L 3 SB 21/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 12 SB 560/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 21/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) streitig.

Bei dem am XXXXX 1953 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 23. Januar 2003 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 wegen Kniegelenksbeschwerden beiderseits, eines Diabetes Mellitus, einer Kopfschmerzsymptomatik und eines Bluthochdruckleidens festgestellt worden. Das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" war verneint worden. Mehrere Verschlimmerungsanträge des Klägers blieben erfolglos. Mit Antrag vom 13. Oktober 2009 machte der Kläger erneut eine erhebliche Gehbehinderung geltend. Dieser Antrag wurde nach Beiziehung und Auswertung eines Befundberichts des Orthopäden Dr. M. mit Bescheid vom 3. Februar 2010 und Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2010 abgelehnt.

Nachdem der Kläger gegen diese Entscheidung am 28. Oktober 2010 Klage erhoben hatte, stellte er am 8. November 2010 bei der Beklagten erneut einen Verschlimmerungsantrag. Den in beiden Verfahren beigezogenen Unterlagen der behandelnden Ärzte ließ sich unter anderem entnehmen, dass bei dem Kläger am 27. Oktober 2010 eine bösartige Dünndarmerkrankung operativ behandelt worden war. Mit Bescheid vom 10. März 2011 stellte daraufhin die Beklagte den GdB mit Wirkung ab 27. Oktober 2010 mit 80 unter anderem wegen einer "Dünndarmkrankheit in Heilungsbewährung" fest, lehnte aber nach wie vor das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab. Mit an das Sozialgericht gerichtetem Schriftsatz vom 8. April 2011 beschränkte der Kläger seine Klage auf Zuerkennung des Merkzeichens "G".

Das Sozialgericht hat den Kläger durch den Orthopäden Dr. N. begutachten lassen, der in seinem schriftlichen Gutachten vom 20. August 2011 und anlässlich seiner Anhörung im Termin am 28. September 2011 zu dem Ergebnis gelangt ist, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" seien bei dem Kläger eindeutig nicht gegeben. Das Sozialgericht hat die Klage auf der Grundlage dieses Ergebnisses der Begutachtung mit Urteil vom 28. September 2011 abgewiesen.

Gegen das ihm am 25. Oktober 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. November 2011 Berufung eingelegt, mit der er geltend macht, die Beurteilung des medizinischen Sachverständigen Dr. N. sei unzutreffend. Er habe nicht die Einschätzungen der behandelnden Ärzte und insbesondere nicht berücksichtigt, dass er – der Kläger – im November 2011 am rechten Kniegelenk erneut habe operiert werden müssen. Dieser Umstand belege das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G".

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. September 2011 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2010 und in der Fassung des Bescheides vom 25. März 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die Folgen der angegebenen erneuten Meniskusoperation könnten erst nach Ablauf von sechs Monaten als Behinderung berücksichtigt werden.

Das Gericht hat den Arztbrief des Ortho Centrums H. vom 3. Februar 2012 beigezogen, in welchem von einem am 14. November 2011 arthroskopisch sanierten Meniskusriss und einem am 17. November 2011 schon wieder reizlosen rechten Knie berichtet wird.

In ihrem nach Untersuchung des Klägers erstellten Gutachten vom 8. Mai 2013 berichtet die Chirurgin Dr. W. von einer erneut am 28. Februar 2013 durchgeführten Kniegelenksspiegelung rechts, in deren Folge noch eine endgradige Bewegungseinschränkung (0-0-110) mit Bewegungsschmerz, aber ohne Kniegelenkserguss verblieben sei. Das linke Knie sei frei beweglich (0-0-130), der Bandapparat klinisch stabil, ohne Reizzustand, Erguss oder Weichteilschwellung. Hochgradige Knorpelschäden ließen sich an beiden Kniegelenken nicht nachweisen. Der bereits festgestellte Teil-GdB von 20 für die Funktionsstörung der Kniegelenke bewege sich im obersten Ermessenspielraum. Dies gelte selbst dann, wenn sich die nach dem Eingriff am 28. Februar 2013 verbliebene Bewegungseinschränkung nicht zurückbilde. Hinsichtlich der Wirbelsäule hat die Sachverständige eine geringe Verspannung der Halswirbelsäule mit endgradiger Bewegungseinschränkung ohne Zeichen einer Nervenwurzelkompression sowie Verspannungen der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne wesentliche Bewegungseinschränkung, ohne klinische Zeichen einer Nervenwurzelkompression bei nachgewiesenem Bandscheibenvorfall L 3/4 ohne Spinalkanaleinengung beschrieben. Unter Betrachtung der gesamten Wirbelsäule liege allenfalls eine mittelgradige Funktionsstörung vor, die maximal mit einem GdB von 20 zu bewerten sei. Hinsichtlich der Hüftgelenke bestehe lediglich eine endgradige Einschränkung der Innenrotation, aufgrund derer kein GdB von 10 erreicht werde. Unter Berücksichtigung aller Funktionseinschränkungen, die sich auf das Gehvermögen auswirkten, sei die Vergabe des Merkzeichens "G" nicht zu begründen. Dies gelte auch unter Würdigung der jeweiligen Teil-GdB.

Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2013 hat der Kläger die Beurteilung der Sachverständigen insbesondere hinsichtlich der von ihr angenommenen Teil-GdB für die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen kritisiert und auf die Spätfolgen einer Meniskusschädigung in Form einer Arthrose hingewiesen. Im Termin am 2. Juli 2013 hat er auf Befragen angegeben, seit 20 Jahren bei der Metro im Außendienst tätig zu sein, wo er den ganzen Tag herumlaufe und Kunden akquiriere und betreue. Gegenwärtig, das heißt nach der letzten im Februar des laufenden Jahres durchgeführten Operation, sitze er allerdings im Büro, weil das operierte Knie wehtue.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 2. Jul 2013 aufgeführten Akten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen statthafte Berufung des Klägers (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Das Sozialgericht hat mit seinem angefochtenen Urteil die nach entsprechender Beschränkung mit Schriftsatz vom 8. April 2011 allein noch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Ausgehend von einem vollständig ermittelten Sachverhalt hat es unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zutreffend dargelegt, dass bei dem Kläger weder auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die wenigstens einen GdB von 50 bedingen, noch sich besonders auf die Gehfähigkeit auswirkende Behinderungen mit einem GdB von unter 50 oder entsprechend starke Beeinträchtigungen der Herzleistung und/oder Atemfunktion vorliegen. Ebenfalls zu Recht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unter einem Anfallsleiden oder einer Störung der Orientierungsfähigkeit leidet. Das Berufungsgericht schließt sich den Ausführungen des Sozialgerichts hierzu in vollem Umfang an, sieht insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt Bezug auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG). Das weitere Vorbringen des Klägers während des Berufungsverfahrens sowie die vom Gericht veranlassten ergänzenden Ermittlungen haben keine – neuen – Erkenntnisse erbracht, die den Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" stützen und zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten. Vielmehr hat der Kläger anlässlich seiner Anhörung im Termin am 2. Juli 2013 angegeben, seit 20 Jahren eine berufliche Tätigkeit auszuüben, bei der er den ganzen Tag herumlaufen müsse. Lediglich gegenwärtig, d.h. nach dem letzten operativen Eingriff im Februar 2013 müsse er im Büro sitzen, weil er Schmerzen im operierten Knie habe. Damit bestätigt er zur Überzeugung des Senats die Beurteilung des Sozialgerichts, dass zumindest bis Januar 2013 keine erhebliche Gehbehinderung vorgelegen hat. Hinsichtlich der Situation ab Februar 2013 ist zu beachten, dass im Schwerbehindertenrecht eine Funktionsbeeinträchtigung erst dann Berücksichtigung finden kann, wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate besteht, worauf bereits das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat. Davon kann bei den Folgen der im Februar 2013 erfolgten Operation zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung angesichts der überzeugenden Ausführungen in dem Gutachten der Chirurgin Dr. W., nach welchen die verbliebene Bewegungseinschränkung sich mit hoher Wahrscheinlichkeit noch bessern wird, nicht ausgegangen werden. Unabhängig davon folgt der Senat der überzeugenden, auf einer gründlichen Untersuchung und Befunderhebung basierenden Beurteilung der Sachverständigen Dr. W., wonach auch unter Einbeziehung der nach dem letzten operativen Eingriff am rechten Knie aktuell noch verbliebenen Folgen in Form einer leichten endgradigen Bewegungseinschränkung (0-0-110) angesichts der freien Beweglichkeit des linken Knies und fehlender hochgradiger Knorpelschäden beiderseits der festgestellte Teil-GdB von 20 für die Funktionsstörung der Kniegelenke sich schon im obersten Ermessensspielraum befindet. Auch unter Berücksichtigung der sich ebenfalls auf das Gehvermögen auswirkenden Funktionsbeeinträchtigungen an der Lendenwirbelsäule, die sich lediglich in Form von Verspannungen ohne wesentliche Bewegungseinschränkung darstellen, lässt sich eine das Merkzeichen "G" rechtfertigende Einschränkung des Gehvermögens daraus nicht ableiten. Dies steht im Einklang mit dem Eindruck, den das erkennende Gericht anlässlich der mündlichen Verhandlung am 2. Juli 2013 vom Gehvermögen des Klägers gewonnen hat. Sowohl zu Beginn der Verhandlung und nach deren Ende als auch nach Aufruf der Sache zur Urteilsverkündung und danach hat der Kläger jeweils schnellen Schrittes den Gerichtssaal betreten bzw. wieder verlassen. Zeichen einer Einschränkung der Gehfähigkeit in Form eines Humpelns, des Nachziehens eines Beines, einer Verminderung der Schrittlänge oder Ähnlichem vermochte der Senat in keiner Weise zu erkennen. Auch das jeweilige Setzen und Aufstehen vermochte der Kläger ohne erkennbare Schwierigkeiten durchzuführen. Insgesamt bot er nicht das Bild eines in seiner Bewegungsfähigkeit über das altersentsprechende Maß hinaus beeinträchtigten Menschen und damit keine Anhaltspunkte für das Bestehen einer erheblichen Gehbehinderung.

Mit seinem Hinweis auf die Gefahr des Entstehens einer Arthrose verkennt der Kläger, dass in der gerichtlichen Entscheidung auf den gesundheitlichen Zustand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist und deshalb eventuell in der Zukunft eintretende Verschlechterungen keine Berücksichtigung finden können. Im Falle solcher Verschlechterungen hat er jederzeit die Möglichkeit, bei der Beklagten einen neuen Antrag zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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