S 11 SF 270/10 E

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 SF 270/10 E
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine fiktive Terminsgebühr fällt in Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht an.
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Erinnerung ist zulässig.

Nach § 197 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Nach § 197 Abs. 2 SGG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden. Die Monatsfrist ist eingehalten worden.

Die Erinnerung ist nicht begründet.

Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie im vorliegenden Fall – das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG).

Bei Rahmengebühren bestimmt entsprechend § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Ausgangspunkt für die Bemessung der Gebühr ist der Durchschnittsfall, der die Mittelgebühr rechtfertigt. Erst wenn die Kriterien des Durchschnittsfalls bekannt sind, kann entschieden werden, ob im konkreten Fall ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten angezeigt ist.

Im erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahren liegt eine durchschnittliche anwaltliche Tätigkeit vor, wenn eine Klage erhoben wird oder ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt wird, Akteneinsicht genommen wird, die Klage bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begründet wird und zu vom Gericht veranlassten Ermittlungen (z. B. Einholung von Befundberichten, Arbeitgeberauskünften, Beiziehung von Klinikberichten, Röntgenaufnahmen, weiterer Akten) Stellung genommen wird.

Durchschnittlich schwierig vor dem Sozialgericht sind Verfahren, in denen wegen laufender Leistungen (z. B. Arbeitslosengeld, Krankengeld, Rente, Grundsicherungsleistungen), wegen Anerkennung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten oder Behinderungen, aber auch wegen einmaliger Leistungen (z. B. Heil- und Hilfsmittel, Rehabilitationsleistungen) gestritten wird.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger bzw. Antragsteller hängt nicht nur vom Streitgegenstand, sondern auch vom subjektiven Empfinden des Klägers bzw. Antragstellers ab. Die Bedeutung der Angelegenheit kann jedenfalls dann grundsätzlich als durchschnittlich angesehen werden, wenn nur wegen einer einmaligen Leistung gestritten wird. Sofern dagegen wegen Leistungen mit Dauerwirkung gestritten wird, wird grundsätzlich eine überdurchschnittliche Bedeutung anzunehmen sein.

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Klägers bzw. Antragstellers sind jedenfalls dann zumindest als durchschnittlich anzusehen, wenn die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erforderlich ist. Ist dagegen die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlich, liegen zumindest unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor. Bei Empfängern von Grundsicherungsleistungen liegen regelmäßig deutlich unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die anwaltliche Tätigkeit unterdurchschnittlich war. Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wurde erhoben und begründet. Weitere Stellungnahmen im Verfahren waren jedoch nicht mehr erforderlich, da der Erinnerungsgegner dem Antrag sogleich teilweise entsprach und die Erinnerungsführerin den Rechtsstreit für erledigt erklärte. Das Verfahren war durchschnittlich schwierig, da über laufende Leistungen gestritten worden ist. Die Bedeutung kann nur als unterdurchschnittlich angesehen werden, da zwar über laufende Leistungen gestritten wurde, jedoch nur über einen Teil der gewährten Leistungen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Erinnerungsführerin sind als unterdurchschnittlich anzusehen. Wegen der Unterdurchschnittlichkeit in drei der zu prüfenden Kriterien geht das Gericht davon aus, dass eine halbe Mittelgebühr angemessen ist.

Die Gebühr ist aus der Nr. 3102 VV-RVG festzusetzen.

Ein Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt eine Rechtsschutzform dar, die eigenen Entscheidungsmaßstäben folgt und somit nicht auf ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren aufbaut, so dass der Gebührentatbestand der Nr. 3102 VV, nicht derjenige der Nr. 3103 VV heranzuziehen ist (z. B. SG Duisburg, Beschluss vom 15. Mai 2007, S 7 AS 249/06 ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. August 2007, L 20 B 91/07 AS; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. Juli 2008, L 6 B 141/07; SG Schleswig, Beschluss vom 30. Dezember 2008, S 2 SK 84/06; SG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2009, S 165 SF 601/09 E, SG Lüneburg, Beschluss vom 14. August 2009, S 12 SF 94/09 E).

Die zu erstattende Gebühr betrüge daher 125,00 EUR (½ Mittelgebühr aus Nr. 3102 VV-RVG). Der Erinnerungsgegner hat bereits 170,00 EUR anerkannt.

Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziff. 3 VV-RVG als fiktive Terminsgebühr ist nicht entstanden. Eine fiktive Terminsgebühr fällt in Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht an. Diese Rechtsfolge lässt sich zwar nicht unmittelbar dem Wortlaut der Ziff. 3 entnehmen. Dementsprechend wird zum Teil in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, dass auch ein Anerkenntnis in einem Eilverfahren eine fiktive Terminsgebühr begründet (z. B. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. Juli 2010, L 1 AS 57/10 B, dokumentiert in juris). Der Wortlaut der Ziff. 3 lässt jedoch durchaus auch die Auslegung zu, dass hier nur eine Regelung in Bezug auf solche Verfahren getroffen wurde, die regelmäßig aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden. Jedenfalls Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür, dass Verfahren, die eine mündliche Verhandlung nicht zwingend erfordern und im Regelfall durch Beschluss entschieden werden, einen Anspruch auf die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG nicht auslösen. Nach Ziff. 3 soll vermieden werden, dass der Rechtsanwalt von einer schriftlichen Annahmeerklärung absieht, damit ein Termin durchgeführt wird. Er soll bei einer schriftlichen Annahmeerklärung nicht um eine Terminsgebühr gebracht werden, die im Klageverfahren grundsätzlich anfällt. Anders als in Klageverfahren (§ 124 Abs. 1 SGG) ist in den Verfahren nach § 86b SGG eine mündliche Verhandlung jedoch nicht vorgeschrieben. Im Regelfall ergeht eine Entscheidung nach § 86b SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 3 i. V. m. § 86b Abs. 4 SGG). Dies bedeutet, dass das Gericht nach Ermessen entscheidet, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt wird oder nicht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl., § 124 Rdnr. 5). Die Beteiligten können eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht verhindern, so dass keine Notwendigkeit besteht, eine (fiktive) Terminsgebühr zu gewähren, um prozessökonomisches Verhalten des Rechtsanwalts nicht zu benachteiligen. Diese Auslegung entspricht dem gesetzgeberischen Willen, der mit der Regelung bezweckte, Rechtsanwälte, die an sich erwarten können, im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit eine Terminsgebühr zu verdienen, nicht gebührenrechtlich schlechter zu stellen, wenn sie durch eine bestimmte Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichten (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 209; siehe LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Mai 2011, L 7 AS 712/10 B, dokumentiert in juris; SG Halle, Beschluss vom 9. November 2011, S 1 SF 225/09 E; Beschluss vom 8. März 2012, S 1 SF 395/09 E).

Der Erinnerungsgegner hat eine Terminsgebühr in Höhe von 20,00 EUR anerkannt.

Hinsichtlich der Berechnung wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss verwiesen.

Für das Erinnerungsverfahren entstehen keine Gerichtskosten. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (siehe Beschluss des SG Halle vom 16. April 2012, S 11 SF 309/08 AS unter Verweis auf SG Kiel, Beschluss vom 4. April 2011, S 21 SF 102/10 E, dokumentiert in juris, Rdnr. 55 ff.).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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