Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1883/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3283/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 02.07.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ggf bei Berufsunfähigkeit, zusteht.
Der am 28.06.1970 geborene Kläger erlernte von 1985 bis 1988 den Beruf eines Glasers und Fensterbauers. Anschließend war er - immer wieder unterbrochen von Phasen der Arbeitslosigkeit - in verschiedenen Berufen versicherungspflichtig beschäftigt, zB als Siebmacher, Lagerist, Fahrer, Operator, Aufzeichner in einer Polsterei sowie als Glaser und Fensterbauer. Zuletzt arbeitete er in der Schweiz. Nach seinen Angaben sei er oft schon nach kurzer Zeit wieder gekündigt worden; Anlass seien meist Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten gewesen. Nach Beendigung der Tätigkeit in der Schweiz absolvierte er einen von der Bundesagentur für Arbeit finanzierten CNC-Kurs. Im Anschluss hieran, gefolgt von einem 6-wöchigen Praktikum in Vollzeit, war er nicht mehr erwerbstätig.
Vom 02.01.1997 bis zum 14.01.1997 befand sich der Kläger auf Kosten der Beklagten in einer stationären Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in der Klinik S ... Aus dem Entlassbericht vom 14.01.1997 ist zu entnehmen, dass eine schizoide Persönlichkeitsstörung, WS-Beschwerden bei WS-Schäden durch starke Belastung sowie ein Cannabisabusus seit dem 15. Lebensjahr bestehe. Der Kläger wurde noch für in der Lage befunden, mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu verrichten.
Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger "wegen seit Jahren bestehender abnormer Tagesmüdigkeit" beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. G. vor (zum Bericht vgl Blatt 99 und 100 der Verwaltungsakten). Eine Narkolepsie konnte ausgeschlossen werden.
Am 22.09.2010 stellte sich der Kläger beim Diplom-Psychologen Dr. P. mit dem Wunsch nach Abklärung seiner aggressiven Ausbrüche vor. Dr. P. kam zu dem Schluss, es bestehe eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (Blatt 72 und 73 der Verwaltungsakte).
Die Bundesagentur für Arbeit ließ verschiedene Gutachten über den Kläger erstellen. Ua erstellte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F. am 04.11.2010 ein psychiatrisches Gutachten über den Kläger (Blatt 53 der Verwaltungsakte); sie kam zu dem Schluss, der Kläger leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit querulatorischen aber auch emotional instabilen, impulsiven Zügen. Sie hielt den Kläger für vollschichtig leistungsfähig. Während der Begutachtung teilte der Kläger mit, er sei nicht länger bereit, seine Lebenszeit für Arbeit abzugeben.
Am 17.01.2011 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersrente für Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige, was die Beklagte als Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verstand. Hierzu gab der Kläger an, sich wegen Persönlichkeitsstörungen für erwerbsgemindert zu halten. Nach Beiziehung und Bewertung ärztlicher Unterlagen, ua der zuvor genannten Gutachten und Berichte, durch den Beratungsarzt der Beklagten Dipl. med. G., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, in einer Stellungnahme vom 04.02.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 14.02.2011 ab. Dieser sei noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.03.2011 Widerspruch. Es liege kein Drogenmissbrauch, nur ein gelegentlicher Gebrauch von Drogen vor. Er habe schon genügend Arbeitsstellen ausprobiert und daher ein genaues Bild vom allgemeinen Arbeitsmarkt. In der Regel betrage die Arbeitszeit über 200 Stunden monatlich. Da er schon mit 19 Jahren Vater und somit unterhaltspflichtig geworden sei, habe er stets unter Druck und unterbezahlt gearbeitet. Dies habe nun zur Folge, dass er für den Arbeitsmarkt keine Nerven mehr habe. Auch habe er "durch Erkenntnisse und Erfahrungen eine besonders spezielle Einstellung gegenüber dem Staat und Systemen", was ihm den Umgang mit Behörden erschwere. Um Depressionen und Schlimmeres zu verhindern, meditiere er. Da auch eine negative Prognose für die Zukunft bestehe und er als nicht therapierbar gelte, sehe er keine andere Möglichkeit um ein menschenwürdiges Leben zu führen als ohne Druck (Arbeit, Behörden oä).
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2011 wies die Beklagte dann den Widerspruch zurück. Aus den Unterlagen ergäben sich die Diagnosen einer narzisstischen sowie aggressiven Persönlichkeitsstörung, eines chronischen Müdigkeitssyndroms, einer chronischen Zervikozephalgie, eines Rundrückens und einer Hypercholesterinämie. Dennoch sei der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn er könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen und ohne besonderen Zeitdruck sowie ohne Publikumsverkehr mindestens sechs Stunden verrichten.
Am 22.06.2011 hat der Kläger hiergegen beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Mit den im Widerspruchsbescheid genannten Diagnosen sei seine mangelnde Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unzureichend berücksichtigt. Bereits 1997 habe ein Reha-Bericht festgestellt, es liege eine schon 1992 diagnostizierte schizoide Persönlichkeitsstörung vor. Aufgrund seiner starken Probleme mit Vorgesetzten, Autoritätspersonen und Arbeitskollegen habe die Bundesagentur für Arbeit 2010 seine Leistungsfähigkeit überprüft. Damals habe er einen Wert der Konzentrationsleistung von vier erreicht, was einer sehr unterdurchschnittlichen Leistung und einer langsamen Arbeitsgeschwindigkeit entspreche. Von der Persönlichkeit her imponiere die Lebensunzufriedenheit, Erregbarkeit, Aggressivität und emotionale Labilität, sodass der Eindruck einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit Neigung zur Aggressivität vorliege. Auch seien cervikogene Kopfschmerzen, ein sulcus ulnaris Syndrom sowie ein Verdacht auf Migräneaura ohne Migränekopfschmerzen festgestellt worden. Die mangelnde Einsicht der Krankheit bzw der Behandlungsnotwendigkeit sei jedoch Bestandteil seines querulatorischen und konfliktorientierten Verhaltens.
Das SG hat Dr. P. und Frau F. als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 23 und 24 der SG-Akte Bezug genommen. Frau F. hat dem SG mit Schreiben vom 13.09.2011 mitgeteilt, der Kläger habe sich nur einmalig im Rahmen einer Begutachtung für die Bundesagentur für Arbeit vorgestellt, weshalb sie keine weiteren Aussagen treffen könne. Dr. P. hat dem SG am 05.10.2011 geschrieben, beim Kläger bestehe eine histrionische (narzisstische) Persönlichkeitsstörung. Die entscheidende Dimension liege in der Beziehungsgestaltung. Bei derartigen Störungen stehe die Frage nach dem Geliebt und Geachtet sein im Vordergrund. Sei dies nicht der Fall, könne es schnell zu Wut, Ärger, Aggressivität oder Verweigerung kommen.
Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. W ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 32 bis 50 der SG-Akten Bezug genommen. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Prof. Dr. W. hat in ihrem Gutachten vom 12.02.2012 einen gelegentlichen Cannabismissbrauch, Spannungskopfschmerzen, möglicherweise gemischt mit Analgetika induzierten Kopfschmerzen festgestellt. Im Übrigen liege eine akzentuierte Persönlichkeit vor, jedoch keine Persönlichkeitsstörung. Gegen eine Persönlichkeitsstörung spreche, dass der Kläger in der Lage sei, eine langjährige Partnerschaft zu führen. Auch scheine das Alltagsleben normal zu funktionieren. Hierzu trage auch bei, dass in der Untersuchung nicht der Eindruck entstanden sei, der Kläger könne nicht mehr arbeiten, sondern er wolle nicht mehr arbeiten. Prof. Dr. W. hält den Kläger für in der Lage, sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten.
Auf Einwendungen des Klägers hin hat Prof. Dr. W. ergänzend Stellung genommen (Blatt 59 bis 62 der SG-Akten). Sie hat ua ausgeführt, ein sozialer Rückzug sei nur ein Teil des Alltagslebens. Zum Alltag gehöre auch, inwiefern man in der Lage sei, sich selbst zu versorgen, die Wohnung und sich selbst sauber zu halten, den Hund zu versorgen. Hierzu sei der Kläger aber auch nach seinen eigenen Angaben in der Lage. Es sei nicht bestritten, dass die Partnerschaft des Klägers konfliktreich sei. Er sei aber in der Lage, mit negativer Stimmung und Ärger umzugehen, zB indem er die Wohnung seiner Freundin verlasse und seine eigene Wohnung aufsuche.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Erwerbsminderung liege nicht vor. Dies ergebe sich aus der Gesamtwürdigung des im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. W. nebst ergänzender Stellungnahme sowie aus dem Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F ... Im psychiatrischen Befund von Prof. Dr. W. fielen keine schwereren psychischen Symptome auf. Teilweise sei Ärger spürbar, als der Kläger über Situationen berichtet habe, in denen er sich ungerecht behandelt gefühlt habe. Andererseits habe er teilweise darüber und insbesondere über seine Reaktionen auch amüsiert gewirkt. Prof. Dr. W. habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger klar geäußert habe, nicht mehr arbeiten zu wollen. Er habe über Kraftlosigkeit geklagt, sei aber offensichtlich in der Lage, den Alltag auch mit körperlich schwereren Tätigkeiten zu bewältigen. Er habe bislang aus eigenem Antrieb keine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung angestrebt. So sei er auch nach seinen Angaben in der Lage, eine Partnerschaft zu führen, auch wenn diese seinen Angaben zufolge konfliktreich sei.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 09.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 31.07.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei schon deshalb fehlerhaft, weil es unrichtig sei, dass kein Leidensdruck bestehe. Eine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung finde zwar nicht statt, weil kein Vertrauen in die entsprechenden Fachärzte bestehe. Eine Behandlung durch die Hausärztin Dr. M. finde dagegen statt, wobei seit mindestens einem Jahr Arbeitsunfähigkeit bestehe. Eine Analgetika-Abstinenz sei auch nicht möglich, weil die Schmerztabletten dringend gegen Kopfschmerzen benötigt würden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichte Reutlingen vom 02.07.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, ggf bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung von Dr. M., die den Kläger als Hausärztin behandelt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 16 bis 28 der Senatsakte Bezug genommen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. hat mit Schreiben vom 11.09.2012 ausgeführt, der Kläger befinde sich seit 1998 in ihrer Behandlung. Er habe in dieser Zeit immer wieder über Misstrauen berichtet, insbesondere habe er kein Vertrauen zu Psychiatern und Psychotherapeuten, weshalb er keine Psychotherapie machen könne. Der Kläger sei aggressiv, unausgeglichen und könne Nähe nicht ertragen. Schon in der Lehre habe er Konflikte mit Chef und Meister gehabt, bei der Bundeswehr habe er das Gelöbnis verweigert. Der Kläger fühle sich ständig müde und unausgeglichen. Nur wenn er Ruhe und Zeit habe, stelle sich eine gewisse Ausgeglichenheit ein.
Hierzu hat der medizinische Dienst der Beklagten am 08.10.2012 Stellung genommen (Blatt 30 der Senatsakte). Das Schreiben von Dr. M. beschreibe, was der Kläger ihr berichtet habe. Dies unterscheide sich nicht von den Angaben, die der Kläger bei den Begutachtungen gemacht habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, sie ist aber unbegründet.
Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 iVm Abs 4 SGG) ist der die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 14.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2011. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Der Senat konnte sich davon überzeugen, dass der Kläger noch zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Die wesentlichen Leiden des Klägers liegen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Diese hat das SG auf Basis der Gutachten von Prof. Dr. W. und Frau F. zutreffend festgestellt. Es hat hieraus die zutreffenden Schlüsse gezogen und hat das Leistungsvermögen des Klägers zutreffend beurteilt. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Bewertung der Beweisergebnisse den Ausführungen des SG an, weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 SGG). Lediglich ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:
Auch der Berufungsvortrag und die im Berufungsverfahren eingeholte Auskunft von Dr. M. konnten keine Zweifel an der vom SG auf Grundlage der Gutachten von Frau F. und Prof. Dr. W. getroffenen Leistungseinschätzung begründen. Denn auch wenn der Kläger kein Vertrauen in eine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung hat, so führt er auch bei Dr. M. keine annähernd dem von ihm behaupteten Krankheitsbild adäquate Behandlung durch. Dr. M. konnte gerade nicht berichten, eine nervenärztlich ausgerichtete Behandlung durchzuführen; im Verwaltungsverfahren hat sie zwei bis drei jährliche Vorsprachen des Klägers - im Wesentlichen bei Kopfschmerzen und HWS-Myogelosen - angegeben (Blatt 89 der Verwaltungsakte). Auch konnte sie - trotz entsprechender Befragung - nicht einmal angeben, der Kläger leide an psychiatrischen Erkrankungen; hierauf deuten auch ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren hin, wo sie keinerlei psychiatrischen Erkrankungen benannt hat (Blatt 89 der Verwaltungsakte). Ebenso hat sie auf die Frage des Senats nach den Befunden und Diagnosen lediglich wiedergegeben, was der Kläger ihr geschildert hatte. Daraus kann aber - wie der medizinische Dienst der Beklagten zu Recht ausgeführt hat - nicht der Schluss einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung gezogen werden. Vielmehr unterstreichen die Angaben von Dr. M. die Feststellungen von Prof. Dr. W. und von Frau F ...
Auch aus dem Bericht von Dr. P. vom 22.07.2009 (Blatt 21 der Senatsakte) - den der Kläger aufgesucht hatte um "einen Rentenantrag durchzubekommen" - lassen sich keine Schlüsse auf ein rentenrechtlich relevant vermindertes Leistungsvermögen schließen. Insbesondere zeigt der Bericht, dass der Kläger noch einen kleinen Freundeskreis hatte und er mit seiner Lebensgefährtin und deren 16-jähriger Tochter zusammen lebt. Im Bericht vom 22.09.2010 hat Dr. P. dem Kläger eine gute bis sehr gute intellektuelle Leistungsfähigkeit, jedoch einen deutlichen Einbruch bei der Arbeitsgeschwindigkeit, bescheinigt. Dem entsprechen im Ergebnis auch die Ausführungen von Prof. Dr. W., der der Kläger berichtet hat, er habe noch ein paar Kumpels, mit denen er sich treffe (Seite 5 des Gutachtens = Blatt 36 der Senatsakte). Prof. Dr. W. hatte auch ein gutes Aufmerksamkeitsniveau und eine volle Orientierung der Klägers zu Zeit, Ort, Person und Situation dargestellt. Der Kläger selbst hat in einem Bewertungsbogen angegeben (Seite 10 des Gutachtens = Blatt 41 der Senatsakte) keine Probleme bei der Durchhaltefähigkeit zu haben, jedoch rasch aufbrausend zu reagieren, wenn ihm etwas gegen den Strich gehe. Auch hat er dort angegeben, mit der Kontaktfähigkeit zu Dritten keine Probleme zu haben und lieber nichts zu machen "als das falsche zu tun, wie zB arbeiten." Auch hat er gegenüber der Gutachterin verschiedene Freizeitaktivitäten und seinen Tagesablauf (dazu vgl Seite 5 des Gutachtens = Blatt 36 der Senatsakte) beschrieben.
Aus den Angaben der Gutachterin aber auch den Angaben des Klägers kann der Senat nur den Schluss ziehen, dass über die bereits vom SG benannten und von Prof. Dr. W. dargelegten Gesundheitsstörungen hinaus keine relevanten Erkrankungen bzw Gesundheitsstörungen bestehen, die weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau zu qualitativen oder quantitativen Leistungseinschränkungen führen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wo er angegeben hat, er habe nicht vor, bis zum Umfallen zu arbeiten, auch wenn der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg gut sei. Während seiner Berufstätigkeit habe er ungeschützt mit Lacken und Bauschaum zu tun gehabt habe und zuletzt sei bei einem Check Plaque in den Blutbahnen gefunden worden. Das Belastungs-EKG habe nach zwei Minuten - "wegen der Maschine" - abgebrochen werden müssen. Dieses Vorbringen enthält keinen substantiierten Hinweise auf rentenrelevante Erkrankungen; auch hat der Senat den allgemeinen Gesundheitszustand des Klägers durch Befragung der behandelnden Ärzte aufgeklärt. Daher kommen auch keine ernstlichen Zweifel daran auf, dass der Kläger noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Insbesondere der vom Kläger als "starkes Gerechtigkeitsempfinden" beschriebene Charakterzug, der bei Missachtung zu Aggressionen und wiederum zu Konflikten mit Vorgesetzen führt, stellt insoweit keine Erkrankung dar, die das Leistungsvermögen mindert. Dass sich der Kläger - wenn er denn die Motivation zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hätte - damit in einem Arbeitsprozess schwer tut ist für den Senat nachvollziehbar, rechtfertigt aber nicht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Es besteht weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Der Kläger ist auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Er verfügt über einen Führerschein und einen Pkw sowie einen Roller und kann so Arbeitsstellen erreichen.
Der Kläger ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transprotieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit Rentenantragstellung und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI); er hat damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da er aber am 28.06.1970 geboren wurde, wird er von § 240 SGB VI nicht mehr als grds berufsunfähigkeitsrentenberechtigte Person erfasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ggf bei Berufsunfähigkeit, zusteht.
Der am 28.06.1970 geborene Kläger erlernte von 1985 bis 1988 den Beruf eines Glasers und Fensterbauers. Anschließend war er - immer wieder unterbrochen von Phasen der Arbeitslosigkeit - in verschiedenen Berufen versicherungspflichtig beschäftigt, zB als Siebmacher, Lagerist, Fahrer, Operator, Aufzeichner in einer Polsterei sowie als Glaser und Fensterbauer. Zuletzt arbeitete er in der Schweiz. Nach seinen Angaben sei er oft schon nach kurzer Zeit wieder gekündigt worden; Anlass seien meist Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten gewesen. Nach Beendigung der Tätigkeit in der Schweiz absolvierte er einen von der Bundesagentur für Arbeit finanzierten CNC-Kurs. Im Anschluss hieran, gefolgt von einem 6-wöchigen Praktikum in Vollzeit, war er nicht mehr erwerbstätig.
Vom 02.01.1997 bis zum 14.01.1997 befand sich der Kläger auf Kosten der Beklagten in einer stationären Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in der Klinik S ... Aus dem Entlassbericht vom 14.01.1997 ist zu entnehmen, dass eine schizoide Persönlichkeitsstörung, WS-Beschwerden bei WS-Schäden durch starke Belastung sowie ein Cannabisabusus seit dem 15. Lebensjahr bestehe. Der Kläger wurde noch für in der Lage befunden, mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu verrichten.
Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger "wegen seit Jahren bestehender abnormer Tagesmüdigkeit" beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. G. vor (zum Bericht vgl Blatt 99 und 100 der Verwaltungsakten). Eine Narkolepsie konnte ausgeschlossen werden.
Am 22.09.2010 stellte sich der Kläger beim Diplom-Psychologen Dr. P. mit dem Wunsch nach Abklärung seiner aggressiven Ausbrüche vor. Dr. P. kam zu dem Schluss, es bestehe eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (Blatt 72 und 73 der Verwaltungsakte).
Die Bundesagentur für Arbeit ließ verschiedene Gutachten über den Kläger erstellen. Ua erstellte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F. am 04.11.2010 ein psychiatrisches Gutachten über den Kläger (Blatt 53 der Verwaltungsakte); sie kam zu dem Schluss, der Kläger leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit querulatorischen aber auch emotional instabilen, impulsiven Zügen. Sie hielt den Kläger für vollschichtig leistungsfähig. Während der Begutachtung teilte der Kläger mit, er sei nicht länger bereit, seine Lebenszeit für Arbeit abzugeben.
Am 17.01.2011 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersrente für Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige, was die Beklagte als Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verstand. Hierzu gab der Kläger an, sich wegen Persönlichkeitsstörungen für erwerbsgemindert zu halten. Nach Beiziehung und Bewertung ärztlicher Unterlagen, ua der zuvor genannten Gutachten und Berichte, durch den Beratungsarzt der Beklagten Dipl. med. G., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, in einer Stellungnahme vom 04.02.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 14.02.2011 ab. Dieser sei noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.03.2011 Widerspruch. Es liege kein Drogenmissbrauch, nur ein gelegentlicher Gebrauch von Drogen vor. Er habe schon genügend Arbeitsstellen ausprobiert und daher ein genaues Bild vom allgemeinen Arbeitsmarkt. In der Regel betrage die Arbeitszeit über 200 Stunden monatlich. Da er schon mit 19 Jahren Vater und somit unterhaltspflichtig geworden sei, habe er stets unter Druck und unterbezahlt gearbeitet. Dies habe nun zur Folge, dass er für den Arbeitsmarkt keine Nerven mehr habe. Auch habe er "durch Erkenntnisse und Erfahrungen eine besonders spezielle Einstellung gegenüber dem Staat und Systemen", was ihm den Umgang mit Behörden erschwere. Um Depressionen und Schlimmeres zu verhindern, meditiere er. Da auch eine negative Prognose für die Zukunft bestehe und er als nicht therapierbar gelte, sehe er keine andere Möglichkeit um ein menschenwürdiges Leben zu führen als ohne Druck (Arbeit, Behörden oä).
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2011 wies die Beklagte dann den Widerspruch zurück. Aus den Unterlagen ergäben sich die Diagnosen einer narzisstischen sowie aggressiven Persönlichkeitsstörung, eines chronischen Müdigkeitssyndroms, einer chronischen Zervikozephalgie, eines Rundrückens und einer Hypercholesterinämie. Dennoch sei der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn er könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen und ohne besonderen Zeitdruck sowie ohne Publikumsverkehr mindestens sechs Stunden verrichten.
Am 22.06.2011 hat der Kläger hiergegen beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Mit den im Widerspruchsbescheid genannten Diagnosen sei seine mangelnde Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unzureichend berücksichtigt. Bereits 1997 habe ein Reha-Bericht festgestellt, es liege eine schon 1992 diagnostizierte schizoide Persönlichkeitsstörung vor. Aufgrund seiner starken Probleme mit Vorgesetzten, Autoritätspersonen und Arbeitskollegen habe die Bundesagentur für Arbeit 2010 seine Leistungsfähigkeit überprüft. Damals habe er einen Wert der Konzentrationsleistung von vier erreicht, was einer sehr unterdurchschnittlichen Leistung und einer langsamen Arbeitsgeschwindigkeit entspreche. Von der Persönlichkeit her imponiere die Lebensunzufriedenheit, Erregbarkeit, Aggressivität und emotionale Labilität, sodass der Eindruck einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit Neigung zur Aggressivität vorliege. Auch seien cervikogene Kopfschmerzen, ein sulcus ulnaris Syndrom sowie ein Verdacht auf Migräneaura ohne Migränekopfschmerzen festgestellt worden. Die mangelnde Einsicht der Krankheit bzw der Behandlungsnotwendigkeit sei jedoch Bestandteil seines querulatorischen und konfliktorientierten Verhaltens.
Das SG hat Dr. P. und Frau F. als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 23 und 24 der SG-Akte Bezug genommen. Frau F. hat dem SG mit Schreiben vom 13.09.2011 mitgeteilt, der Kläger habe sich nur einmalig im Rahmen einer Begutachtung für die Bundesagentur für Arbeit vorgestellt, weshalb sie keine weiteren Aussagen treffen könne. Dr. P. hat dem SG am 05.10.2011 geschrieben, beim Kläger bestehe eine histrionische (narzisstische) Persönlichkeitsstörung. Die entscheidende Dimension liege in der Beziehungsgestaltung. Bei derartigen Störungen stehe die Frage nach dem Geliebt und Geachtet sein im Vordergrund. Sei dies nicht der Fall, könne es schnell zu Wut, Ärger, Aggressivität oder Verweigerung kommen.
Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. W ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 32 bis 50 der SG-Akten Bezug genommen. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Prof. Dr. W. hat in ihrem Gutachten vom 12.02.2012 einen gelegentlichen Cannabismissbrauch, Spannungskopfschmerzen, möglicherweise gemischt mit Analgetika induzierten Kopfschmerzen festgestellt. Im Übrigen liege eine akzentuierte Persönlichkeit vor, jedoch keine Persönlichkeitsstörung. Gegen eine Persönlichkeitsstörung spreche, dass der Kläger in der Lage sei, eine langjährige Partnerschaft zu führen. Auch scheine das Alltagsleben normal zu funktionieren. Hierzu trage auch bei, dass in der Untersuchung nicht der Eindruck entstanden sei, der Kläger könne nicht mehr arbeiten, sondern er wolle nicht mehr arbeiten. Prof. Dr. W. hält den Kläger für in der Lage, sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten.
Auf Einwendungen des Klägers hin hat Prof. Dr. W. ergänzend Stellung genommen (Blatt 59 bis 62 der SG-Akten). Sie hat ua ausgeführt, ein sozialer Rückzug sei nur ein Teil des Alltagslebens. Zum Alltag gehöre auch, inwiefern man in der Lage sei, sich selbst zu versorgen, die Wohnung und sich selbst sauber zu halten, den Hund zu versorgen. Hierzu sei der Kläger aber auch nach seinen eigenen Angaben in der Lage. Es sei nicht bestritten, dass die Partnerschaft des Klägers konfliktreich sei. Er sei aber in der Lage, mit negativer Stimmung und Ärger umzugehen, zB indem er die Wohnung seiner Freundin verlasse und seine eigene Wohnung aufsuche.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Erwerbsminderung liege nicht vor. Dies ergebe sich aus der Gesamtwürdigung des im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. W. nebst ergänzender Stellungnahme sowie aus dem Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F ... Im psychiatrischen Befund von Prof. Dr. W. fielen keine schwereren psychischen Symptome auf. Teilweise sei Ärger spürbar, als der Kläger über Situationen berichtet habe, in denen er sich ungerecht behandelt gefühlt habe. Andererseits habe er teilweise darüber und insbesondere über seine Reaktionen auch amüsiert gewirkt. Prof. Dr. W. habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger klar geäußert habe, nicht mehr arbeiten zu wollen. Er habe über Kraftlosigkeit geklagt, sei aber offensichtlich in der Lage, den Alltag auch mit körperlich schwereren Tätigkeiten zu bewältigen. Er habe bislang aus eigenem Antrieb keine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung angestrebt. So sei er auch nach seinen Angaben in der Lage, eine Partnerschaft zu führen, auch wenn diese seinen Angaben zufolge konfliktreich sei.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 09.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 31.07.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei schon deshalb fehlerhaft, weil es unrichtig sei, dass kein Leidensdruck bestehe. Eine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung finde zwar nicht statt, weil kein Vertrauen in die entsprechenden Fachärzte bestehe. Eine Behandlung durch die Hausärztin Dr. M. finde dagegen statt, wobei seit mindestens einem Jahr Arbeitsunfähigkeit bestehe. Eine Analgetika-Abstinenz sei auch nicht möglich, weil die Schmerztabletten dringend gegen Kopfschmerzen benötigt würden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichte Reutlingen vom 02.07.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, ggf bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung von Dr. M., die den Kläger als Hausärztin behandelt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 16 bis 28 der Senatsakte Bezug genommen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. hat mit Schreiben vom 11.09.2012 ausgeführt, der Kläger befinde sich seit 1998 in ihrer Behandlung. Er habe in dieser Zeit immer wieder über Misstrauen berichtet, insbesondere habe er kein Vertrauen zu Psychiatern und Psychotherapeuten, weshalb er keine Psychotherapie machen könne. Der Kläger sei aggressiv, unausgeglichen und könne Nähe nicht ertragen. Schon in der Lehre habe er Konflikte mit Chef und Meister gehabt, bei der Bundeswehr habe er das Gelöbnis verweigert. Der Kläger fühle sich ständig müde und unausgeglichen. Nur wenn er Ruhe und Zeit habe, stelle sich eine gewisse Ausgeglichenheit ein.
Hierzu hat der medizinische Dienst der Beklagten am 08.10.2012 Stellung genommen (Blatt 30 der Senatsakte). Das Schreiben von Dr. M. beschreibe, was der Kläger ihr berichtet habe. Dies unterscheide sich nicht von den Angaben, die der Kläger bei den Begutachtungen gemacht habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, sie ist aber unbegründet.
Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 iVm Abs 4 SGG) ist der die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 14.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2011. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Der Senat konnte sich davon überzeugen, dass der Kläger noch zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Die wesentlichen Leiden des Klägers liegen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Diese hat das SG auf Basis der Gutachten von Prof. Dr. W. und Frau F. zutreffend festgestellt. Es hat hieraus die zutreffenden Schlüsse gezogen und hat das Leistungsvermögen des Klägers zutreffend beurteilt. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Bewertung der Beweisergebnisse den Ausführungen des SG an, weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 SGG). Lediglich ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:
Auch der Berufungsvortrag und die im Berufungsverfahren eingeholte Auskunft von Dr. M. konnten keine Zweifel an der vom SG auf Grundlage der Gutachten von Frau F. und Prof. Dr. W. getroffenen Leistungseinschätzung begründen. Denn auch wenn der Kläger kein Vertrauen in eine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung hat, so führt er auch bei Dr. M. keine annähernd dem von ihm behaupteten Krankheitsbild adäquate Behandlung durch. Dr. M. konnte gerade nicht berichten, eine nervenärztlich ausgerichtete Behandlung durchzuführen; im Verwaltungsverfahren hat sie zwei bis drei jährliche Vorsprachen des Klägers - im Wesentlichen bei Kopfschmerzen und HWS-Myogelosen - angegeben (Blatt 89 der Verwaltungsakte). Auch konnte sie - trotz entsprechender Befragung - nicht einmal angeben, der Kläger leide an psychiatrischen Erkrankungen; hierauf deuten auch ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren hin, wo sie keinerlei psychiatrischen Erkrankungen benannt hat (Blatt 89 der Verwaltungsakte). Ebenso hat sie auf die Frage des Senats nach den Befunden und Diagnosen lediglich wiedergegeben, was der Kläger ihr geschildert hatte. Daraus kann aber - wie der medizinische Dienst der Beklagten zu Recht ausgeführt hat - nicht der Schluss einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung gezogen werden. Vielmehr unterstreichen die Angaben von Dr. M. die Feststellungen von Prof. Dr. W. und von Frau F ...
Auch aus dem Bericht von Dr. P. vom 22.07.2009 (Blatt 21 der Senatsakte) - den der Kläger aufgesucht hatte um "einen Rentenantrag durchzubekommen" - lassen sich keine Schlüsse auf ein rentenrechtlich relevant vermindertes Leistungsvermögen schließen. Insbesondere zeigt der Bericht, dass der Kläger noch einen kleinen Freundeskreis hatte und er mit seiner Lebensgefährtin und deren 16-jähriger Tochter zusammen lebt. Im Bericht vom 22.09.2010 hat Dr. P. dem Kläger eine gute bis sehr gute intellektuelle Leistungsfähigkeit, jedoch einen deutlichen Einbruch bei der Arbeitsgeschwindigkeit, bescheinigt. Dem entsprechen im Ergebnis auch die Ausführungen von Prof. Dr. W., der der Kläger berichtet hat, er habe noch ein paar Kumpels, mit denen er sich treffe (Seite 5 des Gutachtens = Blatt 36 der Senatsakte). Prof. Dr. W. hatte auch ein gutes Aufmerksamkeitsniveau und eine volle Orientierung der Klägers zu Zeit, Ort, Person und Situation dargestellt. Der Kläger selbst hat in einem Bewertungsbogen angegeben (Seite 10 des Gutachtens = Blatt 41 der Senatsakte) keine Probleme bei der Durchhaltefähigkeit zu haben, jedoch rasch aufbrausend zu reagieren, wenn ihm etwas gegen den Strich gehe. Auch hat er dort angegeben, mit der Kontaktfähigkeit zu Dritten keine Probleme zu haben und lieber nichts zu machen "als das falsche zu tun, wie zB arbeiten." Auch hat er gegenüber der Gutachterin verschiedene Freizeitaktivitäten und seinen Tagesablauf (dazu vgl Seite 5 des Gutachtens = Blatt 36 der Senatsakte) beschrieben.
Aus den Angaben der Gutachterin aber auch den Angaben des Klägers kann der Senat nur den Schluss ziehen, dass über die bereits vom SG benannten und von Prof. Dr. W. dargelegten Gesundheitsstörungen hinaus keine relevanten Erkrankungen bzw Gesundheitsstörungen bestehen, die weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau zu qualitativen oder quantitativen Leistungseinschränkungen führen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wo er angegeben hat, er habe nicht vor, bis zum Umfallen zu arbeiten, auch wenn der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg gut sei. Während seiner Berufstätigkeit habe er ungeschützt mit Lacken und Bauschaum zu tun gehabt habe und zuletzt sei bei einem Check Plaque in den Blutbahnen gefunden worden. Das Belastungs-EKG habe nach zwei Minuten - "wegen der Maschine" - abgebrochen werden müssen. Dieses Vorbringen enthält keinen substantiierten Hinweise auf rentenrelevante Erkrankungen; auch hat der Senat den allgemeinen Gesundheitszustand des Klägers durch Befragung der behandelnden Ärzte aufgeklärt. Daher kommen auch keine ernstlichen Zweifel daran auf, dass der Kläger noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Insbesondere der vom Kläger als "starkes Gerechtigkeitsempfinden" beschriebene Charakterzug, der bei Missachtung zu Aggressionen und wiederum zu Konflikten mit Vorgesetzen führt, stellt insoweit keine Erkrankung dar, die das Leistungsvermögen mindert. Dass sich der Kläger - wenn er denn die Motivation zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hätte - damit in einem Arbeitsprozess schwer tut ist für den Senat nachvollziehbar, rechtfertigt aber nicht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Es besteht weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Der Kläger ist auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Er verfügt über einen Führerschein und einen Pkw sowie einen Roller und kann so Arbeitsstellen erreichen.
Der Kläger ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transprotieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit Rentenantragstellung und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI); er hat damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da er aber am 28.06.1970 geboren wurde, wird er von § 240 SGB VI nicht mehr als grds berufsunfähigkeitsrentenberechtigte Person erfasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
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