L 27 P 19/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 P 609/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 19/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2013 aufgehoben. Dem Kläger wird für das Klageverfahren erster Instanz mit Wirkung ab Klageerhebung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des gewährt. Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin, mit dem dieses den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vom 7. April 2011 abgelehnt hat, ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz SGG ). Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ausgeschlossen. Das Sozialgericht hat nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe verneint, sondern die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig und begründet.

Gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO- erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Der Kläger ist - wie sich aus der eingereichten Erklärung vom 27. April 2011 und Bescheiden des Amtes für Soziales vom 2. Februar 2011 und 25. Januar 2013 ergibt - nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen.

Das Sozialgericht Berlin hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht der am 7. April 2011 eingereichten und mit einer Klagebegründung versehenen Klage auf Gewährung von Pflegeleistungen nach der Pflegestufe I verneint.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist vorliegend der Mai 2011. Entscheidungsgrundlage für die gemäß § 114 Satz 1 ZPO vorzunehmende Erfolgsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs.

Entscheidungsreife liegt vor, wenn der Antragsteller alle für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erforderlichen Unterlagen vorgelegt hat, insbesondere gemäß § 117 Abs. 2 und 4 ZPO den vollständig ausgefüllten Vordruck über die Erklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die entsprechenden Belege, wenn der Gegner gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat und alle Erhebungen im Sinne von § 118 Abs 2 Sätze 1 bis 3 ZPO zur Klärung der hinreichenden Erfolgsaussicht des Prozesskostenhilfeantrages durchgeführt worden sind (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. April 2010, L 11 R 6027/09 B, Rdnr. 4).

Entscheidungsreife ist vorliegend im Mai 2011 nach Eingang des ausgefüllten und unterzeichneten Vordrucks über die Erklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten. Der Antragsteller hatte am 27. April 2011 die Erklärung vollständig ausgefüllt und den zum damaligen Zeitpunkt aktuellen Bescheid über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII des Sozialamtes eingereicht. In dem vom Kläger genutzten Formular war ausdrücklich erklärt, dass bei Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und Beifügung des Bescheides des Sozialamtes, Angaben zu den Bruttoeinnahmen, Abzügen, Vermögensverhältnissen, Wohnkosten, sonstigen Zahlungsverpflichtungen und besonderen Belastungen entbehrlich seien. Weitere Erklärungen und Belege waren vom Gericht auch nicht angefordert worden. Der Antragsteller hatte die Klage auch begründet, die Beklagte hatte zumindest bis Ende des Monats Mai die Möglichkeit der Stellungnahme.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gebietet in Verbindung mit dem u. a. in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitergehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben dieses Nebenverfahren an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 29. September 2004, 1 BvR 1281/04, Rdnr. 12, Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07). Demnach genügt ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag, dass eine – nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit des Obsiegens besteht, weil entweder eine schwierige Rechtsfrage zu beantworten ist oder vor einer abschließenden Beantwortung der streiterheblichen Fragen weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen sind. Kommen somit weitere Ermittlungen, insbesondere eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen werden, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem weniger Bemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 29. September 2004, 1 BvR 1281/04, Rdnr. 14).

Nach diesen Maßstäben war zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Mai 2011 hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu verneinen, da der Sachverhalt nicht umfassend aufgeklärt war.

Es bedurfte vorliegend weiterer medizinischer Ermittlungen hinsichtlich des zeitlichen Umfanges der Pflegebedürftigkeit des Klägers. Allein dies rechtfertigt das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussicht.

Der maßgebliche Anspruch auf Gewährung von Pflegeleistungen hängt vorliegend davon ab, inwieweit sich eine Pflegebedürftigkeit des Klägers gemäß § 14, 15 SGB XI feststellen lässt. Der Kläger hat sein Begehren darauf gestützt, dass er aufgrund seiner Amputationen und der Gefäßkrankheit stark gehbehindert sei. Zudem sei er alkoholkrank.

Vorliegend war hierzu zumindest die Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich und es bestanden keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür, dass die durchzuführende Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen wird. Das Sozialgericht hat dann auch den behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin und der Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgiegebeten, einen schriftlichen Befundbericht zu erstatten und sich hierbei gutachterlich zu den benötigten Hilfestellungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung zu äußern. Die Befundberichte wurden am 4. September 2012 und am 25. Oktober 2012 erstellt.

Bei der Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen handelt es sich auch nicht um Vernehmungen im Sinne des § 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Eine solche Qualifizierung stünde den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Die Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen obliegt dem Gericht im Rahmen der Amtsermittlungspflicht. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts auf welche Art und Weise es den Sachverhalt aufklärt. Sollten die gerichtlichen Ermittlungen dagegen dem Prozesskostenhilfeverfahren zugeordnet werden, würde entgegen der Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsverfolgung in dieses Nebenverfahren verlagert werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Oktober 2011, Rdnr. 6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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