L 3 AL 124/13 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 124/13 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes in Bezug auf eine begehrte Kraftfahrzeughilfe.

2. Zur Glaubhaftmachung, auf die Benutzung des Kraftfahrzeugs angewiesen zu sein, weil die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fahrdiensten auf Grund der dadurch entstehenden Reizüberflutung mit einhergehender Orientierungsstörung in Folge des Asperger-Syndroms nicht zugemutet werden könne.
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr vorläufig Kraftfahrzeughilfe in Form eines Zuschusses zur Anschaffung eines Kraftfahrzeuges in Höhe bis zu 9.500,00 EUR sowie Eingliederungshilfe in Form der Übernahme von Kraftfahrzeug-Betriebskosten in Höhe von 75,00 EUR monatlich zuzüglich der Versicherungsbeiträge und der Kraftfahrzeug-Steuer für das anzuschaffende Fahrzeug zu gewähren.

Die Antragstellerin leidet den vorliegenden medizinischen Einschätzungen zu Folge seit ihrer Geburt am Asperger-Syndrom. Bei ihr sind zwischenzeitlich ein Grad der Behinderung von 80 und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" festgestellt.

Das Arbeitsverhältnis der Antragstellerin bei einem Leiharbeitsunternehmen wurde durch ordentliche Kündigung zum 14. Oktober 2009 beendet. Zuvor hatte die Antragstellerin am 28. Mai 2009 bei der Antragsgegnerin in persönlicher Vorsprache Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - Kraftfahrzeughilfe - beantragt. Sie benutze ein Fahrzeug, dass nicht ihr Eigentum sei, da sie das Darlehen für die Anschaffung nicht habe abzahlen können. Das Fahrzeug gehöre einer Frau P H. Da ihre angeborene Behinderung erst jetzt festgestellt worden sei, sei sie gezwungen gewesen, im Jahre 2005 die Kosten für die Fahrschule selbst zu tragen. Sie beantrage die rückwirkende Übernahme dieser Kosten.

Unter dem 9. Juli 2009 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie nach § 6 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) der zuständige Rehabilitationsträger sei. Nach den getroffenen Feststellungen benötige die Antragstellerin Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 19 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III).

Mit Bescheid vom 13. Juli 2009 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges ab. Der ärztliche Fachdienst habe festgestellt, dass die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Mit weiterem Bescheid vom 13. Juli 2009 beendete die Antragsgegnerin das Verfahren zur beruflichen Rehabilitation mit der Begründung, die Antragstellerin stehe weiterhin in einem beitragspflichtigen Arbeitsverhältnis. Das Ziel der beruflichen Rehabilitation, die dauerhafte Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sei erreicht.

Am 28. Juli 2009 legte die Antragstellerin dagegen Widerspruch ein. Ohne den beantragten Zuschuss werde sie "definitiv" ihre Arbeit verlieren. Das "jetzige Fahrzeug" stehe nicht mehr zur Verfügung, die Eigentümerin werde das Fahrzeug abmelden. Selbst könne sie ein Fahrzeug nicht finanzieren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2009 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Die Antragstellerin sei wegefähig und in der Lage, öffentliche Verkehrs-mittel zu benutzen. Sie sei daher nicht behinderungsbedingt auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen. Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 17. August 2009 wies die Antragsgegnerin auch den Widerspruch gegen die Beendigung des Rehabilitationsverfahrens zurück. Wegen der Kraftfahrzeughilfe verwies sie auf den Bescheid vom 13. Juli 2009. Weitere Hilfen seien derzeit nicht notwendig und auch nicht beantragt.

Die Klage der Antragstellerin vom 17. September 2009 hat das Sozialgericht Dresden mit Urteil vom 6. Dezember 2011 (Az. S 9 AL 766/09) abgewiesen. Hinsichtlich der allenfalls noch zu hinterfragenden Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei erforderlich, dass die sie begründenden Umstände zumindest das gleiche Gewicht hätten wie diejenigen, die die Notwendigkeit eines Kraftfahrzeugs zur Teilhabe am Arbeitsleben rechtfertigten. Derartige Gründe lägen vor allem dann vor, wenn eine regelmäßige Notwendigkeit der Kraftfahrzeugbenutzung bestehe, weil die erforderliche Mobilität des behinderten Menschen nicht auf andere Weise sichergestellt werden könne. Unter Berücksichtigung dessen sei die Antragstellerin, die zum Beispiel zur Wahrnehmung auswärtiger Arzttermine auf den PKW ihrer Mutter zurückgreifen könne, zur Realisierung kultureller Aktivitäten oder zur - bislang aber nicht praktizierten - Beteiligung an Selbsthilfegruppen nicht auf Leistungen der Kraftfahrzeughilfe angewiesen. Sie sei insoweit auf niedrig schwelligere Hilfsangebote wie die Nutzung von Fahrdiensten, Taxis oder Mietwagen im gelegentlich/vereinzelt auftretenden Bedarfsfall verweisbar. Zudem habe die Antragstellerin gegenüber dem im Rechtsstreit Az. S 41 SB 342/09 (wegen Grad der Behinderung und Merkzeichen) beauftragten Sachverständigen auf psychiatrischem Fachgebiet erklärt, dass sie außerhalb ihrer Familie keine sozialen Kontakte pflege und praktisch keine Hobbys habe.

Dagegen hat die Antragstellerin am 23. Mai 2012 Berufung eingelegt (Az. L 3 AL 55/12).

Am 25, Juni 2013 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie macht geltend, nur durch die Nutzung ihres Kraftfahrzeuges sei es ihr möglich, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und den Nahbereich der Wohnung zu verlassen. Selbst einfachere Erledigungen, wie zum Beispiel einkaufen, seien sonst nicht möglich. Sie benötige das Fahrzeug auch zur Aufrechterhaltung ihrer sozialen und kulturellen Kontakte.

Die Antragstellerin beantragt,

I. die Antragsgegnerin zu verurteilen, der Antragstellerin Kraftfahrzeughilfe in Form des Zuschusses zur Anschaffung eines Kfz bis zu einem Betrag von 9.500,00 EUR zu gewähren;

II. die Antragsgegnerin zu verurteilen, der Antragstellerin Eingliederungshilfe durch Übernahme von Kraftfahrzeug-Betriebskosten in monatlicher Höhe von 75,00 EUR zuzüglich der dann anfallenden Versicherungsbeiträge und Kfz-Steuer für den von der Kfz-Beihilfe angeschafften PKW zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichtes für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen, die Akten des Sächsischen Landessozialgerichtes zu den Verfahren Az. L 3 AL 55/12 und L 3 AL 107/13 ER sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist abzulehnen. Weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch sind glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.

a) Vorliegend fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Die Darlegungen der Antragstellerin zur Notwendigkeit der Nutzung eines Kraftfahrzeugs beschränken sich auf die Behauptung, erst durch das Kraftfahrzeug werde ihr ermöglicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und den Nahbereich der Wohnung zu verlassen, ohne Fahrzeug seien selbst einfachere Erledigungen wie zum Beispiel einkaufen nicht möglich. Das Fahrzeug werde zur Aufrechterhaltung der sozialen und kulturellen Kontakte benötigt. Dabei handelt es sich jedoch um bloße Behauptungen, die nicht in geeigneter Weise glaubhaft gemacht sind. Insbesondere fehlt jede Darlegung zu Art und Häufigkeit der für die Antragstellerin unabdingbaren "einfachen Erledigungen" (außer einkaufen) wie auch zu Art und Häufigkeit der "sozialen und kulturellen Kontakte". Der schlüssigen Darlegung und Glaubhaftmachung des von der Antragstellerin mit dem bisher genutzten - fremden - Kraftfahrzeugs gedeckten Mobilitätsbedarfs hätte es insbesondere deshalb dringend bedurft, weil aktenkundige eigene Einlassungen der Antragstellerin eher dafür sprechen, dass das Kraftfahrzeug in der Vergangenheit (nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses) jedenfalls nicht für Zwecke, denen die Eingliederungshilfe dient, genutzt wurde.

Soweit die Antragstellerin behauptet, sie könne ohne Kraftfahrzeug keine Einkäufe tätigen, ist dies ersichtlich unzutreffend. Sie wohnt in der M St in D. In der M St in D befindet sich - wie eine Internet-recherche ergab - die Filiale "Nord" eines bundesweit auftretenden Discounters. In dessen unmittelbarer Nähe befinden sich weitere Einkaufsmöglichkeiten, etwa ein "Frische-Markt" einer Genossenschaft. Die Distanz zu diesen Einkaufsmöglichkeiten von etwa 500 bis 600 Metern kann die in ihrer Wegefähigkeit nicht, jedenfalls nicht erheblich, eingeschränkte Antragstellerin in jedenfalls nicht mehr als zehn Minuten zurücklegen. Dieser Zeitaufwand ist der arbeitslosen Antragstellerin auch zuzumuten.

Soweit in der Antragsschrift auf die Aufrechterhaltung der sozialen und kulturellen Kontakte verwiesen wird, ist bisher nicht ersichtlich, um welche Kontakte es sich dabei handeln soll. Das Sozialgericht hatte in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 6. Dezember 2011 bereits darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin auf Befragen in einer psychiatrischen Begutachtung angab, außerhalb ihrer Familie keine sozialen Kontakte zu pflegen und praktisch keine Hobbys zu haben. Dies deckt sich mit weiteren anamnestischen Feststellungen, die sich in der Gerichtsakte befinden. Die durch Prof. E und Dr. Dr. R (Universitätsklinikum F ) erstellte Epikrise vom 3. November 2010 enthält insoweit die Angabe der Antragstellerin, es habe sie nie interessiert, Freundschaften zu haben. In einem fachpsychiatrisch-diagnostischen Attest vom 29. Juli 2010 ist die Angabe der Antragstellerin festgehalten, sie habe keinen Freundeskreis.

Nach alldem vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der geltend gemachte Bedarf in einer Weise dringlich ist, die ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen ließe.

b) Die Antragstellerin hat auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 7. Januar 2009 – L 3 B 349/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 23, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 3 AS 700/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 27, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 26. September 2012 – L 3 AS 408/12 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 15, m. w. N.; Krodel, NSZ 2002, 234 ff., m. w. N.).

Ein solcher Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

Als Anspruchsgrundlage für die begehrten Leistungen kommt § 53 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) i. V. m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 7, § 58 SGB IX i. V. m. § 10 Abs. 6 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Eingliederungshilfe-Verordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl. I S. 433; zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 [BGBl. I S. 3022, 3059]; vorhergehende Bezeichnung: Verordnung nach § 47 des Bundessozialhilfegesetzes [Eingliederungshilfe-Verordnung]) in Betracht.

Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Das ist für die Antragstellerin der Fall.

Die in § 53 Abs. 1 SGB XII angesprochenen Leistungen der Eingliederungshilfe sind in § 54 SGB XII geregelt. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind dies neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere fünf im Einzelnen aufgeführte Leistungen. Von diesem Katalog möglicher Leistungen sind für den geltend gemachten Anspruch nur die Leistungen gemäß § 55 Abs. 1, 2 Nr. 7 SGB IX maßgebend.

Nach § 55 Abs. 1 SGB IX werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 des SGB IX nicht erbracht werden. Leistungen nach diesem Absatz sind unter anderem Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (vgl. § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX). Gemäß § 58 SGB IX umfassen die Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben vor allem Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen (Nummer 1), Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen (Nummer 2) und die Bereitstellung von Hilfsmitteln, die der Unterrichtung über das Zeitgeschehen oder über kulturelle Ereignisse dienen, wenn wegen Art oder Schwere der Behinderung anders eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht oder nur unzureichend möglich ist (Nummer 3).

Bereits mit dieser Vorschrift wird die Bedeutung der Leistungen zur Förderung des Umgangs des behinderten Menschen mit nicht behinderten Personen unterstrichen (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 1. September 2010 – L 3 AS 390/09 B ER [n. v.]; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10. Mai 2007 – L 8 SO 20/07 ER – FEVS 58, 569 = JURIS-Dokument Rdnr. 20). Dadurch werden vielfältige Leistungen erfasst, auch Hilfen für die Benutzung eines Kraftfahrzeuges, wenn der behinderte Mensch auf die Benutzung eines Autos angewiesen ist (vgl. u. a.: Sächs. LSG, a. a. O.; W. Schellhorn, Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII [17. Aufl., 2006], § 54 SGB XII Rdnr 65).

Der Gesetzgeber hat in § 60 SGB XII die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Bestimmungen unter anderem über Art und Umfang der Leistungen der Eingliederungshilfe zu erlassen. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung in der Eingliederungshilfe-Verordnung Gebrauch gemacht. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung gilt die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. §§ 33 und 55 SGB IX. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung wird sie in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist; bei Teilhabe am Arbeitsleben findet die Kraftfahrzeughilfe-Verordnung Anwendung. Gemäß § 10 Abs. 6 der Eingliederungshilfe-Verordnung kann als Versorgung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. u. a. § 55 SGB IX Hilfe in angemessenem Umfange auch zur Erlangung der Fahrerlaubnis, zur Instandhaltung sowie durch Übernahme von Betriebskosten eines Kraftfahrzeuges gewährt werden, wenn der behinderte Mensch wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist oder angewiesen sein wird.

Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits im Urteil vom 27. Oktober 1977 (Az. V C 15.77, BVerwGE 55, 31 [33 ff.] = JURIS-Dokument Rdnr. 8 ff.) dargelegt, dass die Übernahme der Kosten für die Beschaffung und den Betrieb eines Pkw’s nicht nur im Zu-sammenhang mit der Teilnahme des Behinderten am Arbeitsleben, sondern auch zur Gewährleistung seiner Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Betracht kommt. Es hat gefordert, dass andere als die dem Arbeitsleben dienenden Gründe mindestens vergleichbar gewichtig sein müssen. Dazu gehöre, dass die Notwendigkeit der Benutzung des Pkw’s ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich bestehe. Auch das Alter des Behinderten sei zu berücksichtigen ebenso wie der Gesichtspunkt, dass der Behinderte in der Regel das Kfz selbst müsse bedienen können (BVerwGE 55, 31 [33] = JURIS-Dokument Rdnr. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kann die Notwendigkeit in diesem Sinne nicht damit begründet werden, dass die Familie, in der der behinderte Mensch lebt und von der er versorgt wird, einer Entlastung bedarf, soweit sich eine solche durch die Benutzung eines Kfz’s erreichen lässt (BVerwGE 55, 31 [34] = JURIS-Dokument Rdnr. 10 f.). Es hat insoweit unter anderem auf die Regelung in § 8 Abs. 3 der Eingliederungshilfe-Verordnung hingewiesen, wonach diese Form der Leistung in der Regel davon abhängig ist, dass der Behinderte das Kraftfahrzeug selbst bedienen kann.

Diese Rechtsprechung wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung zunächst unter der weiteren Geltung des Bundessozialhilfegesetzes und später unter Geltung des SGB XII fortgeführt.

So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Urteil vom 14. Januar 1993 unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsrechung des Bundesverwaltungsgerichtes einen Anspruch auf Zahlung einer Betriebskostenpauschale und Übernahme von Reparaturkosten abgelehnt, weil der Kläger (dort: "multimorbider Mann in reduziertem Allgemein- und Kräftezustand"; GdB 100, Merkzeichen "aG" und "B") nicht auf die ständige Benutzung des Kfz’s angewiesen sei. Die notwendigen Besorgungen (insbesondere Einkäufe und Fortbringen der Wäsche) könnten nach Sachlage von seiner Ehefrau getätigt werden. Der Kläger selbst habe sein natürliches Bedürfnis nach Bewegung, Abwechslung und sozialem Kontakt auch dadurch befriedigen können, dass er den vom Landkreis angebotenen Behindertenfahrdienst in Anspruch genommen habe (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. Januar 1993 – 12 B 90.1034 – JURIS-Dokument Rdnr. 29).

In einem weiteren Urteil vom 26. Juli 2004 hat ebenfalls der Bayerische Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass die Kfz-Hilfe nicht versagt werden darf, wenn im konkreten Einzelfall dem Betroffenen ohne diese Hilfe jegliche Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne von § 1 Satz 1 SGB IX verwehrt bliebe (vgl. BayVGH, Urteil vom 26. Juli 2004 – 12 B 03.2723 – JURIS-Dokument Rdnr. 26). Im Ergebnis hat er einen Anspruch verneint, weil hinsichtlich der Fahrten zu Ärzten ein Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten durch die Krankenkasse bestehe. Im Übrigen hatte der zuständige Landkreis dem Kläger zugesagt, bis auf Weiteres die Kosten für zwölf Einzelfahrten pro Kalenderjahr mit dem Behindertenfahrdienst zu übernehmen (JURIS-Dokument Rdnr. 27 ff.).

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat im Beschluss vom 10. Mai 2007 (Az.: L 8 SO 20/07 ER) ausgeführt, dass ein behinderter Mensch im Sinne von § 10 Abs. 6 der Eingliederungshilfe-Verordnung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, wenn er nur mit Hilfe seines Kraftfahrzeuges seine Wohnung verlassen kann (dort: Multiple Sklerose; GdB 80, Merkzeichen "G", "aG", "RF" und "B"), wenn das Bedürfnis, die Wohnung zu verlassen, gerade aus Gründen besteht, denen die Eingliederungshilfe dient und wenn sich schließlich ein solches Bedürfnis regelmäßig stellt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10. Mai 2007 – L 8 SO 20/07 ER – FEVS 58, 569 = JURIS-Dokument Rdnr. 18, m. w. N.). Zum Umfang der tatsächlichen Nutzung des Pkw’s hat das Landessozialgericht ausgeführt (FEVS 58, 569 = JURIS-Dokument Rdnr. 19): "Die Antragstellerin benötigt das Auto zur Aufrechterhaltung ihrer sozialen und kulturellen Kontakte. Sie darf nicht allein darauf verwiesen werden, Besuch zu Hause zu empfangen. Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bedeutet auch, den Behinderten die Möglichkeit zu verschaffen, Bekannte, Verwandte und Freunde zu besuchen. Hierbei kann es nicht darauf ankommen, ob dieser Bedarf mehrfach in der Woche auftritt. Denn der Begriff ‚regelmäßige Benutzung’ ist erfüllt, wenn das Auto wiederkehrend häufig benutzt wird. Dieser Häufigkeitsgrad ist anzunehmen, wenn der behinderte Mensch zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft überhaupt auf ein Auto angewiesen ist. Er muss die Möglichkeit haben, jederzeit von seinem Teil-haberecht Gebrauch zu machen. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, wie sich aus der amtsärztlichen Stellungnahme erschließt. Denn danach ist die Antragstellerin auf die (regelmäßige) Benutzung eines Autos angewiesen."

Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat im Beschluss vom 28. September 2007 (Az.: 3 L 231/05) ausgeführt (FEVS 59, 280 = JURIS-Dokument Rdnr. 11, m. w. N.): "’Regelmäßig’ bedeutet indes nicht, dass das Fahrzeug gleichsam täglich benötigt wird oder der Bedarf sich ausnahmslos jede Woche mindestens zweimal stellt und entsprechend befriedigt wird. Vielmehr kann – wie bei einem Nichtbehinderten – je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles mal ein erhöhter und mal ein geringerer Bedarf gegeben sein, wobei dieser allerdings nicht nur vereinzelt oder ge-legentlich bestehen darf. Bei allem bleibt entscheidend, ob der Behinderte mit Blick auf das Ziel der Eingliederungshilfe auf ein eigenes Kraftfahrzeug angewiesen ist ([ ...]), wobei maßgeblich auf die Art und Schwere der Behinderung und zum anderen die gesamten Lebensumstände und -verhältnisse des Behinderten abzustellen. Auch ist zu berücksichtigen, dass ein Kraftfahrzeug typischerweise ein der Eingliederung eines Behinderten dienendes Hilfsmittel ist ([ ...]). Ist hieran gemessen die erforder-liche Mobilität – in zumutbarer Weise – durch andere Hilfen, zum Beispiel durch die Benutzung eines Behindertenfahrzeuges (Rollstuhl) oder von öffentlichen Verkehrsmitteln oder in sonstiger Weise (Krankentransport, Taxi, Mietauto) ‚sichergestellt’, ist der Behinderte nicht auf die Benutzung eines (eigenen) Kraftfahrzeuges ständig angewiesen ([ ...])." Ausgehend davon, dass die dortige Antragstellerin auf Grund der Schwere der Behinderung (u. a. Epilepsie mit starker Myoklonien; GdB 100, Merkzeichen "G", "aG", "H" und "B") bei sämtlichen außerschulischen Aktivitäten und bei allen anderen Angelegenheiten auf den Behindertenfahrdienst angewiesen war, hat das Oberverwaltungsgericht be-zweifelt, dass hierdurch die unter Berücksichtigung des Ziels der Eingliederungshilfe erforderliche Mobilität gewährleistet wäre (FEVS 59, 280 = JURIS-Dokument Rdnr. 20). Im Hinblick auf den vorhandenen Rollstuhl hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass die Benutzung eines Kraftfahrzeuges für eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft regelmäßig erforderlich ist, wenn jede Fortbewegung, die den Fahrbereich eines Rollstuhls überschreitet, die Notwendigkeit einschließt, ein eigenes Kraftfahrzeug zu nutzen (FEVS 59, 280 = JURIS-Dokument, a. a. O., m. w. N.).

Das Bayerische Landessozialgericht hat im Beschluss vom 22. September 2008 (Az.: L 8 B 684/08 SO ER) ausgeführt, dass die Prüfung der Notwendigkeit im Sinne des § 8 Abs 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung neben der medizinisch begründeten Notwendigkeit, ein Kraftfahrzeug zu benützen, das Vorliegen weiterer Voraussetzungen verlangt. Es müssen hinreichend und glaubhaft Bedarfe geltend gemacht sein (Verwandtenbesuche, Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, Kirchenbesuche), die auch nicht wegen des Nachrangs der Sozialhilfeleistungen anderweitig gedeckt werden können (vgl. BayLSG, Beschluss vom 22. September 2008 – L 8 B 684/08 SO ER – FEVS 60, 475 = JURIS-Dokument Rdnr. 12; verneint bei GdB 100, Merkzeichen "G", "B" und "aG").

Von dieser Rechtsprechung ausgehend müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Anspruch auf Übernahme von Anschaffungs-, Betriebs- und/oder Reparaturkosten besteht (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 1. September 2010 – L 3 AS 390/09 B ER [n. v.]): 1. Der Antragsteller muss auf Grund seiner Behinderung auf die Benutzung eines eigenen Kfz’s angewiesen sein. 2. Die Benutzung des Kfz’s muss "regelmäßig" und in der Regel durch den Behinderten selbst erfolgen. 3. Der danach festgestellte Bedarf darf nicht anderweitig zu decken sein.

Keine der drei Voraussetzungen hat die Antragstellerin glaubhaft machen können.

Es ist schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin auf die Benutzung des Kraftfahrzeugs angewiesen ist. Zwar hat sie, ohne dies in irgendeiner Weise zu unterlegen, behauptet, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fahrdiensten könne ihr auf Grund der dadurch entstehenden Reizüberflutung mit einhergehender Orientierungsstörung nicht zugemutet werden. Gegen den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung spricht aber der Umstand, dass die Antragsstellerin vor dem Sozialgericht Dresden im Verfahren S 41 SB 342/09 geltend gemacht hat, das Asperger-Syndrom führe bei ihr zu einer eingeschränkten Orientierung. Sie könne Gefahren, insbesondere im Straßenverkehr, schlecht einschätzen und drohe in Unfallsituationen zu geraten. Hinzu komme eine Beeinträchtigung der Wahrnehmung bei permanenter Reizüberflutung im Straßen- und Stadtverkehr. Auf Grund der mangelnden Orientierungsfähigkeit sei sie zwangsläufig auch bei der Benutzung öffent-licher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen. Ob nun also die Antragstellerin öffentliche Verkehrsmittel benutzen oder aber behinderungsbedingt nicht be-nutzen kann, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Jedenfalls die Benutzung von Fahrdiensten ist im Ergebnis der hier vorzunehmenden summarischen Einschätzung möglich und zumutbar. Zwar würde die Antragstellerin bei Benutzung eines Fahrdienstes mit fremden Menschen, nämlich zumindest einem Fahrer, konfrontiert. Selbst wenn die Antragstellerin dadurch, wie es der Sachverständige auf psychiatrischem Fachgebiet Dr. S in dem im Verfahren S 41 SB 342/09 unter dem 22. Juni 2011 erstatteten Gutachten im Bezug auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausgeführt hat, stark abgelenkt und in ihrer Aufmerksamkeit im Sinne einer "Orientierungsstörung" beansprucht würde, hätte dies keine praktischen Auswirkungen. Als Passagier wäre die Antragstellerin auf eigene Aufmerksamkeit und Orientierung im Straßenverkehr nicht angewiesen. Ob die Antragstellerin durch die im Verfahren Az. S 41 SB 342/09 vorgetragene behinderungsbedingte eingeschränkte Orientierung im Straßenverkehr mit der mangelhaften Befähigung, Gefahren einzuschätzen unter Neigung, in Unfallsituationen zu geraten, wegen der mangelnden Befähigung zur Führung eines Kraftfahrzeuges (vgl. § 2 Abs. 4 des Straßenverkehrsgesetzes [StVG]) möglicherweise auf dessen (Eigen-)Nutzung nicht angewiesen sein kann, muss ebenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Zudem hat die Antragstellerin, wie bereits zum Anordnungsgrund ausgeführt, nicht glaubhaft gemacht, in der Vergangenheit das ihr zur Verfügung stehende Kraftfahrzeug regelmäßig zu von der Eingliederungshilfe abgedeckten Zwecken genutzt zu haben. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

Schließlich ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass ein Bedarf, sollte er sich – dennoch – als bestehend erweisen, nicht anderweitig gedeckt werden könnte. Selbst wenn sich heraus stellen sollte, dass die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel nicht beeinträchtigungsfrei benutzen kann, spricht jedoch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie behinderungsspezifische Fahrleistungen nutzen kann. Eine damit möglicherweise einhergehende "Reizüberflutung" mit "Orientierungsstörung" könnte schon deshalb nicht zugunsten des geltend gemachten Anspruchs auf vorläufige Gewährung von Leistungen ins Gewicht fallen, weil auch die eigenständige Teilnahme der Antragstellerin am Straßenverkehr ihren eigenen Darstellungen im Verfahren Az. S 41 SB 342/09 zufolge zu "permanenter Reizüberflutung" und "eingeschränkter Orientierung" führt und das Entstehen von "Unfall-situationen" begünstigt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG entsprechend.

3. Prozesskostenhilfe kann mangels Erfolgsaussichten nicht bewilligt werden (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO).

4. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Dr. Scheer Höhl Krewer
Rechtskraft
Aus
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