L 11 R 3555/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 3157/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3555/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.06.2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Erstattung der den Vertragspreis übersteigenden Kosten in Höhe von 4.713 EUR für zwei selbstbeschaffte Hörgeräte des Typs INTEO IN-CIC hat.

Die 1958 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beigeladenen. Sie ist als Verkäuferin und stellvertretende Marktleiterin bei einem Lebensmitteldiscounter versicherungspflichtig beschäftigt. Bei der Klägerin besteht eine kombinierte Schallleitungsschwerhörigkeit beidseits mit Zn fünfmaliger Tympanoplastik links, zuletzt am 08.01.2008 (Typ IIIc links). In der gesetzlichen Rentenversicherung hat sie bis 31.12.2007 317 Monate an Beitragszeiten zurückgelegt.

Am 27.03.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe und legte hierzu die erstmalige ärztliche Verordnung einer Hörhilfe vom 13.03.2009 durch den HNO-Arzt W. sowie einen Kostenvoranschlag des Hörstudios G./G. vom 24.03.2009 über Anpassung und Lieferung von zwei Hörgeräten des Typs INTEO IN-CIC (jeweils 2.560 EUR) und zwei Im-Ohr-Schalen (jeweils 195 EUR), insgesamt 5.510 EUR vor. Der HNO-Arzt W. beschrieb in seinem Befundbericht vom 26.03.2009 zum Reha-Antrag, dass die Klägerin erhebliche Verständigungsprobleme bei Kundengesprächen als Verkäuferin habe, die bei Nebengeräuschen zunähmen. Es seien mehrkanalig digitale Geräte mit Störschallunterdrückung notwendig, um den Arbeitsplatz mittel- und langfristig zu erhalten. Die Beklagte zog den Anpassbericht vom 14.04.2009 bei, dem ein geänderter Kostenvoranschlag mit zusätzlich zwei Reparaturpauschalen (je 194,90 EUR) beigefügt war. Abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung und der Leistung der Beigeladenen verblieb ein Eigenanteil für die Klägerin von 4.713 EUR. Nach Auswertung der Unterlagen durch den ärztlichen Dienst lehnte die Beklagte die beantragte Hörgeräteversorgung mit Bescheid vom 18.05.2009 ab.

Am 10.06.2009 erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, von den im April 2009 getesteten Festbetrags-Hörgeräten sei ein starkes Rauschen ausgegangen, das zu Konzentrationsschwäche geführt habe. Ein hochwertiges Gerät mit Störschallunterdrückung sei notwendig, da sie beim Festbetrags-Hörgerät bei Entfernungen von drei bis fünf Metern deutlich schlechter höre. Ergänzend legte sie eine Bescheinigung der Norma-Filiale D. vom 02.06.2009 vor, in dem auf die Notwendigkeit eines einwandfreien Hörvermögens zur weiteren Berufsausübung hingewiesen wurde. Zusätzlich legte die Klägerin einen weiteren Anpassbericht vom 14.04.2009 vor. Bei beidseitiger Versorgung wurde mit dem Gerät ASTRAL 23 HP dabei bei Störschall (Nutzschall 65 dB, Störschall 60 dB) das Sprachverständnis nicht verbessert (50%), mit dem Gerät INTEO IN-CIC konnte ein Sprachverständnis von 95 % erzielt werden. Nachdem die beratende Ärztin Dr F. in ihrer Stellungnahme vom 30.06.2009 die Auffassung vertreten hatte, berufsbedingt bestünden keine erhöhten Anforderungen an das Hörvermögen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2009 den Widerspruch zurück.

Hiergegen richtet sich die am 02.09.2009 zum Sozialgericht Ulm (SG) erhobene Klage. Im August 2009 hat sich die Klägerin die Hörgeräte INTEO IN-CIC selbst beschafft (Patientenerklärung vom 27.08.2009) und hierfür einen Eigenanteil in Höhe von 4.713 EUR geleistet. Das SG hat mit Beschluss vom 03.11.2010 die Krankenkasse der Klägerin zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene hat für die Versorgung der Klägerin den Vertragspreis in Höhe von 1.138,80 EUR geleistet. Sie hat im Klageverfahren ua ein Gutachten des MDK von Dr B. vom 18.11.2011 vorgelegt, wonach bei der Klägerin rechts ein Hörverlust von 55% (mittelgradig) und links von 20% (geringgradig) bestehe. Nach der Verordnung des HNO-Arztes W. vom 13.03.2009 sei eine Indikation für eine beidseitige Hörgeräteversorgung gegeben. Das SG hat beim Hörstudio eine Auskunft vom 09.03.2011, ergänzt am 25.03.2011 eingeholt, worin der Verlauf verschiedener Anpassungen seit Januar 2009 dargelegt wird. Andere Geräte wären im privaten Bereich hilfreich gewesen, im beruflichen Bereich hätten jedoch deutliche Schwierigkeiten bestanden. Zusätzlich hat das SG ein Gutachten bei dem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für das Hörgeräte-Akustiker-Handwerk L. eingeholt. In dem Gutachten vom 04.10.2011 hat der Gutachter dargelegt, dass die zum Vertragspreis erhältlichen Geräte nicht ausreichten, da sie nicht über die technischen Systeme verfügten, um die vorliegende Hörstörung erträglich zu gestalten. Aufgrund der medizinischen Vorgeschichte habe die Klägerin erhebliche Schwierigkeiten, die richtige Einstellung der Geräte zu benennen. Ohne technische Regelsysteme komme sie speziell im akustischen Umfeld ihrer beruflichen Tätigkeit nicht aus, was die langwierige Probezeit mit den unterschiedlichen Vergleichsgeräten ergeben habe. Über derartige Regelsysteme verfügten Geräte, die zum Fest- oder Vertragspreis erhältlich seien, aus Kostengründen nicht.

Mit Urteil vom 19.06.2012 hat das SG sodann den Bescheid der Beklagten vom 18.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.08.2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 4.713 EUR zu erstatten. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, der Klägerin im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe eine Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten zu stellen. Da sie dies nicht getan habe, habe die Klägerin Anspruch auf Kostenerstattung für die inzwischen selbst beschafften Geräte. Gemäß § 9 Abs 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erbringe die Rentenversicherung ua Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Entsprechende Leistungen würden erbracht, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorlägen (§ 9 Abs 2 SGB VI). Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben würden nach den §§ 33 bis 38 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) erbracht. Nach § 33 Abs 1, Abs 3 Nr 6 iVm Abs 8 Satz 1 Nr 4 SGB IX seien auch Hilfsmittel umfasst, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich seien. Anspruch auf Erstattung selbst beschaffter Leistungen bestehe nach § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX, wenn der Reha-Träger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen könne oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Die Beklagte sei als erstangegangener Leistungsträger iSv § 14 SGB IX zuständiger Reha-Träger nach § 9 SGB VI. Ein Antrag bei der Beigeladenen sei erst im August 2009 erfolgt. Die Versorgung mit Hilfsmitteln, zu denen Hörgeräte zählten, gehörten zum Leistungskatalog der von den Rentenversicherungsträgern zu erbringenden medizinischen Rehabilitation (§ 15 Abs 1 Satz 1 SGB VI iVm §§ 26 Abs 2 Nr 6, 31 SGB IX) und, soweit sie nicht als medizinische Leistung erbracht werden könnten, unter bestimmten Voraussetzungen auch zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 Abs 8 Satz 1 Nr 4 iVm Abs 2 Nr 1 und 6 SGB IX). Die Klägerin gehöre dem Grunde nach zum Personenkreis der Leistungsberechtigten der medizinischen Rehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben. Ihre Erwerbsfähigkeit am derzeitigen Arbeitsplatz sei aufgrund der Hörminderung erheblich gemindert. Auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Wartezeit von 15 Jahren (= 180 Monate) habe die Klägerin mit mehr als 317 Beitragsmonaten erfüllt. Die Klägerin habe auch konkret Anspruch auf Versorgung mit digitalen Hörgeräten als Leistung zur Teilhabe. Sie leide unter einer Hörminderung, die sich spezifisch im Bereich der Berufsausübung auswirke. Gebrauchsvorteile für die Berufsausübung seien für die Hilfsmittelgewährung in der Krankenversicherung aber unbeachtlich (unter Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2500 § 36 Nr 2). Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass die von der Klägerin selbst beschaffte Versorgung mit den INTEO IN-CIC Geräten erforderlich gewesen sei, um den Hörverlust so auszugleichen, dass die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz angemessen höre. Die Kammer stütze sich dabei auf das Gutachten des Sachverständigen L., der ausgeführt habe, dass die zum Vertragspreis der Krankenversicherung erhältlichen Geräte nicht ausreichten, weil sie nicht über die technischen Systeme verfügten, um ein für die Klägerin speziell im beruflichen Umfeld ein für sie erträgliches Hören zu ermöglichen. Die Beklagte habe dies verkannt und das ihr zustehende Ermessen bei ihrer ablehnenden Entscheidung verletzt. Sie treffe insoweit die Folge ihres Handelns, der Klägerin kein konkretes Hörgerät benannt und zur Verfügung gestellt zu haben, durch das sie ihre Sachleistungspflicht erfüllt hätte. Da die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe, habe die Klägerin Anspruch auf Erstattung der Kosten für die selbst beschafften Hörgeräte, soweit sie über den von der Beigeladenen getragenen Anteil hinausgehen, also in Höhe von 4.713 EUR.

Gegen das ihr am 09.08.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 17.08.2012 eingelegte Berufung der Beklagten, die diese trotz mehrerer Mahnungen bis heute nicht begründet hat.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.06.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Aus ihrer Sicht ergäben sich keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beigeladene ist zu dieser Verfahrensweise gehört worden und hat keine Einwände geltend gemacht.

Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren der Klägerin, ihr die Kosten in Höhe von 4.713 EUR zu erstatten, die ihr für die selbstbeschaffte Versorgung mit den Hörgeräten INTEO IN-CIC entstanden sind. Bereits der Antrag vom 27.03.2009, den die Beklagte mit dem streitigen Bescheid vom 18.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.08.2009 abgelehnt hat, war auf die Versorgung mit diesen Geräten gerichtet, wie sich aus dem beigefügten Kostenvoranschlag entnehmen lässt. Der zunächst gegenüber der Beklagten geltend gemachte Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit den Hörgeräten INTEO IN-CIC ist aufgrund des Erwerbs und der Aushändigung dieser Hörgeräte an die Klägerin erloschen. An die Stelle des Sachleistungsanspruchs ist ein Kostenerstattungsanspruch getreten, den die Klägerin geltend macht.

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihr die Kosten erstattet, die ihr für die selbstbeschaffte Versorgung mit den Hörgeräten INTEO IN-CIC entstanden sind.

Als Anspruchsgrundlage für eine Kostenerstattung kommt gegenüber der Beklagten allein § 15 SGB IX in Betracht. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist (die sie nach § 15 Abs 1 Satz 2 SGB IX dem Rehabilitationsträger setzen können) eine erforderliche Leistung selbst, ist nach § 15 Abs 1 Satz 3 SGB IX der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet. Nach § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX besteht die Erstattungspflicht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. § 15 Abs 1 SGB IX normiert trägerübergreifend Kostenerstattungsansprüche für selbstbeschaffte Teilhabeleistungen und ist damit auch im Bereich der Rentenversicherung anwendbar (vgl BSG 20.10.2009, B 5 R 5/07 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 8). Vorliegend hat die Beklagte zu Unrecht eine Leistung abgelehnt. Die Klägerin hat auch den Beschaffungsweg eingehalten, denn sie hat sich die Hörgeräte erst am 27.08.2009 "beschafft" durch Abschluss eines entsprechenden unbedingten Verpflichtungsgeschäfts und damit nach erfolgter Ablehnung durch die Beklagte (vgl hierzu BSG 21.08.2008, B 13 R 33/07 R, BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7 mwN).

Hinsichtlich der streitgegenständlichen Versorgung mit den Hörgeräten ist die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger zuständig. Rehabilitationsträger im Sinne von § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX ist ausweislich des systematischen Zusammenhangs der Bestimmung mit Satz 3 der zuständige Rehabilitationsträger. Zuständiger Rehabilitationsträger nach § 15 Abs 1 SGB IX ist der nach § 14 SGB IX verantwortliche Rehabilitationsträger. § 14 SGB IX sieht im Grundsatz lediglich zwei Zuständigkeiten vor, die des erstangegangenen oder des im Wege der Weiterleitung zweitangegangenen Rehabilitationsträgers (BSG 20.10.2009, aaO). Vorliegend hat sich die Klägerin bereits im März 2009 an die Beklagte gewandt, die den Antrag nicht weitergeleitet hat. Die Beigeladene ist dagegen erst im August 2009 mit dem Anliegen der Hörgeräteversorgung befasst worden. Als erstangegangener Träger, der den Antrag nicht weitergeleitet hat, ist die Beklagte nach allen denkbaren Rechtsgrundlagen unter Berücksichtigung der besonderen persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zuständig (BSG 21.08.2008, B 13 R 33/07 R, BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7). Der Kostenerstattungsantrag geht dabei nicht weiter als der entsprechende Sachleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen oder die Träger der Rentenversicherung als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 19; 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 36 Nr 2).

Die Träger der Rentenversicherung erbringen nach § 15 Abs 1 Satz 1 SGB VI Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach den §§ 26 bis 31 SGB IX, davon sind Hilfsmittel umfasst (§§ 26 Abs 2 Nr 6, 31 SGB IX). Soweit die Leistungen nicht als medizinische Leistungen er-bracht werden können, besteht nach § 16 SGB VI iVm § 33 Abs 1, Abs 3 Nr 1 und 6, Abs 8 Satz 1 Nr 4 SGB IX ein Anspruch auf Hilfsmittel als Leistung zur Teilhabe, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Nach § 33 Abs 8 Nr 4 SGB IX sind Kosten für Hilfsmittel erfasst, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind, es sei denn, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht oder solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können. Die Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs 8 Nr 4 SGB IX müssen einen spezifischen berufsfördernden Zweck verfolgen. Wegen Art oder Schwere der Behinderung muss das Hilfsmittel zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sein. § 33 Abs 8 Nr 4 SGB IX umfasst in Abgrenzung zu § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und § 31 SGB IX nur solche Hilfsmittel, die zum Ausgleich eines behinderungsbedingten Nachteils für eine bestimmte Berufsausübung erforderlich sind und nicht (wie zB Hörhilfen) generell zur Verbesserung einer körperlichen Funktion benötigt werden oder im Sinne eines Basisausgleichs einer Behinderung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (§ 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX) überhaupt (BSG 21.08.2008, B 13 R 33/07 R, BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7; Luik in jurisPK-SGB IX, § 33 SGB IX RdNr 167).

Die Klägerin hat die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sowohl für medizinische Leistungen zur Rehabilitation als auch zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt (§§ 10, 11 SGB VI), denn ihre Erwerbsfähigkeit als Verkäuferin und stellvertretende Marktleiterin ist durch die bestehende mittelgradige Schwerhörigkeit rechts und geringgradige Schwerhörigkeit links erheblich gemindert. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung, den Ausführungen des HNO-Arztes W. im Rahmen der Antragstellung und dem Gutachten des MDK von Dr B ... Durch die Versorgung mit mehrkanalig digitalen Hörgeräten mit Störschallunterdrückung kann die Minderung der Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert werden, denn die bestehenden Einschränkungen der Hörfähigkeit werden dadurch weitgehend kompensiert. Die Klägerin hat auch die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt mit mehr als 317 Monaten an Beitragszeiten.

Bei der Klägerin bestand auch aus beruflichen Gründen die Notwendigkeit der beidseitigen Versorgung mit Hörgeräten, die nicht für den Vertragspreis (hier: 1.138,80 EUR) hätten erworben werden können. Wie der MDK festgestellt hat, bestand bei der Klägerin die Indikation zur beidseitigen Hörgeräteversorgung. Die Beigeladene hat ihre Leistungspflicht nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V insoweit erfüllt, als sie Kosten in Höhe des Vertragspreises übernommen hat. Bei dem in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannten Zweck des Behinderungsausgleichs (vgl jetzt auch § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) steht im Vordergrund, die ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst auszugleichen (so genannter unmittelbarer Behinderungsausgleich). Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (so genannter mittelbarer Behinderungsausgleich, zB 29.04.2010, B 3 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 30; 18.05.2011, B 3 KR 12/10 R, juris). Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2). Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits - hier des Hörens - im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (ständige Rechtsprechung, BSG 17. 12.2009, B 3 KR 20/08 R, aaO; 18.05.2011, B 3 KR 12/10 R, aaO). Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Das schließt je nach Notwendigkeit auch die Versorgung mit digitalen Hörgeräten ein. Auswirkungen auf die Berufsausübung und entsprechende Gebrauchsvorteile für die berufliche Tätigkeit sind für die Hilfsmittelgewährung nach dem SGB V allerdings grundsätzlich unbeachtlich (BSG 17. 12.2009, B 3 KR 20/08 R, aaO).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht fest, dass die Beigeladene mit der Gewährung der Kosten in Höhe des Vertragspreises ihre Leistungspflichten erfüllt hat. Seit 01.04.2006 ist die Hörgeräteversorgung der Versicherten der Beigeladenen durch einen Hilfsmittelvertrag mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (Hörhilfenvertrag) nach § 127 Abs 2 SGB V geregelt. Wie sich aus den Ausführungen der Klägerin selbst und der Auskunft des Hörstudios im erstinstanzlichen Verfahren ergibt, war für den privaten Bereich eine Versorgung auch mit Geräten zum Vertragspreis möglich, Schwierigkeiten ergaben sich erst im Rahmen der beruflichen Tätigkeit. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine sachgerechte Versorgung der Klägerin nach krankenversicherungsrechtlichen Maßstäben zu Vertragspreisen möglich war und nach Krankenversicherungsrecht kein darüber hinausgehender Anspruch bestand (vgl hierzu Bundesverfassungsgericht 17.12.2002, 1 BvL 28/95 ua, BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2). Die nach den Erfordernissen des Arbeitsplatzes bestehenden Anforderungen an die Hörgeräteversorgung waren durch ein Gerät zum Vertragspreis dagegen nicht zu erfüllen, sondern erforderten ein mehrkanalig digitales Hörgerät mit Störschallunterdrückung und technischen Regelsystemen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem vom SG eingeholten Gutachten des Sachverständigen L ... Der Senat schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen des SG an und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück (§ 153 Abs 2 SGG).

Da somit nach alledem die Voraussetzungen eines Anspruchs auf beidseitige Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten als zum Vertragspreis im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe gegeben sind, hätte die Beklagte auf den Antrag der Klägerin zumindest eine Ermessensentscheidung treffen müssen und diesen nicht von vornherein ablehnen dürfen.

Dem Erstattungsbegehren hat das SG zutreffend auch in voller Höhe stattgegeben. Nach § 31 Abs 1 SGB IX gilt zwar, dass Leistungsempfänger die Mehrkosten selbst tragen müssen, wenn sie ein geeignetes Hilfsmittel in einer aufwendigeren Ausführung als notwendig wählen. Dies würde grundsätzlich bedeuten, dass dann, wenn auch ein billigeres Hörgerät die hier gegebenen beruflichen Anforderungen erfüllt hätte, die Klägerin (bei ordnungsgemäßem Ablauf) jedenfalls die Differenz zwischen den Kosten beider Geräte hätte selbst tragen müssen. Insoweit sind jedoch die Grundsätze des Systemversagens zu berücksichtigen: Wenn der Klägerin gerade durch die iSv § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX zu Unrecht erfolgte Ablehnung des Antrags die erforderliche sachgerechte Beratung durch den Rentenversicherungsträger vorenthalten wird, wie sie ihre Belastung möglichst gering halten kann, darf der Rentenversicherungsträger sich nicht unter Berufung auf kostengünstigere Versorgungsmöglichkeiten entlasten (BSG 21.08.2008, B 13 R 33/07 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 7).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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