Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 14 SO 41/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 113/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Richter-Mediator wird gemäß § 202 SGG i. V. m. § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO als ersuchter Richter tätig und übt eine richterliche Tätigkeit im Sinne von § 4 DRiG aus.
2. Als ersuchter Richter ist der Richter-Mediator berechtigt, eine gerichtlichen Vergleich zu protokollieren, § 101 Abs. 1 SGG
2. Als ersuchter Richter ist der Richter-Mediator berechtigt, eine gerichtlichen Vergleich zu protokollieren, § 101 Abs. 1 SGG
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 15. März 2011 erledigt wurde.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs.
Die Antragstellerin beantragte am 17. Februar 2011 beim Sozialgericht Wiesbaden den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewährung höherer Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII im Rahmen eines persönlichen Budgets. Mit Beschluss vom 21. September 2011 lehnte das Sozialgericht den Antrag ab.
Hiergegen hat die Antragstellerin fristgerecht Beschwerde beim Hessischen Landessozialgericht (Az.: L 4 SO 259/11 B ER) eingelegt. Nachdem die Beteiligten übereinstimmend der Durchführung eines gerichtsinternen Mediationsverfahrens zugestimmt haben, hat der erkennende Senat auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 18. Januar 2012 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Im Mediationsverfahren (Az.: S 3 SF 8/12 RH) hat die Mediationsrichterin am 15. März 2012 folgenden Vergleich protokolliert:
"Die Medianten sind sich über Folgendes einig:
1. Die Pflege von Frau A. soll künftig sichergestellt werden von Mo bis Fr, 8 Stunden täglich durch
a) eine feste Bezugsperson des Pflegedienstes oder
b) durch eine von Frau A. selbst angestellte Pflegekraft, die keine Krankenschwester sein soll, aber mit den zu erledigenden Aufgaben verantwortlich betraut werden kann, z.B. eine Studentin/ein Student/Herrn A.
2. Für die verbleibenden Stunden des Tages übernimmt Herr A. die Pflege.
3. Für den Fall der Lösung 1.b) (Frau A. als Arbeitgeberin) werden folgende Vergütungen von der Antragsgegnerin geleistet:
a) Die Pflegekraft erhält als Arbeitnehmerbrutto 13,50 EUR pro Stunde.
b) Herr A. erhält künftig für seine Leistungen an Frau A. von Mo bis Fr 5 Stunden täglich 13,50 EUR vergütet; am Wochendende werden pro Tag 13 Stunden mit 13,50 EUR vergütet.
Zusätzlich wird von der Antragsgegnerin jeweils der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung gezahlt.
Die Leistungen der Pflegeversicherung (Pflegegeld nach der Stufe III) werden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen angerechnet.
4. Für den Fall der Lösung 1 b) sollen die Tätigkeiten der Pflegekräfte nach einem halben Jahr evaluiert werden; dafür soll die Art der täglich zu leistenden Hilfen von den Pflegekräften dokumentiert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wird auch über die Frage des sozialrechtlichen Pflegegeldes entschieden werden.
5. Die Antragsgegnerin zahlt an Herrn A. für Leistungen in der Vergangenheit einen pauschalen Betrag von 10.000 EUR; zuvor wird Herr A. der Antragsgegnerin die Budgetverwendung ab Dezember 2010 nachweisen.
6. Für die Verwaltung des Budgets soll ein Budgetassistent benannt werden.
a) Frau Rechtsanwältin B. wird sich um eine geeignete Person bemühen.
b) Die Antragsgegnerin wird für diese Person eine angemessene Vergütung zahlen.
7. Herr A. wird der Antragsgegnerin schriftlich die neue Kontonummer von Frau A. mitteilen.
8. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit L4 SO 259/11 B ER mit dieser Einigung für erledigt. Herr A. erklärt alle bis heute anhängigen Widersprüche der Frau A. bei der Antragsgegnerin für erledigt.
10. Die Beteiligten erklären sich damit einverstanden, dass das vorliegende Protokoll zum anhängigen ER-Verfahren genommen wird."
Das Ergebnisprotokoll ist dem erkennenden Senat von der Mediationsrichterin zugeleitet worden. Der erkennende Senat hat das Verfahren daraufhin von Amts wegen wieder aufgerufen (Az.: L 4 SO 76/12 B ER) und im Hinblick auf die Nr. 8 des Mediationsprotokolls als durch gerichtlichen Vergleich erledigt angesehen, entsprechendes ist den Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 2. April 2012 mitgeteilt worden.
Am 30. April 2012 hat die Antragstellerin zu Protokoll der Geschäftsstelle des Senats erklärt, sie sei mit dem im Mediationsverfahren geschlossenen Vergleich nicht einverstanden.
Die Antragstellerin trägt im Wesentlichen vor, es sei ihr drei Tage später aufgefallen, dass der Vergleich nicht haltbar sei. Er führe dazu, dass sie in ein Pflegeheim oder eine Einrichtung des Betreuten Wohnens müsse. Ein Zeitfaktor von 18 Stunden und ein Stundenlohn in Höhe von ca. 20 EUR seien angemessen, eine 24-Stunden-Betreuung und Pflege sei von Nöten, was sie im Einzelnen weiter ausführt. Die Antragsgegnerin komme ihren Verpflichtungen nicht nach. Das Verfahren sei wieder aufzunehmen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. September 2011 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten,
1. ihr ab dem 17. Februar 2011 bis zum Abschluss des Hilfeplanverfahrens die zur Sicherstellung ihrer Pflege, ihrer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und der Führung eines möglichst selbst bestimmten Lebens durch von ihr selbst beschäftigte besondere Pflegekräfte (sog. Arbeitgebermodell) erforderlichen Leistungen der Hilfe zur Pflege, ergänzenden Hilfe zur Pflege gem. §§ 19 Abs. 3 SGB XII i. V. m. § 61 Abs. 1 SGB XII § 65 Abs. 1 S. 2 SGB XII und Eingliederungshilfe gern § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i. V. m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX abzüglich eines Betrages i. H. d. Pflegegeldes der Pflegekasse gem. § 66 Abs. 4 Satz 2 SGB XII, zuzüglich der angemessenen Kosten für die Lohnabrechnung für die im Arbeitgebermodell beschäftigten Pflegekräfte zu bewilligen,
2. ihr Leistungen für eine psychosoziale Betreuung/Budgetassistenz durch eine anerkannte Fachkraft im Umfang von 2 Stunden/Woche zu bewilligen,
3. ihr die Kosten der in der Zeit der Krankheit der Hauptpflegekraft durch den ambulanten Pflegedienst C. während des vorliegenden Verfahrens in der Zeit vom 2. Mai 2011 bis zum 17. Mai 2011 in einem Umfang von 3 Stunden täglich erbrachten Assistenzleistungen (Eingliederungshüfe gem. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX) zu erstatten, soweit diese über den auf diesen Zeitraum anteilig entfallenden Betrag für Leistungen für das Arbeitgebermodell hinausgehen,
hilfsweise,
1. ihr ab dem 17. Februar 2011 bis zum Abschluss des Hilfeplanverfahrens monatliche Leistungen der Eingliederungshilfe gem. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX i.H.v. 1685,90 Euro zu bewilligen,
2. ihr Leistungen für eine psychosoziale Betreuung/Budgetassistenz durch eine anerkannte Fachkraft im Umfang von 2 Stunden/Woche zu bewilligen,
3. ihr die Kosten der in der Zeit der Krankheit der Hauptpflegekraft durch den ambulanten Pflegedienst C. während des vorliegenden Verfahrens in der Zeit vom 2. Mai 2011 bis zum 17. Mai 2011 in einem Umfang von 3 Stunden täglich erbrachten Assistenzleistungen (Eingliederungshilfe gem. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII LV.m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX) zu erstatten, soweit diese durch den auf diesen Zeitraum anteilig entfallenden Betrag des ausgezahlten Budgets für Leistungen der Eingliederungshilfe i.H.v. 945,- Euro nicht gedeckt waren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner führt aus, dass sämtliche von der Antragstellerin vorgetragenen Punkte nicht geeignet seien, die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des getroffenen Vergleichs herbeizuführen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Sachantrag der Antragstellerin ist unzulässig. Der Senat kann eine Sachentscheidung nicht mehr treffen, da das Beschwerdeverfahren aufgrund des im Mediationsverfahren geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vom 15. März 2012 seine Erledigung gefunden hat.
Zunächst handelt es sich bei der im gerichtsinternen Mediationsverfahren protokollierten Vereinbarung um einen gerichtlichen Vergleich gemäß § 101 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach können die Beteiligten, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können, zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters eine Vergleich schließen, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen.
Die Mediationsvereinbarung ist zur Niederschrift der nach Nr. 10 der Ergänzenden Regelungen zum Geschäftsverteilungsplan des Hessischen Landessozialgerichts zuständigen Richter-Mediatorin von den Beteiligten geschlossen worden und erledigte nach Nr. 8 der Vereinbarung das einstweilige Rechtsschutzverfahren insgesamt. Die Mediationsrichterin war als ersuchte Richterin im Sinne §§ 101 Abs. 1, 202 SGG i. V. m. § 278 Abs. 5 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) darüber hinaus nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 101 Abs. 1 SGG auch berechtigt, den Vergleich zu protokollieren (§ 122 SGG i. V. m. § 159 Abs. 2, § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO; vgl. hierzu auch Greger in: Zöller ZPO, 29. Auflage 2012, § 278 Rdnr. 27).
Die sogenannte gerichtsinterne Mediation durch einen Richter-Mediator während eines anhängigen Gerichtsverfahrens, wobei der Mediator nicht dem Spruchköper angehört, bei dem das Verfahren anhängig ist, ist bislang nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt (vgl. nunmehr den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, BT-Drs. 17/5335; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012 § 202 RdNr. 5ff). Die Durchführung einer gerichtsinternen Mediation durch einen nicht zur Entscheidung befugten Richter auf Ersuchen des für den Rechtsstreit zuständigen gesetzlichen Richters begegnet gleichwohl keinen rechtlichen Bedenken, wenn – wie hier – mit dem Einverständnis der Beteiligten eine Güteverhandlung nach den Regeln der Mediation in einem strukturierten, selbstbestimmten, interessenorentierten Verfahren durchgeführt wird (Greger, a.a.O. Rdnr. 33 m. w. N.). Der ersuchte Richter unterstützt dabei das erkennende Gericht bei seiner Aufgabe, auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken und übt dabei eine Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt i. S. v. § 4 DRiG aus (näher hierzu Greger, a.a.O. Rdnr. 34; vgl. auch ausführlich Brändle/Schreiber, Betrifft JUSTIZ 2008, 351, 353f m. w. N., i. E. ebenso VG Stuttgart, Beschluss vom 21. September 2011, Az. 5 K 2044/10, zitiert juris RdNr. 14). Da das SGG keine von der ZPO abweichenden Vorgaben über die Tätigkeit des ersuchten Richters macht und keine grundsätzlichen Unterschiede über die Rolle des ersuchten Richters zwischen ZPO und SGG bestehen, findet trotz des Fehlens einer förmlichen Güteverhandlung auch in der Sozialgerichtsbarkeit § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO über § 202 SGG Anwendung. Es kommt bei der Frage der Analogiefähigkeit des § 278 ZPO nicht darauf an, ob die in § 278 ZPO zur Beschleunigung des Verfahrens vorgesehenen Instrumente insgesamt dem sozialgerichtlichen Verfahren entsprechen oder ob das SGG eine Güteverhandlung nicht kennt, sondern ob der Regelungsgehalt der einzelnen Rechtssätze des § 278 ZPO – hier: die Regelung über die Tätigkeit des ersuchten Richters zum Zwecke der "gütlichen" Erledigung des Rechtsstreits – in das System des SGG zu integrieren sind (Deppermann-Wöbbeking/Dreiseitel/Schreiber, Gerichtsinterne Mediation in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit, Projektabschlussbericht, S. 11, ebenso Brändle/Schreiber, Betrifft JUSTIZ 2008, 351, 354 jeweils m. w. N., i. E. ebenso für das verwaltungsgerichtliche Verfahren VG Stuttgart, Beschluss vom 21. September 2011, Az. 5 K 2044/10, zitiert juris Rdnr. 14, das allerdings von einer Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO für die Generalklausel des § 173 VwGO ausgeht und die Anwendbarkeit des § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO über § 173 Satz 1 GVG bejaht).
Der am 15. März 2012 zur Niederschrift der Mediationsrichterin geschlossene Vergleich ist weiterhin sowohl materiell als auch prozessual wirksam.
Das SGG enthält keine Definition des Vergleichs, insbesondere bestimmt auch § 101 Abs. 1 SGG, den Begriff des Vergleichs nicht. Das SGG setzt den Vergleich vielmehr als bekannt voraus. Eine Definition findet sich in § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und in § 54 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Der gerichtliche Vergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur. Er ist sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gilt (§ 779 BGB und § 54 SGB X sind entsprechend anwendbar, siehe BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 – 10 RKg 16/88, juris Rdnrn. 19 und 23; BSG SozR 1500 § 101 Nr. 8), als auch Prozesshandlung der Beteiligten (Prozessvertrag), die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit sich nach Grundsätzen des Prozessrechts richtet (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, Rdnr. 3 zu § 101 m.w.N.).
Zunächst sind materiell-rechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs sind nicht ersichtlich. Die Beteiligten haben einen Vergleichsvertrag i. S. der §§ 54 SGB X, 779 BGB geschlossen, denn es liegen zwei sich in der Sache deckende Erklärungen der Beteiligten mit dem nach den bezeichneten Vorschriften notwendigen Inhalt vor. Das Mediationsprotokoll vom 15. März 2012 erbringt als öffentliche Urkunde den vollen Beweis dafür, dass der Vergleich mit dem dort niedergelegten Inhalt zwischen den Beteiligten abgeschlossen worden ist, § 415 Abs. 1 ZPO, wobei die Antragstellerin darüber hinaus den Abschluss des Vergleichs selbst auch bestätigt.
Es lag auch ein gegenseitiges Nachgeben i. S. der §§ 54 SGB X, 779 BGB vor. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich das Nachgeben auf den mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (zuletzt noch) verfolgten materiellen Anspruch bezieht. Vielmehr genügt jedes prozessuale Nachgeben. Da ein Beteiligter schon durch einen Verzicht auf ein Urteil prozessual nachgibt (BSG SozR 1500 § 101 Nr. 8), liegt schon durch den Verzicht auf die streitige Entscheidung ein Vergleich vor.
Der (materiell-rechtliche) Vergleichsvertrag ist auch nicht nachträglich durch eine Anfechtung unwirksam geworden. Selbst wenn man die Erklärung der Antragstellerin vom 30. April 2012 als Anfechtung der von ihr abgegebenen Zustimmung zum Vergleich auslegen würde, liegt ein Anfechtungsgrund gemäß § 119 bzw. § 123 BGB nicht vor. Denn weder ist vorgetragen oder ersichtlich, dass die im Mediationstermin anwaltlich vertretene Antragstellerin zur Abgabe ihrer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden ist (§ 123 Abs. 1 BGB), noch macht die Antragstellerin einen Erklärungsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 BGB geltend. Indem die Antragstellerin vorträgt, der Vergleich führe sie dahin, dass sie nunmehr in eine Einrichtung des Betreuten Wohnens bzw. in ein Pflegeheim müsse, macht sie einen Rechtsfolgenirrtum geltend, der indessen nur zur Anfechtung berechtigt, wenn der erstrebte rechtliche Erfolg unmittelbar Gegenstand der Willenserklärung ist und wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt (Franzen in jurisPK-BGB, Stand. 1.10.2010, § 119 Rdnr. 18 f). Beides ist indessen nicht der Fall, denn die von der Antragstellerin befürchtete Rechtsfolge (Aufnahme in Betreutes Wohnen bzw. in ein Pflegeheim) ist nicht an den Vergleich geknüpft. Soweit die Antragstellerin im Kern nunmehr ein – über den Vergleichsinhalt hinausgehendes – für sie noch günstigeres Ergebnis anstrebt, berechtigt dies nicht zur Anfechtung ihrer Willenserklärung vom 15. März 2012.
Diese Erklärung kann auch nicht als wirksamer Widerruf angesehen werden. Denn der von den Beteiligten geschlossene Vergleich enthält keinen Widerrufsvorbehalt, so dass der Widerruf rechtlich ausgeschlossen ist.
An der Wirksamkeit des Vergleichs bestehen auch unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten keine Zweifel. Auf Prozesshandlungen – wie die Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleich – finden die Anfechtungsgründe des BGB keine Anwendung finden (BSG SozR 1500 § 102 Nr. 2; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., vor § 60 Rdnr. 12, 12a m. w. N.). Hierfür müsste ein Sachverhalt vorliegen, der eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 179, 180 SGG i. V. m. § 578 ff. ZPO durch Restitutionsklage rechtfertigen würde. Diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs.
Die Antragstellerin beantragte am 17. Februar 2011 beim Sozialgericht Wiesbaden den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewährung höherer Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII im Rahmen eines persönlichen Budgets. Mit Beschluss vom 21. September 2011 lehnte das Sozialgericht den Antrag ab.
Hiergegen hat die Antragstellerin fristgerecht Beschwerde beim Hessischen Landessozialgericht (Az.: L 4 SO 259/11 B ER) eingelegt. Nachdem die Beteiligten übereinstimmend der Durchführung eines gerichtsinternen Mediationsverfahrens zugestimmt haben, hat der erkennende Senat auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 18. Januar 2012 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Im Mediationsverfahren (Az.: S 3 SF 8/12 RH) hat die Mediationsrichterin am 15. März 2012 folgenden Vergleich protokolliert:
"Die Medianten sind sich über Folgendes einig:
1. Die Pflege von Frau A. soll künftig sichergestellt werden von Mo bis Fr, 8 Stunden täglich durch
a) eine feste Bezugsperson des Pflegedienstes oder
b) durch eine von Frau A. selbst angestellte Pflegekraft, die keine Krankenschwester sein soll, aber mit den zu erledigenden Aufgaben verantwortlich betraut werden kann, z.B. eine Studentin/ein Student/Herrn A.
2. Für die verbleibenden Stunden des Tages übernimmt Herr A. die Pflege.
3. Für den Fall der Lösung 1.b) (Frau A. als Arbeitgeberin) werden folgende Vergütungen von der Antragsgegnerin geleistet:
a) Die Pflegekraft erhält als Arbeitnehmerbrutto 13,50 EUR pro Stunde.
b) Herr A. erhält künftig für seine Leistungen an Frau A. von Mo bis Fr 5 Stunden täglich 13,50 EUR vergütet; am Wochendende werden pro Tag 13 Stunden mit 13,50 EUR vergütet.
Zusätzlich wird von der Antragsgegnerin jeweils der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung gezahlt.
Die Leistungen der Pflegeversicherung (Pflegegeld nach der Stufe III) werden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen angerechnet.
4. Für den Fall der Lösung 1 b) sollen die Tätigkeiten der Pflegekräfte nach einem halben Jahr evaluiert werden; dafür soll die Art der täglich zu leistenden Hilfen von den Pflegekräften dokumentiert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wird auch über die Frage des sozialrechtlichen Pflegegeldes entschieden werden.
5. Die Antragsgegnerin zahlt an Herrn A. für Leistungen in der Vergangenheit einen pauschalen Betrag von 10.000 EUR; zuvor wird Herr A. der Antragsgegnerin die Budgetverwendung ab Dezember 2010 nachweisen.
6. Für die Verwaltung des Budgets soll ein Budgetassistent benannt werden.
a) Frau Rechtsanwältin B. wird sich um eine geeignete Person bemühen.
b) Die Antragsgegnerin wird für diese Person eine angemessene Vergütung zahlen.
7. Herr A. wird der Antragsgegnerin schriftlich die neue Kontonummer von Frau A. mitteilen.
8. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit L4 SO 259/11 B ER mit dieser Einigung für erledigt. Herr A. erklärt alle bis heute anhängigen Widersprüche der Frau A. bei der Antragsgegnerin für erledigt.
10. Die Beteiligten erklären sich damit einverstanden, dass das vorliegende Protokoll zum anhängigen ER-Verfahren genommen wird."
Das Ergebnisprotokoll ist dem erkennenden Senat von der Mediationsrichterin zugeleitet worden. Der erkennende Senat hat das Verfahren daraufhin von Amts wegen wieder aufgerufen (Az.: L 4 SO 76/12 B ER) und im Hinblick auf die Nr. 8 des Mediationsprotokolls als durch gerichtlichen Vergleich erledigt angesehen, entsprechendes ist den Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 2. April 2012 mitgeteilt worden.
Am 30. April 2012 hat die Antragstellerin zu Protokoll der Geschäftsstelle des Senats erklärt, sie sei mit dem im Mediationsverfahren geschlossenen Vergleich nicht einverstanden.
Die Antragstellerin trägt im Wesentlichen vor, es sei ihr drei Tage später aufgefallen, dass der Vergleich nicht haltbar sei. Er führe dazu, dass sie in ein Pflegeheim oder eine Einrichtung des Betreuten Wohnens müsse. Ein Zeitfaktor von 18 Stunden und ein Stundenlohn in Höhe von ca. 20 EUR seien angemessen, eine 24-Stunden-Betreuung und Pflege sei von Nöten, was sie im Einzelnen weiter ausführt. Die Antragsgegnerin komme ihren Verpflichtungen nicht nach. Das Verfahren sei wieder aufzunehmen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. September 2011 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten,
1. ihr ab dem 17. Februar 2011 bis zum Abschluss des Hilfeplanverfahrens die zur Sicherstellung ihrer Pflege, ihrer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und der Führung eines möglichst selbst bestimmten Lebens durch von ihr selbst beschäftigte besondere Pflegekräfte (sog. Arbeitgebermodell) erforderlichen Leistungen der Hilfe zur Pflege, ergänzenden Hilfe zur Pflege gem. §§ 19 Abs. 3 SGB XII i. V. m. § 61 Abs. 1 SGB XII § 65 Abs. 1 S. 2 SGB XII und Eingliederungshilfe gern § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i. V. m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX abzüglich eines Betrages i. H. d. Pflegegeldes der Pflegekasse gem. § 66 Abs. 4 Satz 2 SGB XII, zuzüglich der angemessenen Kosten für die Lohnabrechnung für die im Arbeitgebermodell beschäftigten Pflegekräfte zu bewilligen,
2. ihr Leistungen für eine psychosoziale Betreuung/Budgetassistenz durch eine anerkannte Fachkraft im Umfang von 2 Stunden/Woche zu bewilligen,
3. ihr die Kosten der in der Zeit der Krankheit der Hauptpflegekraft durch den ambulanten Pflegedienst C. während des vorliegenden Verfahrens in der Zeit vom 2. Mai 2011 bis zum 17. Mai 2011 in einem Umfang von 3 Stunden täglich erbrachten Assistenzleistungen (Eingliederungshüfe gem. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX) zu erstatten, soweit diese über den auf diesen Zeitraum anteilig entfallenden Betrag für Leistungen für das Arbeitgebermodell hinausgehen,
hilfsweise,
1. ihr ab dem 17. Februar 2011 bis zum Abschluss des Hilfeplanverfahrens monatliche Leistungen der Eingliederungshilfe gem. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX i.H.v. 1685,90 Euro zu bewilligen,
2. ihr Leistungen für eine psychosoziale Betreuung/Budgetassistenz durch eine anerkannte Fachkraft im Umfang von 2 Stunden/Woche zu bewilligen,
3. ihr die Kosten der in der Zeit der Krankheit der Hauptpflegekraft durch den ambulanten Pflegedienst C. während des vorliegenden Verfahrens in der Zeit vom 2. Mai 2011 bis zum 17. Mai 2011 in einem Umfang von 3 Stunden täglich erbrachten Assistenzleistungen (Eingliederungshilfe gem. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII LV.m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; 55 Nr. 7 SGB IX) zu erstatten, soweit diese durch den auf diesen Zeitraum anteilig entfallenden Betrag des ausgezahlten Budgets für Leistungen der Eingliederungshilfe i.H.v. 945,- Euro nicht gedeckt waren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner führt aus, dass sämtliche von der Antragstellerin vorgetragenen Punkte nicht geeignet seien, die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des getroffenen Vergleichs herbeizuführen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Sachantrag der Antragstellerin ist unzulässig. Der Senat kann eine Sachentscheidung nicht mehr treffen, da das Beschwerdeverfahren aufgrund des im Mediationsverfahren geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vom 15. März 2012 seine Erledigung gefunden hat.
Zunächst handelt es sich bei der im gerichtsinternen Mediationsverfahren protokollierten Vereinbarung um einen gerichtlichen Vergleich gemäß § 101 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach können die Beteiligten, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können, zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters eine Vergleich schließen, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen.
Die Mediationsvereinbarung ist zur Niederschrift der nach Nr. 10 der Ergänzenden Regelungen zum Geschäftsverteilungsplan des Hessischen Landessozialgerichts zuständigen Richter-Mediatorin von den Beteiligten geschlossen worden und erledigte nach Nr. 8 der Vereinbarung das einstweilige Rechtsschutzverfahren insgesamt. Die Mediationsrichterin war als ersuchte Richterin im Sinne §§ 101 Abs. 1, 202 SGG i. V. m. § 278 Abs. 5 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) darüber hinaus nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 101 Abs. 1 SGG auch berechtigt, den Vergleich zu protokollieren (§ 122 SGG i. V. m. § 159 Abs. 2, § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO; vgl. hierzu auch Greger in: Zöller ZPO, 29. Auflage 2012, § 278 Rdnr. 27).
Die sogenannte gerichtsinterne Mediation durch einen Richter-Mediator während eines anhängigen Gerichtsverfahrens, wobei der Mediator nicht dem Spruchköper angehört, bei dem das Verfahren anhängig ist, ist bislang nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt (vgl. nunmehr den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, BT-Drs. 17/5335; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012 § 202 RdNr. 5ff). Die Durchführung einer gerichtsinternen Mediation durch einen nicht zur Entscheidung befugten Richter auf Ersuchen des für den Rechtsstreit zuständigen gesetzlichen Richters begegnet gleichwohl keinen rechtlichen Bedenken, wenn – wie hier – mit dem Einverständnis der Beteiligten eine Güteverhandlung nach den Regeln der Mediation in einem strukturierten, selbstbestimmten, interessenorentierten Verfahren durchgeführt wird (Greger, a.a.O. Rdnr. 33 m. w. N.). Der ersuchte Richter unterstützt dabei das erkennende Gericht bei seiner Aufgabe, auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken und übt dabei eine Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt i. S. v. § 4 DRiG aus (näher hierzu Greger, a.a.O. Rdnr. 34; vgl. auch ausführlich Brändle/Schreiber, Betrifft JUSTIZ 2008, 351, 353f m. w. N., i. E. ebenso VG Stuttgart, Beschluss vom 21. September 2011, Az. 5 K 2044/10, zitiert juris RdNr. 14). Da das SGG keine von der ZPO abweichenden Vorgaben über die Tätigkeit des ersuchten Richters macht und keine grundsätzlichen Unterschiede über die Rolle des ersuchten Richters zwischen ZPO und SGG bestehen, findet trotz des Fehlens einer förmlichen Güteverhandlung auch in der Sozialgerichtsbarkeit § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO über § 202 SGG Anwendung. Es kommt bei der Frage der Analogiefähigkeit des § 278 ZPO nicht darauf an, ob die in § 278 ZPO zur Beschleunigung des Verfahrens vorgesehenen Instrumente insgesamt dem sozialgerichtlichen Verfahren entsprechen oder ob das SGG eine Güteverhandlung nicht kennt, sondern ob der Regelungsgehalt der einzelnen Rechtssätze des § 278 ZPO – hier: die Regelung über die Tätigkeit des ersuchten Richters zum Zwecke der "gütlichen" Erledigung des Rechtsstreits – in das System des SGG zu integrieren sind (Deppermann-Wöbbeking/Dreiseitel/Schreiber, Gerichtsinterne Mediation in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit, Projektabschlussbericht, S. 11, ebenso Brändle/Schreiber, Betrifft JUSTIZ 2008, 351, 354 jeweils m. w. N., i. E. ebenso für das verwaltungsgerichtliche Verfahren VG Stuttgart, Beschluss vom 21. September 2011, Az. 5 K 2044/10, zitiert juris Rdnr. 14, das allerdings von einer Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO für die Generalklausel des § 173 VwGO ausgeht und die Anwendbarkeit des § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO über § 173 Satz 1 GVG bejaht).
Der am 15. März 2012 zur Niederschrift der Mediationsrichterin geschlossene Vergleich ist weiterhin sowohl materiell als auch prozessual wirksam.
Das SGG enthält keine Definition des Vergleichs, insbesondere bestimmt auch § 101 Abs. 1 SGG, den Begriff des Vergleichs nicht. Das SGG setzt den Vergleich vielmehr als bekannt voraus. Eine Definition findet sich in § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und in § 54 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Der gerichtliche Vergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur. Er ist sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gilt (§ 779 BGB und § 54 SGB X sind entsprechend anwendbar, siehe BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 – 10 RKg 16/88, juris Rdnrn. 19 und 23; BSG SozR 1500 § 101 Nr. 8), als auch Prozesshandlung der Beteiligten (Prozessvertrag), die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit sich nach Grundsätzen des Prozessrechts richtet (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, Rdnr. 3 zu § 101 m.w.N.).
Zunächst sind materiell-rechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs sind nicht ersichtlich. Die Beteiligten haben einen Vergleichsvertrag i. S. der §§ 54 SGB X, 779 BGB geschlossen, denn es liegen zwei sich in der Sache deckende Erklärungen der Beteiligten mit dem nach den bezeichneten Vorschriften notwendigen Inhalt vor. Das Mediationsprotokoll vom 15. März 2012 erbringt als öffentliche Urkunde den vollen Beweis dafür, dass der Vergleich mit dem dort niedergelegten Inhalt zwischen den Beteiligten abgeschlossen worden ist, § 415 Abs. 1 ZPO, wobei die Antragstellerin darüber hinaus den Abschluss des Vergleichs selbst auch bestätigt.
Es lag auch ein gegenseitiges Nachgeben i. S. der §§ 54 SGB X, 779 BGB vor. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich das Nachgeben auf den mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (zuletzt noch) verfolgten materiellen Anspruch bezieht. Vielmehr genügt jedes prozessuale Nachgeben. Da ein Beteiligter schon durch einen Verzicht auf ein Urteil prozessual nachgibt (BSG SozR 1500 § 101 Nr. 8), liegt schon durch den Verzicht auf die streitige Entscheidung ein Vergleich vor.
Der (materiell-rechtliche) Vergleichsvertrag ist auch nicht nachträglich durch eine Anfechtung unwirksam geworden. Selbst wenn man die Erklärung der Antragstellerin vom 30. April 2012 als Anfechtung der von ihr abgegebenen Zustimmung zum Vergleich auslegen würde, liegt ein Anfechtungsgrund gemäß § 119 bzw. § 123 BGB nicht vor. Denn weder ist vorgetragen oder ersichtlich, dass die im Mediationstermin anwaltlich vertretene Antragstellerin zur Abgabe ihrer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden ist (§ 123 Abs. 1 BGB), noch macht die Antragstellerin einen Erklärungsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 BGB geltend. Indem die Antragstellerin vorträgt, der Vergleich führe sie dahin, dass sie nunmehr in eine Einrichtung des Betreuten Wohnens bzw. in ein Pflegeheim müsse, macht sie einen Rechtsfolgenirrtum geltend, der indessen nur zur Anfechtung berechtigt, wenn der erstrebte rechtliche Erfolg unmittelbar Gegenstand der Willenserklärung ist und wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt (Franzen in jurisPK-BGB, Stand. 1.10.2010, § 119 Rdnr. 18 f). Beides ist indessen nicht der Fall, denn die von der Antragstellerin befürchtete Rechtsfolge (Aufnahme in Betreutes Wohnen bzw. in ein Pflegeheim) ist nicht an den Vergleich geknüpft. Soweit die Antragstellerin im Kern nunmehr ein – über den Vergleichsinhalt hinausgehendes – für sie noch günstigeres Ergebnis anstrebt, berechtigt dies nicht zur Anfechtung ihrer Willenserklärung vom 15. März 2012.
Diese Erklärung kann auch nicht als wirksamer Widerruf angesehen werden. Denn der von den Beteiligten geschlossene Vergleich enthält keinen Widerrufsvorbehalt, so dass der Widerruf rechtlich ausgeschlossen ist.
An der Wirksamkeit des Vergleichs bestehen auch unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten keine Zweifel. Auf Prozesshandlungen – wie die Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleich – finden die Anfechtungsgründe des BGB keine Anwendung finden (BSG SozR 1500 § 102 Nr. 2; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., vor § 60 Rdnr. 12, 12a m. w. N.). Hierfür müsste ein Sachverhalt vorliegen, der eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 179, 180 SGG i. V. m. § 578 ff. ZPO durch Restitutionsklage rechtfertigen würde. Diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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