L 9 AL 82/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 AL 211/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 82/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 11/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.02.2012 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 01.09.2010.

Die im Jahr 1980 geborene Klägerin war vom 15.09.2008 bis zum 28.02.2009 befristet als Beschäftigte im Gesundheitswesen in einer Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante gemäß § 16 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Verbindung mit §§ 260 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bei der Stadt E. mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 39 Stunden wöchentlich tätig. Am 12.02.2009 schloss sie mit der Stadt E. einen weiteren, vom 01.03.2009 bis 31.08.2010 befristeten und inhaltlich identischen Arbeitsvertrag ab (Ausnahme: nun ohne Probezeit), der nunmehr auf § 16d SGB II (i.V.m. §§ 260 ff. SGB III) Bezug nahm.

Die Klägerin meldete sich am 29.07.2010 zum 01.09.2010 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 16.03.2011 und Widerspruchsbescheid vom 07.04.2011 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Innerhalb der letzten zwei Jahre habe sie nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Die Arbeitsgelegenheit sei lediglich bis 28.02.2009 versicherungspflichtig und danach, wegen der Änderung des § 27 SGB III zum 01.01.2009, versicherungsfrei gewesen. Die Übergangsregelung des § 434s Abs. 1 SGB III, wonach Arbeitnehmer, die am 31.12.2008 in einer Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante tätig waren, gelte für die Zeit ab 01.03.2009 nicht, weil insoweit Vertrauensschutz nicht mehr greife.

Hiergegen hat die Klägerin am 03.05.2011 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie habe einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Sie sei in ein Arbeitsverhältnis in der Entgeltvariante vermittelt worden. Dieses habe am 15.09.2008 begonnen und sei im Februar 2009 verlängert worden. Sie habe damit 23,5 Monate in einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis gestanden. Insoweit greife die Übergangsregelung des § 434s SGB III ein. Die Auffassung der Beklagten sei mit arbeitsrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Darüber hinaus habe die Beklagte selbst in der Vergangenheit eine andere Ansicht vertreten.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2011 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtene Entscheidung aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig gehalten. Am 10.09.2008 sei ein von vornherein bis zum 28.02.2009 befristetes Beschäftigungsverhältnis vereinbart worden. Erst am 12.02.2009 und damit nach der maßgeblichen Rechtsänderung sei ein neuer Arbeitsvertrag hinsichtlich der Weiterbeschäftigung geschlossen worden. Gründe des Vertrauensschutzes im Sinne der Regelung des § 434s SGB III seien spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ersichtlich.

Mit Urteil vom 28.02.2012 hat das SG Duisburg die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2011 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Klägerin habe einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB III hätten Anspruch auf Arbeitslosengeld Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Unstreitig sei die Klägerin ab dem 01.09.2010 arbeitslos gewesen, denn ihr Beschäftigungsverhältnis bei der Stadt Duisburg habe zum 31.08.2010 geendet. Sie habe sich auch am 29.07.2010 zum 01.09.2010 persönlich arbeitslos gemeldet.

Entgegen der Ansicht der Beklagten habe die Klägerin auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Die Anwartschaftszeit erfülle nach § 123 Satz 1 SGB III, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Die Rahmenfrist betrage zwei Jahre und beginne mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III). Die Klägerin habe in der Rahmenfrist (01.09.2008 bis 31.08.2010) vom 15.09.2008 bis 31.08.2010 und damit mehr als zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden.

Bei dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin habe es sich um eine Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante nach § 16d Satz 1 Sozialgesetzbuch SGB II gehandelt, die nach der bis zum 31.12.2008 geltenden Rechtslage gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III versicherungspflichtig gewesen sei. Durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl. I S. 2917) sei die Versicherungspflicht der Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante aufgegeben worden. § 27 Abs. 3 Nr. 5b SGB III in der Fassung ab dem 01.01.2009 regele nunmehr, dass Personen in einer Beschäftigung, die als Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II gefördert wird, versicherungsfrei seien. Hierdurch sollten nach der Gesetzesbegründung Fehlanreize zum Aufbau neuer Versicherungsansprüche auf Arbeitslosengeld durch öffentlich geförderte Beschäftigung beseitigt werden.

Allerdings habe der Gesetzgeber in § 434s Abs. 1 SGB III eine Übergangsregelung vorgesehen. Danach blieben Arbeitnehmer, die am 31.12.2008 in einer Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante versicherungspflichtig beschäftigt waren, abweichend von § 27 Abs. 3 Nr. 5 Buchstabe b SGB III in dieser Beschäftigung versicherungspflichtig. Nach der Gesetzesbegründung solle die Regelung aus Gründen des Vertrauensschutzes gewährleisten, dass Arbeitnehmer, die bei Inkrafttreten der Regelung zur Versicherungsfreiheit bereits in einer solchen Tätigkeit versicherungspflichtig beschäftigt sind, für die Dauer der Beschäftigung in der Versicherungspflicht einbezogen bleiben.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei die Übergangsregelung des § 434s Abs. 1 SGB III hier anwendbar, obwohl die Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses erst nach der Rechtsänderung erfolgt sei.

Nach dem Wortlaut des § 434s Abs. 1 SGB III sei darauf abzustellen, dass die Tätigkeit "in dieser Beschäftigung" erfolge. Damit sei der versicherungsrechtliche Begriff der Beschäftigung gemeint, wie er in § 7 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) definiert werde. Danach sei Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Maßgebende Kriterien seien in erster Linie eine freiwillige Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliege, sei von den tatsächlichen Verhältnissen und nicht von dem rechtlich Vereinbarten auszugehen. Unter Berücksichtigung des so verstandenen Wortlauts sei hier von einem durchgehend seit dem 15.09.2008 bis zum 31.08.2010 bestehenden Beschäftigungsverhältnis auszugehen, denn die Klägerin sei nahtlos bei demselben Arbeitgeber, in derselben Tätigkeit und mit derselben Entlohnung beschäftigt gewesen. Sie habe außerdem durchgehend und nahtlos dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterlegen. Den beiden Arbeitsverträgen komme dabei nachrangige Bedeutung zu, denn hierbei handele es sich lediglich um formale Aspekte. Maßgebend seien jedoch die tatsächlichen Verhältnisse. Hierfür spreche auch, dass im Falle der Nichtigkeit der beiden Arbeitsverträge dennoch von einem - einheitlichen - Beschäftigungsverhältnis auszugehen wäre. Nichts anderes könne dann aber gelten, wenn die Arbeitsverträge rechtswirksam geschlossen worden seien.

Soweit die Beklagte einwende, dass bei der Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses im Februar 2009 bereits die gesetzlichen Neuregelungen in Kraft getreten waren und daher der hinter der Übergangsregelung stehende Gedanke des Vertrauensschutzes nicht mehr eingreife könne, folge dem das Gericht nicht. In den Fällen, in denen bereits vor der Gesetzesänderung Beschäftigungsverhältnisse begründet worden seien, genössen die Beschäftigten Vertrauensschutz in dieser Beschäftigung und zwar unabhängig davon, wann eine Verlängerung vorgenommen worden sei. Durch dieses Verständnis der Übergangsregelung werde dem Willen des Gesetzgebers umfassend Rechnung getragen, der das Vertrauen in die bestehende Versicherungspflicht der Arbeitsgelegenheit und der damit einhergehenden Vorteile für schutzwürdig erachtet habe. Gerade dieser Vertrauensschutz würde jedoch unangemessen eingeschränkt, wenn bei unveränderten Beschäftigungsbedingungen allein der Zeitpunkt der Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses darüber entscheiden würde, ob weiterhin Versicherungspflicht bestehe oder nicht.

Die Klägerin habe somit sämtliche Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt. Die Beklagte sei daher dem Grunde nach zu verurteilen gewesen, der Klägerin Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Gegen dieses ihr am 14.03.2012 zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 05.04.2012 Berufung eingelegt.

Sie ist der Auffassung, es komme darauf an, wie die in § 434s Abs. 1 SGB III enthaltene Formulierung "in dieser Beschäftigung" auszulegen sei. Allein der Hinweis auf die Definition des Begriffes Beschäftigung in § 7 SGB IV sei zur Klärung insoweit nicht ausreichend. Bei der Frage, wann das am 31.12.2008 bestehende Beschäftigungsverhältnis geendet habe, hätte das Sozialgericht weitere Überlegungen anstellen müssen. Voelzke (in: Hauck/Noftz, SGB III, K § 434s Rn. 4) vertrete die Auffassung, dass spätere Verlängerungen der Beschäftigung im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante nicht zu einem Fortbestehen der Versicherungspflicht führten, weil insoweit der Beweggrund des Vertrauensschutzes nicht mehr Platz greife. Das Sozialgericht habe nicht dargelegt, warum es diese Auffassung nicht für zutreffend halte.

Zu der Frage, wann ein Versicherungspflichtverhältnis ende, enthalte § 24 Abs. 4 SGB III die Aussage, dass dies bei Beschäftigten mit dem Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis oder mit dem Tag vor Eintritt der Versicherungsfreiheit der Fall sei. Danach hätte das Versicherungsverhältnis der Klägerin entsprechend der zweiten Alternative eigentlich am 31.12.2008 geendet. Aufgrund der Regelung des § 434s Abs. 1 SGB III komme es jedoch nur darauf an, wann die Klägerin aus dem am 31.12.2008 bestehenden Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden sei.

Eine mit § 434s Abs.1 SGB III vergleichbare Übergangsregelung habe auch § 434j Abs. 1 SGB III enthalten. Ab dem 01.01.2004 sei die Versicherungsfreiheit von Beschäftigungen eingeführt worden, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert wurden. Dies sei mit derselben Motivation geschehen, mit der jetzt auch die Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante zu versicherungsfreien Beschäftigung erklärt wurden (Beseitigung sachwidriger Anreize, in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme einzutreten bzw. eine Beschäftigung im Rahmen einer geförderten Arbeitsgelegenheit aufzunehmen). Nach der Regelung des § 434j Abs. 1 SGB III blieben Arbeitnehmer, die am 31.12.2003 in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme versicherungspflichtig beschäftigt waren, abweichend von § 27 Abs.3 Nr. 5 SGB III "in dieser Beschäftigung" versicherungspflichtig. Auch bei dieser Übergangsregelung habe sich die Frage gestellt, wie sich eine Verlängerung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme auf die Anwendung der Vertrauensschutzregelung auswirke. Hierzu habe das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit rechtskräftigem Urteil vom 24.08.2011 (L 7 AL 64/09, juris) entschieden, dass die Verlängerung der Dauer einer noch im Jahre 2003 genehmigten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme keinen Vertrauensschutz gemäß § 434j Abs. 1 SGB III bewirke, wenn der Arbeitnehmer einer neuen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei demselben Arbeitgeber zugewiesen werde. In der Begründung der Entscheidung werde u.a. ausgeführt, die Übergangsvorschrift gewähre nämlich nur den fortlaufenden Versicherungsschutz für Beschäftigungen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen der ursprünglichen Zuweisung aus dem Jahre 2003. Die Verlängerung der Dauer einer noch im Jahre 2003 genehmigten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bewirke keinen Vertrauensschutz gemäß § 434j Abs. 1 SGB III, wenn der Arbeitnehmer einer neuen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zugewiesen werde.

Die Beklagte vertrete daher weiterhin die Auffassung, dass die am 31.12.2008 bestehende Beschäftigung aufgrund der Befristung des Arbeitsvertrages am 28.02.2009 geendet habe. Die sich daran anschließende Beschäftigung, die auf einem neuen befristeten Arbeitsvertrag beruht habe, habe nicht mehr der Übergangsregelung des § 434s SGB III unterstanden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.02.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie erwidert, das SG habe ihrer Klage zu Recht stattgegeben. Das Beschäftigungsverhältnis habe nicht am 28.02.2009 geendet, die Gesetzesauslegung der Beklagten sei angesichts der durchgehenden Beschäftigung praxis- und lebensfremd. Bei der Verlängerung habe es sich nicht um eine neue Arbeitsgelegenheit, sondern um das gleiche Arbeitsverhältnis gehandelt. Bei einer von vornherein geplanten Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverhältnissen könnten ansonsten Lücken in der Sozialversicherung entstehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache begründet. Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 und Abs. 4, § 56 SGG) ist entgegen der Rechtsauffassung des SG unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2011 ist rechtmäßig.

1. Die Klägerin hat ab dem 01.09.2010 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil sie die Anwartschaftszeit hierfür nicht erfüllt. Die Anwartschaftszeit erfüllt nach § 123 Satz 1 SGB III (wie alle nachfolgend genannten Normen des SGB III in der hier maßgeblichen Fassung bis zum 31.03.2012), wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III). Die Klägerin stand in der Rahmenfrist (01.09.2008 bis 31.08.2010) vom 15.09.2008 bis zum 28.02.2009 nur 5 ½ Monate und damit nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis.

Gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 5 Buchstabe b SGB III waren Personen in einer Beschäftigung, die - wie bei der Klägerin der Fall - als Arbeitsgelegenheit nach § 16d Satz 1 SGB II gefördert wird, mit Wirkung vom 01.01.2009 nunmehr versicherungsfrei; in der Zeit bis zum 31.12.2008 waren sie versicherungspflichtig. Nach der Übergangsregelung des § 434s Abs. 1 SGB III blieben Arbeitnehmer, die am 31.12.2008 in einer Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante versicherungspflichtig beschäftigt waren, abweichend von § 27 Abs. 3 Nr. 5 Buchstabe b SGB III in dieser Beschäftigung versicherungspflichtig.

Die Übergangsregelung des § 434s Abs. 1 SGB III hatte damit zur Konsequenz, dass das bis zum 28.02.2009 befristete erste Beschäftigungsverhältnis der Klägerin trotz der durch § 27 Abs. 3 Nr. 5 SGB III zum 01.01.2009 generell angeordneten Versicherungsfreiheit derartiger Beschäftigungsverhältnisse bis zum 28.02.2009 versicherungspflichtig blieb.

Weitergehende Rechtsfolgen ergeben sich aus der Übergangsregelung des § 434s Abs. 1 SGB III jedoch nicht (ebenso im Erg. Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB III, K § 434s Rn. 4, Stand: 2010). Insbesondere ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin sowie des SG kein Vertrauensschutz in der Weise eingetreten, dass das zweite Beschäftigungsverhältnis der Klägerin (ab dem 01.03.2009) ebenfalls als versicherungspflichtig qualifiziert werden müsste, obwohl gesetzlich zum 01.01.2009 die generelle Versicherungsfreiheit solcher Beschäftigungsverhältnisse angeordnet worden war.

Aus dem Wortlaut des § 434s Abs. 1 SGB III ergibt sich noch kein eindeutiges, zwingendes Auslegungsergebnis. Allerdings dürfte mit dem dortigen Passus "in dieser Beschäftigung" - eng verstanden - das konkrete Beschäftigungsverhältnis gemeint sein und nicht - im Sinne einer weitergehenden Auslegung - dieselbe Arbeitsgelegenheitsmaßnahme (der Art nach). Beide Auslegungsergebnisse sind jedoch mit dem Wortlaut kompatibel.

Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Übergangsregelung des § 434s Abs. 1 SGB III sprechen jedoch dafür, dass mit dem dortigen Passus "in dieser Beschäftigung" das jeweilige konkrete Beschäftigungsverhältnis gemeint sein soll. Denn in den Materialien (BT-Drucksache 16/10810, S. 28 f.) führt die Gesetzgebung zur Zielrichtung des zum 01.01.2009 geänderten § 27 Abs. 3 Nr. 5b SGB III SGB III (als Grundnorm) aus: "Versicherungsfreiheit zur Arbeitsförderung von öffentlich geförderten Beschäftigungen, die bisher in § 27 Abs. 3 Nr. 5 und 6 normiert war, wird zur besseren Übersichtlichkeit in einer Nummer zusammengefasst. Beschäftigungen, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem Dritten Buch oder mit einem Beschäftigungszuschuss nach dem Zweiten Buch gefördert werden, sind bereits nach dem geltenden Recht versicherungsfrei zur Arbeitslosenversicherung. Diese Regelung wird auch für die Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante gemäß § 16d Satz 1 SGB II übernommen und in § 27 Abs. 3 Nr. 5 Buchstabe b geregelt. Durch die Versicherungsfreiheit bei den Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante sollen - ebenso wie bei den als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder mit einem Beschäftigungszuschuss geförderten Beschäftigungen - Fehlanreize zum Aufbau neuer Versicherungsansprüche auf Arbeitslosengeld durch öffentlich geförderte Beschäftigung beseitigt werden."

Der Bundesgesetzgeber wollte also erkennbar verhindern, dass die Kommunen arbeitslose Hilfebedürftige dadurch aus dem SGB II, an deren Finanzierung die Kommunen beteiligt sind, in das ausschließlich durch den Bund finanzierte SGB III "verschieben", indem sie (erst) durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die leistungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld schaffen.

Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Gesetzgebung Konstellationen wie die vorliegende, in dem eine vor dem 31.12.2008 begonnene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem 01.01.2009 verlängert wurde, ebenfalls in die Übergangsregelung des § 434s Abs. 1 SGB III einbeziehen wollte. Eine solche erweiternde Auslegung widerspräche vielmehr gerade Sinn und Zweck des legislativen Vorhabens, das darin bestand, die "Fehlanreize zum Aufbau neuer Versicherungsansprüche auf Arbeitslosengeld durch öffentlich geförderte Beschäftigung" zu beseitigen. Dies sollte erkennbar auch sofort umgesetzt werden, mit Ausnahme nur der vor dem 31.12.2008 bereits begonnenen Maßnahmen. Ersichtlich hat die Gesetzgebung nur diese bereits vor dem 31.12.2008 begonnenen und zum diesem Stichtag noch nicht beendeten Arbeitsmaßnahmen im Sinne eines Vertrauensschutzes von der generell zum 01.01.2009 eintretenden Versicherungsfreiheit ausnehmen wollen, um die Folgen der unechten Rückwirkung (bzw. tatbestandlichen Rückanknüpfung) - der Sachverhalt begann in der Vergangenheit, ist aber anders als bei einer echten Rückwirkung (bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen) noch nicht abgeschlossen - zu mildern.

Dass der Parlamentsgesetzgeber eine weitergehende Übergangsregelung hat schaffen wollen, ist nicht zu erkennen. Hierzu war er auch verfassungsrechtlich nicht verpflichtet. Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (st. Rspr. des BVerfG, zuletzt Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, Juris Rn. 60 m.w.N.). Dies ist nicht zu erkennen, im vorliegenden Fall der Klägerin schon deshalb nicht, weil das erste Beschäftigungsverhältnis der Klägerin von vornherein befristet war. Die Klägerin musste somit damit rechnen, dass bei einer eventuellen Verlängerung der Beschäftigung das neue Beschäftigungsverhältnis auch neuen gesetzlichen Regelungen unterliegen könnte. Dass sie diese neue Rechtslage möglicherweise nicht kannte, ändert daran angesichts des Prinzips der formellen Publizität von Gesetzesrecht, demzufolge Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten unabhängig davon als bekannt gelten, ob und wann diese tatsächlich Kenntnis erlangt haben (vgl. hierzu zuletzt z.B. BSG, Urteil vom 23.11.2005, B 12 RA 5/04 R, juris Rn. 19),nichts.

Bei der Schaffung von Übergangsregelungen ist dem Gesetzgeber zudem verfassungsrechtlich notwendigerweise ein gewisser Spielraum einzuräumen; auch verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit klare schematische Entscheidungen über die zeitliche Abgrenzung zwischen dem alten und dem neuen Recht (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), zuletzt Beschluss vom 18.03.2013, 1 BvR 2436/11, 1 BvR 3155/11, juris Rn. 34 m.w.N.).

Das von der Klägerin mit ihrem Widerspruch vorgelegte Schreiben der Stadt Duisburg als ihrer Arbeitgeberin vom 10.02.2011 führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hat die Stadt Duisburg dort (unter Bezugnahme auf eine entsprechende frühere Praxis der Beklagten) eine umfassende Beitragsnachentrichtung angekündigt. Dieses Schreiben kann aber schon deshalb keinerlei Vertrauen begründet haben, weil die Klägerin es erst nach Beendigung des zweiten Beschäftigungsverhältnisses erhalten hat. Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2012, die Beklagte habe die Klägerin über die Gesetzesänderung nicht informiert, ändert am hier gewonnenen Ergebnis ebenfalls nichts. Angesichts der formellen Publizität von Gesetzen ist eine Information in jedem Einzelfall grundsätzlich nicht erforderlich, zumal die Beklagte von einer Verlängerung der Arbeitsgelegenheit auch überhaupt keine Kenntnis und einen Vorgang bezüglich der Klägerin in dieser Zeit auch nicht bearbeitet hatte.

Systematische Überlegungen bekräftigen schließlich das hier gewonnene Auslegungsergebnis. Zur "parallelen" Übergangsregelung des § 434j SGB III hat die Beklagte zu Recht auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.08.2011 (L 7 AL 64/09, Juris) hingewiesen, das hierzu zutreffend ausgeführt hat: "Der Kläger genießt schließlich kein schutzwürdiges Vertrauen, weil sich aus seiner Sicht nichts geändert hat und er durchgehend vom selben Arbeitgeber beschäftigt wurde. Er konnte nämlich erkennen, dass es sich nicht um eine von vornherein auf ein Jahr angelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handelte, die aus formellen Gründen in zwei Teilen beantragt wurde. Der erste Arbeitsvertrag war nämlich bis zum 31. Mai 2004 auf der Basis der ersten Zuweisung vom 11. November 2003 befristet worden. Der Kläger hat für die neue Beschäftigung ab 01. Juni 2004 eine neue Zuweisung vom 03. Mai 2004 erhalten und mit der Landeshauptstadt F. einen neuen befristeten Arbeitsvertrag für die Dauer dieser zweiten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vom 01. Juni bis zum 30. November 2004 abgeschlossen." Genauso verhält es sich bei der Klägerin.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

3. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen. Klärungsbedürftig ist die Frage, wie der Passus "in dieser Beschäftigung" in § 434s Abs. 1 SGB III i.d.F. bis zum 31.03.2012 auszulegen ist. Zwar handelt es sich insoweit um "totes Recht", weil es seit dem 01.04.2012 nicht mehr in Kraft ist. Die Beklagte hat jedoch in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass insbesondere in Duisburg weitere Verwaltungsverfahren mit derselben Problematik in Bearbeitung sind.
Rechtskraft
Aus
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