L 8 RA 29/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 An 1058/97
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 29/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherungspflicht auf Antrag Gleichstellung von EU-Bürgern
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Versicherungspflicht auf Antrag für Arbeitnehmer im Ausland gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -.

Der am ... 1964 geborene Kläger ist nach seinen Angaben italienischer Staatsangehöriger, der in Deutschland lebte und nach einem am 19. Dezember 1990 abgeschlossenen Fachhochschulstudium seit dem 1. Januar 1991 bei der Fa. L. GmbH & Co. in B. versicherungspflichtig beschäftigt war. Seit dem 1. April 1996 war er bei der Fa. L. do Brasil als Entwicklungsleiter in Brasilien beschäftigt.

Die Fa. L. GmbH & Co. beantragte am 10. Mai 1996 für den Kläger die Versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 SGB VI. Dazu gab sie an, der Kläger unterliege in der im Ausland ausgeübten Beschäftigung nicht der Versicherungspflicht kraft Gesetzes wegen Ausstrahlung und sei im Ausland nur für eine begrenzte Zeit beschäftigt. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 1996 ab, weil der Kläger nicht, wie von der Bestimmung gefordert, Deutscher und auch nicht als italienischer Staatsangehöriger einem Deutschen uneingeschränkt gleichgestellt sei.

Der Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, die Vorschrift erfasse ebenso wie § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht nur Deutsche, sondern zumindest auch alle Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft (EG), blieb erfolglos. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die streitige Berechtigung sei grundsätzlich deutschen Staatsangehörigen vorbehalten. Darüber hinaus könnten auch im Rahmen des über- und zwischenstaatlichen Rechts einem Deutschen Staatsangehörige der Mitgliedsstaaten der EG, wenn die Beschäftigung in einem Mitgliedsstaat ausgeübt werde, und ferner belgische, britische, französische, österreichische und spanische Staatsangehörige, wenn sie in einem Staat außerhalb der Gemeinschaft beschäftigt seien, gleichgestellt werden. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger als italienischer Staatsangehöriger nicht. Da er für ein Wirtschaftsunternehmen in Brasilien und nicht als Entwicklungshelfer beschäftigt werde, werde er auch nicht von der Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfasst (Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 1997, abgesandt am 13. Januar 1997).

Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 17. Februar 1997 beim Sozialgericht Karlsruhe und von diesem mit Beschluss vom 27. Februar 1997 an das Sozialgericht Berlin verwiesenen Klage gewandt und geltend gemacht, die Gleichstellung der Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der EG durch Gemeinschaftsrecht wirke auch im vorliegenden Fall; der weitergehenden besonderen Gleichstellung in einem zweiseitigen Abkommen bedürfe es nicht.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. Januar 1998 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben, weil der Widerspruchsbescheid nach § 4 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) erst mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt gelte, so dass es nicht darauf ankomme, dass der Widerspruchsbescheid - nach Angaben des Klägers - schon am 14. Januar 1997 zugestellt worden sei. Die Klage sei aber unbegründet, da für den Kläger Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht eintreten könne, weil der Kläger nicht Deutscher und auch nicht einem Deutschen während seiner begrenzten Beschäftigung in Brasilien gleichgestellt sei. Das Gemeinschaftsrecht (Artikel 3 der Verordnung [EWG] Nr. 1408/71) sehe eine Gleichstellung nur für die Personen vor, die im Gebiet eines Mitgliedsstaates wohnen; der Kläger wohne jedoch in einem Drittstaat, hier Brasilien. Auch das frühere deutsch-italienische Sozialversicherungsabkommen vom 5. Mai 1953, das nach dem Gemeinschaftsrecht in begrenztem Umfang weiter gelte, sehe - im Gegensatz zu einigen anderen teilweise weitergeltenden zweiseitigen Sozialversicherungsabkommen - keine uneingeschränkte den vorliegenden Sachverhalt erfassende persönliche Gleichstellung vor. Auch zwängen Grundsätze der Gleichbehandlung nicht dazu, den Kläger in den Anwendungsbereich dieser Norm einzubeziehen; insbesondere könne sich der Kläger insofern nicht auf die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI berufen, weil darin auf eine völlig andere Beschäftigung der Entwicklungshelfer abgestellt werde.

Gegen das dem Kläger am 13. Februar 1998 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 27. Februar 1998 eingelegte Berufung, mit der er weiterhin beansprucht, in die Antragsversicherung einbezogen zu werden. Er ist der Auffassung, er sei wie ein Deutscher zu behandeln; dies ergebe sich aus Artikel 2 der Verordnung Nr. 1408/71. Ergänzend trägt er vor, im Laufe des Jahres 1999 wieder eine Wohnung in B. bezogen zu haben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für ihn Versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ab Antragstellung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung für zutreffend und verweist im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen. Die Gleichstellungsregelungen des Gemeinschaftsrechts beträfen nur Beschäftigungen in den Mitgliedsstaaten, nicht aber Beschäftigungen in Drittstaaten. Soweit nach dem Gemeinschaftsrecht einzelne Bestimmungen des zweiseitigen Abkommens zwischen Deutschland und Italien vom 5. Mai 1953 weiterhin Geltung hätten, sei nur die Leistungsgewährung in Drittstaaten, nicht aber eine generelle Gleichstellung bei Aufenthalt bzw. Beschäftigung in einem Drittstaat in Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 1. Juli 1999 ist die L. GmbH und Co. in B. zum Rechtsstreit beigeladen worden; diese hat sich dem Vorbringen des Klägers angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie den weiteren Akteninhalt und die von der Beklagten geführte Verwaltungsakte -Vers.Nr ... -, die zur Beratung vorgelegen hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nicht der Pflichtversicherung auf Antrag gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI unterliegt.

Nach dieser Vorschrift sind Deutsche, die für eine begrenzte Zeit im Ausland beschäftigt sind, auf Antrag einer Stelle, die ihren Sitz im Inland hat, in die Versicherungspflicht der Rentenversicherung aufzunehmen.

Da der Kläger ausweislich der vorliegenden Angaben nicht auf Grund eines im Inland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsandt worden ist, kommt eine Einbeziehung in die Versicherungspflicht kraft Gesetzes im Rahmen der Ausstrahlung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 4 Abs. 1 SGB IV) nicht in Betracht. Der Kläger erfüllt aber auch nicht die (persönlichen) Voraussetzungen der Antragsversicherung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, weil er italienischer Staatsangehöriger und nicht Deutscher ist.

Angesichts des klaren Wortlauts kann dem Kläger nicht gefolgt werden, wenn er unter Hinweis auf den größeren von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis geltend macht, auch bei der hier einschlägigen Bestimmung müsse es genügen, dass er Angehöriger eines Mitgliedsstaates der EG sei. Eine solche Gleichbehandlung ist jedoch - wie das Sozialgericht bereits ausgeführt hat - im Hinblick auf die in diesen Bestimmungen angesprochenen von ihrem Einsatzzweck her verschiedenen Personenkreise auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Dem Gesetzgeber steht es frei, solche Unterschiede auch in gesetzlichen Vorschriften zu berücksichtigen, ohne dass in der darin liegenden Ungleichbehandlung ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 des Grundgesetzes liegt.

Der Kläger ist auch nicht unter Beachtung von Gleichstellungsregelungen in die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI einzubeziehen; weder wird dieses durch Gemeinschaftsrecht der EG noch durch sonstiges Abkommensrecht vorgeschrieben.

Die Gleichstellungsregelung des Gemeinschaftsrechts (Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung [EWG] Nr. 1408/71) verlangt, dass Personen, die im Gebiet eines Mitgliedsstaates wohnen und für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen. Damit soll eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit innerhalb der Gemeinschaft verhindert werden, nicht dagegen soll die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen aller Mitgliedsländer auch auf Sachverhalte in Drittstaaten, zu denen keine entsprechenden vertraglichen Regelungen bestehen, ausgedehnt werden. Daher gewährt Artikel 3 Abs. 1 der VO 1408/71 den von ihr erfassten Personen nur unter der Voraussetzung Gleichbehandlung, dass sie in einem Mitgliedsland wohnen, d. h. dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (vgl. Berliner Kommentar, Internationales Rentenrecht, Band 1 Rdnr. 8 zu Artikel 3 der VO 1408/71). Der Kläger wohnte während seiner Beschäftigung in Brasilien jedoch nicht in einem Mitgliedsstaat, auch wenn er möglicherweise in Deutschland auch nach März 1996 noch eine Wohnung besessen haben sollte. Denn wie sich aus der Definition des Wohnortes als Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes (Artikel 1 Buchst. h der VO 1408/71) ergibt, entspricht diese Definition nicht dem Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB; der Begriff Wohnort erfasst den gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort, an dem sich die betreffende Person unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie dort nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). In Abgrenzung zum vorübergehenden Aufenthalt ist maßgebend der Ort, der nicht nur von vornherein für eine kurze Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Betreffenden bildet und regelmäßig bei Vorliegen eines festen Arbeitsplatzes dort angenommen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juni 1985 - 7 RAr 62/83 - in SGb 1985, S. 372 unter Hinweis auf EuGHE 1977, 315; Berliner Kommentar, a.a.O., Rdnr. 30 ff zu Artikel 1). Selbst die Beibehaltung einer Wohnung kann regelmäßig nicht ausreichen, um ein Wohnen in einem anderen Staat als dem der Beschäftigung anzunehmen, da bereits dann, wenn der Arbeitnehmer in einem anderen Staat über einen festen Arbeitsplatz verfügte, vermutet werden muss, dass er dort auch wohnte. Ein fester Arbeitsplatz ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis eingegangen ist, bei dem die Vertragsparteien nach der Art der Tätigkeit davon ausgehen, dass dieses normalerweise nicht jederzeit beendet werden kann und auch nicht von vornherein nur für kurze Zeit dauern soll (BSG, a.a.O.). Das war vorliegend der Fall.

Der Kläger hatte einen Arbeitsvertrag als Entwicklungsleiter bei einem brasilianischen Betrieb, wobei nichts darauf hindeutet, dass dieser jederzeit hätte beendet werden können. Es liegt auch weder ein Anhalt dafür vor, noch wird vom Kläger vorgetragen, das Arbeitsverhältnis habe nur kurze Zeit dauern sollen. Nach dem anzunehmenden Zweck war das Arbeitsverhältnis auf einen längeren Zeitraum ausgerichtet, was auch der tatsächliche Aufenthalt von zumindest drei Jahren bestätigt. Anhaltspunkte dafür, dass dennoch ausnahmsweise nicht der Beschäftigungsort den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse darstellte, sondern weiterhin der vor dem 1. April 1996 innegehabte Wohnort, vermochte der Senat weder dem Sachverhalt zu entnehmen, noch hat der Kläger solche aufgezeigt. Angesichts der großen Entfernung zwischen Beschäftigungsort und früherem Wohnort erscheint eine entsprechende Annahme auch wenig lebensnah.

Gleichbehandlung ist über die in Artikel 3 Abs. 1 der VO 1408/71 getroffene Regelung hinaus unter bestimmten Umständen auch bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat zu gewähren, für italienische Staatsangehörige unter Beachtung des deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommens vom 5. Mai 1953 (BGBl. 1956 Teil II S. 2), soweit dieses noch gilt (vgl. Berliner Kommentar, a.a.O., Rdnr. 10 zu Artikel 3). Gemäß Artikel 7 Abs. 2c i.V.m. Anhang III B Ziffer 32a der VO 1408/71 gilt (nur) die Gleichstellungsregelung des Artikel 3 Abs. 2 des deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommens weiter. Diese Vorschrift regelt lediglich, dass die Leistungen der Sozialversicherung eines der beiden Vertragsstaaten einschließlich der Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln Angehörigen des anderen Staates, die sich im Gebiet eines dritten Staates aufhalten, unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang gewährt werden wie eigenen Staatsangehörigen, die sich in dem dritten Staat aufhalten. Es handelt sich mithin um eine Bestimmung, die eine Gleichstellung bei dem Leistungsexport in einen Drittstaat vorschreibt; für die hier streitige Frage des Zugangs zur Versicherung ist sie mithin nicht einschlägig. Die allgemeine Gleichstellungsregelung, wie sie noch in Artikel 2 Abs. 1 des deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommens enthalten war, ist dagegen nicht übernommen worden.

Sonderregelungen, die den Zugang zur Versicherung (mit Drittstaatenbezug) regeln, bestehen für Fälle der vorliegenden Art nicht. Lediglich für die Frage des Zugangs zur freiwilligen Versicherung bzw. freiwilligen Weiterversicherung enthält die VO in Artikel 9 eine spezielle Regelung, die aber auf Grund der Sonderregelung in Anhang VI Abschnitt C Nr. 4 für die deutsche Rentenversicherung keine Bedeutung hat; für die Pflichtversicherung (auf Antrag) bestehen dagegen keine weitergehenden Regelungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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