L 15 SB 26/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 SB 279/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 26/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für den Anspruch auf Merkzeichen RF ist es erforderlich, dass der Behinderte wegen seines Leidens allgemein und umfassend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist, d.h. behinderungsbedingt nur noch an einem nicht nennenswerten Anteil der Gesamtheit öffentlicher Veranstaltungen teilnehmen kann.
2. Bei der Beurteilung, ob das Merkzeichen RF zusteht, kann eine potentielle, in der Zukunft liegende Verschlechterung des Gesundheitszustandes keine Berücksichtigung finden. Der GdB genauso wie die verschiedenen Merkzeichen spiegeln die festgestellten (bestehenden) gesundheitlichen Verhältnisse wider, stellen aber keine Vorwegnahme zukünftiger Zustände dar.
3. Das Urteil des BSG vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R, mit dem bei Vorliegen einer akuten Gefahr einer erheblichen Verschlimmerung eines progredienten Leidens das Merkzeichen Ag prophylaktisch zugesprochen worden ist, ist als singuläre Entscheidung und wegen fehlender Übertragbarkeit der Argumentation auf das Merkzeichen RF ohne Relevanz, zumal das BSG selbst wiederholt eine enge Auslegung beim Merkzeichen RF gefordert hat.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist, ob dem Kläger das Merkzeichen RF (bis 31.12.2012 Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, danach gemäß § 4 Abs. 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag [GVBl. 2011, S. 258] Ermäßigung auf ein Drittel) zusteht.

Erstmals war bei dem 1930 geborenen Kläger mit Bescheid vom 25.08.1981 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt worden, zuletzt mit Bescheid vom 03.06.2004 u.a. wegen eines Prostatakarzinoms ein GdB von 80. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen waren zu keinem Zeitpunkt festgestellt worden.

Am 25.04.2008 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G, B und RF. Seine Herz-Kreislaufschwäche und der Wirbelsäulenschaden, so der Kläger, hätten sich verschlechtert. Er könne keine größeren Strecken gehen und keine Veranstaltungen mit großen Menschenansammlungen besuchen.

Im Entlassbericht des Zentralklinikums D-Stadt über eine Anfang 2008 durchgeführte dreiwöchige stationäre Behandlung wurde u.a. die Nebendiagnose von psychogenen Synkopen aufgeführt. Der Hausarzt des Klägers berichtete neben einer Gehbehinderung des Klägers, die aber nicht die Notwendigkeit von Gehhilfen oder Rollstuhl begründe, über rezidivierende Synkopen, nach Angabe des Klägers insbesondere bei psychischer Belastung und Personenansammlungen. Die Synkopen, die in der Praxis aufgetreten seien, seien immer psychogen bedingt gewesen. Zu Krampfzuständen oder einer Erschlaffung der Muskulatur sei es dabei nicht gekommen. Die Anfälle würden auch im Stehen auftreten, ohne dass der Kläger dabei stürze. Aufgrund dieser Zustände könne der Kläger seiner Ansicht nach an keiner öffentlichen Veranstaltung teilnehmen. Der urologische Befund war nach Angaben des behandelnden Arztes völlig unauffällig.

Eine versorgungsärztliche Auswertung der Unterlagen ergab einen GdB von 60. Nachdem der Kläger mit Schreiben des Beklagten vom 06.10.2008 zur beabsichtigten Herabsetzung wegen Eintritts der Heilungsbewährung angehört worden war, wies er mit Schreiben vom 25.10.2008 auf seine Prostataerkrankung, den labilen Kreislauf, die psychogenen Synkopen und eine durch die Bestrahlung erfolgte Schädigung von Darm und Blase hin. Er müsse in einer Stunde fünfmal auf das WC, wofür ihm nur ein bis zwei Minuten verbleiben würden. Weder Darm noch Blase könne er kontrollieren. Dazu komme noch ein labiler Kreislauf, so dass er das Haus nicht verlassen dürfe. Ihm stünden das Merkzeichen RF und ein GdB von 80 zu.

Mit Bescheid vom 23.12.2008 lehnte der Beklagte die Aufhebung des Bescheids vom 03.06.2004 und eine Neufeststellung ab, da sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung nicht ergeben habe. Es verbleibe bei einem GdB von 80, wobei die Gesundheitsstörungen wie folgt bezeichnet wurden:
1. Seelische Störung mit Somatisierung (Einzel-GdB 40)
2. Degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit Fehlstatik und Osteoporose, Hüftarthrose beidseits, Meniskopathie und Retropallararthrose des rechten Knies, Funktionsbehinderung des Sprunggelenks links (Einzel-GdB 30)
3. Kreissägenverletzung Hand links mit Verlust Finger D5, Strecksehnendurchtrennung D2 und D3, Funktionsbehinderung des linken Arms nach Oberarmbruch, Carpaltunnelsyndrom rechts (Einzel-GdB 30)
4. Chronische Bronchitis (Einzel-GdB 20)
5. Neurogene Blasenentleerungsstörungen nach Erkrankung der Prostata (heilungsbewährt) (Einzel-GdB 20)
6. Kompensierte Niereninsuffizienz (Einzel-GdB 20)
7. Chronische Refluxerkrankung, Divertikulose (Einzel-GdB 10)
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der beantragten Merkzeichen G, B und RF lägen nicht vor.

Auf den vom Kläger erhobenen Widerspruch wurde nach Auswertung weiterer Unterlagen ein GdB von 100 ohne Merkzeichen festgestellt, wobei die Erhöhung auf einer Anhebung des Einzel-GdB für die seelische Störung mit Somatisierung von 40 auf 60 beruht (Teilabhilfebescheid vom 10.03.2009). Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 17.03.2009).

Am 26.03.2009 beantragte der Kläger die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF.

Mit Bescheid vom 02.04.2009 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und wies auf seinen labilen Kreislauf hin; vor kurzem sei er wieder dreimal bewusstlos in einer Straße gestanden. Er gab weiter an, dass er psychogene Synkopen habe und der Kreislauf in Bruchteilen von Sekunden immer wieder abschalte - und das acht- bis 12-mal am Tag, im Jahr 2009 schon 500-mal. Als er im Rathaus gewesen sei, sei er im Rathaus achtmal, auf der Hauptstraße 20-mal und auf einer weiteren Straße 30-mal bewusstlos gestanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2009 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Am 17.06.2009 hat der Kläger zur Niederschrift des Sozialgerichts Augsburg Klage erhoben. Ihm stehe das Merkzeichen RF zu. Er hat ein Einsatzprotokoll des Rettungsdienstes vorlegt, wonach er im Supermarkt erneut kurzzeitige Synkopen erlitten habe; nach Angaben des Klägers - so das Protokoll - würden derartige Synkopen achtmal täglich geschehen; eine klinische Abklärung sei nicht notwendig. Nach der Klageerhebung zu Protokoll des Gerichts hat der Kläger noch am selben Tag dem Sozialgericht geschrieben, dass er dort siebenmal bewusstlos gewesen sei. Seit einem Unfall im Jahr 1972 sei er behindert, habe große Probleme mit dem Kreislauf und psychogene Synkopen. Er sei in Bruchteilen von Sekunden bewusstlos und dies neun- bis 12-mal am Tag. Im April und Mai sei er 225-mal, im Mai 89-mal, vom 1. bis 7. Juni 35-mal und am 14. Juni 11-mal bewusstlos gewesen.

Unter dem Datum 13.10.2009 hat Dr. C. im Auftrag des Gerichts ein nervenärztliches Gutachten erstellt. Bei der Begutachtung - so die Sachverständige - habe der Kläger mehrfach ein deutlich theatralisches Verhalten gezeigt und im Stehen Synkopen demonstriert, wobei er nicht umgestürzt und ansprechbar gewesen sei. Sie ist zu der Einschätzung gekommen, dass der Kläger nicht von den üblichen öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt ausgeschlossen sei. Es bestehe weder eine schwere Bewegungsstörung noch eine auf die Umgebung abstoßende Behinderung. Darüber hinaus sei auch keine erhebliche Störung von öffentlichen Veranstaltungen durch den Kläger zu befürchten. Ein Verlassen der Wohnung sei ohne Hilfe von Dritten möglich. Dem Kläger sei sehr wohl zuzumuten, die psychogenen Synkopen zu steuern.

Auf die Anregung des Gerichts hin, die Klage zurückzunehmen, hat der Kläger mit Schreiben vom 29.10.2009 mitgeteilt, dass auf seinem Schwerbehindertenausweis 2003 oder 2004 bereits das Merkzeichen RF vermerkt gewesen sei. Veranstaltungen könne er nicht besuchen. Seine Sehleistung betrage nur 60 %. Sein ganzes Leben sei 1972 zerstört worden. Er habe ein Anrecht auf das Merkzeichen RF.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2010 ist die Klage abgewiesen worden.

Am 28.01.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er geschildert, wie oft er das Bewusstsein verliere. Z.B. sei er bewusstlos geworden, als er in einer Apotheke gewesen sei. Dabei habe er sich eine Prellung und einen Bluterguss zugezogen. Zudem hat er ein Ereignis geschildert, bei dem er in einer Straße 20-mal, in der nächsten 30-mal und in der übernächsten 40-mal bewusstlos gewesen sei. Zudem hat er angegeben, dass er Probleme mit der Blase und dem Darm habe. Dies sei seit vielen Jahren bekannt. Er müsse in einer halben Stunde sechs- bis achtmal aufs WC gehen und es würden ihm nur drei bis fünf Minuten verbleiben, ansonsten brauche er eine neue Unterhose. Da er seinen Darm nicht unter Kontrolle habe, würden ihm in zehn bis 15 Minuten sechs bis acht leise oder laute Darmgase abgehen, es könnten auch 20 Stück in einer Stunde sein. Er sei der Meinung, dass Menschen, die solche gesundheitliche Probleme hätten, bei Veranstaltungen nichts zu suchen hätten. Dies sei unzumutbar für die, die im Umkreis von zehn Metern sitzen würden.

Der Hausarzt des Klägers hat am 16.03.2010 angegeben, dass die Hauptsymptome durch psychogene Synkopen verursacht seien. Der Kläger verliere bei den Anfällen nicht den Muskeltonus und könne dabei stehen. Angaben zu einer Blasen- und/oder Darmschwäche hat der Arzt nicht gemacht. Er hat aber berichtet, dass der Kläger unregelmäßig, aber "sehr häufig" in die Praxis komme. Der Dr. C. hat am 07.04.2010 berichtet, dass der Kläger regelmäßig in Behandlung wegen eines Anfallsleidens komme. Es bestehe eine dissoziativ bedingte Anfallsneigung, d.h. ein aus psychischen Gründen ausgelöstes Anfallsleiden. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass in den ab Juni 2009 durchgeführten EEG Zeichen einer erhöhten cerebralen Erregbarkeit niemals festgestellt worden sind. Nach den Angaben des Augenarztes des Klägers beträgt die Sehschärfe 0,5 auf beiden Augen.

Im Auftrag des Gerichts hat Dr. E. den Kläger nervenärztlich begutachtet (Gutachten vom 03.08.2010). Auch er ist zu der Einschätzung gekommen, dass nicht von organisch bedingten Bewusstseinsstörungen auszugehen sei. Das gehäufte Auftreten während der Untersuchung und ihr Ablauf würden eine bewusstseinsgesteuerte Genese im Sinne einer Verdeutlichungstendenz annehmen lassen. Das vom Kläger angegebene und auch in den Akten dokumentierte vielfache Auftreten auch unabhängig von Begutachtungssituationen spreche jedoch gegen eine reine Simulation und für die Annahme einer primär nicht bewusst steuerbaren psychogenen Störung. Bei der vom Kläger geschilderten Häufigkeit sei mit dem Auftreten von Bewusstseinsstörungen während öffentlicher Veranstaltungen zu rechnen und daher eine störende Wirkung anzunehmen. Von einer zu erwartenden Störung öffentlicher Veranstaltungen durch rezidivierende Bewusstseinsstörungen wäre nur dann nicht auszugehen, wenn der Kläger diese Zustände bewusst steuern und sie bei öffentlichen Veranstaltungen vermeiden könnte. Wegen des wiederholten, auch dokumentierten Auftretens von Bewusstseinsstörungen und dies auch außerhalb der Begutachtungssituation sei aber nicht von einer durchgängigen Simulation der gesamten Symptomatik auszugehen. Der Sachverständige hat daher die Anerkennung des Ausschlusses von öffentlichen Veranstaltungen seit etwa 2000 empfohlen.

Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten hat sich der Einschätzung des Dr. E. nicht anschließen können (Stellungnahme vom 10.09.2010) und darauf hingewiesen, dass der Hausarzt über sehr häufige Vorstellungen berichtet habe. Auch die Vorsprache bei der Sozialverwaltung der Heimatgemeinde des Klägers spreche dafür, dass der Kläger keineswegs ans Haus gebunden sei. Die Einschätzung des Gutachters, dass eine dauerhafte Hinderung an der Teilnahme öffentlicher Veranstaltungen infolge der Anfälle gegeben sei, sei nicht nachvollziehbar. Auch eine störende oder unzumutbar abstoßende Wirkung auf Dritte sei nicht anzunehmen.

In seiner ergänzenden Stellungnahme hat der Gutachter Dr. E. am 20.10.2010 darauf hingewiesen, dass er bei seiner Untersuchung anfallsartige Ereignisse beobachtet habe, die er als Ausdruck einer demonstrativen Verdeutlichungstendenz gewertet habe, er aber zu dem Schluss gekommen sei, dass auch willentlich nicht steuerbare dissoziative Bewusstseinsstörungen auftreten würden und zwar auch bei Menschenansammlungen und damit beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen. In welcher Weise solche Anfälle öffentliche Veranstaltungen stören könnten, ergebe sich aus den anamnestischen Schilderungen des Klägers. Dies treffe fraglos für den Fall zu, dass der Kläger zu Boden falle und einen Notarzt benötige.

Mit Schreiben vom 11.12.2010 hat der Kläger u.a. mitgeteilt, dass er schon wieder drei Stunden in der Notaufnahme im Klinikum gewesen sei, weil er beim OBI dreimal bewusstlos gewesen sei. Auch sei er von einem EDEKA-Markt wieder nach Hause gebracht worden. Dem daraufhin angeforderten Kurzarztbrief des Zentralklinikums D-Stadt vom 02.11.2010 ist zu entnehmen, dass sich der Kläger am 29.10.2010 im Zentralklinikum kurz in Behandlung befunden hat. Der Kläger sei - so im Arztbrief - von Rettungssanitätern in die Notaufnahme gebracht worden, nachdem er an der Kasse eines Baumarktes kurzzeitig bewusstlos geworden sei. Mit einer körperlichen Untersuchung sei der Kläger nicht einverstanden gewesen und habe nach kurzer Zeit die Notaufnahme wieder verlassen.

Mit Bescheid vom 10.09.2012 hat der Beklagte eine Neufeststellung nach § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (IX) und die Zuerkennung des beantragten Merkzeichens RF abgelehnt.

Seine Behauptung, dass er früher einmal das Merkzeichen RF gehabt habe, hat der Kläger in weiteren Schreiben wiederholt. Zudem hat er berichtet, dass er allein in Apotheken mindestens 60-mal bewusstlos gewesen sei, und auf die Einschränkung seiner Sehfähigkeit und seine Blähungen hingewiesen. Auch beim Bäcker, EDEKA und OBI sei er bewusstlos geworden. Es sei - so der Kläger - nicht ausgeschlossen, dass er einmal einen Rollstuhl brauche. Nach dem Prostatakrebs 2003 habe er weder Darm noch Blase in seiner Gewalt.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 02.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2009 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 11.01.2010 aufzuheben und den Beklagten dazu zu verpflichten, bei ihm das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden können, da dieser über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Kläger hat in seinem Schreiben vom 30.11.2012 angekündigt, zur mündlichen Verhandlung am 19.12.2012 nicht zu erscheinen.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 02.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2009 und die darin ausschließlich entschiedene Frage des Anspruchs auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF.

Nicht Gegenstand des Verfahrens ist der weitere Ablehnungsbescheid vom 10.09.2012 geworden, mit dem die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erneut abgelehnt worden ist; die dort gegebene Rechtsbehelfsbelehrung ist unzutreffend (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 10. Aufl. 2012, § 96, Rdnr. 4; Urteil des Senats vom 31.03.2011, Az.: L 15 SB 105/10).

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Sozialgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF, weil die gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür bis heute nicht nachgewiesen sind.

1. Rechtliche Rahmenbedingungen

Anspruchsgrundlage ist § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. § 6 Abs. 1 Nrn. 7, 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV). Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung das Merkzeichen RF in den Schwerbehindertenausweis einzutragen ist.

Eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (ab dem 01.01.2013 gemäß § 4
Abs. 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag nur noch eine Ermäßigung auf ein Drittel) erhalten aus gesundheitlichen Gründen
gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 7 RGebStV
a) blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung;
b) hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist;
und gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 8 RGebStV
behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

2. Gesundheitliche Voraussetzungen für das Merkzeichen RF in der Person des Klägers

Der Kläger gehört nicht zu dem begünstigten Personenkreis; er erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht.

2.1. Sehbehinderung mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung

Eine Sehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a) RGebStV liegt beim Kläger nicht vor.

Dies ergibt sich schon aus dem Bericht des behandelnden Augenarztes des Klägers. Dieser hat dem Gericht über eine Sehschärfe des Klägers von beidseits 0,5 berichtet. Dies entspricht nach den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) einem GdB von 10 (vgl. VG Teil B Nr. 4.3). Von einer so stark eingeschränkten Sehschärfe, wie sie für das Merkzeichen RF erforderlich wäre - eine beidseits auf 0,16 reduzierte Sehschärfe würde einen GdB von 60 begründen -, ist der Kläger weit entfernt.

Wenn der Kläger einen GdB von 60 damit begründen will, dass er eine "Sehleistung von 60 %" vorträgt (Schreiben vom 29.10.2009) - und nicht von 50 %, wie sie sein Augenarzt angegeben hat -, verwechselt er offensichtlich die in Prozenten zu beschreibende verbliebene Sehschärfe mit der Höhe des GdB. Im Übrigen übersieht er vermutlich auch, dass der GdB umso höher wird, umso niedriger die verbliebene prozentuale Sehleistung ist, nicht umgekehrt.

2.2. Gehörlosigkeit oder fehlende ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen

Eine Beeinträchtigung des Hörvermögens im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 7
Buchst. b) RGebStV liegt unzweifelhaft nicht vor.

Dies ergibt sich aus den vorliegenden Befundberichten und den durchgeführten Begutachtungen, bei denen nie eine derart ausgeprägte Hörminderung festgestellt, vielmehr nie über Verständigungsprobleme berichtet worden ist. Eine "Altersschwerhörigkeit", die nach Angaben des Klägers eine gewisse Beeinträchtigung beim Hören im Alltag mit sich bringt, reicht für das Merkzeichen RF bei weitem nicht aus.

2.3. GdB von wenigstens 80 und ständige Nichtteilnahmefähigkeit an öffentlichen Veranstaltungen wegen des Leidens

Die genannten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Hier ist nur die erste, nicht aber die zweite Voraussetzung erfüllt.

Zwar ist beim Kläger ein GdB von 100 festgestellt. Er gehört aber nicht zu den behinderten Menschen, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Für die Anerkennung des Merkzeichens RF ist es erforderlich, dass der Behinderte wegen seiner Leiden ständig, d.h. allgemein und umfassend, von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass er nur an einzelnen Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, nicht teilnehmen kann, vielmehr muss er praktisch an das Haus bzw. an die Wohnung gebunden sein (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 17.03.1982, Az.: 9a/9 RVs 6/81, vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85, vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91, und vom 12.02.1997, Az.: 9 RVs 2/96; Bayer. LSG, Urteile vom 20.10.2010,
Az.: L 16 SB 182/09, vom 31.03.2011, Az.: L 15 SB 105/10, und vom 19.04.2011, Az.: L 15 SB 14/10). Von einem allgemeinen und umfassenden Ausschluss von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ist auch auszugehen, wenn der Behinderte behinderungsbedingt bloß an einem nicht nennenswerten Anteil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.1987, Az.: 9a RVs 72/85). Öffentliche Veranstaltung ist jede grundsätzlich jedermann uneingeschränkt oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z.B. Eintrittsgeld) zugänglich gemachte Veranstaltung im Sinn einer Organisation von Darbietungen verschiedenster Art; dazu zählen Veranstaltungen politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art, wobei es auf das tatsächliche Angebot von Veranstaltungen im örtlichen Einzugsbereich des Behinderten ebenso wenig ankommt wie auf seine persönlichen Vorlieben, Bedürfnisse, Neigungen oder Interessen (vgl. BSG, Urteile vom 23.02.1987, Az.: 9a RVs 72/85, vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85, und vom 12.02.1997, Az.: 9 RVs 2/96). Das Spektrum der öffentlichen Veranstaltungen im genannten Sinn ist sehr weit. Dazu gehören nicht nur Theatervorstellungen und Konzerte, sondern auch Ausstellungen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Tier- und Pflanzengärten und vieles mehr (vgl. Bayer. Landessozialgericht - LSG -, Urteil vom 31.03.2011,
Az.: L 15 SB 105/10). Maßgeblich ist allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) und/oder mit Hilfe einer Begleitperson (vgl. BSG, Urteile vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85, und vom 11.09.1991, Az.: 9a/9 RVs 15/89). Den Nachteilausgleich erhält, wer aus physischen Gründen nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann, sei es wegen körperlicher Behinderung, sei es wegen Unzumutbarkeit für die Umgebung (vgl. BSG, Urteile vom 11.09.1991, Az.: 9a/ RVs 15/89, und vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91). Ob der Behinderte an der öffentlichen Veranstaltung geistig Anteil nehmen, also ihr geistig folgen kann, ist für das Merkzeichen RF ohne Bedeutung (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.1991, Az.: 9a/9 RVs 15/89). Ebenso ohne Relevanz ist, ob sich der Behinderte beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen wohl und akzeptiert fühlt (vgl. Bayer. LSG, Urteil vom 31.03.2011, Az.: L 15 SB 105/10); das Merkzeichen RF steht empfindsamen Behinderten nicht deshalb zu, weil sie die Öffentlichkeit um der anderen willen meiden (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91). Ohne Bedeutung für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF ist es, wenn sich der Ausschluss von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen auf die Wohnverhältnisse des Behinderten gründet, denn dann ist der Teilnahmeausschluss nicht behinderungsbedingt, sondern durch andere Umstände verursacht (vgl. BSG, Urteil vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85; Bayer. LSG, Urteil vom 19.04.2011, Az.: L 15 SB 14/10).

Der Kläger ist wegen seines Leidens nicht ständig, d.h. allgemein und umfassend, von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat auf das überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründete Gutachten der erfahrenen nervenärztlichen Sachverständigen Dr. C ... Diese hat die beim Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und ihre Auswirkungen auf die Teilnahmefähigkeit des Klägers an öffentlichen Veranstaltungen zutreffend gewürdigt. Sie hat alle Gesichtspunkte sehr ausführlich bedacht und abgewogen. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

Ausgeschlossen werden kann eine organisch bedingte Ursache für die vom Kläger angegebenen Bewusstseinsstörungen (Synkopen). Darin sind sich alle Ärzte, sowohl die behandelnden Ärzte als auch die Sachverständigen, einig. Keiner der Ärzte hat Kreislaufstörungen als Ursache für Bewusstseinsstörungen erkennen können; der Blutdruck des Klägers ist normal; die vom Kläger dargestellten Synkopen entsprechen von ihrem Bild her nicht Kreislaufstörungen. Ein Anfallsleiden ist ebenfalls nicht nachgewiesen. Alle Gutachter haben bei ihren technischen Untersuchungen keinerlei Hinweise auf ein epileptisches Geschehen feststellen können, auch nicht unter Hyperventilation, also unter Provokation. Das Erscheinungsbild der gezeigten Bewusstseinsstörungen ist nicht mit epileptischen Anfällen in Einklang zu bringen. Ein Tonusverlust, Kloni oder ein Einnässen, wie es für (organisch oder neurologisch bedingte) Synkopen typisch ist, fehlen. Die sachverständige Einschätzung findet ihre Bestätigung auch in den vom behandelnden Dr. C. mitgeteilten Befunden: Dieser hat mittels mehrerer, in den vergangenen Jahren durchgeführten EEG eine Anfallsbereitschaft ausgeschlossen und bei einem, während einer vom Kläger demonstrierten Synkopenattacke mitlaufenden EEG keinen pathologischen Befund festgestellt.

Die vom Kläger gezeigten Bewusstseinsstörungen (Synkopen) sind vielmehr vom Kläger bewusstseinsgesteuert simuliert. Bei dieser Einschätzung folgt der Senat dem überzeugenden Gutachten von Dr. C ...

Bei der Begutachtung durch Dr. C. hat der Kläger im Stehen Synkopen demonstriert. Dieses wiederholte Verhalten des Klägers hat die Sachverständige als deutlich theatralisches Verhalten beschrieben. Diese Einschätzung hat sie nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger bei den demonstrierten Synkopen nicht umgestürzt und weiterhin ansprechbar gewesen sei. Er hat beispielsweise während einer Synkope die von ihm in den Armen gehaltene Aktentasche auf Aufforderung der Sachverständigen dieser übergeben. Neben dem fehlenden Tonusverlust und Einnässen sowie fehlenden Kloni ist ein weiterer Beleg für die Simulation derartiger Erscheinungen die eigene Angabe des Klägers, dass er beim Abtrocknen in Ohnmacht falle, dabei aber das Geschirr noch halten könne und deshalb bisher nichts zu Bruch gegangen sei. Auch bei der Erhebung des psychopathologischen Befunds hat die Sachverständige eine unverkennbare Verdeutlichungstendenz des Klägers geschildert. Schließlich hat die Gutachterin bei der körperlichen Untersuchung ein auffällig demonstratives Verhalten des Klägers mit Verdeutlichungstendenz bei der Untersuchung der Wirbelsäule - auffällige Diskrepanz zwischen dem Fingerspitzen-Fußboden-Abstand im Stehen und dem Fingerspitzenabstand zu den Füßen im Sitzen bei gebeugter Lendenwirbelsäule - und der Gehfähigkeit - demonstratives Hinken - festgestellt. Die Sachverständige ist daher zu dem überzeugenden Schluss gekommen, dass die vom Kläger demonstrierten und geschilderten Zustände den Charakter einer deutlichen Inszenierung im Sinne einer Aggravation tragen und psychogenen Zuständen entsprechen. Von einem bewusstseinsnahen Verhalten muss ausgegangen werden. Zu erklären ist, wie die Sachverständige festgestellt hat, das vom Kläger demonstrierte Verhalten durch einen seit Jahren bestehenden sekundären Krankheitsgewinn. Diese Einschätzung der Gutachterin macht sich der Senat zu eigen.

Der Senat macht sich weiter die Einschätzung der Sachverständigen zu eigen, dass der Kläger nicht von öffentlichen Veranstaltungen leidensbedingt weitgehend ausgeschlossen sei. Dem Kläger ist zuzumuten, dass er die psychogenen Synkopen steuert, sodass ihm eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durchaus möglich ist. Es ist von ihm daher auch keine erhebliche Störung von öffentlichen Veranstaltungen oder abstoßende Wirkung auf Dritte zu erwarten. Ein Verlassen der Wohnung ist unproblematisch möglich.

Sofern der Sachverständige Dr. E. im Rahmen seines Gutachtens vom 03.08.2010 zu einem anderen Ergebnis als die Gutachterin Dr. C. gekommen ist, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Der Senat hat sich nicht von der Richtigkeit der im Gutachten enthaltenen Ausführungen überzeugen können. Aber auch dann, wenn die medizinisch-sachverständigen Feststellungen des Dr. E. als richtig zugrunde gelegt würden, könnte ein weitgehender Ausschluss des Klägers von öffentlichen Veranstaltungen, der das Merkzeichen RF nach sich ziehen würde, nicht bejaht werden.

Der Sachverständige teilt zwar die Ansicht der Vorgutachterin, dass nicht von organisch bedingten Bewusstseinsstörungen auszugehen und aus dem gehäuften Auftreten während der gutachterlichen Untersuchung und dem Ablauf der Synkopen auf eine bewusstseinsgesteuerte Genese im Sinne einer Verdeutlichungstendenz zu schließen sei. Auch sieht er die in der Begutachtungssituation gezeigten Bewusstseinsstörungen durchweg als bewusstseinsgesteuert und simuliert an. Auf der anderen Seite lehnt er aber die Annahme einer reinen Simulation und einer immer bewusst steuerbaren psychogenen Störung mit der Begründung ab, dass die vom Kläger gezeigten Erscheinungen vielfach auch unabhängig von Begutachtungssituationen aufgetreten seien. Diese Begründung erscheint dem Senat nicht überzeugend. Die Argumentation des Gutachters krankt daran, dass er, obwohl er selbst keine einzige nicht bewusstseinsgesteuerte Bewusstseinsstörung feststellen hat können, davon ausgeht, dass es Bewusstseinstörungen gebe, bei denen eine bewusste Steuerung nicht mehr gegeben wäre. Diese Vermutung stützt der Sachverständige nur auf die Angaben des Klägers. Denn auch wenn er meint, aus den Akten eine so große Zahl von Synkopen herauslesen zu können, dass eine Bewusstseinssteuerung nicht mehr in allen Fällen angenommen werden dürfe, verkennt er, dass die in den Akten "dokumentierten" Synkopen weitgehend nur auf den Angaben des Klägers gegenüber Dritten (Gericht, Ärzten, Rettungsdienst) beruhen, ohne dass diese wiederum objektiv eine fehlende Bewusstseinssteuerung festgestellt hätten oder feststellen hätten können. Zudem ist im hier zu entscheidenden Fall nach Ansicht des Senats und bei Einbeziehung der überzeugenden Argumentation im Gutachten von Dr. C. der Blickwinkel des Sachverständigen Dr. E. zu sehr auf die Betrachtung verengt, dass der Kläger die psychogenen Synkopen nur dazu einsetzen würde, sich das Merkzeichen RF zu verschaffen. Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass der Kläger aus den Synkopen einen über das angestrebte Merkzeichen RF hinausgehenden allgemeinen sekundären Krankheitsgewinn zieht, wie dies Dr. C. überzeugend festgestellt hat. Der Begründung des Dr. E., die darauf aufbaut, dass von einem bewusstseinsgesteuerten Einsatz der Synkopen dann nicht mehr ausgegangen werden könnte, wenn dies für die Erlangung des Merkzeichens RF nicht mehr unmittelbar in der Begutachtungssituation nützlich sei, ist damit die Grundlage entzogen. Im Übrigen fällt - wie bereits erwähnt - beim Gutachten des Dr. E. auch auf, dass sich dieser weitgehend auf die anamnestischen Angaben des Klägers stützt, ohne diese näher zu hinterfragen. Dies ist insofern besonders bedenklich, als nicht wenige, auch für den Gutachter ohne Weiteres ersichtliche Hinweise bestanden haben, dass der Kläger zweckgerichtete Angaben macht und ein deutlich zielorientiertes Verhalten an den Tag legt. So hat er beispielsweise bei der Untersuchung durch die Sachverständige Dr. C. bei der gezielten körperlichen Untersuchung des Finger-Boden-Abstands eine weitaus größere Bewegungseinschränkung demonstriert, als sie sich anschließend im Sitzen gezeigt hat. Auch eine Einschränkung der Gehfähigkeit hat er auffällig demonstrativ dargestellt. Mit der Diskrepanz von Angaben des Klägers und objektiv feststellbaren Befunden hat sich der Sachverständige Dr. E. nicht auseinander gesetzt. Vielmehr hat er es seiner Beurteilung als Tatsache zugrunde gelegt, dass der Kläger - so wie er es angibt - täglich vielfache und insgesamt hundertfache, wenn nicht tausendfache Synkopen erlebt hat. Der Sachverständige ist damit unkritisch einer vom Kläger aufgestellten Behauptung gefolgt, für die tatsächlich keinerlei objektive Nachweise bestehen. Vielmehr erscheinen die Angaben des Klägers zu Umfang und Zahl der durchgemachten Synkopen unglaubwürdig, wenn bedacht wird, dass es dabei noch zu keinem Zeitpunkt zu nennenswerten Folgeverletzungen gekommen ist, wie sich aus Arzt- und Krankenhausberichten ergibt. Der Senat hält es für schlicht unvorstellbar, dass es trotz hundertfacher und nach Angaben des Klägers oft im öffentlichen Verkehrsraum erfolgten Synkopen noch nicht zu ernsteren Verletzungen gekommen sein sollte. Dem Senat ist es auch unerklärlich, dass sich der Kläger trotz der von ihm behaupteten Gefährdung durch Synkopen - nach eigenen Angaben - recht häufig außer Haus begibt, obwohl er sich doch der Gefahren bewusst sein müsste, wenn die Synkopen durch ihn tatsächlich nicht steuerbar wären. Diese zahlreichen Gänge außer Haus könnte der Kläger auch nicht dadurch erklären, dass er dazu durch äußere Umstände gezwungen wäre. So hat er beispielsweise die Klage beim Sozialgericht zu Protokoll gegeben, obwohl er für die Klageerhebung das Gericht überhaupt nicht hätte aufsuchen müssen, was ihm sicherlich auch bewusst war und durch sein Schreiben an das Gericht vom Tag der Klageerhebung auch dokumentiert ist. Dies alles legt es nahe, an den vom Kläger zahlreich angegebenen Synkopen, jedenfalls was ihre Zahl angeht, überhaupt bzw. an einer fehlenden bewussten Steuerungsfähigkeit zu zweifeln. Zweifel an den Angaben des Klägers hätten sich für den Gutachter im Übrigen auch schon deshalb aufdrängen müssen, weil der Kläger einerseits vorträgt, dass er das Haus wegen der Synkopen nicht mehr verlassen könne, andererseits aber teilweise im fast gleichen Atemzug schildert, wie er wieder Synkopen in der Öffentlichkeit erlitten habe. Mit diesem Widerspruch hat sich der Sachverständige Dr. E. nicht auseinander gesetzt. Insofern leidet das Gutachten des Dr. E. an einem nicht unerheblichen denklogischen Mangel: Der Sachverständige geht von teilweise nicht mehr bewusstseinsgesteuerten Synkopen aus, weil die Synkopen so zahlreich auftreten würden, wobei er sich bei der Annahme der Zahl der Synkopen nur auf die tatsächlich unglaubwürdigen, zumindest aber nicht nachgewiesenen Behauptungen des Klägers stützt. Weitere Ermittlungen des Gerichts waren insofern nicht erforderlich, da alle Erkenntnismöglichkeiten zur Ermittlung des tatsächlichen Umfangs der Synkopen ausgeschöpft sind. Schließlich kann das Gutachten des Dr. E. den Senat auch nicht überzeugen, wenn der Sachverständige den umfassenden Ausschluss des Klägers von Veranstaltungen u.a. damit begründet, dass durch die für den Sachverständigen glaubhaften Angaben des Klägers eine sehr zurückgezogene Lebensweise mit einem Verzicht auf Reisen nachgewiesen sei, was für das Merkzeichen RF spreche. Ganz abgesehen davon, dass der Senat - wie bereits erläutert - eine Auseinandersetzung des Sachverständigen mit den widersprüchlichen Angaben des Klägers vermisst, die nicht unerhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der klägerischen Angaben wecken, spricht eine zurückgezogene Lebensweise nicht automatisch auch für das Merkzeichen RF. Ganz abgesehen davon, dass das Merkzeichen RF von einer fehlenden Fähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeht und nicht an einer praktizierten Nichtteilnahme - zumal an mit mehr oder weniger hohen Kosten verbundenen Reisen - anknüpft, hat der Sachverständige unbeachtet gelassen, dass der Nichtteilnahme an Reisen diverse andere als behinderungsbedingte Gründe (finanzielle Verhältnisse, soziales Umfeld, persönliche Vorlieben, Alter usw.) haben kann, die mit dem Merkzeichen RF nichts zu tun haben. Dass der Kläger z.B. nach eigenen Angaben in eher beengten finanziellen Verhältnissen lebt, die eine Reise schon aus Geldgründen nicht zulassen dürften, hat er nicht bedacht.

Aber sogar wenn die Annahme des Dr. E. zum teilweise nicht mehr bewusstseinsgesteuerten Auftreten von Synkopen geteilt würde, wären die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF nicht erfüllt. Denn aus den Synkopen resultiert weder eine Belästigung noch eine Gefährdung dritter Veranstaltungsteilnehmer. Wenn, wie dies der Kläger regelmäßig demonstriert und selbst oft beschrieben hat, er während der Synkope fast wie versteinert stehen bleibt, wirkt dies auf andere Veranstaltungsteilnehmer nicht störend. Denn der Kläger bewegt sich in dieser Zeit nicht (unkontrolliert) oder kaum, stößt keine störenden Laute aus und wirkt auch sonst nicht abstoßend. Insofern kann sich der Senat der vom Sachverständigen Dr. E. getroffenen Einschätzung zur Störung von Dritten, die über das ärztliche Fachgebiet hinausgeht und zudem in der ergänzenden Stellungnahme vom 20.10.2010 wieder dadurch etwas relativiert worden ist, dass der Sachverständige die Bewertung des Ausschlusses von öffentlichen Veranstaltungen - zutreffend - in die Beurteilung des Gerichts stellt, nicht anschließen. Vielmehr dürfte, wenn nicht eine besondere Aufmerksamkeit auf den Kläger gerichtet ist, der Zustand anderen Veranstaltungsteilnehmern überhaupt nicht auffallen; er wirkt auf Dritte letztlich nicht anders als eine Person, die zur Konzentration die Augen geschlossen hat und bewegungslos verharrt. Darin vermag der Senat eine abstoßende Wirkung nach außen nicht zu erkennen. Wenn der Sachverständige bei seiner eher vorsichtig geäußerten Einschätzung auf eine Situation mit engem körperlichen Kontakt mit dritten Veranstaltungsteilnehmern abstellt, unterliegt er einer Fehleinschätzung des Begriffs der öffentlichen Veranstaltung. Denn dabei handelt es sich - wie oben ausführlich dargestellt - nicht nur um Konzerte oder Theatervorführungen in einem beengten Raum. Dass beispielsweise bei einem Tierparkbesuch weitere Besucher es überhaupt wahrnehmen würden, wenn der Kläger bewegungslos verharrt - ein Umstürzen erfolgt nicht nur nach den Beobachtungen der Gutachter, sondern auch nach den Angaben des Kläger so gut wie nie -, erscheint dem Senat eher unwahrscheinlich.

Auch von einer Gefährdung Dritter oder von sich selbst, die eine Veranstaltungsteilnahme weitgehend unmöglich machen würde, könnte nicht ausgegangen werden. Denn synkopenbedingte Stürze, die ohnehin aufgrund der bei den Begutachtungen demonstrierten Verhaltensweise so gut wie ausgeschlossen sein dürften, sind nicht nachgewiesen. Auch wenn der Kläger selbst hundertfache Synkopen angegeben hat, haben die behandelnden Ärzte - wie im Übrigen auch der Kläger bei den Begutachtungen - über keine sturzbedingten Verletzungen in einem über das normale Maß hinaus erhöhtem Umfang berichtet. Auch das Zentralklinikum D-Stadt, in das der Kläger wiederholt notärztlich eingeliefert worden ist, das der Kläger teilweise aber wieder umgehend verlassen hat, hat nicht über sturzbedingte Verletzungen berichtet. Dies belegt, dass es zu synkopenbedingten Stürzen nicht oder so gut wie nicht gekommen ist. Insofern kann weder für den Kläger noch für Umstehende eine Gefahr oder auch nur Belästigung durch Stürze angenommen werden.

Wenn der Kläger vorträgt, dass er Blase und Darm nicht mehr unter Kontrolle habe und seine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen daher für Dritte unzumutbar sei, kann dies den Senat nicht überzeugen. Keiner der behandelnden Ärzte des Klägers hat über derartige Beschwerden berichtet. Der urologische Befund nach Ablauf der Heilungsbewährung der Prostataerkrankung ist völlig unauffällig gewesen. Keinem der Sachverständigen sind irgendwelche Erscheinungen aufgefallen, die bei einer Blasen- oder Darmschwäche vorliegen würden. Auch von den vom Kläger behaupteten Blähungen und Geruchsbelästigungen hat keiner der Sachverständigen berichtet. Diese ärztlichen Angaben bestätigen den Senat darin, dass die Angaben des Klägers zumindest teilweise zweckgerichtet sind und nicht immer unbedingt wahrheitsgemäß sind. Eine Geruchsbelästigung Dritter lässt sich mit den nicht belegbaren Angaben des Klägers keinesfalls begründen. Wenn der Kläger meint, mit seinen Angaben zu Blasen und Darmschwäche und Blähungen eine Bindung an das Haus begründen zu können, kann er daher keinen Erfolg haben.

Sollte sich der Kläger auf Veranstaltungen wegen seiner Behinderung unwohl fühlen oder meinen, dass sich andere durch seine angegebenen Bewusstseinsstörungen oder eine Darm- und Blasenschwäche oder Flatulenzen gestört fühlen könnten, ist dieses subjektive Gefühl des Klägers unmaßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91).

Darin, dass in der Person des Klägers nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF vorliegen, und damit auch in seinen Zweifeln am Gutachten des Dr. E., wird der Senat letztlich auch durch das vom Kläger selbst angegebene Verhalten im täglichen Leben bestätigt. Der Kläger verlässt - folgt man seinen Angaben - offenbar nicht selten seine Wohnung und bewegt sich in der Öffentlichkeit. So geht er sehr oft zu seinem Hausarzt und Apotheken, sucht Bäcker und Metzger auf, kauft im Supermarkt (EDEKA) ein, begibt sich in einen Baumarkt (OBI) und geht zu Gericht und Gemeindeverwaltung. Sollte der Kläger tatsächlich, so wie er dies glauben machen will, faktisch an seine Wohnung gebunden sein, wäre dieses Bewegungsverhalten außer Haus nicht nachvollziehbar. Tatsächlich hat der Senat aber keine Zweifel daran, dass der Kläger so oft seine Wohnung verlässt. Denn auch der Hausarzt des Klägers hat dem Gericht auf Nachfrage berichtet, dass der Kläger die Praxis "sehr häufig" besuche. All dies spricht ganz klar dagegen, dass beim Kläger die die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF vorliegen.

Eine weitergehende Sachaufklärung war entsprechend der Rechtsprechung des BSG (vgl. Beschluss vom 07.11.2001, Az.: B 9 SB 51/00 B) nicht angezeigt. Mit den vorliegenden Gutachten, insbesondere dem Gutachten der Dr. C., hat der Senat eine umfassende und überzeugende Entscheidungsgrundlage. Dafür, dass sich der Gesundheitszustand seit der gutachterlichen Untersuchung maßgeblich verändert hätte, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Sowohl den Angaben der behandelnden Ärzte als auch den Gutachten ist nichts zu entnehmen, was auf eine (zu erwartende) Veränderung hindeuten würde. Dies entspricht den Angaben des Klägers gerade auch in den im November 2012 erstellten Schreiben; diesen Schreiben zu entnehmen, dass sein Gesundheitszustand seit langer Zeit unverändert ist.

3. Keine bestandskräftige Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF

Der Kläger kann sich nicht darauf stützen, dass ihm in der Vergangenheit bereits das Merkzeichen RF zuerkannt worden wäre und er daher Bestandsschutz genießen würde.

Der Kläger hat immer wieder behauptet, dass er bereits im Jahr 2003 oder 2004 das Merkzeichen RF erhalten hätte. Wäre dies tatsächlich der Fall, so könnte der Kläger weiter die Eintragung im Schwerbehindertenausweis verlangen, solange dieses Merkzeichen nicht durch Bescheid des Beklagten entzogen worden wäre.

Tatsächlich sind in der Person des Klägers bis heute zu keinem Zeitpunkt die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF festgestellt worden, sodass seine Berufung nicht unter dem Gesichtspunkt eines Bestandsschutzes Erfolg haben kann. In allen Bescheiden des Beklagten, die in den Akten enthalten sind, insbesondere dem Bescheid vom 03.06.2004, ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen abgelehnt worden. Sollten behandelnde Ärzte des Klägers in der Vergangenheit diesem gegenüber die Ansicht geäußert haben, dass ihm das Merkzeichen RF zustehe, worauf sein Schreiben vom 30.11.2012 hindeutet, kann dies selbstverständlich keinen Bestandsschutz begründen.

4. Unbeachtlichkeit zukünftiger gesundheitlicher Entwicklungen

Bei der Beurteilung, ob dem Kläger (bis) heute das Merkzeichen RF zusteht, kann eine potentielle, in der Zukunft liegende Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers keine Berücksichtigung finden. Der GdB genauso wie die verschiedenen Merkzeichen spiegeln die festgestellten (bestehenden) gesundheitlichen Verhältnisse wider, stellen aber keine Vorwegnahme zukünftiger Zustände dar. Berücksichtigung bei der Ermittlung der Höhe des GdB genauso wie bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen finden gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nur Gesundheitsstörungen, wenn sie länger als sechs Monate vorliegen. Dies schließt eine Berücksichtigung von noch nicht sechs Monate lang vorliegenden Gesundheitsstörungen, sofern nicht sicher eine Dauer von länger als sechs Monaten prognostiziert werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2000, Az.: B 9 SB 3/99 R), und erst recht von Gesundheitsstörungen, die noch nicht einmal vorliegen, aus. Wie sich der Gesundheitszustand des Klägers in der Zukunft verändern wird und ob er möglicherweise rollstuhlpflichtig werden könnte, ist daher vorliegend ohne Entscheidungsrelevanz.

Sofern sich das BSG in seinem Urteil vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R, zum Merkzeichen aG dahingehend geäußert hat, dass unter bestimmten Voraussetzungen schon die akute Gefahr einer erheblichen Verschlimmerung eines progredienten Leidens für die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ausreichen würde, auch wenn die funktionelle Einschränkung des Gehvermögens noch nicht den für das Merkzeichen aG erforderlichen funktionellen Einschränkungen entspreche, kann der Senat dem für die hier zu treffende Entscheidung keine weitergehenden Auswirkungen entnehmen. Zum einen betrachtet der Senat das Urteil des BSG vom 11.03.1998, mit dem prophylaktisch ein Merkzeichen zugesprochen worden ist, ohnehin nur als singuläre Entscheidung, die in der Folge auch vom BSG selbst nicht mehr so oder ähnlich, also in den zugrunde liegenden Gedanken, aufgegriffen worden ist, sodass sich schon grundsätzlich die Frage stellt, ob das BSG diese Entscheidung über den entschiedenen Einzelfall hinaus überhaupt aufrecht erhalten würde. Zum anderen kann der Senat auch die darin erfolgte Argumentation nicht teilen, jedenfalls wenn dies auf das Merkzeichen RF übertragen werden sollte. Der Senat sieht einen eklatanten Widerspruch zwischen den Überlegungen des BSG im Urteil vom 11.03.1998 und mehreren anderen Entscheidungen des BSG zum Merkzeichen RF. Im Urteil vom 11.03.1998 hat das BSG der Annahme widersprochen, dass eine drohende Verschlechterung des Gesundheitsstands im Rahmen des Schwerbehindertenrechts immer unbeachtlich sei. Sinn und Zweck der schwerbehindertenrechtlichen Regelungen lägen es nahe, einen Nachteilsausgleich ausnahmsweise schon dann zuzuerkennen, wenn der Nachteil, der ausgeglichen werden solle, bereits unmittelbar drohe und sein Eintritt nur durch ein entsprechendes Verhalten des Schwerbehinderten (Verzicht auf jedes überflüssige Gehen) zeitlich hinausgezögert werden könne. Daraus hat das BSG für die Zuerkennung des Merkzeichens aG den Schluss gezogen, dass der Schwerbehinderte bereits dann Anspruch auf das Merkzeichen habe, wenn die dadurch eröffneten Erleichterungen im Straßenverkehr (z.B. zusätzliche Parkmöglichkeiten, Ausnahmen von Halteverboten) prophylaktisch ins Gewicht fallen würden. Sei dies der Fall, sei der Schwerbehinderte demjenigen gleichzustellen, bei dem wegen des bereits eingetretenen Gesundheitsschadens das Gehen funktionell nicht mehr möglich oder aufs Schwerste beeinträchtigt sei.

Jedenfalls bezüglich des Merkzeichens RF verbietet sich nach den klaren Festlegungen des BSG in anderen Entscheidungen eine derart ausweitende oder analoge Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen. Das BSG hat wiederholt eine enge Auslegung beim Merkzeichen RF gefordert (vgl. z.B. Urteile vom 11.09.1991,
Az.: 9a/9 RVs 15/89, und vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91). Es hat diese Forderung damit begründet, dass nur mit einer engen Auslegung gewährleistet sei, dass die Befreiung nur solchen Personengruppen zugute komme, die der Gesetzgeber im Blick gehabt habe. Wenn dieser die gesetzgeberischen Ziele als verfehlt betrachten würde, wäre es Sache des Gesetzgebers, darauf entsprechend zu reagierten. Weiter hat das BSG in den vorgenannten Urteilen das Merkzeichen RF und die damit verbundene Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht als grundsätzlich fragwürdig beschrieben. Nach Ansicht des BSG sei es zunehmend zweifelhaft, ob durch das Merkzeichen RF tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen werde und ob es sozial geboten erscheine, bestimmten finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Benutzung solcher gewöhnlicher Geräte zu finanzieren. Raum für eine analoge Anwendung hat es beim Merkzeichen RF nicht gesehen.

5. Keine Ausnahme in Sinne einer Härtefallregelung

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden können, wenn die oben aufgezeigten, im Rundfunkgebührenstaatsvertrag aufgelisteten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Sofern der in Juris veröffentlichte Leitsatz des BSG zum Urteil vom 16.02.2012, Az.: B 9 SB 2/11 R,
"Das Merkzeichen RF kann einem Menschen mit Behinderung auch bei einem GdB von weniger als 80 zuerkannt werden, wenn ein gesundheitlich bedingter Härtefall vorliegt. Dies ist der Fall, wenn diese Person wegen eines besonderen psychischen Leidens ausnahmsweise an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann."
etwas anderes suggeriert, so täuscht dieser erste Eindruck. Denn die dieser Entscheidung zugrunde liegende materielle Regelung zum Merkzeichen RF hat - wie dies aus dem Leitsatz nicht ersichtlich ist - mit § 2 der (bayerischen) Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 21.07.1992 eine Härtefallvorschrift enthalten. Diese Verordnung ist aber zum Ablauf des 31.03.2005 außer Kraft getreten und durch keine Nachfolgevorschrift ersetzt worden.

Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Eine Divergenz der getroffenen Entscheidung zur Rechtsprechung des BSG zum Merkzeichen RF besteht nicht; die angeführte singuläre Entscheidung des BSG zum Merkzeichen aG ist auf das Merkzeichen RF nicht übertragbar.
Rechtskraft
Aus
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