L 9 AS 2885/13 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 2179/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2885/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung im Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 2. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) des Antragstellers ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Senat sieht nach summarischer Prüfung weder die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen für die begehrte Leistung als glaubhaft gemacht an (Anordnungsanspruch), noch ist glaubhaft gemacht, dass dem Antragsteller bei Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht wiedergutzumachende Schädigungen drohen, so dass ihm ein Zuwarten nicht zumutbar und eine Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise gerechtfertigt wäre (Anordnungsgrund).

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. z.B. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17.08.2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig im Wege einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung zur Übernahme der Kosten für die voraussichtlich am 02.09.2013 beginnende Qualifizierung zum Wagenmeister G bei der M. mbH, M., zu verurteilen. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen hierfür ergeben sich aus § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und Satz 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) i.V.m. §§ 81-87, 131a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

Nach § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II kann die Agentur für Arbeit Leistungen des Dritten Kapitels des Dritten Buches, unter anderem Leistungen zur beruflichen Weiterbildung nach dem Vierten Abschnitt und Leistungen nach §§ 131a und 131b, erbringen. Nach § 81 Abs. 1 SGB III können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn 1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, 2. die Agentur für Arbeit sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat und 3. die Maßnahmen und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.

Nach dem hier einschlägigen § 81 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird eine Notwendigkeit der Weiterbildung wegen fehlenden Berufsabschlusses dann anerkannt, wenn Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch aufgrund einer mehr als vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine dem Berufsabschluss entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können.

Der Senat vermag im vorliegenden Eilverfahren nach summarischer Prüfung nicht abschließend zu entscheiden, ob tatsächlich eine Weiterbildung notwendig ist, um den Antragsteller dauerhaft beruflich wieder in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern. Für die Annahme der Notwendigkeit einer Weiterbildung genügt nicht die mehr als vierjährige Ausübung einer an- oder ungelernten Tätigkeit; erforderlich ist zudem eine in der Weise negative Beschäftigungsprognose, dass der Arbeitnehmer voraussichtlich eine seinem Berufsabschluss entsprechende Beschäftigung nicht mehr ausüben können wird (Hassel in: Brand, SGB III, Kommentar, 6. Auflage, § 81 Rn. 30). Der Umstand, dass der Antragsteller sowohl den handwerklichen Beruf des Malers und Lackierer (mit Meisterqualifikation) als auch den Beruf des Bürokaufmanns erlernt und beide Berufe – wenn auch nur wenige Jahre – jeweils auch praktisch ausgeübt hat, begründet hieran Zweifel, nachdem aus dem in der Verwaltungsakte enthaltenen ärztlichen Kurzgutachten des Facharztes für Arbeits- und Sozialmedizin Dr. F. vom 07.05.2013 hervorgeht, dass der Antragsteller trotz eingeschränkter psychomentaler Belastbarkeit grundsätzlich gesundheitlich in der Lage ist, derartige Tätigkeiten noch auszuüben, und aus den vom Antragsteller selbst in Form einer CD zur Gerichtsakte gereichten Vermittlungsvorschlägen des Antragsgegners und erfolgten Bewerbungen geschlossen werden kann, dass in beiden erlernten Berufen auf dem Arbeitsmarkt in nicht unerheblicher Anzahl zu besetzende Arbeitsstellen vorhanden sind. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller ausweislich seines Lebenslaufes zwar seit September 1992 keine versicherungspflichtige Beschäftigung als Bürokaufmann mehr ausgeübt hat, jedoch in den Jahren danach nicht nur als Inhaber einer Wäscherei (von 1992 bis August 1998) bzw. einer Firma für Internethandel (von Januar 2000 bis August 2006), sondern auch im Rahmen der Beschäftigung in der väterlichen Lackiererei (von August 1998 bis Dezember 1999) stets auch Tätigkeiten zu verrichten hatte, welche dem Berufsbild eines Bürokaufmanns zuzuordnen oder zumindest damit verwandt sind, nämlich Rechnungsstellung und Buchführung, Verhandlungen führen mit Kunden und Lieferanten, Buchführung und Mahnwesen.

Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, denn jedenfalls ist nach summarischer Prüfung das dem Antragsgegner bei Eingliederungsleistungen grundsätzlich zustehende Ermessen in Ansehung aller bis jetzt bekannten Umstände nicht derart reduziert, dass allein die begehrte Weiterbildung zum Wagenmeister G geeignet ist, eine dauerhafte Wiedereingliederung des Antragstellers in den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen. Anders als das SG, welches diese Frage offen gelassen hat, knüpft der Senat eine Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Finanzierung einer bestimmten beruflichen Qualifizierungsmaßnahme in Fällen wie dem vorliegenden an die Voraussetzung, dass aufgrund sämtlicher im Einzelfall zu prüfender Umstände das Ermessen des Antragsgegners auf Null reduziert sein muss (so im Ergebnis auch Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 30a m.w.N.), denn eine einstweilige Anordnung darf nie weiter gehen als eine Entscheidung in der Hauptsache. Zwar hat der Antragsteller in der Beschwerdeschrift vom 16.07.2013 die begehrte Weiterbildung zum Wagenmeister G als einzige Maßnahme bezeichnet, mit welcher eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könne, jedoch hat das SG in der angefochtenen Entscheidung ausführlich und zutreffend dargelegt, warum dies gerade nicht der Fall ist, und hat sich dabei auch in der gebotenen Weise mit der vorgelegten Einstellungszusage vom 09.04.2013 auseinandergesetzt. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer erneuten Darstellung ab (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Neben den vom SG angeführten Eingliederungszuschüssen wären etwa auch Wiedereinsteigerkurse (bezogen auf die erlernten Tätigkeiten als Lackierermeister und Bürokaufmann) potentiell geeignete und dabei deutlich kostengünstigere Instrumente, unter Anknüpfung an bereits vorhandene Kenntnisse und Fertigkeiten eine erneute Beschäftigung des Antragstellers in einem der erlernten Berufe zu erreichen.

Überdies fehlt es, was allerdings nur noch ergänzend auszuführen ist, an einem glaubhaft gemachten Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat außer dem Umstand, dass er das 50. Lebensjahr vollendet hat, keine Gründe aufgeführt, aus denen eine unmittelbare Teilnahme an der voraussichtlich am 02.09.2013 beginnenden Weiterbildungsmaßnahme dringend notwendig ist. Aus der von ihm vorgelegten Äußerung der M. mbH (E-Mail vom 17.07.2013) ergibt sich vielmehr, dass bereits ein Dreivierteljahr später, im Juni/Juli 2014, ein weiterer Lehrgang "Wagenmeister G" beginnen wird. Hiernach ist nicht ersichtlich, warum dem Antragsteller nicht zumutbar sein soll, die Weiterbildung zu einem späteren Zeitpunkt zu beginnen. Die Berufung auf das vorgerückte Lebensalter des Antragstellers allein erscheint vorliegend nicht ausreichend, einen Anordnungsgrund zu begründen, nachdem eine Verurteilung des Antragsgegners im Wege einer einstweiligen Anordnung angesichts des geringen Einkommens und Vermögens des Antragstellers einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkäme, nachdem Rückforderungen des Antragsgegners in Höhe von bis zu 16.000,00 EUR (voraussichtliche Kosten der Maßnahme) im Falle eines Unterliegens des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren voraussichtlich kaum durchsetzbar sein dürften.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §§ 193 SGG.

Aus denselben Gründen war auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abzulehnen.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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