L 9 U 3890/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 750/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3890/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im Zugunstenwege die Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der1947 geborene Kläger hat von Februar 1962 bis Juli 1965 Schreiner gelernt und war bis Januar 1971 als Schreiner beschäftigt. Von Februar 1971 bis April 1973 arbeitete er als Kraftfahrer im Schwertransport und anschließend bis zum 16. Mai 2002, seiner Arbeitsunfähigkeit und anschließlicher Arbeitslosigkeit, als Kraftfahrer im Baustellen- sowie Werksverkehr. Bei der letzten Tätigkeit verrichtete der Kläger während der Stillstandzeiten des LKWs (ca. 5 bis 15 Stunden pro Woche) verschiedene Tätigkeiten (Abbrucharbeiten mit dem Kompressor, Trennschleifer usw., Verdichtungsarbeiten mit Rüttelplatten, Stampfer und Walzen, Setzen von Randsteinen, Rohrverlegungsarbeiten inklusive Anschlüsse an Schächte bzw. Häuser mit dem Bohrhammer bzw. bei Bedarf mit der Erdrakete, Ablängen aller Rohrarten, Grabearbeiten von Hand).

Im Januar 2000 teilte der Kläger der Beklagten mit, er leide schon seit längerer Zeit unter Rückenschmerzen (Vibrationen BK 2110). Seit dem 16.04.1973 fahre er einen LKW, Dreiachser, Allrad 6 x 6, auf Baustellen. Er legte einen Arztbrief des Orthopäden Dr. H. vom 21.12.1999 vor, der beim Kläger ein beginnendes degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei flacher, s-förmiger Kyphoskoliose diagnostiziert hat. Er führte aus, der 52-jährige Baustellen-LKW-Fahrer klage seit längerem über rezidivierende, zervikal und lumbal betonte Rückenschmerzen. Der Fußboden-Abstand (FBA) habe 0 cm betragen. Radikuläre Zeichen oder Ausfälle seien an beiden unteren Gliedmaßen nicht feststellbar gewesen. Die Röntgenaufnahmen der Brust- und Lendenwirbelsäule (BWS und LWS) in zwei Ebenen hätten folgenden Befund ergeben: Flache idiopathische, s-förmige Kyphoskoliose. Normale Kalkdichte. Mehrsegmentale spondylotische Kantenbetonungen im mittleren BWS-Drittel sowie über L3 und L4. Unauffällige ISG beidseits.

Am 08.05.2000 zeigte der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K. wegen diffuser Schmerzen entlang der ganzen Wirbelsäule den Verdacht auf eine BK an. Die Beklagte zog Unterlagen aus einem Verfahren wegen Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK bei, holte Auskünfte bei dem letzten Arbeitgeber des Klägers, der SAT GmbH, vom 30.05.2000, dem Kläger sowie bei Dr. H. ein und zog Röntgenaufnahmen der behandelnden Ärzte sowie das Vorerkrankungsverzeichnis bei.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. F. führte unter dem 12.01.2001 aus, ein Bandscheibenschaden sei aufgrund der vorliegenden Befunde nicht nachgewiesen. Der Gewerbearzt und Arzt für Arbeits- und Umweltmedizin Krieger schloss sich unter dem 07.03.2001 der Auffassung von Dr. Frank an und sah die Voraussetzungen für eine BK nach Nr. 2110 nicht als erfüllt an.

Mit Bescheid vom 19.07.2001 lehnte die Beklagte eine Anerkennung der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers als BK Nr. 2110 ab. Zur Begründung führte sie aus, beim Kläger lägen degenerative Veränderungen an der LWS ohne sichere Bandscheibenschäden vor, so dass bereits das anspruchsbegründende Krankheitsbild fraglich sei. Die Veränderungen an der LWS zeigten sich in dem Bereich, in dem die Mehrzahl aller Bandscheibenerkrankungen auch ohne berufliche Belastung manifestiert sei. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2002 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 24.01.2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen (S 8 U 220/02), mit der er die Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als BK Nr. 2110 weiter verfolgte.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte des Klägers zunächst als sachverständige Zeugen und holte auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Gutachten ein.

Die Ärzte für Allgemeinmedizin Dres. K. berichteten unter dem 03.05.2002, eingegangen beim SG am 17.05.2002, über Behandlungen des Klägers seit Februar 1994. Diagnostiziert worden sei ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom; bis jetzt habe sich kein Bandscheibenschaden verifizieren lassen. Ergänzend gaben sie an, aus dem Arztbrief der Radiologischen Gemeinschaftspraxis F. K., J. Kaufmann und Dr. K. vom 14.05.2002 ergebe sich ein geringer Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts. Die Radiologen gelangten in dem Arztbrief zum Ergebnis: Geringer Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts, paramedian, vereinbar mit rechtsseitiger L5-Symptomatik, fragliche klinische Relevanz der minimalen Bandscheibenprotrusionen L1/2 bis L3/4 sowie L5/S1, kein für die linksseitigen Beinparästhesien adäquat erklärender Befund.

Der Orthopäde Dr. H. gab am 24.05.2002 an, er habe den Kläger am 21.12.1999 und 05.02.2001 behandelt. Die klinischen und röntgenologischen Untersuchung der HWS, BWS und LWS in zwei Ebenen hätten beginnende spondylarthrotische und spondylotische Bandscheiben-degenerationsveränderungen in mehreren Segmenten bei anlagebedingter flacher, s-förmiger Kyphoskoliose ergeben.

In der beratungsärztlicher Stellungnahme vom 19.08.2002 führte Dr. F. u.a. aus, ein primäres Bandscheibenschadensbild liege nicht vor, sondern eine pseudoradikuläre Symptomatik bei deutlichen Degenerationsschäden L5 und L6.

Dr. B., Arzt für Orthopädie und Leiter der Orthopädischen Ambulanz am Bundeswehrkrankenhaus U., gelangte in dem auf Auftrag des Klägers gemäß § 109 SGG erstatteten Gutachten vom 31.01.2003 zum Ergebnis, die Tatsache, dass die konventionell radiomorphologischen bandscheibenbedingten Veränderungen in der unteren LWS kaum das altersübliche Ausmaß überschritten und das vollständige Fehlen einer ventralen Spondylose im dorsolumbalen Übergangsbereich, die als belastungsadaptive Reaktion gewertet werden könnte, sprächen gegen die Anerkennung einer BK 2110.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.08.2003 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, es fehle an den medizinischen Voraussetzungen, nämlich an der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen der gefährdenden Berufstätigkeit und dem beim Kläger an der Wirbelsäule bestehenden Gesundheitsschaden. Ein eigentlicher Bandscheibenschaden in Form eines geringen Bandscheibenvorfalls habe sich erst durch die von Dr. K. am 14.05.2002 durchgeführte Kernspintomographie verifizieren lassen. Der kernspintomographisch festgestellte Bandscheibenvorfall rechts passe jedoch nicht zu den vom Kläger angegebenen LWS-Beschwerden mit Ausstrahlungen in die Rückseite des linken Beins seit Februar 2002 sowie mit Taubheitsgefühlen im linken Bein, wie der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten hervorgehoben habe. Im Übrigen lägen beim Kläger keine Bandscheibenverschmälerungen und sekundären degenerativen Veränderungen des Bewegungssegments vor, die über das altersübliche Maß der natürlichen Bandscheibendegeneration hinausgingen, worauf Dr. B. ebenfalls hingewiesen habe. Schließlich spreche auch das vollständige Fehlen einer ventralen Spondylose im dorsolumbalen Übergangsbereich, die als belastungsadaptive Reaktion gewertet werden könnte, gegen eine durch berufliche Belastungen herbeigeführte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 11.12.2003 (L 10 U 3393/03) zurück.

Am 22.02.2005 beantragte der Kläger eine Überprüfung im Zugunstenwege. Er trug vor, er leide schon über zehn Jahre unter der BK. Medikamente würden nicht helfen; alle drei Monate erhalte er eine Injektion in die Wirbelsäule.

Mit Bescheid vom 08.08.2006 lehnte die Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 19.07.2001 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben könnten, dass bei Erlass des Bescheides vom 19.07.2001 das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise. Deswegen werde die nochmalige Sachprüfung abgelehnt.

Hiergegen legte der Kläger am 11.08.2006 Widerspruch ein und trug vor, wegen der Wirbelsäulenerkrankung werde er schon jahrelang behandelt. Die Ärzte seien nicht in der Lage, seine Krankheiten richtig einzuordnen. Er werde von einem Arzt zum anderen geschickt, ohne dass man ihm habe helfen können. Er sei inzwischen in drei Schmerzkliniken gewesen und stehe jetzt wieder bei Dr. Heber in Behandlung und werde auch zu einem Neurologen überwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach erneuter Auswertung der Rechtslage ergäben sich weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass der Bescheid vom 19.07.2001, welcher im Rahmen der nachfolgenden sozialgerichtlichen Verfahren vollständig bestätigt worden sei, rechtswidrig gewesen sei.

Hiergegen hat sich der Kläger mit einem am 19.02.2007 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben gewandt, das diese dem SG als Klage (S 4 U 750/07) vorgelegt hat. Darin führt er aus, andere Ursachen als die berufliche Tätigkeit gebe es für die seit 1994 bestehenden schlimmen Beschwerden nicht. Herr S. habe ihm gesagt, es gebe keinen Fahrer, der so lange wie er - der Kläger - fast 30 Jahre auf einem Dreiachser 6 x 6 auf Baustellen gefahren sei. Alle anderen hätten früher aufhören müssen.

Mit Urteil vom 26.04.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausführt, es sei weder ersichtlich, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt vom 19.07.2001 aus rechtlichen Gründen keinen Bestand haben könnte, noch dass von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Zu dieser Überzeugung gelange das SG aufgrund des im vorangegangenen gerichtlichen Verfahrens eingeholten Gutachtens von Dr. B ... Soweit der Kläger mit seinem Widerspruch geltend gemacht habe, er sei wieder bei Dr. H. in Behandlung und habe sich zwischenzeitlich einer Kernspintomographie unterzogen, sei dies rechtlich ohne Bedeutung. Der Kläger habe seine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit im Jahr 2002 endgültig aufgegeben, so dass Veränderungen im Gesundheitszustand nach 2002 nicht mehr im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen könnten. Damit sei weder die Beiziehung der auf Veranlassung von Dr. H. durchgeführten Kernspintomographie noch die Einholung eines Gutachtens notwendig. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 20.07.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.08.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, als er noch bei der Firma SAT gearbeitet habe, habe ihn sein Hausarzt Dr. K. wegen seines Rückenleidens in die Klinik nach Bad B. überwiesen. Danach sei er 1 1/2 Jahre krankgeschrieben gewesen. Sein Beschäftigungsverhältnis habe erst Ende Oktober 2002 geendet. Dies bedeute, dass er wegen seines Rückenleidens seine Beschäftigung habe unterlassen müssen. Aus einem Gutachten der Rentenversicherung ergebe sich, dass er seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer und Bauhelfer nicht mehr habe ausführen können.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. April 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juli 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2002 zu verurteilen, bei ihm eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das SG habe im Einzelnen schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, weshalb dem Begehren des Klägers auf Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS als BK nach Nr. 2110 der Anlage zur BKV nicht entsprochen werden könne. In der Berufungsbegründung würden keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Entscheidung rechtfertigten.

Der Senat hat den Entlassungsbericht der Federseeklinik Bad Buchau vom 14.08.2002 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 17.06. bis 02.07.2002 beigezogen. Der Kläger hat einen Arztbrief des Orthopäden Dr. K. vom 28.10.2010 vorgelegt.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.03.2013 hat der Chirurg Dr. T. ausgeführt, ein monosegmentaler Bandscheibenvorfall L5/S1 sei erstmals anlässlich einer kernspintomographischen Untersuchung am 14.05.2002, also im Jahr der Aufgabe der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit, nachgewiesen worden. Berücksichtige man diesen Befund und unterstelle man neben einer ausreichenden Exposition eine mit dem Bandscheibenvorfall korrelierende klinische Symptomatik, wäre bei fehlender Begleitspondylose und fehlenden konkurrierenden Ursachenfaktoren eine B 2-Konstellation des Konsenspapiers zu diskutieren. Allerdings seien die hierfür geforderten Zusatzkriterien nicht erfüllt. Ein "black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten liege nicht vor. Für die darüber hinaus geforderte intensive Belastung bzw. für das geforderte besondere Gefährdungspotenzial ergäben sich keine Anhaltspunkte. Der MRT-Befund vom 14.05.2002 werde im Entlassungsbericht der Federseeklink Bad B. vom 14.08.2002 durch den beratenden Radiologen insoweit abweichend interpretiert, als dieser eine "subliga-mentär kleinherdige, rechts mediolaterale Herniation L4/5 sowie eine flache rechte mediolaterale Herniation L5/S 1", jeweils ohne Hinweis auf eine Wurzelbedrängung, feststelle. Damit könnte das Ergänzungskriterium "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" zur Begründung einer Fallkonstellation B 2 erfüllt sein. Allerdings habe das LSG Hessen im Urteil vom 27.03.2012 (L 3 U 81/11) entschieden, das mit "mehreren" mindestens drei Bandscheiben gemeint seien. Somit lasse sich unter den genannten Voraussetzungen im Falle eines monosegmentalen wie auch bisegmentalen Bandscheibenvorfalls allenfalls eine Fallkonstellation B 3 begründen.

Der Senat hat mit Verfügung vom 27.05.2013 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter hingewiesen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Mit den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte zu Recht die Rücknahme des Bescheides vom 19.07.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2002 abgelehnt.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 28.05.2013 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Sozialleistungsträger verpflichtet, einen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss die Behörde in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 3-2600 § 243 Nr. 8 S. 27 f; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 23 S. 119 f). Dabei führt § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X zwei Alternativen an, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden seien, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommen. Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, so der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 2 U 24/05 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 18).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat – ebenso wie das SG – zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme der früheren bestandskräftigen Bescheide nicht vorliegen.

Nach Nr. 2110 der Anl. 1 zur BKV handelt es sich um bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob beim Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Entstehen einer BK Nr. 2110 vorliegen. Denn selbst wenn diese zu bejahen wären, ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellbar, dass zum Zeitpunkt der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Jahr 2002 bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS vorlagen und diese auf die berufliche Tätigkeit des Klägers ursächlich zurückzuführen waren.

Das Schadensbild der BK 2110 entspricht – ebenso wie das der BK 2108 – den Volkskrankheiten durch chronisch-degenerative Veränderungen der Bandscheiben. Es gibt kein hiervon eindeutig abgrenzbares belastungstypisches Krankheitsbild, sondern nur ein belastungskonformes Wirbelsäulen-Schadensbild der BK. Das belastungskonforme Schadensbild wird beschrieben durch den Vergleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung hinsichtlich der Kriterien • Lebensalter beim Auftreten der Schädigung • Ausprägungsgrad in einem bestimmten Alter • Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS • Lokalisationsunterschiede zwischen biomechanisch hoch und mäßig belasteten Wirbelsäulen-Abschnitten der gleichen Personen • Entwicklung einer Begleitspondylose (vgl. Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe in Trauma und Berufskrankheit 2005, 211, 212, 214). Liegt im Einzelfall kein auffälliger gradueller Befund im Sinne der Konsensempfehlungen vor, ist die Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs nicht zu begründen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 482 f.).

Der Senat geht zunächst aufgrund der Angaben des Klägers vom 31.01.2003 gegenüber Dr. B. (Gutachten vom 31.01.2003) davon aus, dass der Kläger, der seit Mitte Mai 2002 arbeitsunfähig war und vom 17.06.2002 bis 02.07.2002 ein Heilverfahren absolvierte, seit Mitte Mai 2002, dem Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit, nicht mehr als Kraftfahrer im Baustellen- und Werksverkehr tätig war. Unerheblich ist, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers – trotz des Konkurses der Firma – noch bis zum 31.10.2002 fortbestand, zumal der Kläger – so seine Angaben gegenüber Dr. B. – seit Juni 2002 seine Tätigkeit nicht mehr ausgeübt hat.

Ferner stellt der Senat aufgrund der schriftlichen Zeugenaussagen von Dr. K. vom 03.05.2002 und Dr. H. vom 24.05.2002 sowie des Sachverständigengutachtens von Dr. B. vom 31.01.2003 (eingeholt im Verfahren S 8 U 220/02) fest, dass bis Mitte Mai 2002 weder klinisch noch röntgenologisch Hinweise auf einen Bandscheibenvorfall und damit auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS bestanden. Ferner geht der Senat aufgrund der Angaben von Dr. K. in der BK-Anzeige vom 03.05.2000 davon aus, dass beim Kläger seit 1994 diffuse Schmerzen entlang der gesamten Wirbelsäule bestanden, obwohl kein Bandscheibenvorfall feststellbar war.

Des Weiteren stellt der Senat fest, dass am 14.05.2002 kernspintomographisch ein geringer Bandscheibenvorfall L4/5 rechts bzw. L5/S1 rechts festgestellt wurde, der mit einer L5-Symptomatik rechts vereinbar war, während beim Kläger jedoch linksseitige Beinbeschwerden bestanden, die durch den kernspintomographisch am 14.05.2002 erhobenen Befund nicht zu erklären waren.

Ausgehend hiervon sowie den Darlegungen von Dr. B. vermag der Senat nicht festzustellen, dass mit Bescheid vom 19.07.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2002 zu Unrecht die Anerkennung einer BK Nr. 2110 abgelehnt wurde. Denn der bildgebende Nachweis eines Bandscheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) ist unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Hinzu kommen muss eine korrelierende klinische Symptomatik (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 215). Eine solche korrelierende klinische Symptomatik konnte beim Kläger nicht festgestellt werden, wie Dr. B. nachvollziehbar dargelegt hat. Der im Jahr 2002 kernspintomographisch nachgewiesene geringe Bandscheibenvorfall L4/5 bzw. L5/S1 rechts passte nicht mit dem klinischen Bild der linksseitigen Lumboischialgien und dem inkompletten sensiblen Nervenwurzelreizsyndrom L5 links zusammen. Gegen einen Kausalzusammenhang spricht auch die gleichmäßige Ausbreitung von Schmerzen über weite Bereiche des Rückens mehrere Segmente vom bildgebende dargestellten Bandscheibenschaden entfernt (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216). Beim Kläger lagen seit 1994 diffuse Schmerzen an der gesamten Wirbelsäule vor, ohne dass klinisch oder röntgenologisch ein Bandscheibenvorfall als Ursache hierfür festgestellt werden konnte. Der am 14.5.2002 festgestellte geringe Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts kommt als Ursache für die Schmerzen an der gesamten Wirbelsäule bzw. im gesamten LWS-Bereich nicht in Betracht.

Gegen einen Kausalzusammenhang zwischen den Wirbelsäulenbeschwerden und der beruflichen Tätigkeit des Klägers sprechen auch die im Jahr 2002/2003 vorliegenden, im Wesentlichen altersentsprechenden degenerativen Veränderungen im Bereich der BWS und LWS sowie das Fehlen belastungsadaptiver Reaktionen, wie Dr. Bülow dargelegt hat.

Unabhängig davon, dass es schon an einer korrelierenden klinischen Symptomatik mit dem kernspintomographisch festgestellten kleinen Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts bzw. L4/5 rechts fehlte, liegen auch nach den o.g. Konsensempfehlungen die Voraussetzungen für die Bejahung eines Kausalzusammenhangs nicht vor, wie Dr. T. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.03.2013 dargelegt hat.

Da es vorliegend um die Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides vom 19.07.2001 geht, waren weitere Beweiserhebungen bei den derzeit behandelnden Ärzten und die Beiziehung von Kernspintomographien aus dem Jahr 2006 nicht erforderlich. Mangels Entscheidungserheblichkeit war vom Senat auch keine Untersuchung des Klägers im Bundeswehrkrankenhaus Ulm oder in der Universitätsklinik H. bzw. einem anderen Krankenhaus zu veranlassen. Darüber hinaus hätte dem Begehren des Klägers, die Berufsgenossenschaft, das heißt die Beklagte, bzw. den Anlass der Untersuchung bzw. des Gutachtensauftrages unerwähnt zu lassen, nicht entsprochen werden können. Wegen der vom Kläger gewünschten Untersuchungen in den genannten Kliniken müsste sich der Kläger vielmehr an seine behandelnden Ärzte wenden, um gegebenenfalls eine Überweisung zu erhalten.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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