L 2 AS 1300/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 3936/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1300/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Bestimmung der abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II hat sich an den im Bewilligungszeitraum aktuellen Verhältnissen des örtlichen Wohnungsmarktes zu bemessen.

Stellt der Grundsicherungsträger zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft auf einen qualifizierten Mietspiegel nach § 558d BGB ab, so steht höheren Kosten der Unterkunft im Sinne der Angemessenheit der noch gültige Mietspiegel nicht entgegen, wenn sich durch die mit der Zufallsstichprobe erhobenen Daten für den nächsten Mietspiegel Preissprünge nach oben dargetan haben. Die neu erhobenen, ausgewerteten Daten spiegeln die aktuelle Wohnungsmarktlage zum Zeitpunkt ihrer Erhebung wider (Anschluss an BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R , juris Rn. 21).
Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Februar 2012 werden zurückgewiesen.

Klarstellend fasst der Senat den Tenor des Sozialgerichts Freiburg in Ziff. 1 wie folgt neu: Der Bescheid vom 28.05.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2010 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 11.10.2010, 21.03.2011 und vom 10.01.2012, wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin anteilig höhere Kosten der Unterkunft in der Zeit vom 01.07.2010 bis 30.11.2010 unter Berücksichtigung einer Kaltmiete von 508,50 EUR zu gewähren.

Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der vom Beklagten zu übernehmenden Kosten für Unterkunft (KdU) im Zeitraum vom 01.06. bis 30.11.2010, insbesondere unter dem Aspekt, ob der Mietspiegel der Stadt F. für 2011 bereits vor dessen Gültigkeitszeitraum anzuwenden ist.

Die 1964 geborene Klägerin wohnte im streitigen Zeitraum mit ihren Töchtern A. (geb. 1991) und V. V. (geb. 1994) in Bedarfsgemeinschaft in der B.str. 4 in F. in einem Mehrfamilienhaus. Ausweislich des Mietvertrags vom 26.06.2009 (Bl. 33 LSG-Akte) betrug die für die Bemessung der Miete maßgebliche Wohnfläche 96,60 m², die 3 Zimmer-Wohnung verfügt über Küche, Bad, Toilette und Balkon. Die Grundmiete ohne Nebenkosten belief sich auf 558,35 EUR, während hingegen der Beklagte mit Schreiben vom 30.04.2009 vor dem Umzug in die Wohnung eine Zusicherung für die Übernahme einer Kaltmiete bis 421,50 EUR abgegeben hatte. Die Vorauszahlungen für Heizkosten - inklusive Warmwasserbereitung - betrugen 89 EUR und für Betriebskosten 91,65 EUR (gesamt 739 EUR). Die Wohnung wurde im Rahmen der Wohnungsfürsorge des Bundes von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben vermietet. Der technische Standard entspricht dem im Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes im Jahr 1955 und ist bei der Miete berücksichtigt (§ 5 Abs. 1 u. 2 Mietvertrag). Die Warmwasseraufbereitung erfolgte über die Zentralheizung. Die Müllgebühren werden von der Stadt F. jährlich im Januar eines Jahres erhoben, können von Alg II-Empfängern auf Antrag in monatlichen Raten entrichtet werden.

Für die Stadt F. gibt es qualifizierte Mietspiegel nach § 558d BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Der Mietspiegel 2009 galt im streitigen Zeitraum bis 31.12.2010. Die Basismiete für eine 75 m² große Wohnung beträgt danach 6,52 EUR pro Quadratmeter. Ab 01.01.2011 gilt der Mietspiegel 2011, der nach der Regressionsmethode in Auftrag gegeben wurde. Er beruht auf einer repräsentativen Zufallsstichprobe von 2.047 Wohnungen, die zum Stichtag 01.07.2010 im Stadtgebiet von F. erhoben wurde. Die Basismiete für eine 75 m² große Wohnung hat sich danach auf 6,78 EUR pro Quadratmeter erhöht.

Die Klägerin und ihre Töchter bezogen seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 06.05.2010 beantragten sie die Weiterbewilligung der Leistungen (Bl. 683 VA). Mit Bescheid vom 28.05.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihren Töchtern für die Zeit vom 01.06. bis 30.11.2010 KdU und Heizung unter Anrechnung von Einkommen zunächst in Höhe von 329,20 EUR. Hierbei wurden als angemessene Kaltmiete statt der tatsächlich gezahlten 558,35 EUR nur 423,75 EUR berücksichtigt. Heizungskosten wurden um die Warmwasserpauschale in Höhe von 16,83 EUR reduziert und die Betriebskosten in voller Höhe übernommen (Nebenkosten gesamt 163,82 EUR). Zudem berücksichtigte der Beklagte monatlich Müllgebühren für 3 Personen in Höhe von 14,98 EUR als 1/12 des Jahrespauschalbetrages zum Ansparen (vgl. Hinweise zu den Kosten der Unterkunft nach dem SGB II vom 25.05.2010, Bl. 3 VA Bd. 3).

Dagegen legten die Klägerin und ihre Töchter wegen der KdU Widerspruch ein und begehrten als Bedarf die volle Höhe zu berücksichtigen. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2010 zurück. Lediglich die angemessenen KdU seien zu berücksichtigen, die sich bei einer angemessenen Wohnungsgröße von 75 m² ausgehend von einem Quadratmeterpreis von 5,65 EUR auf 423,75 EUR beliefen (Anmerkung: Basismiete mit Abzügen für einfache Ausstattung).

Dagegen haben die Klägerin und zunächst auch ihre Töchter (dort Klägerinnen Ziff. 2 und 3) wegen der KdU Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und die Übernahme der tatsächlichen Kosten begehrt. Die Klägerinnen Ziff. 2 und 3 haben ihre Klagen in der mündlichen Verhandlung am 17.02.2012 zurückgenommen.

Der Beklagte hat den Bescheid vom 28.05.2010 durch 3 Änderungsbescheide vom 11.10.2010, 21.03.2011 und vom 10.01.2012 geändert, wobei nur der letzte eine Änderung der Höhe nach für KdU vorgenommen hat. In dem Änderungsbescheid vom 10.01.2012 hat der Beklagte die KdU nach einem am 13.11.2012 gefassten Gemeinderatsbeschluss neu berechnet und ausgehend von einem Quadratmeterpreis von 6,52 EUR (Basismiete nach dem Mietspiegel 2009 der Stadt F.) eine angemessene Kaltmiete von 489,82 EUR der Berechnung der KdU ab 01.06. bis 30.11.2010 zu Grunde gelegt. Der Zahlbetrag für KdU und Heizung erhöhte sich dadurch zunächst auf 383,13 EUR.

Mit Urteil vom 17.02.2012 hat das SG den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen verpflichtet, unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide eine Kaltmiete von 508,50 EUR ab dem 01.07.2010 zu berücksichtigen, und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand handele und der Beklagte beteiligtenfähig sei. Der Klägerin, die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfülle, stehe für die Monate Juli bis November 2010 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein Anspruch auf die Gewährung höherer KdU nach §§ 19, 22 Abs. 1 SGB II zu. Ihre tatsächlichen Heiz- und Nebenkosten seien vom Beklagten berücksichtigt worden. Die tatsächliche Kaltmiete von 558,35 EUR für die mit 96,60 m² für 3 Personen zu große Wohnung sei zwar nicht angemessen im Sinne des § 22 SGB II, die vom Beklagten für die Monate Juli bis November 2010 zugrunde gelegte Angemessenheitsgrenze ausgehend vom qualifizierten Mietspiegel der Stadt F. für 2009 mit durchschnittlichem Mietniveau (Basismiete) für Standardwohnungen mit einer Größe von 75 m² von 6,52 EUR pro Quadratmeter (= 489 EUR) allerdings zu niedrig. Ab Juli 2010 sei vielmehr der Mietspiegel 2011 für die Stadt F. anwendbar, auch wenn dessen Gültigkeit erst am 01.01.2011 beginne. Allein dieser spiegele mit den sich aus einer repräsentativen Zufallsstichprobe vom 01.07.2010 zugrunde liegenden Erhebungen die tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt wieder, die entscheidend seien. Ab diesem Stichtag sei eine ausreichende Anzahl von Wohnungen nur noch zu den im Mietspiegel 2011 ausgewiesenen Kaltmieten - 6,78 EUR für eine 75 m² Wohnung = 508,50 EUR - erhältlich gewesen. Für den Monat Juni 2010 hingegen sei noch die Berücksichtigung der sich aus dem Mietspiegel 2009 ergebenden Basismiete von 489,00 EUR zutreffend gewesen. Ein darüber hinausgehender Anspruch der Klägerin auf die Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Kaltmiete bestehe hingegen nicht. Die qualifizierten Mietspiegel im Sinne des §558d BGB seien eine geeignete Grundlage zur Bestimmung der angemessenen Miete nach § 22 Abs. 1 SGB II. Eine objektive Unmöglichkeit, eine Wohnung zu dem nach dem Mietspiegel angemessenen Quadratmeterpreis zu finden, liege regelmäßig nicht vor, wenn die sich aus dem Mietspiegel ergebende Basismiete berücksichtigt werde. Zudem sei der Klägerin eine Kostensenkung durch Umzug, Untervermietung oder auf andere Weise auch möglich und zumutbar gewesen.

Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 05.03.2012 zugestellte Urteil hat sie am 27.03.2012, die Klägerin am 29.03.2012 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Die Beklagte hat vorgetragen, die abstrakt angemessene Miete sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für das streitgegenständliche Verfahren durch die Basismiete des F.er Mietspiegels 2009 bestimmt. Vor dem Inkrafttreten eines Mietspiegels könne die so ermittelte abstrakte Miete nicht zugrundegelegt werden. Zu einem schlüssigen Konzept zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Mieten gehöre nämlich nicht nur die Datenerhebung, sondern auch deren Auswertung, nämlich die "Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und Angaben über die gezogenen Schlüsse" (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg vom 08.12.2011 - L 25 AS 1711/07 mit Bezug auf BSG vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R). Erst wenn anhand der Auswertungen feststehe, welche Wohnungen in welcher Anzahl und zu welchem Preis vorhanden seien, könne eine Aussage dazu getroffen werden, ob es sich um eine angemessene Miete handele. Stelle man bei der Ermittlung der genannten Faktoren auf die jeweils aktuellen Zahlen ab, so ergäbe die abstrakte Bestimmung einer Mietobergrenze keinen Sinn mehr. Das gesamte Konzept wäre überflüssig, weil jeweils aktuell zu prüfen wäre - bspw. anhand der konkreten Mietangebote, welche Beträge stets auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt für den einfachen Wohnungsstandard aktuell sind. Das allerdings sei eine Frage, die erst im Rahmen der konkreten Verfügbarkeit bezogen auf den jeweils aktuellen Beantragungszeitraum geprüft werde. Auch der Gedanke, dass das Konzept ein Instrument zur gleichmäßigen Verwaltungspraxis und Handhabe für das Verwaltungshandeln schlechthin sei, mache es notwendig, zwischen Datenerhebung und Zeitpunkt des Inkrafttretens zu unterscheiden, zumal die Mietspiegel vorab vom Gemeinderat zu beschließen seien. Das Inkrafttreten des Mietspiegels in einem 2-Jahreszeitraum entspreche zudem dem Rechtsgedanken des § 22c SGB II, wonach das schlüssige Konzept alle zwei Jahre zu überprüfen sei. Ein zeitlich bestimmbarer Rahmen sei also erforderlich. Würde man stets an den Abschluss der Datenerhebungen anknüpfen wollen, wäre der Zeitraum von zufälligen und nicht bestimmbaren Terminen abhängig. Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter dürften ab dem Zeitpunkt, zu welchem bekannt würde, dass Datenerhebungen stattfinden, grundsätzlich nur noch vorläufige Bescheide ausstellen. Es wäre notwendig, sämtliche Bescheide, die während des Zeitraums des Abschlusses der Datenerhebung und der Festsetzung der abstrakt angemessenen Miete anhand des Mietspiegels durch den Gemeinderat rückabzuwickeln. Damit sei aber weder von einem schlüssigen Konzept auszugehen, noch diene ein solches der Regelmäßigkeit des Verwaltungshandelns oder gar als Instrument der Verwaltung. Eine Korrektur der gefundenen Ergebnisse könne im Rahmen der konkreten Verfügbarkeit erfolgen, dem zweiten Schritt zur Ermittlung der angemessenen Leistung für Unterkunft. Soweit der/ die Leistungsberechtigte den Nachweis führen könne, dass tatsächlich zum abstrakt angenommenen Preis kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung gestanden habe, sei die Leistung zum abstrakt ermittelten Mietpreis nicht angemessen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Februar 2012 abzuändern, die Klage insgesamt abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Februar 2012 und den Bescheid vom 28. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2010 in Form der Änderungsbescheide vom 11. Oktober 2010, 21. März 2011 und vom 10. Januar 2012, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, anteilige Kosten für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kaltmiete in Höhe von 558,35 EUR in der Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2010 zu gewähren und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass ihr die tatsächlichen (anteiligen) KdU zustehen, weil der Beklagte kein schlüssiges Konzept habe. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf die Durchschnittswerte eines Mietspiegels zurückgegriffen werden, um anhand dieser Datengrundlage ein schlüssiges Konzept zu ermitteln. Voraussetzung sei allerdings, dass der Mietspiegel selbst auf einer hinreichenden Datengrundlage basiere und den aktuellen Wohnungsbestand tatsächlich widerspiegele. Dagegen spreche, dass zur Hälfte Bestandsmieten berücksichtigt seien, die nicht angemietet werden könnten. Auch würden die deutlichen Mietsteigerungen seit der letzten Datenerhebung nicht berücksichtigt. Die Mietspiegel der Jahre 2007 und 2009 legten die Methode, mit der die Basismiete ermittelt worden sei, nicht offen. Weiterhin sei die Konkurrenz auf dem Markt für günstigen Wohnraum durch die Anzahl der Studierenden in F. überdurchschnittlich hoch. Da ein Konzept mit zumutbarem Aufwand nicht mehr ermittelt werden könne, sei ein Rückgriff auf die Tabellenwerte des § 12 WoGG zulässig. Danach sei in F. für einen Dreipersonenhaushalt eine Nettokaltmiete von 556 EUR vorgesehen, hinzu kämen Nebenkosten und ein 10-prozentiger Sicherheitszuschlag. Hieraus errechne sich eine Nettokaltmiete von 611,60 EUR, womit die Kaltmiete der Klägerin von 558,23 EUR (anteilig) angemessen sei.

Die Klägerin hat den Mietvertrag für die Wohnung vom 26.06.2009, der Beklagte den Mietspiegel 2011 der Stadt F. vorgelegt.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten im Termin am 18.07.2012 erörtert. Der Klägervertreter hat sich mit Schreiben vom 22.05.2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt, der Beklagte mit Schreiben vom 05.06.2013.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Band I bis III) sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten haben keinen Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG durch Zulassung durch das SG statthaften Berufungen sind zulässig; sie sind jeweils unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden, so dass es sich auch bei der zeitlich zwar späteren Einlegung der Berufung durch die Klägerin um eine selbständige Berufung und nicht um eine unselbständige Anschlussberufung handelt. Die Berufungen sind jedoch beide unbegründet.

Auf Klägerseite beteiligt am Rechtsstreit ist nur noch die Klägerin, nachdem ihre Töchter als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihre Klagen vor dem SG zurückgenommen haben.

Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 28.05.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2010 in Form der Änderungsbescheide vom 11.10.2010, 21.03.2011 und vom 10.01.2012 (die gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind), soweit darin in der Zeit vom 01.06. bis 30.11.2010 die Gewährung von KdU und Heizung anteilig für die Klägerin geregelt ist. Über die vom SG ausgeurteilten KdU hinaus erweist sich der Bescheid als rechtmäßig, die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere KdU in der Zeit vom 01.06. bis 30.11.2010. Die Klägerin hat den Streitgegenstand im Verfahren vor dem SG wirksam auf die KdU beschränkt (zu der Möglichkeit der isolierten Geltendmachung der KdU und Heizung vgl. BSG, Urteile vom 24.11.2011 - B 14 AS 107/10 R, juris Rn. 12 mwNw. und B 14 AS 106/10 R juris Rn. 11 mwNw.). Eine weitere Aufspaltung des Streitgegenstandes in Leistungen einerseits für Unterkunfts- und andererseits für Heizkosten ist rechtlich nicht möglich (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, juris = SozR 4 - 4200 § 22 Nr 1, Rn. 18 f). Die tatsächlichen Kosten für die Heizung - nach Abzug der zutreffend berechneten Warmwasserpauschalen, nachdem die Heizkosten einen Anteil für die Warmwasseraufbereitung enthalten, die in der Regelleistung enthalten sind (vgl. BSG, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R, juris (F.) = SozR 4-4200 § 22 Nr 46, Rn. 42; Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R, juris Rn. 19) - und die kalten Betriebskosten sowie die Müllgebühren hat der Beklagte übernommen. Sofern die monatliche Bewilligung der Müllgebühren als 1/12 des Jahresmüllbetrages problematisch ist (vgl. BSG Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 107/10 R, juris Rn. 23 mwNw; zum Verbot der "Verrechnung" von Monaten, in denen zu viel gezahlt wurde, mit denen, in denen zu wenig gezahlt wurde: BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R, juris Rn. 14), wird die Klägerin im streitigen Zeitraum dadurch jedenfalls nicht beschwert, weil die Jahresmüllgebühr nicht im streitigen Zeitraum, sondern vorab im Januar erhoben worden ist. Die Übernahme einer höheren Nettokaltmiete - 558,35 EUR statt vom SG ausgeurteilten 508,50 EUR - kann die Klägerin nicht verlangen. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 56 SGG).

Das SG hat unter Darlegung der zutreffenden Rechtsnormen sowie unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BSG verbunden mit einer rechtsfehlerfreien und ausführlichen Subsumtion zutreffend entschieden, dass der Beklagte der Leistungsgewährung für KdU an die Klägerin im streitigen Zeitraum ab 01.07.2010 eine Kaltmiete von 508,50 EUR zu Grunde zu legen hat. Das SG hat die angemessene Nettokaltmiete für die Unterkunft unter Zugrundelegung der sogenannten Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren abstrakt ermittelt und zutreffend auf die sich aus dem jeweiligen Mietspiegel der Stadt F. ergebende Basismiete abgestellt. Zu Recht hat es dabei ab 01.07.2010 auf den Mietspiegel 2011 abgestellt. Ausgehend davon hat es zutreffend festgestellt, dass bei Vorliegen eines Mietspiegels davon auszugehen ist, dass entsprechender Wohnraum auch zur Verfügung steht. Lediglich klarstellend hat der Senat den Tenor des SG ergänzt. Der Senat sieht deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufungen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Hinsichtlich der Berufung der Klägerin wird ergänzend ausgeführt: Sie kann keine höheren anteiligen KdU als vom SG zugesprochen beanspruchen. Insbesondere ist vorliegend nicht auf die Tabellenwerte nach dem Wohngeldgesetz zurückzugreifen. Die Rechtslage ist durch die zu den Verhältnissen in der Stadt F. ergangene Rechtsprechung des BSG geklärt. Der Beklagte hat zwar kein eigenes schlüssiges Konzept vorgelegt, rechtmäßig kann er jedoch auf den iS des § 558d BGB qualifizierten Mietspiegel der Stadt F. - auch für das Jahr 2009 - zurückgreifen, der Grundlage der Bestimmung der angemessenen Miete nach § 22 Abs. 1 SGB II sein kann (BSG Urteile v 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R , juris Rn 24und B 14 AS 107/10 R (beide F.)). Nachdem der Beklagte mit dem Änderungsbescheid vom 10.01.2012 nunmehr die Basismiete aus dem Mietspiegel 2009 und das SG ab 01.07.2010 den Mietspiegel 2011 im streitigen Zeitraum zu Grunde legt, ist auch davon auszugehen, dass es in ausreichendem Maße im örtlichen Vergleichsraum F. Wohnungen zu diesen abstrakt angemessenen Nettokaltmieten für die Unterkunft gibt (vgl. BSG aaO. Rn. 30 f).

Hinsichtlich der Berufung des Beklagten ist zu ergänzen: Die nach der Kopfteilmethode anteilig der Klägerin zustehenden (vgl. nur BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R, juris Rn. 13; Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R, juris Rn. 18) abstrakt angemessenen KdU beurteilen sich für die Zeit vom 01.07.2010 bis 30.11.2010 nach dem Datenmaterial, das dem Mietspiegel 2011 der Stadt F. zu Grunde liegt, weil er auf den Erhebungen einer repräsentativen Zufallsstichprobe vom 01.07.2010 beruht und sich dadurch Preissprünge nach oben dargetan haben. Maßgeblich für die Beurteilung der abstrakt angemessenen KdU sind die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes, die entweder durch ein schlüssiges Konzept oder durch Abstellen auf einen Mietspiegel wiedergegeben werden (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R, juris Rn. 18). Vorliegend ist auf Grund der Datenerhebung am 01.07.2010 für den streitigen Zeitraum festzustellen, dass für eine maßgebliche 75 m² Wohnung ausgehend von der Basismiete nach dem Mietspiegel 2009 der Quadratmeterpreis von 6,52 EUR, den der Beklagte dem Änderungsbescheid vom 10.01.2012 zu Grunde gelegt hat, auf 6,78 EUR gestiegen ist. Dies entspricht einem Anstieg der Kaltmiete für eine angemessen große Wohnung von 489,82 EUR auf 508,50 EUR. Wie das SG geht auch der Senat davon aus, dass durch die Datenerhebung die Wohnungsmarktlage der Stadt F. zum 01.07.2010 und damit aktuell im Bewilligungszeitraum wiedergegeben wird und sich danach die Mieten für eine 75 m² große Wohnung erheblich gegenüber der dem Mietspiegel von 2009 zu Grunde liegenden Datenbasis zum Nachteil der Klägerin verteuert haben. Diese dem später, ab 01.01.2011 geltenden Mietspiegel zugrunde liegenden Daten sind zur Bestimmung der abstrakt angemessen Miete im Bewilligungszeitraum deshalb ab 01.07.2010 zu berücksichtigen. Gestützt wird diese Auffassung durch die bisher hierzu ergangene Rechtsprechung des BSG. In der Entscheidung des BSG vom 19.10.2010 (B 14 AS 2/10 R , juris Rdnr. 21) war Grundlage für die dortige Entscheidung über den Zeitraum vom 1.9. bis 30.11.2006 zwar der Mietspiegel für das Jahr 2005, weil ein schlüssiges Konzept, das vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen müsse. Das BSG hat hierzu jedoch weiter ausgeführt, dass ein solches Konzept im Rahmen der Angemessenheitsprüfung in der Folge gerichtlich voll überprüfbar ist. Ausgangsdaten sind zu korrigieren, soweit sich im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren (also nachträglich) herausstellt, dass es zu nicht vorhersehbaren Preissprüngen gekommen ist. In Rn. 26 dieser Entscheidung wird ausdrücklich auf die Grundlagendaten für qualifizierte Mietspiegel abgehoben, die ein realistisches Abbild des Wohnungsmarktes abgeben. Dort heißt es: "Es erscheint damit durchaus sinnvoll, solche Grundlagendaten bei Erstellung eines grundsicherungsrelevanten Konzepts heranzuziehen." Der Senat zieht daraus den Schluss, dass es zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Kaltmiete insbesondere auf die Validität der Daten ankommt, die den Wohnungsmarkt am realistischsten abbilden, je jünger die Daten bezogen auf den streitigen Zeitraum sind. Zudem hat das BSG in seiner Entscheidung vom 13.04.2011 (B 14 AS 32/09 R) zur Beurteilung der Höhe der KdU im Zeitraum von November 2006 bis April 2007 selbst auf den (Berliner) Mietspiegel vom 11.07.2007, dessen Gültigkeitszeitraum also erst nach dem Ende des streitigen Bewilligungszeitraums begann, zurückgegriffen. Dies lässt den Schluss zu, dass nicht der durch Gemeinderatsbeschluss festgelegte Gültigkeitszeitraum des Mietspiegels, sondern die zu Grunde liegende Datenbasis als Abbild des Wohnungsmarktes für die Ermittlung der abstrakt angemessenen KdU maßgeblich sind. Die vom Beklagten zitierte Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28.03.2012 (L 10 AS 1191/09) steht dem nicht entgegen. Dort wurde der streitige Zeitraum von Oktober 2007 bis Februar 2009 ausschließlich nach dem Mietspiegel der Stadt Berlin von 2007 mit einer Datenerhebung zum Stichtag 01.10.2006 beurteilt und dem Mietspiegel von 2009 (Stichtag 01.10.2008) keine Relevanz beigemessen. Sie beruft sich ebenfalls auf die oben zitierte Rechtsprechung des BSG, kommt allerdings anhand der örtlichen Verhältnisse zu dem Schluss, dass es zu solchen nicht vorhersehbaren Preissprüngen nicht gekommen ist (LSG Berlin-Brandenburg, aaO, juris Rn. 42). Von daher ist der Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, für den solche Preissprünge festgestellt werden.

Die dagegen geführte Argumentation des Beklagten, die sich im Wesentlichen auf Praktikabilitätsgründe für die Verwaltung stützt, überzeugen den Senat nicht. Zum einen wird der zeitliche Rahmen durch die Abkehr vom Gültigkeitsdatum des Mietspiegels hin zum Stichtag der Erhebung nicht beliebig, weil dieser auch in der Vergangenheit wohl immer der gleiche Stichtag war bzw. nichts dagegen spricht, alle 2 Jahre immer das gleiche Datum für die Erhebungen zu wählen. Anknüpfend daran, dass in diesen Fällen des Begehrens höherer Leistungen die richtige Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist, ist maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auch immer der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 54 Rn. 34), so dass es gerade im Leistungsrecht nach dem SGB II nicht ungewöhnlich ist, dass Änderungen nachträglich Rechnung getragen werden muss (etwa bei wechselndem Einkommen, nachträglicher Erhöhung der Regelsätze etc.). Sofern der Beklagte auf sein schlüssiges Konzept verweist, geht er fehl, dass ein solches vorläge. Der qualifizierte Mietspiegel der Stadt F. ist kein schlüssiges Konzept, er kann aber - sozusagen ersatzweise - zur Bestimmung der angemessenen Miete herangezogen werden. Nur kommt es dann nicht auf die vom Gemeinderat durch Beschluss bestimmte Gültigkeit, sondern auf die Validität der Daten an, wie oben ausgeführt, die sich auch erst nach Auswertung der Daten nach anerkannten mathematisch-statistischen Grundsätzen ergeben kann und eine Relevanz für die Bestimmung der angemessenen Kaltmiete nur dann besitzt, wenn es zu nicht vorhersehbaren Preissprüngen gekommen ist. Umso mehr ist es dann den Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Existenzsicherung dienen, nicht zumutbar, eine tatsächlich vorhandene Preissteigerung noch länger selbst zu finanzieren.

Die Berufungen waren daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor, insbesondere wird nicht von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
Rechtskraft
Aus
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