S 29 R 683/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
29
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 29 R 683/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 10.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2012 wird aufgehoben. Die Beklagte erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung der Witwenrente des Klägers für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 30.06.2007 in Höhe von 3.769,32 EUR.

Der Kläger bezog eine große Witwenrente. Zusätzlich erzielte er Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit. Mit Bescheid vom 25.09.2006 berechnete die Beklagte die Witwenrente für die Zeit ab dem 01.07.2006 neu, da sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert habe. Die aktuelle Rente wurde auf monatlich 314,11 EUR festgesetzt.

Mit Bescheid vom 29.05.2007 berechnete die Beklagte die Rente wiederum neu und setzte sie mit Wirkung zum 01.07.2007 auf 0,- EUR fest. Aufgrund des anzurechnenden Einkommens entfalle der Rentenanspruch.

Am 28.10.2011 reichte der Kläger die Steuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2009 bei der Beklagten ein. Daraufhin hob die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.11.2011 die Rentenbewilligung des Klägers für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 31.06.2007 auf und forderte den Kläger zur Erstattung der überzahlten Rente in Höhe von 3.769,32 EUR auf.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.12.2011 Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das anzurechnende Einkommen sei für die Zeit vom 01.07.2006 bis zum 30.06.2007 ursprünglich auf Grundlage des Steuerbescheides für das Jahr 2004 berechnet worden. Nunmehr sei der maßgebende Steuerbescheid für das Jahr 2005 vorgelegt worden. Hieraus ergäbe sich, dass der Kläger nachträglich Einkommen erzielt habe. Zudem habe er die Rechtswidrigkeit des Bescheides auch gekannt bzw. kennen müssen. Der Bewilligungsbescheid sei daher nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben gewesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 29.06.2012 erhobenen Klage, mit der er weiterhin die Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides begehrt. Die Beklagte habe den Bescheid zu Unrecht nach § 48 SGB X aufgehoben. Der Bescheid vom 25.09.2006 sei bereits von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, eine Aufhebung sei daher allenfalls nach § 45 SGB X in Betracht gekommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 10.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Steuerbescheid für das Jahr 2005 sei am 09.02.2007 und damit nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 25.09.2006 erteilt worden. Hierdurch sei eine nachträgliche Änderung in den Verhältnissen im Sinne von § 48 SGB X eingetreten.

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 10.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten gem. § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte war nicht berechtigt, die Bewilligungsentscheidung vom 25.09.2006 für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 30.06.2007 auf Grundlage des § 48 SGB X aufzuheben. Mangels Ausübung von Ermessen kann die Beklagte sich auch nicht auf § 45 SGB X stützen.

Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt demgegenüber, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Die Normen grenzen sich damit nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts voneinander ab.

Eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X ist nach dem Zugang des Bescheides vom 25.09.2006 nicht eingetreten. Im Zeitpunkt des Erlasses des vorbezeichneten Neufeststellungsbescheides waren alle Umstände bereits objektiv gegeben, die nach § 97 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für eine Berücksichtigung von Erwerbseinkommen erheblich waren. Das Einkommen 2005, das die Beklagte dem Einkommensteuerbescheid entnommen hat und entsprechend § 18b Abs. 2 Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV) zur Grundlage des angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheides gemacht hat, hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits erzielt. § 48 SGB X ermächtigt gerade nicht zur Rücknahme wegen solcher Tatsachen, die objektiv bereits bei Erlass des früheren Verwaltungsakts gegeben waren. Vielmehr ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse festzustellen. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben (BSG, Urteil vom 29.11.2012, Az.: B 14 AS 6/12). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Steuerbescheid erst nachträglich erlassen worden ist. Darauf, wann der Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2005 der Beklagten vorlag, kommt es gerade nicht an. Die Einkommensteuerbescheide der Finanzverwaltung werden von § 15 Abs. 1 S 1 SGB IV nicht in Bezug genommen. Sie beschränken sich im Übrigen grundsätzlich und in aller Regel auf eine deklaratorische Feststellung der Einkommensteuerschuld und erfassen demgemäß ohnehin nicht bindend auch zugrunde liegende Feststellungen, auf die die Beklagte anstelle eigener Schlussfolgerungen hätte zurückgreifen können. Lediglich verfahrensrechtlich darf die Verwaltung mit der abschließenden vorbehaltslosen Feststellung des monatlichen Zahlbetrags der Rente so lange zu warten, bis der Einkommensteuerbescheid vorliegt und muss dies im Blick auf § 20 Abs. 1, 2 SGB X auch, wenn sie die erforderlichen materiell-rechtlichen Feststellungen zur Höhe des Arbeitseinkommens nicht ausnahmsweise vorher selbst auf der Grundlage des einschlägigen Steuerrechts getroffen hat (BSG, Urteil vom 09.10.2012, Az.: B 5 R 8/12 R; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.12.2007, Az.: L 10 LW 5/07).

Ist danach eine Aufhebung des Rentenneuberechnungsbescheids vom 25.09.2006 gemäß § 48 SGB X mangels nachträglicher Änderung der Verhältnisse ausgeschlossen und war der Bescheid vielmehr bereits bei seinem Erlass hinsichtlich der Höhe des anzurechnenden Arbeitseinkommens unzutreffend, so kam nur eine Rücknahme gemäß § 45 SGB X in Betracht. Hierauf kann der angefochtene Bescheid indes auch nicht mit Erfolg gestützt werden, weil die Beklagte ersichtlich nicht das nach dieser Vorschrift grundsätzlich zwingend erforderliche Ermessen ausgeübt hat. Der Ausnahmefall einer so genannten Ermessensreduzierung auf Null dergestalt, dass allein die mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Regelung in Betracht kam und es ausgeschlossen war, dass Umstände vorlagen, die eine anderweitige Entscheidungsfindung zuließen, lag nicht vor. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nur dann gegeben, wenn jede andere Entscheidung als die getroffene rechtswidrig wäre (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 1991, Az.: 7 RAr 60/89, SozR 3-1300 § 45 Nr. 10).

Auch auf § 18e Abs. 4 Satz 3 SGB IV kann sich die Beklagte nicht berufen. Diese Vorschrift betrifft allein die Anrechnung von Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 SGB IV, nicht jedoch die im vorliegenden Fall in Rede stehende Anrechnung von Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV (vgl. LSG Niedersachesen-Bremen, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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