S 19 AS 872/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 19 AS 872/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es besteht vor Erlass eines Erstattungsbescheides keinen Anhörungspflicht, wenn die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 SGB X gegeben sind.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:
Streitgegenständlich ist die Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 07.03.2012 zum Aktenzeichen W 4221/11. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die 1959 geborene Klägerin lebt allein und bezog im streitgegenständlichen Zeitraum ergänzend Leistungen nach dem SGB II. So wurden ihr auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 29.03.2011 mit Bewilligungsbescheid vom 28.04.2011 vorläufig für die Zeit vom 01.04.2011 bis 30.09.2011 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 133,45 EUR monatlich gewährt. Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 14.08.2011 wurden ihr mit Bewilligungsbescheid vom 01.09.2011 vorläufig für die Zeit vom 01.10.2011 bis 31.03.2012 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 83,38 EUR monatlich gewährt. Das Einkommen werde vorläufig berücksichtigt, die Klägerin solle jeden Monat unaufgefordert das Einkommen einreichen. Mit Schreiben vom 01.09.2011 wurde die Klägerin zudem aufgefordert, Gehaltsbescheinigungen von April 2011 bis August 2011 bis zum 18.09.2011 einzureichen. Am 06.09.2011 reichte die Klägerin Gehaltsabrechnungen für die Monate März bis Juli 2011 ein (Zufluss jeweils am 15. des Folgemonats), sowie am 27.09.2011 die Gehaltsabrechnung für August 2011 und am 24.10.2011 die Gehaltsabrechnung für September 2011.

Mit Änderungsbescheid vom 08.11.2011 erfolgte die endgültige Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.08.2011 bis 31.08.2011 in Höhe von 83,38 EUR und für die Zeit vom 01.09.2011 bis 30.09.2011 in Höhe von 60,52 EUR. Das Einkommen sei anhand der eingereichten Lohnbescheinigungen berichtigt und der Freibetrag ab Juli 2011 korrigiert worden. Für folgende Zeiträume würden der Klägerin insgesamt geringere Leistungen zustehen, der Bescheid über die Bewilligung von Leistungen vom 28.04.2011 werde aufgrund der eingetretenen Änderungen vom 01.08.2011 bis 31.08.2011 in Höhe von 50,07 EUR sowie vom 01.09.2011 bis 30.09.2011 in Höhe von 72,93 EUR teilweise aufgehoben. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 08.11.2011 erfolgte die endgültige Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 01.10.2011 bis 31.10.2011 in Höhe von 81,52 EUR. Das Einkommen sei anhand der eingereichten Lohnbescheinigungen berichtigt und der Freibetrag ab Juli 2011 korrigiert worden. Die Miete ab 01.10.2011 sei entsprechend berücksichtigt. Für folgenden Zeitraum stünden der Klägerin insgesamt geringere Leistungen zu, der Bescheid über die Bewilligung von Leistungen vom 01.09.2011 werde aufgrund der eingetretenen Änderungen vom 01.10.2011 bis 31.10.2011 in Höhe von 1,86 EUR teilweise aufgehoben.

Am 08.11.2011 erließ der Beklagte zudem einen Erstattungsbescheid, den er mit "Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruches" überschrieb. Darin heißt es: "Mit den Bescheiden vom 28.04.2011 und 01.09.2011 wurden Ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig bewilligt. Da nun über Ihren Leistungsanspruch endgültig entschieden werden konnte, wurde festgestellt, dass Sie einen geringeren Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Bitte entnehmen Sie den Bescheiden vom 08.11.2011 die Ihnen tatsächlich zustehenden Leistungen. Sie haben wie folgt Leistungen erhalten, ohne dass hierauf ein Anspruch bestand:

Leistungen für B – geb. am 1959 Erstattungszeitraum: 01.08.2011 bis 31.08.2011 Kosten für Unterkunft und Heizung 50,07 EUR Erstattungszeitraum: 01.09.2011 bis 30.09.2011 Kosten für Unterkunft und Heizung 72,93 EUR Erstattungszeitraum: 01.10.2011 bis 31.10.2011 Kosten für Unterkunft und Heizung 1,86 EUR Summe Person: 124,86 EUR Die Gesamtüberzahlung beträgt: 124,86 EUR.

Diesen Betrag müssen Sie erstatten. " Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Bescheides wird auf Blatt 673 bis 674 der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Die "Änderungsbescheide" vom 08.11.2011 wurden rechtskräftig. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte allein gegen den Erstattungsbescheid vom 08.11.2011 Widerspruch ein und rügte allein die fehlende Anhörung. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2012 als unbegründet zurück und lehnte darin eine Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 05.04.2012 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben. Sie ist der Ansicht, der Widerspruchsbescheid sei hinsichtlich der Kostenentscheidung aufzuheben, da dieser insoweit rechtswidrig sei und die Klägerin in ihren Rechten verletze. Hinsichtlich des Erstattungsbescheides – und nur dieser sei angegriffen worden – sei eine Anhörung entgegen der Ansicht des Beklagten erforderlich gewesen. Der Erstattungsbescheid vom 08.11.2011 sei ein belastender Verwaltungsakt im Sinne des § 24 SGB X gewesen, weshalb eine Anhörung erforderlich gewesen sei. Der Beklagte verkenne, dass es sich bei der endgültigen Leistungsfestsetzung und der Erstattungsverfügung um zwei selbständige und abtrennbare Verfügungen handele. Hinsichtlich der Erstattungsverfügung bestehe in jedem Fall eine Anhörungspflicht. Die Nachholung der nicht erfolgten Anhörung führe im Widerspruchsverfahren zur Heilung des Verfahrensfehlers (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X) und zur Kostentragungspflicht des Beklagten nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Vor Erlass eines Erstattungsbescheides sei der Betroffene zwingend anzuhören, vergleiche dazu BSG, Urteil vom 07.07.2011, B 14 AS 153/10 R Rd.-Nr. 18 u. 19 m.w.N.; zur Anhörungspflicht vor Erlass einer Erstattungsentscheidung nach § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.01.2012, L 19 AS 1543/11, Rd.-Nr. 51).

Die Klägerin beantragt,

den Widerspruchsbescheid vom 07.03.2012 (W 4221/11) hinsichtlich der Kostenentscheidung aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihre im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bei einer Festsetzung und Erstattung im Rahmen des § 328 SGB III werde keine vorhandene Rechtsposition entzogen. Vielmehr werde erstmalig über die Bewilligung endgültig entschieden und getätigte Zahlungen ausgeglichen (s. Diering/Timme/Waschull, Sozialgesetzbuch X, 2. Auflage, § 24 Rn. 7). Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass eine Anhörung nach § 24 SGB X vor Erteilung des Bescheides über die endgültige Festsetzung der Leistung und des Erstattungsbescheides nach § 328 Abs. 3 SGB III nicht erforderlich sei. Zwar seien beide Bescheide zwei selbständige Verwaltungsakte. Sie würden jedoch aufgrund der Regelung des § 328 Abs. 3 SGB III in einem engen inneren Zusammenhang stehen und könnten daher auch bei Beantwortung der Frage der Erforderlichkeit einer vorherigen Anhörung nur in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen hätten der Klägerin noch keine gesicherte Rechtposition dahingehend verschafft, ob der Anspruch in der konkreten Höhe tatsächlich bestehe und ob sie die Leistungen behalte dürfe. Auch bei der Erstattung aufgrund der spezialgesetzlichen Norm des § 328 Abs. 3 SGB III gehe es um die Erstattung aufgrund vorläufiger Entscheidung erbrachter Leistungen. Letztlich würden auch Sinn und Zweck der Anhörung gegen die Erforderlichkeit einer solchen vor endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruches und Erstattungsforderung sprechen. Durch die Vorschrift des § 24 SGB X habe der Gesetzgeber allgemein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und die Stellung des Bürgers insbesondere durch den Schutz vor Überraschungsentscheidungen verbessern wollen (vgl. BT-Drucks 7/868, Seite 28 u. 45). Der Betroffene solle Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die vorgesehene Entschließung der Verwaltung zu beeinflussen. Die Gefahr einer Überraschungsentscheidung habe vorliegend nicht vorgelegen, da die Klägerin sowohl im Bescheid vom 28.04.2011 als auch nochmals im Bescheid vom 01.09.2011 darauf hingewiesen worden sei, dass sie einen neuen Bescheid erhalte, sobald über ihren Antrag endgültig entschieden werden könne und ihr Anspruch von dem hier bewilligten abweiche, und dass bis dahin gezahlten Leistungen dabei berücksichtigt würden. Des weiteren habe der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Klägerin gegebenenfalls zuviel gezahlte Leistungen erstatten müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben, § 124 Abs. 2 SGG.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die der Klägerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren W 4221/11 entstandenen Kosten zu erstatten.

Als Rechtsgrundlage kommt allein § 63 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB X in Betracht.

Vorliegend war der Beklagte jedoch nicht verpflichtet, die Klägerin vor Erlass des Erstattungsbescheides vom 08.11.2011 gem. § 24 SGB X anzuhören. Zwar handelt es sich bei der endgültigen Festsetzung der Leistung und bei dem Erstattungsbescheid um zwei selbstständige Verwaltungsakte. Diese stehen in einem engen inneren Zusammenhang dergestalt, dass, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen zu erstatten sind, § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Ob im Rahmen einer endgültigen Leistungsfestsetzung und Erstattungsforderung nach § 328 Abs. 2 und 3 SGB III grundsätzlich eine vorherige Anhörung erforderlich ist, kann offen bleiben, da diese vorliegend jedenfalls gem. § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X entbehrlich war. Die Klägerin hat mit Vorlage ihrer Lohnabrechnungen im Verhältnis zum Beklagten eigene Angaben über ihr Einkommen gemacht, auch wenn diese vom Arbeitgeber ausgestellt wurden (vgl. zur Vorlage einer Nebeneinkommensbescheinigung bei der BA: BSG, Urteil vom 05.02.2004 zum Aktenzeichen B 11 AL 39/03 R). Von diesen Angaben ist der Beklagte nicht zu Ungunsten der Klägerin abgewichen. Daneben war eine vorherige Anhörung auch nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SBG X entbehrlich, da mit den angegriffenen Bescheiden einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst wurden. Die Vorschrift gilt auch für rückwirkende Anpassungen (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 31.08.2012 zum Aktenzeichen L 7 AS 312/11 m.w.N.). Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin meint, aus vorgenannten Gründen sei lediglich eine vorherige Anhörung vor Erlass des endgültigen Festsetzungsbescheides entbehrlich gewesen, folgt das Gericht dem nicht. Denn auch der Erstattungsbescheid basiert im Wesentlichen auf diesen Umständen und lediglich zusätzlich darauf, dass mit der endgültigen Festsetzung ein geringerer Leistungsanspruch als vorläufig bewilligt zugesprochen wurde. Soweit das Hessische LSG in seinem Urteil vom 16.12.2011 zum Aktenzeichen L 7 AL 179/08 eine Anhörung vor der Festsetzung eines Erstattungsbetrages für erforderlich hält, stimmt das Gericht damit grundsätzlich insoweit überein, als eine Anhörung nicht allein deshalb entbehrlich sein dürfte, weil die Erstattungsforderung quasi akzessorisch zu einer entsprechenden Aufhebungs-, Widerrufs- oder endgültigen Festsetzungsentscheidung ergeht. Gleichwohl kann auch eine Anhörung vor der Festsetzung einer Erstattungsforderung nach § 24 Abs. 2 SGB X entbehrlich sein, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. Dementsprechend hat das BSG im Urteil vom 05.02.2004 zum Aktenzeichen B 11 AL 39/03 R und beispielsweise auch im Urteil vom 05.09.2006 zum Aktenzeichen B 7a AL 38/05 R entschieden, dass die dortige Beklagten gem. § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X von einer Anhörung vor Erlass der dort streitigen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen absehen durften.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung ist nicht zulässig, § 144 Abs. 1 SGG. Gründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn sie nachträglich zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Berufung ist zuzulassen, wenn

• die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

• das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

• ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Försterweg 2-6

14482 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen.

Die Beschwerdeschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II S. 558) idF vom 1. Oktober 2007 (GVBl. II S. 425) in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zu den Kommunikationswegen für den elektronischen Rechtsverkehr können unter der Internetadresse www.erv.brandenburg.de abgerufen werden.
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Aus
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