L 3 AS 218/12 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 32 AS 276/12 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 218/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 SGG, das zur Erledigung eines Rechtsstreites führen kann, ist das im Wege einseitiger Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage oder dem Antrag geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht.

2. Wenn ein Rechtsmittel zulässig und begründet ist, ist ein angefochtener Beschluss eines Sozialgerichtes aufzuheben. Dies gilt auch, wenn das Sozialgericht die Erledigung des Rechtsstreites übersehen und eine Entscheidung erlassen hat. In diesem Fall ist die Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht aufzuheben. Eine über die Entscheidungsaufhebung hinausgehende bewertende Feststellung in der Rechtsmittelentscheidung zu formellen oder materiellen Aspekten der angefochtenen instanzgerichtlichen Entscheidung ist im Pozessrecht nicht vorgesehen.
I. Die Beschwerde der Antragssteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Februar 2012 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller haben im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Zusicherung für die Angemessenheit einer neuen Unterkunft geltend gemacht.

Die am 1980 geborene Antragstellerin bezieht gemeinsam mit ihren am 2002 und am 2011 geborenen Kindern Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Am 28. November 2011 beantragten die Antragsteller die Zusicherung zur Angemessenheit einer neuen Unterkunft. Der Antragsgegner lehnte dies mit Bescheid vom 13. Dezember 2011 mangels Angemessenheit der Wohnung ab.

Hiergegen legten die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten am 11. Januar 2012 Widerspruch ein. Zugleich forderten sie den Antragsgegner zur Abhilfe bis spätestens 16. Januar 2012 auf und drohten andernfalls die Einleitung eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes an.

Am 20. Januar 2012 haben die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Sozialgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihnen eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II für die Wohnung O -R -S. in M zu erteilen.

Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2012 hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass im Widerspruchsverfahren dem Umzug zugestimmt worden sei und auf den am 24. Januar 2012 ergangenen Abhilfebescheid verwiesen. Der Eilantrag sei mangels eines Anordnungsgrunds abzulehnen, da es den Antragstellern zumutbar gewesen wäre, den Ausgang des Widerspruchsverfahrens abzuwarten.

Mit Verfügung vom 30. Januar 2012 hat das Sozialgericht den Antragstellern den vorgenannten Schriftsatz zur Kenntnis- und Stellungnahme zur Erklärung der Erledigung bis zum 6. Februar 2012 übermittelt. Nachdem keine Reaktion der Antragsteller erfolgt ist, hat es den Antrag mit Beschluss vom 17. Februar 2012 als unzulässig abgelehnt. Die Streit-sache habe sich erledigt und das Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen, nachdem der Antragsgegner dem Begehren mit Bescheid vom 24. Januar 2012 entsprochen habe. Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 21. Februar 2012 und dem Antragstellerbevollmächtigten am 24. Februar zugestellt worden

Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2012 hat der Antragstellerbevollmächtigte erklärt, dass das Teilanerkenntnis des Antragsgegners hinsichtlich des Anordnungsanspruchs angenommen werde. Er hat darauf hingewiesen, dass dieser dem Begehren der Antragsteller nach Erhebung des Antrags vollumfänglich nachgekommen sei.

Gegen den am 24. Februar 2012 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 23. März 2012 Beschwerde eingelegt und auf die nach ihrer Auffassung zumindest konkludente Abgabe eines (Teil-)Anerkenntnis durch den Antragsgegner hingewiesen, welches mit Schreiben vom 23. Februar 2012 angenommen worden sei. Das Gericht hätte daher nicht mehr in der Sache befinden dürfen. Der Antragsgegner sei ihrem Begehren nach Erhebung des Eilantrags vollumfänglich nachgekommen. Der Antrag habe daher nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Zudem sei die Kostenentscheidung fehlerhaft, da die Abhilfe des Antragsgegners erst nach Einleitung des gerichtlichen Eilverfahrens erfolgt sei.

Die Antragssteller beantragen,

1. Der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz im Verfahren S 32 AS 276/12 ER vom 17. Februar 2012 wird aufgehoben.

2. Die Rechtssache wird zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen.

hilfsweise

3. Es wird festgestellt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 20. Januar 2012 nicht durch Beschluss des Sozialgerichts im Verfahren S 32 AS 276/12 ER abzulehnen war.

4. Es wird ferner festgestellt, dass dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens S 32 AS 276/12 ER nach § 193 SGG aufzuerlegen sind.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags verweist er auf die aus seiner Sicht zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

a) Soweit mit den beiden Hauptanträgen begehrt wird, den Beschluss vom 17. Februar 2012 aufzuheben und die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen, ist dies zwar grundsätzlich in Beschwerdeverfahren in analoger Anwendung von § 159 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) möglich (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – L 3 B 740/08 AS-PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 2; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 141 Rdnr.). Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht gegeben.

Gemäß § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, und 2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Vorliegend fehlt es an einem Verfahrensmangel.

Der Antragstellerbevollmächtigte macht in diesem Zusammenhang geltend, dass das Sozialgericht keine Sachentscheidungsbefugnis mehr besessen habe, weil er ein (Teil-)Anerkenntnis angenommen habe. Diese Auffassung beruht jedoch auf einer unzutreffenden Tatsachenannahme. Denn der Antragsgegner gab mitnichten im Schriftsatz vom 24. Januar 2012 ein (Teil-)Anerkenntnis ab, auch nicht konkludent. Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 SGG, das zur Erledigung eines Rechtsstreites führen kann, ist das im Wege einseitiger Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage oder dem Antrag geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. April 2009 – L 5 KA 10/08 – JURIS-Dokument Rdnr. 14; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Mai 2009 – L 24 KR 7/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 24; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. Oktober 2011 – L 5 AS 331/11 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 25; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 101 Rdnr. 20; in ähnlicher Weise auch das Bundessozialgericht: vgl. z. B. BSG, Urteil vom 9. September 1965 – 4 RJ 481/61BSGE 24, 4 [5] = JURIS-Dokument Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 27. Januar 1982 – 9a/9 RV 30/81 – JURIS-Dokument Rdnr. 13). Das Anerkenntnis ist eine Prozesserklärung. Es muss durch Auslegung ermittelt werden, ob ein Anerkenntnis gewollt ist. Das Wort "Anerkenntnis" muss nicht verwendet werden (vgl. BSG, Beschluss vom 21. November 1961 – 9 RV 374/60 – JURIS-Dokument Rdnr. 7; LSG Rheinland-Pfalz, a. a. O.; LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O.; Leitherer, a. a. O., Rdnr. 21). Ein Anerkenntnis in diesem Sinne ist im Schriftsatz vom 24. Januar 2012 erkennbar nicht enthalten. Zum einen hat der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzuweisen. Zum anderen ist er in der Antragserwiderung dem Antragsbegehren entgegen getreten. Der Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Damit geht die Erklärung des Antragstellerbevollmächtigten, das (Teil-)Anerkenntnis anzunehmen, ins Leere.

Das Antragsverfahren vor dem Sozialgericht war auch nicht in anderer Weise beendet. Insbesondere wurde das Verfahren nicht durch eine Erklärung des Antragstellerbevollmächtigten zur Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache beendet, die als Antragsrücknahme hätte behandelt werden können (vgl. BSG, Beschluss vom 29. Dezember 2005 – B 7a AL 192/05 B – JURIS-Dokument Rdnr. 6). Denn der Antragstellerbevollmächtigte hat trotz der Anfrage des Sozialgerichtes vom 30. Januar 2012 nach einer solchen Erklärung sowohl im Schriftsatz vom 23. Februar 2012 als auch in der Beschwerdebegründung vom 3. Mai 2012 nur von der Annahme eines (Teil-)Anerkenntnisses gesprochen. Bei diesen eindeutigen Willensäußerungen eines Rechtsanwaltes gibt es keinen Ansatzpunkt, die Erklärung in einem anderen Sinne auszulegen. Zum anderen wurde der Beschluss des Sozialgerichts vom 17. Februar 2012 mit der Zustellung am 21. Februar 2012 an den Antragsgegner diesem gegenüber formell wirksam (vgl. zum Eintritt der formellen Rechtskraft bei der Zustellung unanfechtbarer Entscheidungen: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 141 Rdnr. 2a; zur äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes: Roos, in: von Wulffen, SGB X [7. Aufl., 2010], § 39 Rdnr. 4). Damit war dem Sozialgericht die Kompetenz entzogen, den Beschluss auf den danach eingegangenen Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 23. Februar 2012 hin zu ändern oder aufzuheben.

b) Dem als Antrag Nummer 3 gestellten ersten Hilfsantrag muss in der vom Antragstellerbevollmächtigten formulierten Fassung ebenfalls der Erfolg versagt bleiben.

Es gibt keine Rechtsgrundlage, auf Grund derer ein Rechtsmittelgericht befugt wäre, rückwirkend einen feststellenden Beschluss zur Entscheidungskompetenz eines Instanzgerichtes zu treffen. Auch die Bestimmung des zuständigen Gerichtes gemäß § 58 SGG durch das nächsthöhere Gericht erfolgt noch während des laufenden Instanzverfahrens und nicht erst im Rechtsmittelverfahren.

Ein Rechtmittel bezieht sich immer auf eine bestimmte Entscheidung eines instanziell nachgeordneten Gerichtes (vgl. § 144 SGG: Urteil; § 160 Abs. 1 SGG: Urteil; § 172 Abs. 1 SGG: Entscheidungen). Wenn ein Rechtsmittel, zum Beispiel die Beschwerde, zulässig und begründet ist, ist ein angefochtene Beschluss eines Sozialgerichtes aufzuheben (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 176 Rdnr. 4; Krasney, in: Krasney/Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens [6. Aufl., 2011], Kapitel X Rdnr. 55). Dies gilt auch, wenn das Sozialgericht die Er-ledigung des Rechtsstreites übersehen und eine Entscheidung erlassen hat. In diesem Fall ist die Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht aufzuheben (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 1967 – 4 RJ 195/66 – JURIS-Dokument Rdnr. 26; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 101 Rdnr. 23; vgl. zur VwGO: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung [17. Aufl., 2011], § 161 Rdnr. 15). Eine über die Entscheidungsaufhebung hinausgehende bewertende Feststellung in der Rechtsmittelentscheidung zu formellen oder materiellen Aspekten der angefochtenen instanzgerichtlichen Entscheidung ist im Pozessrecht nicht vorgesehen. Eine Darstellung der Beurteilung der angefochtenen Entscheidung erfolgt lediglich in den Entscheidungsgründen.

c) Der Beschwerdeantrag Nummer 3 ist deshalb sachdienlich (vgl. § 123 SGG) dahin-gehend auszulegen, dass die Aufhebung des Beschlusses vom 17. Februar 2012 begehrt wird. Der Antrag in dieser Fassung ist jedoch unbegründet.

Soweit die Aufhebung des Beschlusses im Hinblick darauf begehrt wird, dass das Antragverfahren wegen des behaupteten angenommenen Anerkenntnisses erledigt sei, ist dies unbegründet, wie unter Buchstabe a aufgeführt wurde.

Die Antragsablehnung im Beschluss vom 17. Februar 2012 ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass den Antragstellern für die Fortführung des Antragsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis, das heißt ein rechtsschutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung, fehlte, nachdem der Antragsgegner die begehrte Zusicherung zum Umzug erteilt hatte.

d) Schließlich bleibt auch dem zweiten Hilfsantrag (Antrag Nummer 4), mit dem die Änderung der Kostengrundentscheidung gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG unter Nummer 2 des Beschlusstenors begehrt wird, ohne Erfolg. Die Entscheidung des Sozialgerichtes ist nicht zu beanstanden.

Das Gericht entscheidet im Rahmen von § 193 Abs. 1 SGG nach billigem Ermessen. Es ist hierbei nicht an den Ausgang des Rechtsstreites gebunden. Jedoch hat das Gericht neben möglichen anderen Gesichtspunkten auch das Ergebnis des Rechtsstreites und den Sach- und Streitstand zu berücksichtigen (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 193 Rdnr. 12). Ferner kann berücksichtigt werden, wer Anlas für die Klageerhebung gegeben hat (vgl. Leitherer, a. a. O., § 193 Rdnr. 12b, m. w. N.) und ob unverzüglich auf eine Änderung der Sach- oder Rechtslage reagiert worden ist (vgl. Leitherer, a. a. O., § 193 Rdnr. 12c f., m. w. N.). Vorliegend hat das Sozialgericht vertretbar darauf abgestellt, dass die Antragsteller trotz einer offensichtlich eingetretenen Hauptsacheerledigung und trotz einer entsprechenden gerichtlichen Anfrage nicht zeitnah eine das Verfahren beendende Erklärung abgegeben haben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

3. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Scheer Höhl Krewer
Rechtskraft
Aus
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