Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 2 KA 1602/11
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 3 SF 1149/12 EK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Gotha mit dem Aktenzeichen S 2 KA 1602/11 hat.
Die Klägerin ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führt seit Jahren verschie-dene Rechtsstreitigkeiten gegen die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen.
Am 20. März 2011 hat sie Klage gegen den Bescheid der K. vom 27. April 2009 in der Ges-talt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2011 erhoben. Die Klägerin wendet sich hier gegen den Honorarbescheid für das 3. Quartal 2008. Das Verfahren wurde beim Sozialgericht Gotha unter dem Aktenzeichen S 7 KA 1602/11 (nunmehr Az.: S 2 KA 1602/11) geführt. Sie beantragte bereits mit Klageeingang "die Zusammenlegung mit den anhängigen Honorarkla-gen I/0/ bis II/08 bei vorliegendem Sachzusammenhang". Der Streitwert belaufe sich auf ca. 500,- Euro. Mit am 22. März 2011 eingegangenem Schriftsatz hat sie die Klage begründet.
Mit Verfügung vom 24. März 2011 hat das Sozialgericht der K. die Klageschrift mit der Bitte um Aktenübersendung übersandt.
Am 11. April 2011 hat die K. mitgeteilt, dem Gericht die Verwaltungsakte schon in einem anderen Verfahren übersandt zu haben.
Mit am 15. Februar 2012 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin für insgesamt 33 Ge-richtsverfahren "unverzüglich die Dauer der vorliegenden Verfahren beim Sozialgericht Go-tha gerügt". Hierunter war auch das hier streitgegenständliche Ausgangsverfahren.
Nach einem Telefonvermerk vom 16. Februar 2012 hat die Klägerin um eine Übersendung der Eingangsbestätigung der Klage per Fax gebeten, da sie diese in ihren Unterlagen nicht finden könne. Dieser Bitte ist das Sozialgericht am selben Tag nachgekommen.
Mit Verfügungsdatum vom 22. Februar 2012 hat das Gericht Termin zur mündlichen Ver-handlung auf den 20. Juni 2012 bestimmt.
Mit am 29. Februar 2012 eingegangenem Schriftsatz, der als "Verzögerungsrüge" überschrie-ben ist, hat die Klägerin erklärt, dass Anlass zur Besorgnis bestehe, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen werde. Die Verfahrensdauer habe bereits zum jet-zigen Zeitpunkt die Regelverfahrensdauer von einem Jahr überschritten. Die Klägerin hat darauf verwiesen, dass ihre Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht wegen überlanger Verfahrensdauer mit Aktenzeichen B 1 BvR 1304/09 Erfolg gehabt habe. Zwi-schenzeitlich sei eine Vielzahl von noch anhängigen Nachfolgeverfahren vor den Sozialge-richten Thüringens notwendig geworden. Eine Änderung der überlangen Verfahrensdauer vor Thüringer Gerichten sei trotz ständiger Rügen beim SG Gotha, LSG Erfurt, BSG Kassel, Bundesverfassungsgericht Karlsruhe und dem Thüringer Justizministerium nicht zu verzeich-nen. Untätigkeitsklagen würden erst nach Jahren bearbeitet und seien heute noch nicht ent-schieden. Außerdem sei eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen-rechte in Straßburg mit dem Aktenzeichen 12014/10 seit 15. Februar 2010 wegen überlanger Verfahrensdauer anhängig. Bei ausbleibenden sozialgerichtlichen Entscheidungen in Thürin-gen über viele Jahre sei die Existenzerhaltung des Praxisbetriebes nur mit Fremdmitteln und entsprechenden Zinsbelastungen möglich gewesen. Ferner führt die Klägerin unter anderem aus, die Vielzahl der Verfahren gegen die K. habe sie als die schwächere Partei gegenüber ihrer weisungsberechtigten Institution diversen angreifbaren Verwaltungsakten und ver-gleichsweise härteren Bestrafungen sowie nachweislichen Verleumdungen vor dem Diszipli-narausschuss ausgesetzt.
Der nunmehr zuständige Kammervorsitzende hat sich daraufhin sämtliche Verfahren der Klä-gerin für seinen Zuständigkeitsbereich vorlegen lassen. In einem an die Beteiligten gerichte-ten ausführlichen Schriftsatz vom 28. März 2012 hat er diese Verfahren aufgelistet und den Streitgegenstand dargelegt. Der Kammervorsitzende hat zu verschiedenen Verfahren seine Rechtsauffassung geäußert. Ferner hat er der Klägerin im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatz richterliche Hinweise erteilt. Schließlich hat er zu verschiedenen Klagen (un-ter anderem dem hier vorliegenden Ausgangsverfahren) um Mitteilung gebeten, ob das Ruhen des Verfahrens beantragt wird.
Die Beklagte hat mit dieser Verfahrensweise ihr Einverständnis erklärt.
Die Klägerin hat am 2. Mai 2012 einen Antrag auf stillschweigende Fristverlängerung ge-stellt.
Mit Verfügung vom 22. Mai 2012 hat das Sozialgericht den Termin zur mündlichen Verhand-lung vom 20. Juni 2012 aufgehoben.
Mit Fax vom 30. Mai 2012 hat die Klägerin im Hinblick auf eine Stellungnahme zu Schaden-ersatzklagen um eine weitere Fristverlängerung gebeten.
Mit einem auf den 12. Juli 2012 datierten Schriftsatz, der bereits am 11. Juli 2012 beim Thü-ringer Landessozialgericht eingegangen ist, hat die Klägerin in insgesamt 30 von ihr bezeich-neten Rechtsstreitigkeiten ausdrücklich "Schadensersatzklage" erhoben. Das hier streitgegen-ständliche Ausgangsverfahren S 2 KA 1602/11 (irrtümlich bezeichnet mit Az.: S 7 KA 1602/11) wird ausdrücklich erwähnt, als Grundlage für die Schadensersatzklage wird das Ge-setz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermitt-lungsverfahren vom 24. November 2011 genannt.
Am 18. September 2012 hat die Klägerin einen Befangenheitsantrag gegen die als Berichter-statterin zuständige Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht J. gestellt. Der Antrag ist mit Beschluss vom 13. Dezember 2012 als unbegründet abgelehnt worden.
In einem ausführlichen Schriftsatz vom 22. Mai 2013 führte die Klägerin unter anderem aus, in dem Verfahren S 2 KA 1602/11 habe sie am 20. März 2011 fristwahrend Klage erhoben und einen Verbindungsantrag gestellt, dem trotz der zahlreichen inhaltsgleichen Verfahren nicht gefolgt worden sei. Eine Stellungnahme der KVT liege ihr nicht vor. Eine Ladung sei zum 20. Juni 2012 erfolgt, aber aufgrund der Ernennung des Verfahrens S 2 KA 3535/07 zum "Musterverfahren" aufgehoben worden. Das Verfahren sei letztlich im März 2013 ruhend ge-stellt worden. Letztlich seien auch hier durch die verspätete Entscheidung des Musterverfah-rens S 7 KA 3535/07 am 2. April 2013 zwei Jahre vergangen. Dies habe 8 Quartale notwen-diger Klagen bei Nichtklärung der Rechtmäßigkeit der Vergütung und Honorarverteilung ent-sprochen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Hö-he von 100,00 Euro pro Monat der Verzögerung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage. Jedenfalls rein vorsorglich sei aus-zuführen, dass die Verzögerungsrüge nicht rechtzeitig erhoben worden sei. Das Verfahren sei zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlanger Verfah-rensdauer am 3. Dezember 2011 bereits anhängig gewesen, weshalb die Verzögerungsrüge nach Art. 23 Satz 2 dieses Gesetzes unverzüglich nach diesem Zeitpunkt hätte erhoben wer-den müssen, um Entschädigungsansprüche auch für den Zeitraum vor Inkrafttreten des Geset-zes zu wahren. Die Rüge sei aber erst am 15. Februar 2012 erhoben worden, was nicht mehr unverzüglich sei. Eine Überlänge des Verfahrens dürfe im Übrigen soweit ersichtlich für den Zeitraum nach der Rüge auch insgesamt nicht vorliegen. Entgegen der Einschätzung der Klä-gerin gebe es keine allgemein gültige Zeitvorgabe wie lange ein sozialgerichtliches Verfahren höchstens dauern dürfe, um nicht als unangemessen lang zu gelten. Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren unangemessen lang dauere, insbesondere als feste Jahresgrenze, sei angesichts der Unterschiedlichkeit der Verfahren nicht möglich. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin auch durch ihre zweimaligen Fristverlängerungsanträge zur bisherigen Verfah-rensdauer beigetragen habe. Insbesondere auf Grund des Fristverlängerungsantrages vom 2. Mai 2012 sei der auf den 20. Juni 2012 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung auf-gehoben worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die das Hauptsacheverfah-ren betreffende Akte lag vor und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Bera-tung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Für das Klageverfahren wegen einer Entschädigung auf Grund einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind die Vorschriften des § 198 Abs. 1 des Gerichtsver-fassungsgesetzes (GVG) sowie die §§ 183, 197 a und 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der ab 3. Dezember 2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ( ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) maßgebend. Nach Art. 23 S. 1 ÜGRG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 - wie hier - bereits an-hängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Ge-genstand von anhängigen Beschwerden beim EGMR ist oder noch werden kann.
Für die Entscheidung über die Klage ist das Landessozialgericht (LSG) zuständig. Nach § 200 S. 2 GVG haftet der Bund für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen den Bund ist nach § 201 Abs. 1 S. 2 GVG der Bundesgerichtshof (BGH) zuständig. Für sozialgerichtliche Verfahren er-gänzt § 202 S. 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§198 - 201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des Ober-landesgerichts das LSG, an die Stelle des BGH das Bundessozialgericht (BSG) und an die Stelle der ZPO das SGG tritt.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft.
Im Übrigen wurde die Klage formgerecht erhoben.
Der Senat lässt offen, ob die Klage unzulässig ist, weil die Wartefrist des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG nicht eingehalten worden ist, da bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob, wie etwa bei Untätigkeitsklagen nach § 88 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), ein solcher Mangel ge-heilt werden kann (vgl. zur Untätigkeitsklage BSGE 75, 56, 58). Ferner ist nicht abschließend geklärt, ob bei dem Vorliegen besonderer Umstände die Erhebung der Klage ausnahmsweise auch vor Fristablauf zulässig ist (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlan-gen Gerichtsverfahren, § 198 GVG, RdNr. 246).
Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch wegen einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 198 Abs. 1 GVG in Verbindung mit § 202 SGG. Nach § 198 Abs. 1 GVG (in der ab 3. Dezember 2011 geltenden Fassung durch das ÜGRG) wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 S. 2 GVG).
Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet.
Für immaterielle Schäden erleichtert § 198 Abs. 2 GVG die Geltendmachung. Danach wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unange-messen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1.200 Euro für jedes Jahr der Ver-zögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen. Der Entschädigungsanspruch kann ein Vielfaches des ursprünglichen Klagebegehrens einschließlich der Kosten betragen. Ob im Einzelfall nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes eine Entschädigungsgrenze festzu-stellen ist, kann jedoch hier dahinstehen.
Entschädigung enthält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in ange-messener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren ein-geführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Andernfalls werden sie von dem Ge-richt, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Be-stimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Ver-fahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG). Nach Art. 23 ÜGRG gilt für anhängige Verfahren, die bei seinem (des ÜGRG) Inkrafttreten schon verzögert sind, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzöge-rungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich - als materiell-rechtliche Voraussetzung der Ent-schädigungsklage - prozessrechtlich um eine Obliegenheit (BT-Drs. 17/3802 S. 20). Das Ge-richt der Hauptsache oder das Entschädigungsgericht haben weder eine förmliche Entschei-dung über die Verzögerungsrüge zu treffen noch muss auf Grund der Verzögerungsrüge das Verfahren vorrangig bearbeitet oder erledigt werden. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3802 S. 20) ergibt sich zwar, dass die Rüge dem bearbeitenden Richter - soweit erforder-lich - auch die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und inso-fern als Vorwarnung dienen soll. Eine Verzögerungsrüge steht damit aber auch in einem Spannungsverhältnis zu dem, dem Rechtsuchenden nach Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten, Recht der richterlichen Unabhängigkeit des für ihn zuständigen Rich-ters. Dass eine Verzögerungsrüge Einfluss auf die richterliche Tätigkeit haben und Art. 97 Abs. 1 GG hierdurch berührt werden kann, ergibt sich beispielsweise daraus, dass sechs Mo-nate nach der Rüge Klage erhoben werden kann (§ 198 Abs. 5 GVG), d. h. nach Erheben der Rüge der Richter mit einer Entschädigungsklage rechnen muss.
Dies ist insgesamt bei der Frage zu berücksichtigen, wann Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird, mithin die Verzögerungsrüge als Anspruchsvoraussetzung für eine Entschädigung wirksam ist. Der Gesetzgeber war einer-seits bemüht zu verhindern, dass die Rüge zu früh, unter Umständen vorsorglich schon mit der Klageerhebung, angebracht wird, andererseits soll sie aber auch so rechtzeitig erhoben werden, dass sie ihre präventive Funktion noch entfalten kann (kein Dulden und Liquidieren, vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20; Söhngen, NZS 2012, S. 493, 469), ohne dass der Richter wegen Art. 97 Abs. 1 GG allerdings zu einem bestimmten Vorgehen/Verhalten gezwungen werden kann. Unwirksam wäre danach eine Verzögerungsrüge nur in der Absicht, sich gegenüber anderen Klägern einen zeitlichen Vorteil zu verschaffen oder nur um Einfluss auf die Bearbei-tung durch den Richter ausüben zu wollen.
Eine Besorgnis im oben genannten Sinne ist somit nur anzunehmen, wenn objektive Umstän-de vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung, unabhängig von subjektiven Vorstellungen und Empfindungen der Beteiligten, auf eine unangemessene Verfahrensdauer hindeuten (vgl. Scholz, SGb 2012, S. 19, 24). Solche Umstände können angenommen werden, wenn Zeiträu-me von gewisser Dauer verstreichen, ohne dass das Gericht für die Beteiligten nachvollzieh-bar nach §§ 103, 106, 106 a SGG tätig wird oder bei einer unberechtigten bzw. gegen den Willen eines Beteiligten angeordneten Aussetzung. Eine Besorgnis kann unabhängig vom Zeitmoment bei einem Richterwechsel in komplexen Fällen, längeren Vertretungszeiten oder Überlastungsanzeigen gerechtfertigt sein. Verzögerte oder vollständig unterbleibende Beant-wortung von Sachstandsanfragen sind zu beachten (vgl. Söhngen, NZS 2012, S. 493, 467). Eine möglicherweise lange Verfahrensdauer in einem anderen/früheren Verfahren des Klägers rechtfertigt per se noch nicht die Besorgnis der Verzögerung des aktuellen Verfahrens. Die Anforderungsvoraussetzungen dürfen allerdings auch nicht überspannt werden.
Nach § 198 Abs. 4 GVG ist eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Mo-nate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar (§ 198 Abs. 5 GVG).
Nach § 198 Abs. 6 GVG ist im Sinne dieser Vorschrift
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Ab-schluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenbeihilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren; 2. ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungs-rechts an einem Verfahren beteiligt sind.
Damit setzt der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch voraus, dass eine wirksame Verzögerungsrüge erhoben wurde, dass eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens vorliegt, dass die Klägerin einen Nachteil vermögenswerter oder nicht vermögenswerter Art erlitten hat, dass nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise nach § 198 Abs. 4 GVG nicht ausreichend ist und dass der geforderte Betrag als Entschädi-gung angemessen ist.
Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Hand-lungen öffentlicher Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (BVerfGE 93, 1, 13). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb ange-messener Zeit (BVerfGE 55, 349, 369). Jedoch lassen sich weder dem Grundgesetz noch dem ÜGRG allgemein gültige Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Dies ist auch bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Ver-zögerungsrüge zu berücksichtigen.
Wegen der Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an Art.19 Abs. 4 GG (i. V. m Art. 20 Abs. 3 GG) sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt es dar-auf an, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Men-schenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung von vornherein vorausgesetzt. Es reicht also nicht jede Abweichung vom Optimum, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußeren Grenze des Angemessenen vorliegen (BSG, Urteil vom 21. 2. 2013, B 10 ÜG 2/12 KL).
Die Dauer eines Verfahrens ist auch in hohem Maße von dem Verhältnis abhängig, in dem die Zahl der von Rechtsuchenden betriebenen Verfahren zu den Personal- und Sachmitteln des jeweils zuständigen Gerichts steht. Dabei reicht es aus, dass dieses Verhältnis angemessen ist. Der Staat ist jedenfalls nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass je-des anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine ge-wisse Wartezeit zuzumuten (BSG, a.a.O.).
Der Senat folgt der Rechtsprechung des BSG (BSG, a.a.O) auch insoweit, als es im Hinblick darauf von Bedeutung sein kann, in welcher Zeit vergleichbare Verfahren erledigt werden und entsprechende statistische Zahlen einen hilfreichen Maßstab bei der Beurteilung der Ange-messenheit der Dauer eines konkreten Verfahrens bieten (können). Hierbei ist jedoch zu-nächst zu berücksichtigen, dass die Feststellung, in welcher Zeit vergleichbare Verfahren er-ledigt wurden, nicht bedeutet, dass die statistischen Vergleichsverfahren auch in angemesse-ner Zeit erledigt wurden. Ferner ist die Bedeutung solcher statistischer Zahlen bei den In-stanzgerichten weitaus geringerer als beim BSG. Denn entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Bei den Instanzgerichten sind die Verfahren schon deshalb nicht ohne weiteres statistisch zu vergleichen, weil es sich um Tatsacheninstanzen handelt, die Verfahren weitaus unterschiedlicher sind und sich nicht auf reine Rechtsfragen beschränken. Ein ungewöhnli-cher Geschäftsanfall kann bei den Instanzgerichten nicht in gleicher Weise, etwa durch Unter-stützung durch Vorberichterstatter, abgefangen werden wie dies beim BSG möglich ist. Eine Änderung der Geschäftsverteilung oder Überlastungsanzeigen führen per se nicht zu einer schnelleren Erledigung der Verfahren. Schließlich sind in den Instanzgerichten Richter regel-mäßig in verschiedenen Kammern und Dezernaten tätig und für verschiedene Rechtsgebiete zuständig; auch dies erschwert eine statistische Vergleichbarkeit. Bei der Frage des Maßsta-bes bleibt nach der oben genannten Rechtsprechung des BSG im Hinblick auf die Instanzge-richte allerdings offen, ob eine bundesweite Statistik "vergleichbarer" Verfahren oder die sta-tistischen Zahlen des betreffenden Bundeslandes zugrunde zu legen sind, um die angemessene Dauer eines konkreten Verfahrens zu beurteilen.
Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfah-rens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist daher vor allem im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 der Europäi-schen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 2, 20 Abs. 3 GG zu beurteilen (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 15). § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nennt als Maßstab die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeu-tung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Als weiteres Kriterium ist die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht zu nennen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. 8. 2012, NZS 2013, S. 21, 22). Bei einer erheblichen (Existenz sichernden) Bedeutung des Verfahrens können schon kurze Verzögerungen Entschädigungs-ansprüche auslösen (BVerfG, info also 2012, S. 28, 29). Bei dem Verhalten der Verfahrensbe-teiligten und Dritter ist die besondere (bürgerfreundliche) Ausgestaltung des sozialgerichtli-chen Verfahrens zu beachten (vgl. Söhngen, NZS 2012, S. 493, 465). Beispielsweise Unerfah-renheit und Unbeholfenheit eines Verfahrensbeteiligten rechtfertigen keine Verfahrensverzö-gerung, weil das sozialgerichtliche Verfahren stärker als andere Verfahrensordnungen auf den rechtlich nicht bewanderten Bürger Rücksicht nimmt und eine Reihe von Vorschriften enthält, die es ihm erleichtern, sein Recht zu suchen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Aufl. 2012, Vor § 60 RdNr. 1; Söhngen, NZS 2012, S. 493, 465). Diesbezüglich und allgemein ist schließlich auch die Verfahrensführung durch das Gericht unter Berücksichtigung der durch Art. 97 Abs. 1 GG garantierten richterlichen Unabhängig-keit zu würdigen (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsver-fahren, § 198 GVG, RdNr. 127, 128). Hierzu zählt etwa eine unzulässige Aussetzung des Ver-fahrens.
Steht eine überlange Verfahrensdauer in diesem Sinne fest, ist in einem zweiten Schritt der Umfang der Verzögerung zu würdigen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht kein Entschädigungsanspruch der Klägerin Eine überlange Verfahrensdauer ist ebenfalls nicht festzustellen.
Der Senat ist an einer Entscheidung nicht deshalb gehindert, weil das Ausgangsverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgeschlossen war. Zwar ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich im Hinblick auf das Verfahren als Ganzes zu beurteilen. Ent-scheidend ist aber die Entscheidungsreife der Entschädigungsklage. Ist die Entschädigungs-klage etwa deshalb entscheidungsreif, weil diese bereits unzulässig ist oder keine wirksame Verzögerungsrüge vorliegt, kommt es auf die Angemessenheit einer gesamten (abzuwarten-den) Verfahrensdauer schon gar nicht (mehr) an. Im Gegenteil kann es in solchen Fallkonstel-lationen wegen der Warnfunktion einer Verzögerungsrüge und dem Grundsatz, dass das Ge-setz ein Dulden und Liquidieren nicht bezweckt, im Interesse der Beteiligten geradezu gebo-ten sein, über die Entschädigungsklage - wie hier - vor Abschluss des Ausgangsverfahrens zu entscheiden. Es besteht auch keinerlei Verpflichtung eines Beteiligten, nach dem Erheben einer Verzögerungsrüge nach Ablauf der Frist des § 198 Abs. 5 GVG während eines noch laufenden Ausgangsverfahrens eine Entschädigungsklage zu erheben. Eine Ausschlussfrist enthält das Gesetz erst nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Ausgangsverfahren, § 198 Abs. 5 S. 2 GVG. Schließlich spricht ein weiterer entscheidender Gesichtspunkt dafür, über Entschädigungsklagen bereits vor Abschluss der Ausgangsverfahren zu entscheiden: Nach § 198 Abs. 4 GVG kann das Entschädigungsgericht eine unangemessene Verfahrens-dauer feststellen, auch wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 des § 198 GVG nicht vorliegen (etwa bei unwirksamer Verzögerungsrüge). Ein solcher Ausspruch schon während eines laufenden Verfahrens wird die Erledigung des Ausgangsverfahrens be-schleunigen und dadurch das Eintreten eines Verzögerungsschadens durch die weitere Ver-fahrensdauer des Ausgangsverfahrens vermeiden, was die eigentliche Zielsetzung des ÜGRG darstellt.
Für die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer sowie für die Beurteilung einer wirksamen Verzögerungsrüge kommt es auf die Dauer und die Umstände des gesamten Aus-gangsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Entschädigungsgerichts an, unab-hängig von der Frage, ob die Klägerin die Verzögerungsrüge im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG unverzüglich erhoben hat, diese spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Eine "unverzügliche" Rüge im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG ist für Verfahren erforderlich, die beim Inkrafttreten des Gesetzes (am 3. Dezember 2011) schon verzögert sind; in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG.
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die Klägerin im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG un-verzüglich gerügt hat, eine Entscheidung darüber kann jedoch dahinstehen, denn es fehlt schon an anderen Anspruchsvoraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch.
Denn es liegt keine wirksame Verzögerungsrüge vor. Die Klägerin selber hat nicht die ge-ringsten Anhaltspunkte, die die Befürchtung einer überlangen Verfahrensdauer dieses Verfah-rens rechtfertigen. Es liegen keine objektiven Umstände vor, die bei vernünftiger Betrachtung, unabhängig von subjektiven Vorstellungen und Empfindungen der Beteiligten, auf eine unan-gemessene Verfahrensdauer hindeuten.
Der Zeitpunkt der Beurteilung einer wirksamen Verzögerungsrüge, das heißt der Zeitpunkt des Vorliegens objektiver Umstände, die bei vernünftiger Betrachtung auf eine unangemesse-ne Verfahrensdauer hindeuten, ist der Zeitpunkt der Erhebung. Liegen zu diesem Zeitpunkt keine derartigen objektiven Umstände vor, liegt keine wirksame Verzögerungsrüge vor mit der Folge, dass die Entschädigungsklage unbegründet ist. Eine vormals unwirksame Verzöge-rungsrüge wird auch nicht etwa deshalb wirksam, weil nachträglich solche Umstände eintre-ten. Dies ergibt sich nicht nur aus der Systematik des Gesetzes, sondern bereits aus der Warn-funktion der Verzögerungsrüge. Nur eine solche Betrachtungsweise verhindert, dass die Be-deutung und Funktion (insbesondere Warnfunktion) der Verzögerungsrüge etwa durch "vor-sorgliche" Rügen ausgehebelt wird. Zwar trägt damit derjenige, der eine unwirksame Verzö-gerungsrüge erhebt, das Risiko der Klageabweisung seiner Entschädigungsklage, das ist je-doch hinzunehmen. Denn an die Voraussetzungen einer wirksamen Verzögerungsrüge sind schon keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Die Konsequenz, dass eine Entschädi-gungsklage erfolglos ist, weil eine Verzögerungsrüge unwirksam ist, "ins Leere geht", tritt ferner auch dann ein, wenn sie "verfrüht" erhoben wird (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG, RdNr. 193), was ebenfalls die erhebliche Bedeutung der Verzögerungsrüge unterstreicht. Weiterhin können im selben Ver-fahren mehrfach Rügen erhoben werden (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG, RdNr. 197), ein Beteiligter ist schon nicht ver-pflichtet, während eines laufenden Verfahrens innerhalb einer bestimmten Frist nach Erheben der Verzögerungsrüge Entschädigungsklage zu erheben. Erhebt er Klage, muss er mit einer Entscheidung des Entschädigungsgerichtes rechnen.
Gleichwohl kann auch bei großzügiger Betrachtung hier nicht von einer wirksamen Verzöge-rungsrüge ausgegangen werden.
Es gibt keine "Regelverfahrensdauer" von einem Jahr bei sozialgerichtlichen Verfahren, wie die Klägerin meint, bei deren Überschreiten per se die Befürchtung einer unangemessenen Verfahrensdauer gerechtfertigt wäre. Dies gilt auch für die übrigen Umstände.
Der Verfahrensgang bewegte sich im üblichen Rahmen eines vertragsärztlichen Rechtsstrei-tes. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte - weder nach dem bisherigen Ablauf des Verfahrens noch im Hinblick auf später möglicherweise eintretende Umstände -, die die Befürchtungen einer Überlänge des Verfahrens rechtfertigen können. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass das Verfahren für die Klägerin nicht von der Bedeutung ist, die die Erhebung einer Verzögerungs-rüge bereits nach kurzer Verfahrensdauer rechtfertigen würde. Weiterhin spricht einiges da-für, dass die Klägerin die Verzögerungsrüge "vorsorglich" erhoben hat, ohne den bisherigen Verfahrensgang des Ausgangsverfahrens überhaupt zu prüfen bzw. zur Kenntnis zu nehmen. So hat sie etwa erst nach der Verzögerungsrüge gemerkt, dass noch gar keine Eingangsbestä-tigung der Ausgangsklage vorlag. In der Regel kann aber erst eine solche Prüfung die Be-fürchtung einer überlangen Verfahrensdauer zur Folge haben. Um das Verfahren selber hat sich die Klägerin zuvor nicht bemüht, etwa keine Sachstandsanfragen oder Mahnungen an das Sozialgericht gerichtet. Im Übrigen ist der Streitwert nur gering, er erreicht nicht den Beru-fungsstreitwert. Die Kläger will den Ausgangsrechstreit vorerst nicht entschieden haben, es sollte das Ergebnis eines "Musterverfahrens" abgewartet werden.
Dass die Klägerin in der Vergangenheit ein sozialgerichtliches Verfahren betrieben hat, das unangemessen lange gedauert hat, was vom BVerfG (B 1 BvR 1304/09) in einem Beschluss-festgestellt worden ist, bedeutet nicht, dass nun auch bei allen anderen Verfahren, die sie bei diesem Sozialgericht anhängig hat, per se eine die Verzögerungsrüge rechtfertigende Besorg-nis besteht, dass auch diese Verfahren eine unangemessene Verfahrensdauer erreichen wer-den. Bei jedem Verfahren ist gesondert festzustellen, ob eine Verzögerungsrüge rechtferti-gende Gründe vorliegen. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalles an.
Eine solche Besorgnis besteht auch nicht deshalb, weil ältere "Musterverfahren" noch nicht entschieden wurden. Es mag zutreffen, dass dieses Verfahren erforderlich wurde, weil ein gleichgelagertes "Musterverfahren" noch nicht erledigt ist. Dies bedeutet aber nicht, dass eine möglicherweise unangemessene Verfahrensdauer eines Verfahrens, dessen Ergebnis abgewar-tet werden soll, automatisch eine unangemessene Dauer bei dem Verfahren zur Folge hat, das nicht entschieden werden sollte. Eine solche Konsequenz ist zwar möglich, nicht aber bei ei-nem Verfahrensablauf wie dem vorliegenden.
Schließlich spricht einiges dafür, dass das Motiv einer Verzögerungsrüge im Falle der Kläge-rin nicht die Besorgnis gewesen ist, dass eine unangemessene Verfahrensdauer droht. Betreibt ein Kläger oder eine Klägerin - wie hier - eine Vielzahl von sozialgerichtlichen Klagen und erhebt in sämtlichen anhängigen Gerichtsverfahren (zu diesem Zeitpunkt 33 Verfahren) zum selben Zeitpunkt und unabhängig von der Dauer des jeweiligen Verfahrens Verzögerungsrü-gen sowie anschließend in sämtlichen anhängigen Gerichtsverfahren (zu diesem Zeitpunkt 30 Verfahren) Entschädigungsklagen, spricht einiges dafür, dass das Vorgehen aus prozesstakti-schen Erwägungen erfolgt und die Verzögerungsrügen nicht aus Anlass einer Besorgnis erho-ben wurden, dass die jeweiligen Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden.
Insgesamt liegen auch nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine unangemessene Verfah-rensdauer vor, die eine entsprechende Feststellung des Senates hätte rechtfertigen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGG i.V.m. 155 Abs. 1 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen, der Rechtsstreit hat insbesondere keine Rechtsfragen grundsätzlicher Art aufgeworfen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Gotha mit dem Aktenzeichen S 2 KA 1602/11 hat.
Die Klägerin ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führt seit Jahren verschie-dene Rechtsstreitigkeiten gegen die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen.
Am 20. März 2011 hat sie Klage gegen den Bescheid der K. vom 27. April 2009 in der Ges-talt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2011 erhoben. Die Klägerin wendet sich hier gegen den Honorarbescheid für das 3. Quartal 2008. Das Verfahren wurde beim Sozialgericht Gotha unter dem Aktenzeichen S 7 KA 1602/11 (nunmehr Az.: S 2 KA 1602/11) geführt. Sie beantragte bereits mit Klageeingang "die Zusammenlegung mit den anhängigen Honorarkla-gen I/0/ bis II/08 bei vorliegendem Sachzusammenhang". Der Streitwert belaufe sich auf ca. 500,- Euro. Mit am 22. März 2011 eingegangenem Schriftsatz hat sie die Klage begründet.
Mit Verfügung vom 24. März 2011 hat das Sozialgericht der K. die Klageschrift mit der Bitte um Aktenübersendung übersandt.
Am 11. April 2011 hat die K. mitgeteilt, dem Gericht die Verwaltungsakte schon in einem anderen Verfahren übersandt zu haben.
Mit am 15. Februar 2012 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin für insgesamt 33 Ge-richtsverfahren "unverzüglich die Dauer der vorliegenden Verfahren beim Sozialgericht Go-tha gerügt". Hierunter war auch das hier streitgegenständliche Ausgangsverfahren.
Nach einem Telefonvermerk vom 16. Februar 2012 hat die Klägerin um eine Übersendung der Eingangsbestätigung der Klage per Fax gebeten, da sie diese in ihren Unterlagen nicht finden könne. Dieser Bitte ist das Sozialgericht am selben Tag nachgekommen.
Mit Verfügungsdatum vom 22. Februar 2012 hat das Gericht Termin zur mündlichen Ver-handlung auf den 20. Juni 2012 bestimmt.
Mit am 29. Februar 2012 eingegangenem Schriftsatz, der als "Verzögerungsrüge" überschrie-ben ist, hat die Klägerin erklärt, dass Anlass zur Besorgnis bestehe, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen werde. Die Verfahrensdauer habe bereits zum jet-zigen Zeitpunkt die Regelverfahrensdauer von einem Jahr überschritten. Die Klägerin hat darauf verwiesen, dass ihre Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht wegen überlanger Verfahrensdauer mit Aktenzeichen B 1 BvR 1304/09 Erfolg gehabt habe. Zwi-schenzeitlich sei eine Vielzahl von noch anhängigen Nachfolgeverfahren vor den Sozialge-richten Thüringens notwendig geworden. Eine Änderung der überlangen Verfahrensdauer vor Thüringer Gerichten sei trotz ständiger Rügen beim SG Gotha, LSG Erfurt, BSG Kassel, Bundesverfassungsgericht Karlsruhe und dem Thüringer Justizministerium nicht zu verzeich-nen. Untätigkeitsklagen würden erst nach Jahren bearbeitet und seien heute noch nicht ent-schieden. Außerdem sei eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen-rechte in Straßburg mit dem Aktenzeichen 12014/10 seit 15. Februar 2010 wegen überlanger Verfahrensdauer anhängig. Bei ausbleibenden sozialgerichtlichen Entscheidungen in Thürin-gen über viele Jahre sei die Existenzerhaltung des Praxisbetriebes nur mit Fremdmitteln und entsprechenden Zinsbelastungen möglich gewesen. Ferner führt die Klägerin unter anderem aus, die Vielzahl der Verfahren gegen die K. habe sie als die schwächere Partei gegenüber ihrer weisungsberechtigten Institution diversen angreifbaren Verwaltungsakten und ver-gleichsweise härteren Bestrafungen sowie nachweislichen Verleumdungen vor dem Diszipli-narausschuss ausgesetzt.
Der nunmehr zuständige Kammervorsitzende hat sich daraufhin sämtliche Verfahren der Klä-gerin für seinen Zuständigkeitsbereich vorlegen lassen. In einem an die Beteiligten gerichte-ten ausführlichen Schriftsatz vom 28. März 2012 hat er diese Verfahren aufgelistet und den Streitgegenstand dargelegt. Der Kammervorsitzende hat zu verschiedenen Verfahren seine Rechtsauffassung geäußert. Ferner hat er der Klägerin im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatz richterliche Hinweise erteilt. Schließlich hat er zu verschiedenen Klagen (un-ter anderem dem hier vorliegenden Ausgangsverfahren) um Mitteilung gebeten, ob das Ruhen des Verfahrens beantragt wird.
Die Beklagte hat mit dieser Verfahrensweise ihr Einverständnis erklärt.
Die Klägerin hat am 2. Mai 2012 einen Antrag auf stillschweigende Fristverlängerung ge-stellt.
Mit Verfügung vom 22. Mai 2012 hat das Sozialgericht den Termin zur mündlichen Verhand-lung vom 20. Juni 2012 aufgehoben.
Mit Fax vom 30. Mai 2012 hat die Klägerin im Hinblick auf eine Stellungnahme zu Schaden-ersatzklagen um eine weitere Fristverlängerung gebeten.
Mit einem auf den 12. Juli 2012 datierten Schriftsatz, der bereits am 11. Juli 2012 beim Thü-ringer Landessozialgericht eingegangen ist, hat die Klägerin in insgesamt 30 von ihr bezeich-neten Rechtsstreitigkeiten ausdrücklich "Schadensersatzklage" erhoben. Das hier streitgegen-ständliche Ausgangsverfahren S 2 KA 1602/11 (irrtümlich bezeichnet mit Az.: S 7 KA 1602/11) wird ausdrücklich erwähnt, als Grundlage für die Schadensersatzklage wird das Ge-setz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermitt-lungsverfahren vom 24. November 2011 genannt.
Am 18. September 2012 hat die Klägerin einen Befangenheitsantrag gegen die als Berichter-statterin zuständige Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht J. gestellt. Der Antrag ist mit Beschluss vom 13. Dezember 2012 als unbegründet abgelehnt worden.
In einem ausführlichen Schriftsatz vom 22. Mai 2013 führte die Klägerin unter anderem aus, in dem Verfahren S 2 KA 1602/11 habe sie am 20. März 2011 fristwahrend Klage erhoben und einen Verbindungsantrag gestellt, dem trotz der zahlreichen inhaltsgleichen Verfahren nicht gefolgt worden sei. Eine Stellungnahme der KVT liege ihr nicht vor. Eine Ladung sei zum 20. Juni 2012 erfolgt, aber aufgrund der Ernennung des Verfahrens S 2 KA 3535/07 zum "Musterverfahren" aufgehoben worden. Das Verfahren sei letztlich im März 2013 ruhend ge-stellt worden. Letztlich seien auch hier durch die verspätete Entscheidung des Musterverfah-rens S 7 KA 3535/07 am 2. April 2013 zwei Jahre vergangen. Dies habe 8 Quartale notwen-diger Klagen bei Nichtklärung der Rechtmäßigkeit der Vergütung und Honorarverteilung ent-sprochen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Hö-he von 100,00 Euro pro Monat der Verzögerung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage. Jedenfalls rein vorsorglich sei aus-zuführen, dass die Verzögerungsrüge nicht rechtzeitig erhoben worden sei. Das Verfahren sei zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlanger Verfah-rensdauer am 3. Dezember 2011 bereits anhängig gewesen, weshalb die Verzögerungsrüge nach Art. 23 Satz 2 dieses Gesetzes unverzüglich nach diesem Zeitpunkt hätte erhoben wer-den müssen, um Entschädigungsansprüche auch für den Zeitraum vor Inkrafttreten des Geset-zes zu wahren. Die Rüge sei aber erst am 15. Februar 2012 erhoben worden, was nicht mehr unverzüglich sei. Eine Überlänge des Verfahrens dürfe im Übrigen soweit ersichtlich für den Zeitraum nach der Rüge auch insgesamt nicht vorliegen. Entgegen der Einschätzung der Klä-gerin gebe es keine allgemein gültige Zeitvorgabe wie lange ein sozialgerichtliches Verfahren höchstens dauern dürfe, um nicht als unangemessen lang zu gelten. Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren unangemessen lang dauere, insbesondere als feste Jahresgrenze, sei angesichts der Unterschiedlichkeit der Verfahren nicht möglich. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin auch durch ihre zweimaligen Fristverlängerungsanträge zur bisherigen Verfah-rensdauer beigetragen habe. Insbesondere auf Grund des Fristverlängerungsantrages vom 2. Mai 2012 sei der auf den 20. Juni 2012 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung auf-gehoben worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die das Hauptsacheverfah-ren betreffende Akte lag vor und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Bera-tung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Für das Klageverfahren wegen einer Entschädigung auf Grund einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind die Vorschriften des § 198 Abs. 1 des Gerichtsver-fassungsgesetzes (GVG) sowie die §§ 183, 197 a und 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der ab 3. Dezember 2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ( ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) maßgebend. Nach Art. 23 S. 1 ÜGRG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 - wie hier - bereits an-hängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Ge-genstand von anhängigen Beschwerden beim EGMR ist oder noch werden kann.
Für die Entscheidung über die Klage ist das Landessozialgericht (LSG) zuständig. Nach § 200 S. 2 GVG haftet der Bund für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen den Bund ist nach § 201 Abs. 1 S. 2 GVG der Bundesgerichtshof (BGH) zuständig. Für sozialgerichtliche Verfahren er-gänzt § 202 S. 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§198 - 201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des Ober-landesgerichts das LSG, an die Stelle des BGH das Bundessozialgericht (BSG) und an die Stelle der ZPO das SGG tritt.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft.
Im Übrigen wurde die Klage formgerecht erhoben.
Der Senat lässt offen, ob die Klage unzulässig ist, weil die Wartefrist des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG nicht eingehalten worden ist, da bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob, wie etwa bei Untätigkeitsklagen nach § 88 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), ein solcher Mangel ge-heilt werden kann (vgl. zur Untätigkeitsklage BSGE 75, 56, 58). Ferner ist nicht abschließend geklärt, ob bei dem Vorliegen besonderer Umstände die Erhebung der Klage ausnahmsweise auch vor Fristablauf zulässig ist (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlan-gen Gerichtsverfahren, § 198 GVG, RdNr. 246).
Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch wegen einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 198 Abs. 1 GVG in Verbindung mit § 202 SGG. Nach § 198 Abs. 1 GVG (in der ab 3. Dezember 2011 geltenden Fassung durch das ÜGRG) wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 S. 2 GVG).
Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet.
Für immaterielle Schäden erleichtert § 198 Abs. 2 GVG die Geltendmachung. Danach wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unange-messen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1.200 Euro für jedes Jahr der Ver-zögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen. Der Entschädigungsanspruch kann ein Vielfaches des ursprünglichen Klagebegehrens einschließlich der Kosten betragen. Ob im Einzelfall nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes eine Entschädigungsgrenze festzu-stellen ist, kann jedoch hier dahinstehen.
Entschädigung enthält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in ange-messener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren ein-geführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Andernfalls werden sie von dem Ge-richt, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Be-stimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Ver-fahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG). Nach Art. 23 ÜGRG gilt für anhängige Verfahren, die bei seinem (des ÜGRG) Inkrafttreten schon verzögert sind, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzöge-rungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich - als materiell-rechtliche Voraussetzung der Ent-schädigungsklage - prozessrechtlich um eine Obliegenheit (BT-Drs. 17/3802 S. 20). Das Ge-richt der Hauptsache oder das Entschädigungsgericht haben weder eine förmliche Entschei-dung über die Verzögerungsrüge zu treffen noch muss auf Grund der Verzögerungsrüge das Verfahren vorrangig bearbeitet oder erledigt werden. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3802 S. 20) ergibt sich zwar, dass die Rüge dem bearbeitenden Richter - soweit erforder-lich - auch die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und inso-fern als Vorwarnung dienen soll. Eine Verzögerungsrüge steht damit aber auch in einem Spannungsverhältnis zu dem, dem Rechtsuchenden nach Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten, Recht der richterlichen Unabhängigkeit des für ihn zuständigen Rich-ters. Dass eine Verzögerungsrüge Einfluss auf die richterliche Tätigkeit haben und Art. 97 Abs. 1 GG hierdurch berührt werden kann, ergibt sich beispielsweise daraus, dass sechs Mo-nate nach der Rüge Klage erhoben werden kann (§ 198 Abs. 5 GVG), d. h. nach Erheben der Rüge der Richter mit einer Entschädigungsklage rechnen muss.
Dies ist insgesamt bei der Frage zu berücksichtigen, wann Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird, mithin die Verzögerungsrüge als Anspruchsvoraussetzung für eine Entschädigung wirksam ist. Der Gesetzgeber war einer-seits bemüht zu verhindern, dass die Rüge zu früh, unter Umständen vorsorglich schon mit der Klageerhebung, angebracht wird, andererseits soll sie aber auch so rechtzeitig erhoben werden, dass sie ihre präventive Funktion noch entfalten kann (kein Dulden und Liquidieren, vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20; Söhngen, NZS 2012, S. 493, 469), ohne dass der Richter wegen Art. 97 Abs. 1 GG allerdings zu einem bestimmten Vorgehen/Verhalten gezwungen werden kann. Unwirksam wäre danach eine Verzögerungsrüge nur in der Absicht, sich gegenüber anderen Klägern einen zeitlichen Vorteil zu verschaffen oder nur um Einfluss auf die Bearbei-tung durch den Richter ausüben zu wollen.
Eine Besorgnis im oben genannten Sinne ist somit nur anzunehmen, wenn objektive Umstän-de vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung, unabhängig von subjektiven Vorstellungen und Empfindungen der Beteiligten, auf eine unangemessene Verfahrensdauer hindeuten (vgl. Scholz, SGb 2012, S. 19, 24). Solche Umstände können angenommen werden, wenn Zeiträu-me von gewisser Dauer verstreichen, ohne dass das Gericht für die Beteiligten nachvollzieh-bar nach §§ 103, 106, 106 a SGG tätig wird oder bei einer unberechtigten bzw. gegen den Willen eines Beteiligten angeordneten Aussetzung. Eine Besorgnis kann unabhängig vom Zeitmoment bei einem Richterwechsel in komplexen Fällen, längeren Vertretungszeiten oder Überlastungsanzeigen gerechtfertigt sein. Verzögerte oder vollständig unterbleibende Beant-wortung von Sachstandsanfragen sind zu beachten (vgl. Söhngen, NZS 2012, S. 493, 467). Eine möglicherweise lange Verfahrensdauer in einem anderen/früheren Verfahren des Klägers rechtfertigt per se noch nicht die Besorgnis der Verzögerung des aktuellen Verfahrens. Die Anforderungsvoraussetzungen dürfen allerdings auch nicht überspannt werden.
Nach § 198 Abs. 4 GVG ist eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Mo-nate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar (§ 198 Abs. 5 GVG).
Nach § 198 Abs. 6 GVG ist im Sinne dieser Vorschrift
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Ab-schluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenbeihilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren; 2. ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungs-rechts an einem Verfahren beteiligt sind.
Damit setzt der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch voraus, dass eine wirksame Verzögerungsrüge erhoben wurde, dass eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens vorliegt, dass die Klägerin einen Nachteil vermögenswerter oder nicht vermögenswerter Art erlitten hat, dass nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise nach § 198 Abs. 4 GVG nicht ausreichend ist und dass der geforderte Betrag als Entschädi-gung angemessen ist.
Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Hand-lungen öffentlicher Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (BVerfGE 93, 1, 13). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb ange-messener Zeit (BVerfGE 55, 349, 369). Jedoch lassen sich weder dem Grundgesetz noch dem ÜGRG allgemein gültige Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Dies ist auch bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Ver-zögerungsrüge zu berücksichtigen.
Wegen der Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an Art.19 Abs. 4 GG (i. V. m Art. 20 Abs. 3 GG) sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt es dar-auf an, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Men-schenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung von vornherein vorausgesetzt. Es reicht also nicht jede Abweichung vom Optimum, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußeren Grenze des Angemessenen vorliegen (BSG, Urteil vom 21. 2. 2013, B 10 ÜG 2/12 KL).
Die Dauer eines Verfahrens ist auch in hohem Maße von dem Verhältnis abhängig, in dem die Zahl der von Rechtsuchenden betriebenen Verfahren zu den Personal- und Sachmitteln des jeweils zuständigen Gerichts steht. Dabei reicht es aus, dass dieses Verhältnis angemessen ist. Der Staat ist jedenfalls nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass je-des anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine ge-wisse Wartezeit zuzumuten (BSG, a.a.O.).
Der Senat folgt der Rechtsprechung des BSG (BSG, a.a.O) auch insoweit, als es im Hinblick darauf von Bedeutung sein kann, in welcher Zeit vergleichbare Verfahren erledigt werden und entsprechende statistische Zahlen einen hilfreichen Maßstab bei der Beurteilung der Ange-messenheit der Dauer eines konkreten Verfahrens bieten (können). Hierbei ist jedoch zu-nächst zu berücksichtigen, dass die Feststellung, in welcher Zeit vergleichbare Verfahren er-ledigt wurden, nicht bedeutet, dass die statistischen Vergleichsverfahren auch in angemesse-ner Zeit erledigt wurden. Ferner ist die Bedeutung solcher statistischer Zahlen bei den In-stanzgerichten weitaus geringerer als beim BSG. Denn entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Bei den Instanzgerichten sind die Verfahren schon deshalb nicht ohne weiteres statistisch zu vergleichen, weil es sich um Tatsacheninstanzen handelt, die Verfahren weitaus unterschiedlicher sind und sich nicht auf reine Rechtsfragen beschränken. Ein ungewöhnli-cher Geschäftsanfall kann bei den Instanzgerichten nicht in gleicher Weise, etwa durch Unter-stützung durch Vorberichterstatter, abgefangen werden wie dies beim BSG möglich ist. Eine Änderung der Geschäftsverteilung oder Überlastungsanzeigen führen per se nicht zu einer schnelleren Erledigung der Verfahren. Schließlich sind in den Instanzgerichten Richter regel-mäßig in verschiedenen Kammern und Dezernaten tätig und für verschiedene Rechtsgebiete zuständig; auch dies erschwert eine statistische Vergleichbarkeit. Bei der Frage des Maßsta-bes bleibt nach der oben genannten Rechtsprechung des BSG im Hinblick auf die Instanzge-richte allerdings offen, ob eine bundesweite Statistik "vergleichbarer" Verfahren oder die sta-tistischen Zahlen des betreffenden Bundeslandes zugrunde zu legen sind, um die angemessene Dauer eines konkreten Verfahrens zu beurteilen.
Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfah-rens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist daher vor allem im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 der Europäi-schen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 2, 20 Abs. 3 GG zu beurteilen (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 15). § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nennt als Maßstab die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeu-tung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Als weiteres Kriterium ist die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht zu nennen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. 8. 2012, NZS 2013, S. 21, 22). Bei einer erheblichen (Existenz sichernden) Bedeutung des Verfahrens können schon kurze Verzögerungen Entschädigungs-ansprüche auslösen (BVerfG, info also 2012, S. 28, 29). Bei dem Verhalten der Verfahrensbe-teiligten und Dritter ist die besondere (bürgerfreundliche) Ausgestaltung des sozialgerichtli-chen Verfahrens zu beachten (vgl. Söhngen, NZS 2012, S. 493, 465). Beispielsweise Unerfah-renheit und Unbeholfenheit eines Verfahrensbeteiligten rechtfertigen keine Verfahrensverzö-gerung, weil das sozialgerichtliche Verfahren stärker als andere Verfahrensordnungen auf den rechtlich nicht bewanderten Bürger Rücksicht nimmt und eine Reihe von Vorschriften enthält, die es ihm erleichtern, sein Recht zu suchen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Aufl. 2012, Vor § 60 RdNr. 1; Söhngen, NZS 2012, S. 493, 465). Diesbezüglich und allgemein ist schließlich auch die Verfahrensführung durch das Gericht unter Berücksichtigung der durch Art. 97 Abs. 1 GG garantierten richterlichen Unabhängig-keit zu würdigen (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsver-fahren, § 198 GVG, RdNr. 127, 128). Hierzu zählt etwa eine unzulässige Aussetzung des Ver-fahrens.
Steht eine überlange Verfahrensdauer in diesem Sinne fest, ist in einem zweiten Schritt der Umfang der Verzögerung zu würdigen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht kein Entschädigungsanspruch der Klägerin Eine überlange Verfahrensdauer ist ebenfalls nicht festzustellen.
Der Senat ist an einer Entscheidung nicht deshalb gehindert, weil das Ausgangsverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgeschlossen war. Zwar ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich im Hinblick auf das Verfahren als Ganzes zu beurteilen. Ent-scheidend ist aber die Entscheidungsreife der Entschädigungsklage. Ist die Entschädigungs-klage etwa deshalb entscheidungsreif, weil diese bereits unzulässig ist oder keine wirksame Verzögerungsrüge vorliegt, kommt es auf die Angemessenheit einer gesamten (abzuwarten-den) Verfahrensdauer schon gar nicht (mehr) an. Im Gegenteil kann es in solchen Fallkonstel-lationen wegen der Warnfunktion einer Verzögerungsrüge und dem Grundsatz, dass das Ge-setz ein Dulden und Liquidieren nicht bezweckt, im Interesse der Beteiligten geradezu gebo-ten sein, über die Entschädigungsklage - wie hier - vor Abschluss des Ausgangsverfahrens zu entscheiden. Es besteht auch keinerlei Verpflichtung eines Beteiligten, nach dem Erheben einer Verzögerungsrüge nach Ablauf der Frist des § 198 Abs. 5 GVG während eines noch laufenden Ausgangsverfahrens eine Entschädigungsklage zu erheben. Eine Ausschlussfrist enthält das Gesetz erst nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Ausgangsverfahren, § 198 Abs. 5 S. 2 GVG. Schließlich spricht ein weiterer entscheidender Gesichtspunkt dafür, über Entschädigungsklagen bereits vor Abschluss der Ausgangsverfahren zu entscheiden: Nach § 198 Abs. 4 GVG kann das Entschädigungsgericht eine unangemessene Verfahrens-dauer feststellen, auch wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 des § 198 GVG nicht vorliegen (etwa bei unwirksamer Verzögerungsrüge). Ein solcher Ausspruch schon während eines laufenden Verfahrens wird die Erledigung des Ausgangsverfahrens be-schleunigen und dadurch das Eintreten eines Verzögerungsschadens durch die weitere Ver-fahrensdauer des Ausgangsverfahrens vermeiden, was die eigentliche Zielsetzung des ÜGRG darstellt.
Für die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer sowie für die Beurteilung einer wirksamen Verzögerungsrüge kommt es auf die Dauer und die Umstände des gesamten Aus-gangsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Entschädigungsgerichts an, unab-hängig von der Frage, ob die Klägerin die Verzögerungsrüge im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG unverzüglich erhoben hat, diese spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Eine "unverzügliche" Rüge im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG ist für Verfahren erforderlich, die beim Inkrafttreten des Gesetzes (am 3. Dezember 2011) schon verzögert sind; in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG.
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die Klägerin im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG un-verzüglich gerügt hat, eine Entscheidung darüber kann jedoch dahinstehen, denn es fehlt schon an anderen Anspruchsvoraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch.
Denn es liegt keine wirksame Verzögerungsrüge vor. Die Klägerin selber hat nicht die ge-ringsten Anhaltspunkte, die die Befürchtung einer überlangen Verfahrensdauer dieses Verfah-rens rechtfertigen. Es liegen keine objektiven Umstände vor, die bei vernünftiger Betrachtung, unabhängig von subjektiven Vorstellungen und Empfindungen der Beteiligten, auf eine unan-gemessene Verfahrensdauer hindeuten.
Der Zeitpunkt der Beurteilung einer wirksamen Verzögerungsrüge, das heißt der Zeitpunkt des Vorliegens objektiver Umstände, die bei vernünftiger Betrachtung auf eine unangemesse-ne Verfahrensdauer hindeuten, ist der Zeitpunkt der Erhebung. Liegen zu diesem Zeitpunkt keine derartigen objektiven Umstände vor, liegt keine wirksame Verzögerungsrüge vor mit der Folge, dass die Entschädigungsklage unbegründet ist. Eine vormals unwirksame Verzöge-rungsrüge wird auch nicht etwa deshalb wirksam, weil nachträglich solche Umstände eintre-ten. Dies ergibt sich nicht nur aus der Systematik des Gesetzes, sondern bereits aus der Warn-funktion der Verzögerungsrüge. Nur eine solche Betrachtungsweise verhindert, dass die Be-deutung und Funktion (insbesondere Warnfunktion) der Verzögerungsrüge etwa durch "vor-sorgliche" Rügen ausgehebelt wird. Zwar trägt damit derjenige, der eine unwirksame Verzö-gerungsrüge erhebt, das Risiko der Klageabweisung seiner Entschädigungsklage, das ist je-doch hinzunehmen. Denn an die Voraussetzungen einer wirksamen Verzögerungsrüge sind schon keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Die Konsequenz, dass eine Entschädi-gungsklage erfolglos ist, weil eine Verzögerungsrüge unwirksam ist, "ins Leere geht", tritt ferner auch dann ein, wenn sie "verfrüht" erhoben wird (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG, RdNr. 193), was ebenfalls die erhebliche Bedeutung der Verzögerungsrüge unterstreicht. Weiterhin können im selben Ver-fahren mehrfach Rügen erhoben werden (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG, RdNr. 197), ein Beteiligter ist schon nicht ver-pflichtet, während eines laufenden Verfahrens innerhalb einer bestimmten Frist nach Erheben der Verzögerungsrüge Entschädigungsklage zu erheben. Erhebt er Klage, muss er mit einer Entscheidung des Entschädigungsgerichtes rechnen.
Gleichwohl kann auch bei großzügiger Betrachtung hier nicht von einer wirksamen Verzöge-rungsrüge ausgegangen werden.
Es gibt keine "Regelverfahrensdauer" von einem Jahr bei sozialgerichtlichen Verfahren, wie die Klägerin meint, bei deren Überschreiten per se die Befürchtung einer unangemessenen Verfahrensdauer gerechtfertigt wäre. Dies gilt auch für die übrigen Umstände.
Der Verfahrensgang bewegte sich im üblichen Rahmen eines vertragsärztlichen Rechtsstrei-tes. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte - weder nach dem bisherigen Ablauf des Verfahrens noch im Hinblick auf später möglicherweise eintretende Umstände -, die die Befürchtungen einer Überlänge des Verfahrens rechtfertigen können. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass das Verfahren für die Klägerin nicht von der Bedeutung ist, die die Erhebung einer Verzögerungs-rüge bereits nach kurzer Verfahrensdauer rechtfertigen würde. Weiterhin spricht einiges da-für, dass die Klägerin die Verzögerungsrüge "vorsorglich" erhoben hat, ohne den bisherigen Verfahrensgang des Ausgangsverfahrens überhaupt zu prüfen bzw. zur Kenntnis zu nehmen. So hat sie etwa erst nach der Verzögerungsrüge gemerkt, dass noch gar keine Eingangsbestä-tigung der Ausgangsklage vorlag. In der Regel kann aber erst eine solche Prüfung die Be-fürchtung einer überlangen Verfahrensdauer zur Folge haben. Um das Verfahren selber hat sich die Klägerin zuvor nicht bemüht, etwa keine Sachstandsanfragen oder Mahnungen an das Sozialgericht gerichtet. Im Übrigen ist der Streitwert nur gering, er erreicht nicht den Beru-fungsstreitwert. Die Kläger will den Ausgangsrechstreit vorerst nicht entschieden haben, es sollte das Ergebnis eines "Musterverfahrens" abgewartet werden.
Dass die Klägerin in der Vergangenheit ein sozialgerichtliches Verfahren betrieben hat, das unangemessen lange gedauert hat, was vom BVerfG (B 1 BvR 1304/09) in einem Beschluss-festgestellt worden ist, bedeutet nicht, dass nun auch bei allen anderen Verfahren, die sie bei diesem Sozialgericht anhängig hat, per se eine die Verzögerungsrüge rechtfertigende Besorg-nis besteht, dass auch diese Verfahren eine unangemessene Verfahrensdauer erreichen wer-den. Bei jedem Verfahren ist gesondert festzustellen, ob eine Verzögerungsrüge rechtferti-gende Gründe vorliegen. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalles an.
Eine solche Besorgnis besteht auch nicht deshalb, weil ältere "Musterverfahren" noch nicht entschieden wurden. Es mag zutreffen, dass dieses Verfahren erforderlich wurde, weil ein gleichgelagertes "Musterverfahren" noch nicht erledigt ist. Dies bedeutet aber nicht, dass eine möglicherweise unangemessene Verfahrensdauer eines Verfahrens, dessen Ergebnis abgewar-tet werden soll, automatisch eine unangemessene Dauer bei dem Verfahren zur Folge hat, das nicht entschieden werden sollte. Eine solche Konsequenz ist zwar möglich, nicht aber bei ei-nem Verfahrensablauf wie dem vorliegenden.
Schließlich spricht einiges dafür, dass das Motiv einer Verzögerungsrüge im Falle der Kläge-rin nicht die Besorgnis gewesen ist, dass eine unangemessene Verfahrensdauer droht. Betreibt ein Kläger oder eine Klägerin - wie hier - eine Vielzahl von sozialgerichtlichen Klagen und erhebt in sämtlichen anhängigen Gerichtsverfahren (zu diesem Zeitpunkt 33 Verfahren) zum selben Zeitpunkt und unabhängig von der Dauer des jeweiligen Verfahrens Verzögerungsrü-gen sowie anschließend in sämtlichen anhängigen Gerichtsverfahren (zu diesem Zeitpunkt 30 Verfahren) Entschädigungsklagen, spricht einiges dafür, dass das Vorgehen aus prozesstakti-schen Erwägungen erfolgt und die Verzögerungsrügen nicht aus Anlass einer Besorgnis erho-ben wurden, dass die jeweiligen Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden.
Insgesamt liegen auch nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine unangemessene Verfah-rensdauer vor, die eine entsprechende Feststellung des Senates hätte rechtfertigen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGG i.V.m. 155 Abs. 1 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen, der Rechtsstreit hat insbesondere keine Rechtsfragen grundsätzlicher Art aufgeworfen.
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