S 70 AL 1989/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
70
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 70 AL 1989/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird der vorfianzierenden Bank Insolvenzgeld für an sie abgetretenes Arbeitsentgelt gewährt, kann kein Erstattungsanspruch der SGB II-Leistungsträger wegen der Zahlung von Arbeitslosengeld II an die abtretenden Arbeitnehmer bestehen
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 02.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 verurteilt, der Klägerin weitere 1.383,54 Euro Insolvenzgeld zu gewähren. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 1.383,54 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin aus abgetretenem Recht zustehenden Insolvenzgeldes nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).

Die Arbeitnehmerinnen C. F., S. B. und M. E. waren im Jahr 2010 bei der Fa. R. S. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) beschäftigt. Da ihr Arbeitseinkommen nicht zur Deckung ihres Lebensunterhalts ausreichte, bezogen sie zugleich von den beiden Beigeladenen ergänzend Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 03.09.2010 die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet (Az. 36r IN 3958/10). Der vorläufige Insolvenzverwalter beantragte kurz danach namens der klagenden Bank bei der Beklagten die Zustimmung zur Vorfinanzierung des Arbeitsentgeltes für die 96 Mitarbeiter der Schuldnerin gem. § 188 Abs. 4 SGB III a. F., um die Fortführung des Geschäftbetriebs zu ermöglichen. Die Beklagte erteilte diese Zustimmung für die Monate August bis Oktober 2010. Die klagende Bank und die Schuldnerin, vertreten durch den Insolvenzverwalter, schlossen einen Vertrag über den Ankauf und die Abtretung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt für die Zeit 01.08.2010-30.10.2010. Die betroffenen Arbeitnehmer stimmten diesem Vertrag durch gesonderte Formularerklärungen für die einzelnen Monate zu. Als Gegenleistung für die Abtretung ihrer Lohnansprüche erhielten die Arbeitnehmer dank der Vorfinanzierung der Klägerin laufende Zahlungen in Höhe ihrer monatlichen Nettoentgelte.

Am 01.11.2010 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin beantragte im November 2010 die Gewährung von Insolvenzgeld an Dritte in Höhe von 213.991,88 Euro. Mit Bescheid vom 02.03.2011 setzte die Beklagte den Anspruch auf 212.608,34 Euro fest. Der geltend gemachte Anspruch könne nur in dieser Höhe berücksichtigt werden, weil die o. g. Arbeitnehmerinnen im maßgeblichen Insolvenzgeldzeitraum Arbeitslosengeld II in Höhe von 1.383,54 Euro erhalten hätten. Der Antrag habe daher um diesen Betrag gekürzt werden müssen.

Den gegen den Bescheid einlegten Widerspruch vom 25.03.2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2011 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie an: Bei der Auszahlung des Insolvenzgeldes seien die Erstattungsansprüche der Beigeladenen für die Arbeitnehmerinnen gem. § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu berücksichtigen. Die Beigeladenen hätten ihre Erstattungsansprüche in Kenntnis darüber angemeldet, dass die Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld für nicht gezahltes Arbeitsentgelt hätten. Aus diesem Grunde bestehe ihrerseits keine Veranlassung, die Rechtmäßigkeit der Erstattungsansprüche der Beigeladenen anzuzweifeln. Die Arbeitnehmer hätten es offensichtlich versäumt, die Klägerin über die bei den Beigeladenen beantragten Leistungen zu informieren.

Die Klägerin hat am 21.06.2011 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Sie trägt zur Klagebegründung im Wesentlichen vor: Ihr stehe Insolvenzgeld in Höhe von weiteren 1.383,54 Euro zu. Erstattungsansprüche der Beigeladenen bestünden nicht, da die von den Beigeladenen gezahlten Aufstockungsbeiträge lediglich das Arbeitsentgelt ergänzten und somit weder gegenüber den Arbeitnehmern noch ihr gegenüber in Abzug zu bringen seien. Das Insolvenzgeld könne nicht um die Aufstockungsbeiträge vermindert werden, da andernfalls die Aufstockung zur Deckung des Lebensunterhalts wegfallen würde. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf den Zweck des Anspruchs auf ergänzende Hilfe widersinnig.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 02.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 zu verurteilen, ihr weitere 1.383,54 Euro Insolvenzgeld zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen übereinstimmend,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und verweist im Wesentlichen auf deren Gründe.

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegende Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von weiterem Insolvenzgeld in Höhe von 1.383,54 Euro.

Der Anspruch der Klägerin folgt aus abgetretenem Recht auf Insolvenzgeld gem. §§ 183 Abs. 1, 188 Abs. 1 und Abs. 4 SGB III a. F ... Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Voraussetzungen für einen Insolvenzgeldanspruch der Klägerin vorliegend dem Grunde nach erfüllt sind. Auch die Kammer hat insoweit keine Zweifel. Insbesondere hat die Klägerin die nach § 188 Abs. 4 SGB III a. F. (= § 170 Abs. 4 SGB III n. F.) bei der Vorfinanzierung von Arbeitsentgelten erforderliche Zustimmung der Arbeitsagentur zur Abtretung der Arbeitsentgeltansprüche eingeholt.

Die Klage ist auch der Höhe nach begründet. Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Beigeladenen bestehen keine Erstattungsansprüche der Beigeladenen, die gegenüber der Klägerin geltend gemacht werden könnten. Denkbar ist hier nur ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X. Danach gilt: Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2).

Die Beigeladenen sind keine nachrangig verpflichteten Leistungsträger bezogen auf den hier streitigen Insolvenzgeldanspruch. Denn nachrangig verpflichtet könnten die Beigeladenen lediglich hinsichtlich der Leistungen eines anderen Leistungsträgers sein, die den bei ihnen im Bezug stehenden Arbeitnehmerinnen oder den Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft gelten würden (vgl. § 104 Abs. 2 SGB X und § 34b SGB II). Eine nachrangige Verpflichtung eines Leistungsträgers liegt nämlich nur dann vor, wenn gleichzeitig auch ein anderer Leistungsträger zur Gewährung einer Sozialleistung verpflichtet ist, der Berechtigte also gleichzeitig Ansprüche gegen wenigstens zwei Leistungsträger hat (BSG, Urteil v. 14.05.1985, 4a RJ 13/84; BSG, Urteil v. 03.04.1990, 10 RKg 29/89; Kater in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB X, § 104 Rn. 9). Bei dem Insolvenzgeldanspruch handelt es sich aber nicht um einen Anspruch der Arbeitnehmerinnen oder ihrer Angehörigen, sondern der Klägerin. Durch die Abtretung ihrer Lohnansprüche an die Klägerin ist diese alleinige Inhaberin der Insolvenzgeldansprüche geworden. Das folgt aus § 188 Abs. 1 SGB III a. F. (=§ 170 Abs. 1 SGB III n. F.), wonach der Anspruch auf Insolvenzgeld einem Dritten zusteht, soweit der Arbeitnehmer seine Arbeitsentgeltansprüche vor seinem Antrag auf Insolvenzgeld diesem Dritten übertragen hat. An der Wirksamkeit der Abtretung der Arbeitsentgeltansprüche gem. §§ 398 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bestehen keine Bedenken. Insbesondere gilt die Begrenzung der Abtretbarkeit von Arbeitsentgeltansprüchen auf den pfändbaren Teil gem. § 400 BGB hier ausnahmsweise nicht, weil die abtretenden Arbeitnehmer für die Abtretung eine wirtschaftlich gleichwertige Gegenleistung erhalten haben (vgl. BSG, Urteil v. 08.04.1992, 10 RAr 12/91). Da das Insolvenzgeld also nicht den Arbeitnehmerinnen zusteht, kann dessen Zahlung an die Klägerin keinen Erstattungsanspruch der Beigeladenen begründen.

Vor dem Hintergrund des Sinn und Zwecks der Erstattungsregelungen in §§ 102 ff. SGB X ist dieses Ergebnis folgerichtig. Denn Zweck dieser Regelungen ist es insbesondere, zweckidentische Doppelleistungen an die Leistungsempfänger zu verhindern (Roos in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 104 Rn. 13). Von einer Doppelleistung an die Arbeitnehmerinnen kann aber angesichts der Gewährung des Insolvenzgelds an die Klägerin nicht die Rede sein. Im Gegenteil würde die im Erstattungswege erfolgende Anrechnung des Insolvenzgeldes im Verhältnis zu den Arbeitnehmerinnen zur doppelten Berücksichtigung ihrer Lohnersatzeinkünfte führen, nämlich einerseits durch die Anrechnung der vorfinanzierten Entgeltzahlungen in der Zeit von August bis Oktober 2010 und andererseits in Form der Zurechnung der hier streitigen Insolvenzgeldzahlung an die Klägerin. Sollten die Beigeladenen - wie ihrem Vorbringen zu entnehmen ist - die vorfinanzierten Lohnersatzzahlungen der Arbeitnehmerinnen in der Zeit 01.08.2010-31.10.2010 zum Teil nicht vollständig auf die Ansprüche auf Arbeitslosengeld II angerechnet haben, so müssen sie sich insoweit - sofern dies rechtlich noch zulässig ist - an die Arbeitnehmerinnen halten.

Nach alledem ist festzustellen, dass Erstattungsansprüche der Beigeladenen nicht bestehen. Die Beklagte ist damit verpflichtet, der Klägerin Insolvenzgeld in ungekürztem Umfang zu gewähren. Die Beklagte war daher antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte hat infolge ihres Unterliegens die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang zu tragen.

Die Bestimmung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1, Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und entspricht dem Wert der hier streitigen Geldleistung.
Rechtskraft
Aus
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