Sachverständige gelangte nach körperlicher Untersuchung der Klägerin vom 25. Februar 2010 in ihrem Gutachten vom 15. März 2010 zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB für die Zeit ab Januar 2006 mit 50 und erst für die Zeit ab September 2008 mit 60 zu bewerten sei. Dem liegen nach Einschätzung der Sachverständigen folgende relevante Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

- Posttraumatische Belastungsstörung (Einzel-GdB 40) - Bauchnarbenbruch mit ausgedehnter Bauchwandschwäche (Einzel-GdB 20) - chronische Hepatitis B (Einzel-GdB 20 ab September 2008).

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens "G" lägen nicht vor, weil die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen mit unter 10 zu bewerten seien.

Mit Urteil vom 12. August 2010 hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage, die auch auf die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin für das Vorverfahren gerichtet war, abgewiesen. Nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten der Sachverständigen scheide sowohl die Feststellung eines höheren GdB als auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" aus.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 5. November 2010 zugestellte Urteil am 6. Dezember 2010, einem Montag, Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren unter Beifügung eines Befundberichtet des KMG Klinikums vom 6. Juni 2011 sowie eines Attestes der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie DM vom 20. Dezember 2011 weiterverfolgt.

Der Senat hat sodann den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige gelangte nach körperlicher Untersuchung der Klägerin vom 17. Juli 2012 in seinem Gutachten vom 4. November 2012 nach einer mit der Klägerin durchgeführten Gehprobe von 400 Metern sowie weiterer Diagnostik (u. a. Dopplersonographie und Oszillographie der Beinarterien) zu der Einschätzung, dass die Funktionsbeeinträchtigungen im Einzelnen wie folgt zu bewerten seien

- psychisches Leiden (posttraumatische Belastungsstörung, Persönlichkeitsstörung) (Einzel-GdB 40) - Bauchwandschwäche und Bauchwandnarbenbruch bei Zustand nach Messerstichverletzungen (Einzel-GdB 20) - chronische Hepatitis C (Einzel-GdB 20) – ab September 2008 - periphere arterielle Verschlusskrankheit Stadium 2b nach Fontaine (Einzel-GdB 40) – ab Juli 2012 - Harninkontinenz (Einzel-GdB 10) – ab Juli 2012.

Hieraus resultiere unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen ein GdB von 50 ab Januar 2006, von 60 ab September 2008 und von 70 ab Juli 2012 (Monat der Begutachtung). Mit Blick auf die anlässlich der durchgeführten Untersuchung erstmals festgestellte arterielle Verschlusskrankheit des linken Beines seien nunmehr auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" gegeben.

Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2012 hat der Beklagte auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Frau Dr. vom 10. Dezember 2012 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass mit Wirkung ab 17. Juli 2012 ein GdB von 70 festgestellt und das Merkzeichen "G" zuerkannt werde.

Das diesbezügliche Teilanerkenntnis hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18. April 2013 angenommen; im Übrigen haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Sache für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und erstreckt sich nach Maßgabe dieser Vorschrift auch auf das Widerspruchsverfahren. Die Vorschrift des § 63 SGB X findet vorliegend keine Anwendung, weil hier kein so genanntes isoliertes Vorverfahren stattgefunden hat, sondern sich an die Erteilung des Widerspruchsbescheides ein Klageverfahren angeschlossen hat. In diesem Falle hat eine einheitliche Kostenentscheidung nach § 193 SGG zu ergehen. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Zuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin für das Vorverfahren notwendig war.

Die aus dem Tenor ersichtliche Kostenquote entspricht nach Einschätzung des Senats in etwa dem Maß des wechselseitigen Unterliegens. Die Klägerin hat den höheren GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens G bereits ab dem Jahr 2006 begehrt und ist insoweit für die Zeit bis Juli 2012 und damit für den weit überwiegenden Teil des bislang streitbefangenen Zeitraums erfolglos geblieben. Andererseits jedoch wurden der höhere GdB und das Merkzeichen ab Juli 2012 unbefristet zuerkannt, woraus der Senat das Unterliegen des Beklagten auf etwa ein Drittel des gesamten Streitstoffs einschätzt.

Gründe im Verhalten der Verfahrensbeteiligten, die zur Einleitung, Fortführung oder Beendigung des Rechtsstreits geführt haben, hat der Senat berücksichtigt, sie führen indessen nicht zu einer Veränderung der Kostenquote insgesamt. So hat der Senat zwar zugunsten des Beklagten berücksichtigt, dass dieser nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens des Dr. A vom 4. November 2012 ein Teilanerkenntnis entsprechend dem dort vorgeschlagenen Ergebnis der Begutachtung abgegeben hat. Andererseits war aber auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte in gewissem Umfang Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Denn der Beklagte hat auf den hier streitbefangenen Neufeststellungsantrag der Klägerin sich darauf beschränkt, ärztliche Befundberichte einzuholen und die Akten des Entschädigungsverfahrens nach dem Opferentschädigungsgesetz beizuziehen.

Der Beklagte hat insoweit weder eigene ärztliche Untersuchungen vorgenommen noch sonst ärztliche Untersuchungen veranlasst. Derartiger Ermittlungen hätte es indessen bedurft, weil weder die beigezogenen Befundberichte noch die – zu anderen Fragestellungen ergangenen – Ermittlungen aus dem Opferentschädigungsverfahren eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Bemessung des GdB und die Entscheidung über die Zuerkennung eines Nachteilsausgleichs ermöglichten. Es bestand vor diesem Hintergrund für die Klägerin hinreichender Anlass, ihr Rechtsschutzbegehren durch ein gerichtliches Verfahren klären zu lassen, auch wenn sie damit im Ergebnis zur teilweise erfolgreich geblieben ist.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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