Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 2875/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 324/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Künstlersozialkasse darf die Einkommensverhältnisse eines Künstlers abweichend von dessen Angaben einschätzen, wenn diese nicht plausibel sind.
2. Hat die Künstlersozialkasse Versicherungsfreiheit nach dem KSVG festgestellt, besteht zu einer erneuten Prüfung der Versicherungspflicht nach dem KSVG nur Anlass, wenn der Künstler konkrete Angaben zu seinem voraussichtlichen künftigen Arbeitseinkommen macht.
2. Hat die Künstlersozialkasse Versicherungsfreiheit nach dem KSVG festgestellt, besteht zu einer erneuten Prüfung der Versicherungspflicht nach dem KSVG nur Anlass, wenn der Künstler konkrete Angaben zu seinem voraussichtlichen künftigen Arbeitseinkommen macht.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Versicherungsfreiheit der Klägerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Die als bildende Künstlerin tätige, 1959 geborene Klägerin unterliegt seit 1986 der Versicherungspflicht nach dem KSVG (Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1986). Ausweislich ihrer Einkommensteuerbescheide erzielte sie in den Jahren 2002 bis 2009 Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in folgender Höhe:
Veranlagungszeitraum Bescheid vom Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit 2002 6. Oktober 2003 1.713,00 EUR 2003 28. Juni 2004 - 5.485,00 EUR 2004 11. Juli 2005 - 6.464,00 EUR 2005 1. September 2006 - 3.635,00 EUR 2006 22. Mai 2007 - 2.498,00 EUR 2007 24. Juli 2008 5.074,00 EUR 2008 16. Oktober 2009 8.429,00 EUR 2009 22. Juni 2010 - 5.565,00 EUR
Nach Anhörung der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 20. März 2007 fest, dass die Klägerin ab dem 1. April 2007 versicherungsfrei nach dem KSVG sei, da bei einem zu erwartenden Jahreseinkommen für das Kalenderjahr 2007 von weniger als 3.900,00 EUR keine Versicherungspflicht bzw. Zuschussberechtigung bestehe. Derjenige Wert, den die Klägerin im Rahmen ihrer Vorauseinschätzung für 2007 angegeben habe, erscheine unter Berücksichtigung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 nicht plausibel. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2007 zurück.
Mit Beschluss vom 17. Juli 2007 (Az.: L 24 B 417/07 KR ER) stellte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 fest.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin auf eine Einkommensanfrage der Beklagten hin ihr voraussichtliches Jahresarbeitseinkommen 2008 mit 4.000,00 EUR beziffert (Schreiben vom 1. November 2007). Diese Angabe hat die Beklagte "vor dem Hintergrund des laufenden Klageverfahrens" und dem Meldeverhalten der Klägerin in den Jahren 2002 bis 2005 nicht akzeptiert, daher für 2008 den Wert Null zugrunde gelegt und Beiträge nach dem Mindestwert berechnet (Schreiben vom 21. November 2007). Weitere Einkommensanfragen seitens der Beklagten für spätere Jahre erfolgten nach deren Vorbringen ebenso wenig wie entsprechende Einschätzungen der Klägerin.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 22. September 2010 die Klage abgewiesen, weil die Einkünfte der Klägerin in den Jahren 2002 bis 2006 nie die Geringfügigkeitsgrenze erreicht hätten und die Klägerin bis auf das Jahr 2002 durchgehend in der Verlustzone gearbeitet habe. Die Klägerin habe auch keine Umstände glaubhaft gemacht, dass gerade für 2007 eine andere Entwicklung zu erwarten sei. Die tatsächlichen Ergebnisse im Jahre 2007 seien zwar grundsätzlich irrelevant, bestätigten jedoch die Prognose der Beklagten. Ob die Darstellung der Klägerin glaubhaft sei, könne offen bleiben, auch wenn angesichts von 3 Ergebnisrechnungen mit jeweils völlig unterschiedlichen Werten erhebliche Zweifel bestünden. Auch für das Jahr 2008 sei keine günstige Prognose zu stellen. Ob dies für das Jahr 2009 anders zu beurteilen sei, habe die Kammer an dieser Stelle nicht zu entscheiden.
Gegen dieses ihr am 5. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 25. Oktober 2010, zu deren Begründung sie vorbringt: Das Urteil beruhe auf versehentlichen und absichtlichen Falschangaben der Beklagten zu ihren Steuerbescheiden und demzufolge zu ihren Einkünften. Die durch die Beklagte erstellte Prognose habe sich als falsch erwiesen. Die Jahre 2004 und 2005 seien nicht nur durch erhebliche Belastungen eines Atelierumzuges finanziell mit Verlusten versehen, sondern durch mehrere Atelierumzüge innerhalb Berlins belastet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien die Ursachen dieser finanziellen Verluste für die Urteilsfindung nicht unerheblich. Das Sozialgericht habe in der Urteilsbegründung praktisch falsche Zahlen, Daten und Begriffe verwendet. Unklar seien außerdem die Herkunft dieser Einzelheiten und insbesondere die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit. Ausweislich des entsprechenden Bescheides des Finanzamtes sei für das Jahr 2007 Umsatzsteuer i.H.v. 444,84 EUR festgesetzt worden. Diesem Betrag zugeordnet sei ein Gewinn "unterm Strich" von 5.421,65 EUR, von dem wiederum Sonderkosten (z.B. KSK-Beiträge) abgerechnet werden müssten. Die einmalige Zahlung der "Deutschen Künstlernothilfe" vom Bundespräsidialamt sei dabei nicht berücksichtigt, da dieser Betrag nicht versteuert werden müsse und daher auch nicht zum Einkommen gezählt werde. Er finde jedoch als Detail in der Gewinnermittlung Erwähnung. Sie – die Klägerin – verweise auf das Konzept für die von ihr in der strukturschwachen Berliner Region Oberschöneweide betriebene "Galerie 15". Sie erwarte, dass Berufskünstlern in wirtschaftlichen Zwängen nicht die Mitgliedschaft in der KSK entzogen werde, da Einkommensfragen nicht die entscheidenden Faktoren sein könnten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ermittlungen zu den Einkommensverhältnissen der Klägerin ab dem Jahr 2009 habe sie nicht veranlasst, weil aufgrund des Beschlusses des Landessozialgerichts die Versicherungspflicht der Klägerin auf Jahre hin gesichert sei.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten des Hauptsache- und des o.g. Eilverfahrens sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
A. Streitgegenstand ist die Frage, ob die Klägerin in der Zeit ab dem 1. April 2007 versicherungsfrei nach § 3 KSVG ist. Mit den angegriffenen Bescheiden hat die Beklagte die Versicherungsfreiheit der Klägerin nach § 3 KSVG ab dem 1. April 2007 auf unbestimmte Zeit festgestellt. Weder dem Verfügungssatz des Bescheides vom 20. März 2007 noch seiner Begründung lassen sich Anhaltspunkte entnehmen, dass die Versicherungsfreiheit auf das Jahr 2007 begrenzt werden sollte. Eine solche Vorgehensweise – die nur auf ein Kalenderjahr bezogene Feststellung der Versicherungsfreiheit – entspricht nach den Angaben der Beklagten auch nicht deren Verwaltungspraxis. Streitgegenständlich ist somit der gesamte o.g. Zeitraum.
B. Der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2007 ist aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Die Angriffe der Klägerin gehen fehl.
I. Versicherungsfrei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG ist, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900,00 EUR nicht übersteigt. Wird die selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit nur während eines Teils des Kalenderjahres ausgeübt, ist die in Satz 1 genannte Grenze entsprechend herabzusetzen. Satz 2 gilt entsprechend für Zeiten des Bezugs von Erziehungsgeld oder Elterngeld. Absatz 1 gilt nicht bis zum Ablauf von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit. Die Frist nach Satz 1 verlängert sich um die Zeiten, in denen keine Versicherungspflicht nach diesem Gesetz oder Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 KSVG besteht (§ 3 Abs. 2 KSVG). Abweichend von Absatz 1 bleibt die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die dort genannte Grenze nicht übersteigt (§ 3 Abs. 3 KSVG).
Das Arbeitseinkommen i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG erfährt durch § 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) – diese Vorschrift ist gemäß § 36a Satz 1 KSVG entsprechend anwendbar – eine Legaldefinition: Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Für die Zwecke des KSVG ist indes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG nur Arbeitseinkommen von Bedeutung, welches gerade aus (selbständiger) künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit erzielt wird.
Maßgeblich ist auch nicht das tatsächliche Arbeitseinkommen eines Kalenderjahres, sondern das voraussichtliche. Dieses haben gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 KSVG u.a. Versicherte der Künstlersozialkasse bis zum 1. Dezember eines Jahres zu melden. Kommen sie dieser Obliegenheit trotz Aufforderung nicht nach oder ist die Meldung mit den Verhältnissen unvereinbar, die dem Versicherten als Grundlage für seine Meldung bekannt waren, schätzt die Künstlersozialkasse die Höhe des Arbeitseinkommens (§ 12 Abs. 1 Satz 2 KSVG). Die erforderliche Prognose erfordert keine alle Eventualitäten berücksichtigende genaue Vorhersage, sondern lediglich eine ungefähre Einschätzung, welches Arbeitseinkommen nach der bisherigen Übung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Im Prognosezeitpunkt muss davon auszugehen sein, dass sich das Arbeitseinkommen bei normalem Ablauf der Dinge nicht relevant verändern wird. Grundlage der Prognose können dabei lediglich Umstände sein, von denen in diesem Zeitpunkt anzunehmen ist, dass sie das Arbeitseinkommen bestimmen werden (so für § 3 KSVG: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. Januar 2012 – L 5 KR 15/11 –, juris (Revision beim BSG anhängig unter B 3 KS 2/12 R) unter Verweis auf BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 – B 12 R 15/09 R –, juris, zur Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Nr. 2 SGB VI). Erweist sich eine – richtige – Prognose im Nachhinein infolge nicht vorhersehbarer Umstände als unzutreffend, so bleibt sie für die Vergangenheit gleichwohl maßgebend (BSG, a.a.O., sowie – für die Einkommensprognose nach dem BErzGG – Urteil vom 30. August 2007 – B 10 EG 6/06 R –, juris). Grundlage für die Schätzung künftigen Arbeitseinkommens dürfen gleichwohl auch diejenigen Einkünfte aus der selbständigen (künstlerischen oder publizistischen) Tätigkeit sein, die durch die Finanzbehörden für vergangene Jahre einkommenssteuerrechtlich ermittelt wurden und nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG den Gewinn bilden.
II. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Beklagte zutreffend die Versicherungsfreiheit der Kläger ab dem 1. April 2007 festgestellt.
1. Die Beklagte hat hierbei zu Recht ausschließlich diejenigen Unterlagen verwertet, die die Klägerin im Rahmen eines Überwachungsverfahrens nach der KSVG-Beitragsüberwachungsverordnung (KSVG-BÜVO) auf Aufforderung vorgelegt hat, nämlich ihre Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005. Die darin festgestellten Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit rechtfertigten Anfang des Jahres 2007 die Annahme, dass die Klägerin auch in diesem Kalenderjahr die Einkommensgrenze von 3.900,00 EUR nicht überschreiten werde. Weitere Unterlagen oder Nachweise musste die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt nicht berücksichtigen, zumal sie der Klägerin mit Schreiben vom 30. Januar 2007 die Gelegenheit bot, durch Vorlage aller Einkommensbelege aus dem Jahr 2006 ihre aktuelle Einkommenssituation darzustellen. Diese Gelegenheit hat die Klägerin nicht wahrgenommen.
2. Die von der Klägerin nach Bescheiderlass eingereichten Unterlagen führen zu keinem anderen Ergebnis.
a) Die im gerichtlichen Eilverfahren zunächst (mit Schreiben vom 22. Mai 2007) übersandte "Gewinnermittlung 1.1.2006 – 31.12.2006" weist einen Verlust von über 2.400,00 EUR aus und bestätigt somit die Einschätzung der Beklagten.
b) Die etwas später (mit Schreiben vom 10. Juli 2007) eingereichten Unterlagen sind in sich widersprüchlich und daher nicht verwertbar. So weist zwar der Einnahmen-/Ausgabenplan 2007 in Teil 5 des klägerischen Unternehmenskonzepts einen prognostizierten Gewinn von 4.500,00 EUR aus (bei Einnahmen i.H.v. 5.100,00 EUR im ersten Halbjahr, 6.000,00 EUR im zweiten Halbjahr und Ausgaben i.H.v. 6.600,00 EUR für das gesamte Jahr). Die beigefügten Rechnungen aus den Monaten Februar bis Juni 2006 belegen indes nur Verkäufe i.H.v. 3.600,00 EUR. Stellt man diesen Betrag für das erste Halbjahr in den o.g. Einnahmen-/Ausgabenplan 2007 ein, ergibt sich ein geschätzter Gewinn von nur noch 3.000,00 EUR. Unabhängig hiervon könnten diese Unterlagen eine Versicherungsfreiheit allenfalls für die Zukunft, d.h. ab 1. August 2007, widerlegen, nicht hingegen für die schon zurückliegende Zeit.
c) Die erst mit Schriftsatz vom 6. März 2008 im Klageverfahren vorgelegte "Gewinnermittlung 1.1.2007 – 31.12.2007" (Betriebseinnahmen: 9.953,39 EUR, Betriebsausgaben: 6.031,75 EUR, Gewinn: 3.921,64 EUR) kann nicht als Grundlage einer Prognose für das bereits abgelaufene Kalenderjahr 2007 dienen. Unabhängig hiervon zählt die auf der Einnahmeseite berücksichtigte Umsatzsteuer-Erstattung nicht zu den Einkünften aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit. Ferner sind Zahlungen der Deutschen Künstlerhilfe, die die Klägerin im März 2007 i.H.v. 1.500,00 EUR – offensichtlich wegen Bedürftigkeit – erhalten hat, gemäß § 3 Nr. 43 EStG steuerfrei und daher bei der Ermittlung des einkommenssteuerrechtlichen Gewinns nicht zu berücksichtigen. Ohne diese beiden Einnahmen hat die Klägerin im Jahr 2007 einen Gewinn weit unterhalb des gesetzlichen Grenzbetrags von 3.900,00 EUR erwirtschaftet.
Ob die dem Schriftsatz der Klägerseite vom 14. April 2009 beigefügte "Gewinnermittlung 1.1.2007 – 31.12.2007", welche bei identischen Betriebsausgaben um 1.500,00 EUR erhöhte Betriebseinnahmen aufweist, schon deshalb unverwertbar ist, weil sie im Widerspruch zur zuvor eingereichten Gewinnermittlung für dieses Kalenderjahr steht, kann dahinstehen. Die nachgeschobene Erklärung der Klägerin, die Einnahmedifferenz resultiere aus einem Außenstand (Rechnung vom 24. Dezember 2006), der erst 2007 in bar durch den vor Juli 2010 verstorbenen Käufer (W V) beglichen worden sei, erscheint dem Senat jedenfalls im Hinblick auf den Verfahrensgang unglaubwürdig. Dies ist indes nicht entscheidungserheblich, weil auch vom "neu" ermittelten Gewinn für 2007 i.H.v. 5.421,64 EUR die o.g. Einnahmen (Umsatzsteuer-Erstattung, Zahlung der Deutschen Künstlerhilfe) abzuziehen sind, sodass ein Gewinn von weniger als 3.900,00 EUR verbleibt.
d) Die erst während des Klageverfahrens übersandten Einkommenssteuerbescheide für die Jahre ab 2007 können ebenso wie der Umsatzsteuerbescheid 2007, selbst wenn sie einen Gewinn aus selbständiger Tätigkeit über 3.900,00 EUR ausweisen, nicht Grundlage einer Einkommensschätzung für das Kalenderjahr 2007 sein, weil – wie bereits dargelegt – nicht die tatsächliche, sondern die voraussichtliche Einkommenssituation ausschlaggebend ist.
3. Die in § 3 KSVG vorgesehenen Ausnahmeregelungen greifen nicht zugunsten der Klägerin ein, da die entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind.
a) Die Begünstigung von Berufsanfängern nach § 3 Abs. 2 KSVG kommt der Klägerin nicht zugute, weil sie im Jahre 2007 schon seit über 20 Jahren künstlerisch tätig war. Dass Verlängerungstatbestände nach § 3 Abs. 2 Satz 2 KSVG vorliegen, ist weder nach dem Vorbringen der Beteiligten noch anderweitig ersichtlich.
b) Das Arbeitseinkommen der Klägerin aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit unterschritt auch nicht lediglich zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Einkommensgrenze von 3.900,00 EUR. Hierbei kann der Senat offen lassen, wie die Sechs-Jahres-Frist der mit Wirkung zum 1. Juli 2001 eingeführten Vorschrift des § 3 Abs. 3 KSVG zu berechnen ist. Denkbar wäre einerseits, mit Beginn des nächsten vollständigen Kalenderjahres, d.h. ab 2002, starre Sechs-Jahres-Zeiträume anzunehmen. Andererseits könnte das jeweils zu prüfende Kalenderjahr als Ausgangspunkt gewählt werden, von dem aus dann ein Zeitraum von sechs Jahren in die Vergangenheit heranzuziehen ist. Beide Varianten führen im hiesigen Fall zu den Jahren 2002 bis 2007 als maßgeblichem Zeitraum. Legt man die Einkommenssteuerbescheide der Klägerin für die Jahre 2002 bis 2006 sowie die zutreffende Einkommensschätzung der Beklagten für 2007 zugrunde, erreichte die Klägerin in keinem dieser Jahre die Einkommensgrenze.
4. Die Versicherungsfreiheit besteht auch bis heute fort. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte mit Ausnahme des Jahres 2008 keine weiteren Einkommensschätzungen für die Klägerin vorgenommen hat.
a) Den von der Klägerin mit Schreiben vom 1. November 2007 mitgeteilten, voraussichtlich erreichten Betrag von 4.000,00 EUR durfte die Beklagte im Hinblick auf § 12 Abs. 1 Satz 2 KSVG ignorieren, weil diese Angabe offenkundig ohne jeweilige Prüfung der künftigen Einkommenssituation erfolgte und sie somit mit den Verhältnissen, insbesondere den einkommenssteuerrechtlichen Feststellungen, unvereinbar war, die der Klägerin als Grundlage ihrer Meldung bekannt waren. Die Beklagte durfte vielmehr davon ausgehen, dass sich die Einkommenssituation der Klägerin nicht geändert hatte, und das voraussichtlichen Einkommen der Klägerin auf 0.- EUR schätzen, sodass die angefochtenen Bescheide Bestand haben konnten.
b) Einkommensschätzungen für die Folgejahre musste die Beklagte nicht vornehmen. Denn das Gesetz hat insoweit den Künstlern und Publizisten die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich einer Änderung der Verhältnisse auferlegt.
aa) Ändern sich die Verhältnisse, die für die Ermittlung des voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommens maßgebend waren, ist auf Antrag die Änderung mit Wirkung vom Ersten des Monats an zu berücksichtigen, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag bei der Künstlersozialkasse eingeht. Satz 1 gilt entsprechend, wenn das Jahresarbeitseinkommen geschätzt worden ist (§ 12 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB V). Diese Vorschrift soll als lex specialis zu § 48 SGB X eine Korrektur des voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommens für vergangene Zeiträume ausschließen (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes, BT-Drs. 11/2964, S. 16). Hieraus ergibt sich, dass die Beklagte nur auf Antrag des Künstlers oder Publizisten Änderungen derjenigen rechtlichen Umstände festzustellen hat, die – wie die Beitragshöhe oder die Versicherungsfreiheit – auf den Angaben zum voraussichtlichen Einkommen aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit beruhen.
bb) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob und ggf. in welcher Form (z.B. konkludent im Rahmen eines Schriftsatzes während des gerichtlichen Verfahrens) die Klägerin nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides Anträge nach § 12 Abs. 3 Satz 1 KSVG bei der Beklagten gestellt hat. Denn eine Änderung mit Wirkung zu dem in dieser Vorschrift bezeichneten Zeitpunkt setzt zwingend voraus, dass die Klägerin ihren Antrag mit konkreten Angaben zur Änderung ihres voraussichtlichen Arbeitseinkommens versieht. Dies ist nicht geschehen, sodass die Versicherungsfreiheit andauert.
5. Unerheblich für die Prüfung der Versicherungsfreiheit sind nach dem Wortlaut und der ratio legis von § 3 KSVG die Umstände, die für ein Arbeitseinkommen aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit nicht über 3.900,00 EUR verantwortlich sind. Die Gründe für den Einkommensrückgang bei der Klägerin sind daher unbeachtlich. Denn durch § 3 KSVG sollen Personen von der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden, für die die künstlerische bzw. publizistische Tätigkeit nicht die wirtschaftliche Existenz darstellt (BR-Drucks 410/76 S 14; BT-Drucks 8/3172 S 6, 21). Diese Vorschrift dient daher ebenso wie das Merkmal der Erwerbsmäßigkeit dem Zweck, die Versicherungspflicht auf Personen zu beschränken, die des sozialen Schutzes durch das KSVG bedürfen (BSG, Urteil vom 21. Juli 2011 – B 3 KS 5/10 R –, juris). Wer – wie die Klägerin – die künstlerische Tätigkeit in einer Art und Weise ausübt, die nicht zur Schaffung einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage führt, bedarf des Schutzes gerade durch das KSVG nicht (vgl. LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.), sondern wird durch anderweitige Regelungen, u.a. die sog. Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, geschützt.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Versicherungsfreiheit der Klägerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Die als bildende Künstlerin tätige, 1959 geborene Klägerin unterliegt seit 1986 der Versicherungspflicht nach dem KSVG (Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1986). Ausweislich ihrer Einkommensteuerbescheide erzielte sie in den Jahren 2002 bis 2009 Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in folgender Höhe:
Veranlagungszeitraum Bescheid vom Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit 2002 6. Oktober 2003 1.713,00 EUR 2003 28. Juni 2004 - 5.485,00 EUR 2004 11. Juli 2005 - 6.464,00 EUR 2005 1. September 2006 - 3.635,00 EUR 2006 22. Mai 2007 - 2.498,00 EUR 2007 24. Juli 2008 5.074,00 EUR 2008 16. Oktober 2009 8.429,00 EUR 2009 22. Juni 2010 - 5.565,00 EUR
Nach Anhörung der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 20. März 2007 fest, dass die Klägerin ab dem 1. April 2007 versicherungsfrei nach dem KSVG sei, da bei einem zu erwartenden Jahreseinkommen für das Kalenderjahr 2007 von weniger als 3.900,00 EUR keine Versicherungspflicht bzw. Zuschussberechtigung bestehe. Derjenige Wert, den die Klägerin im Rahmen ihrer Vorauseinschätzung für 2007 angegeben habe, erscheine unter Berücksichtigung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 nicht plausibel. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2007 zurück.
Mit Beschluss vom 17. Juli 2007 (Az.: L 24 B 417/07 KR ER) stellte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 fest.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin auf eine Einkommensanfrage der Beklagten hin ihr voraussichtliches Jahresarbeitseinkommen 2008 mit 4.000,00 EUR beziffert (Schreiben vom 1. November 2007). Diese Angabe hat die Beklagte "vor dem Hintergrund des laufenden Klageverfahrens" und dem Meldeverhalten der Klägerin in den Jahren 2002 bis 2005 nicht akzeptiert, daher für 2008 den Wert Null zugrunde gelegt und Beiträge nach dem Mindestwert berechnet (Schreiben vom 21. November 2007). Weitere Einkommensanfragen seitens der Beklagten für spätere Jahre erfolgten nach deren Vorbringen ebenso wenig wie entsprechende Einschätzungen der Klägerin.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 22. September 2010 die Klage abgewiesen, weil die Einkünfte der Klägerin in den Jahren 2002 bis 2006 nie die Geringfügigkeitsgrenze erreicht hätten und die Klägerin bis auf das Jahr 2002 durchgehend in der Verlustzone gearbeitet habe. Die Klägerin habe auch keine Umstände glaubhaft gemacht, dass gerade für 2007 eine andere Entwicklung zu erwarten sei. Die tatsächlichen Ergebnisse im Jahre 2007 seien zwar grundsätzlich irrelevant, bestätigten jedoch die Prognose der Beklagten. Ob die Darstellung der Klägerin glaubhaft sei, könne offen bleiben, auch wenn angesichts von 3 Ergebnisrechnungen mit jeweils völlig unterschiedlichen Werten erhebliche Zweifel bestünden. Auch für das Jahr 2008 sei keine günstige Prognose zu stellen. Ob dies für das Jahr 2009 anders zu beurteilen sei, habe die Kammer an dieser Stelle nicht zu entscheiden.
Gegen dieses ihr am 5. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 25. Oktober 2010, zu deren Begründung sie vorbringt: Das Urteil beruhe auf versehentlichen und absichtlichen Falschangaben der Beklagten zu ihren Steuerbescheiden und demzufolge zu ihren Einkünften. Die durch die Beklagte erstellte Prognose habe sich als falsch erwiesen. Die Jahre 2004 und 2005 seien nicht nur durch erhebliche Belastungen eines Atelierumzuges finanziell mit Verlusten versehen, sondern durch mehrere Atelierumzüge innerhalb Berlins belastet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien die Ursachen dieser finanziellen Verluste für die Urteilsfindung nicht unerheblich. Das Sozialgericht habe in der Urteilsbegründung praktisch falsche Zahlen, Daten und Begriffe verwendet. Unklar seien außerdem die Herkunft dieser Einzelheiten und insbesondere die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit. Ausweislich des entsprechenden Bescheides des Finanzamtes sei für das Jahr 2007 Umsatzsteuer i.H.v. 444,84 EUR festgesetzt worden. Diesem Betrag zugeordnet sei ein Gewinn "unterm Strich" von 5.421,65 EUR, von dem wiederum Sonderkosten (z.B. KSK-Beiträge) abgerechnet werden müssten. Die einmalige Zahlung der "Deutschen Künstlernothilfe" vom Bundespräsidialamt sei dabei nicht berücksichtigt, da dieser Betrag nicht versteuert werden müsse und daher auch nicht zum Einkommen gezählt werde. Er finde jedoch als Detail in der Gewinnermittlung Erwähnung. Sie – die Klägerin – verweise auf das Konzept für die von ihr in der strukturschwachen Berliner Region Oberschöneweide betriebene "Galerie 15". Sie erwarte, dass Berufskünstlern in wirtschaftlichen Zwängen nicht die Mitgliedschaft in der KSK entzogen werde, da Einkommensfragen nicht die entscheidenden Faktoren sein könnten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ermittlungen zu den Einkommensverhältnissen der Klägerin ab dem Jahr 2009 habe sie nicht veranlasst, weil aufgrund des Beschlusses des Landessozialgerichts die Versicherungspflicht der Klägerin auf Jahre hin gesichert sei.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten des Hauptsache- und des o.g. Eilverfahrens sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
A. Streitgegenstand ist die Frage, ob die Klägerin in der Zeit ab dem 1. April 2007 versicherungsfrei nach § 3 KSVG ist. Mit den angegriffenen Bescheiden hat die Beklagte die Versicherungsfreiheit der Klägerin nach § 3 KSVG ab dem 1. April 2007 auf unbestimmte Zeit festgestellt. Weder dem Verfügungssatz des Bescheides vom 20. März 2007 noch seiner Begründung lassen sich Anhaltspunkte entnehmen, dass die Versicherungsfreiheit auf das Jahr 2007 begrenzt werden sollte. Eine solche Vorgehensweise – die nur auf ein Kalenderjahr bezogene Feststellung der Versicherungsfreiheit – entspricht nach den Angaben der Beklagten auch nicht deren Verwaltungspraxis. Streitgegenständlich ist somit der gesamte o.g. Zeitraum.
B. Der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2007 ist aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Die Angriffe der Klägerin gehen fehl.
I. Versicherungsfrei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG ist, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900,00 EUR nicht übersteigt. Wird die selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit nur während eines Teils des Kalenderjahres ausgeübt, ist die in Satz 1 genannte Grenze entsprechend herabzusetzen. Satz 2 gilt entsprechend für Zeiten des Bezugs von Erziehungsgeld oder Elterngeld. Absatz 1 gilt nicht bis zum Ablauf von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit. Die Frist nach Satz 1 verlängert sich um die Zeiten, in denen keine Versicherungspflicht nach diesem Gesetz oder Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 KSVG besteht (§ 3 Abs. 2 KSVG). Abweichend von Absatz 1 bleibt die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die dort genannte Grenze nicht übersteigt (§ 3 Abs. 3 KSVG).
Das Arbeitseinkommen i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG erfährt durch § 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) – diese Vorschrift ist gemäß § 36a Satz 1 KSVG entsprechend anwendbar – eine Legaldefinition: Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Für die Zwecke des KSVG ist indes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG nur Arbeitseinkommen von Bedeutung, welches gerade aus (selbständiger) künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit erzielt wird.
Maßgeblich ist auch nicht das tatsächliche Arbeitseinkommen eines Kalenderjahres, sondern das voraussichtliche. Dieses haben gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 KSVG u.a. Versicherte der Künstlersozialkasse bis zum 1. Dezember eines Jahres zu melden. Kommen sie dieser Obliegenheit trotz Aufforderung nicht nach oder ist die Meldung mit den Verhältnissen unvereinbar, die dem Versicherten als Grundlage für seine Meldung bekannt waren, schätzt die Künstlersozialkasse die Höhe des Arbeitseinkommens (§ 12 Abs. 1 Satz 2 KSVG). Die erforderliche Prognose erfordert keine alle Eventualitäten berücksichtigende genaue Vorhersage, sondern lediglich eine ungefähre Einschätzung, welches Arbeitseinkommen nach der bisherigen Übung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Im Prognosezeitpunkt muss davon auszugehen sein, dass sich das Arbeitseinkommen bei normalem Ablauf der Dinge nicht relevant verändern wird. Grundlage der Prognose können dabei lediglich Umstände sein, von denen in diesem Zeitpunkt anzunehmen ist, dass sie das Arbeitseinkommen bestimmen werden (so für § 3 KSVG: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. Januar 2012 – L 5 KR 15/11 –, juris (Revision beim BSG anhängig unter B 3 KS 2/12 R) unter Verweis auf BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 – B 12 R 15/09 R –, juris, zur Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Nr. 2 SGB VI). Erweist sich eine – richtige – Prognose im Nachhinein infolge nicht vorhersehbarer Umstände als unzutreffend, so bleibt sie für die Vergangenheit gleichwohl maßgebend (BSG, a.a.O., sowie – für die Einkommensprognose nach dem BErzGG – Urteil vom 30. August 2007 – B 10 EG 6/06 R –, juris). Grundlage für die Schätzung künftigen Arbeitseinkommens dürfen gleichwohl auch diejenigen Einkünfte aus der selbständigen (künstlerischen oder publizistischen) Tätigkeit sein, die durch die Finanzbehörden für vergangene Jahre einkommenssteuerrechtlich ermittelt wurden und nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG den Gewinn bilden.
II. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Beklagte zutreffend die Versicherungsfreiheit der Kläger ab dem 1. April 2007 festgestellt.
1. Die Beklagte hat hierbei zu Recht ausschließlich diejenigen Unterlagen verwertet, die die Klägerin im Rahmen eines Überwachungsverfahrens nach der KSVG-Beitragsüberwachungsverordnung (KSVG-BÜVO) auf Aufforderung vorgelegt hat, nämlich ihre Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005. Die darin festgestellten Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit rechtfertigten Anfang des Jahres 2007 die Annahme, dass die Klägerin auch in diesem Kalenderjahr die Einkommensgrenze von 3.900,00 EUR nicht überschreiten werde. Weitere Unterlagen oder Nachweise musste die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt nicht berücksichtigen, zumal sie der Klägerin mit Schreiben vom 30. Januar 2007 die Gelegenheit bot, durch Vorlage aller Einkommensbelege aus dem Jahr 2006 ihre aktuelle Einkommenssituation darzustellen. Diese Gelegenheit hat die Klägerin nicht wahrgenommen.
2. Die von der Klägerin nach Bescheiderlass eingereichten Unterlagen führen zu keinem anderen Ergebnis.
a) Die im gerichtlichen Eilverfahren zunächst (mit Schreiben vom 22. Mai 2007) übersandte "Gewinnermittlung 1.1.2006 – 31.12.2006" weist einen Verlust von über 2.400,00 EUR aus und bestätigt somit die Einschätzung der Beklagten.
b) Die etwas später (mit Schreiben vom 10. Juli 2007) eingereichten Unterlagen sind in sich widersprüchlich und daher nicht verwertbar. So weist zwar der Einnahmen-/Ausgabenplan 2007 in Teil 5 des klägerischen Unternehmenskonzepts einen prognostizierten Gewinn von 4.500,00 EUR aus (bei Einnahmen i.H.v. 5.100,00 EUR im ersten Halbjahr, 6.000,00 EUR im zweiten Halbjahr und Ausgaben i.H.v. 6.600,00 EUR für das gesamte Jahr). Die beigefügten Rechnungen aus den Monaten Februar bis Juni 2006 belegen indes nur Verkäufe i.H.v. 3.600,00 EUR. Stellt man diesen Betrag für das erste Halbjahr in den o.g. Einnahmen-/Ausgabenplan 2007 ein, ergibt sich ein geschätzter Gewinn von nur noch 3.000,00 EUR. Unabhängig hiervon könnten diese Unterlagen eine Versicherungsfreiheit allenfalls für die Zukunft, d.h. ab 1. August 2007, widerlegen, nicht hingegen für die schon zurückliegende Zeit.
c) Die erst mit Schriftsatz vom 6. März 2008 im Klageverfahren vorgelegte "Gewinnermittlung 1.1.2007 – 31.12.2007" (Betriebseinnahmen: 9.953,39 EUR, Betriebsausgaben: 6.031,75 EUR, Gewinn: 3.921,64 EUR) kann nicht als Grundlage einer Prognose für das bereits abgelaufene Kalenderjahr 2007 dienen. Unabhängig hiervon zählt die auf der Einnahmeseite berücksichtigte Umsatzsteuer-Erstattung nicht zu den Einkünften aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit. Ferner sind Zahlungen der Deutschen Künstlerhilfe, die die Klägerin im März 2007 i.H.v. 1.500,00 EUR – offensichtlich wegen Bedürftigkeit – erhalten hat, gemäß § 3 Nr. 43 EStG steuerfrei und daher bei der Ermittlung des einkommenssteuerrechtlichen Gewinns nicht zu berücksichtigen. Ohne diese beiden Einnahmen hat die Klägerin im Jahr 2007 einen Gewinn weit unterhalb des gesetzlichen Grenzbetrags von 3.900,00 EUR erwirtschaftet.
Ob die dem Schriftsatz der Klägerseite vom 14. April 2009 beigefügte "Gewinnermittlung 1.1.2007 – 31.12.2007", welche bei identischen Betriebsausgaben um 1.500,00 EUR erhöhte Betriebseinnahmen aufweist, schon deshalb unverwertbar ist, weil sie im Widerspruch zur zuvor eingereichten Gewinnermittlung für dieses Kalenderjahr steht, kann dahinstehen. Die nachgeschobene Erklärung der Klägerin, die Einnahmedifferenz resultiere aus einem Außenstand (Rechnung vom 24. Dezember 2006), der erst 2007 in bar durch den vor Juli 2010 verstorbenen Käufer (W V) beglichen worden sei, erscheint dem Senat jedenfalls im Hinblick auf den Verfahrensgang unglaubwürdig. Dies ist indes nicht entscheidungserheblich, weil auch vom "neu" ermittelten Gewinn für 2007 i.H.v. 5.421,64 EUR die o.g. Einnahmen (Umsatzsteuer-Erstattung, Zahlung der Deutschen Künstlerhilfe) abzuziehen sind, sodass ein Gewinn von weniger als 3.900,00 EUR verbleibt.
d) Die erst während des Klageverfahrens übersandten Einkommenssteuerbescheide für die Jahre ab 2007 können ebenso wie der Umsatzsteuerbescheid 2007, selbst wenn sie einen Gewinn aus selbständiger Tätigkeit über 3.900,00 EUR ausweisen, nicht Grundlage einer Einkommensschätzung für das Kalenderjahr 2007 sein, weil – wie bereits dargelegt – nicht die tatsächliche, sondern die voraussichtliche Einkommenssituation ausschlaggebend ist.
3. Die in § 3 KSVG vorgesehenen Ausnahmeregelungen greifen nicht zugunsten der Klägerin ein, da die entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind.
a) Die Begünstigung von Berufsanfängern nach § 3 Abs. 2 KSVG kommt der Klägerin nicht zugute, weil sie im Jahre 2007 schon seit über 20 Jahren künstlerisch tätig war. Dass Verlängerungstatbestände nach § 3 Abs. 2 Satz 2 KSVG vorliegen, ist weder nach dem Vorbringen der Beteiligten noch anderweitig ersichtlich.
b) Das Arbeitseinkommen der Klägerin aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit unterschritt auch nicht lediglich zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Einkommensgrenze von 3.900,00 EUR. Hierbei kann der Senat offen lassen, wie die Sechs-Jahres-Frist der mit Wirkung zum 1. Juli 2001 eingeführten Vorschrift des § 3 Abs. 3 KSVG zu berechnen ist. Denkbar wäre einerseits, mit Beginn des nächsten vollständigen Kalenderjahres, d.h. ab 2002, starre Sechs-Jahres-Zeiträume anzunehmen. Andererseits könnte das jeweils zu prüfende Kalenderjahr als Ausgangspunkt gewählt werden, von dem aus dann ein Zeitraum von sechs Jahren in die Vergangenheit heranzuziehen ist. Beide Varianten führen im hiesigen Fall zu den Jahren 2002 bis 2007 als maßgeblichem Zeitraum. Legt man die Einkommenssteuerbescheide der Klägerin für die Jahre 2002 bis 2006 sowie die zutreffende Einkommensschätzung der Beklagten für 2007 zugrunde, erreichte die Klägerin in keinem dieser Jahre die Einkommensgrenze.
4. Die Versicherungsfreiheit besteht auch bis heute fort. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte mit Ausnahme des Jahres 2008 keine weiteren Einkommensschätzungen für die Klägerin vorgenommen hat.
a) Den von der Klägerin mit Schreiben vom 1. November 2007 mitgeteilten, voraussichtlich erreichten Betrag von 4.000,00 EUR durfte die Beklagte im Hinblick auf § 12 Abs. 1 Satz 2 KSVG ignorieren, weil diese Angabe offenkundig ohne jeweilige Prüfung der künftigen Einkommenssituation erfolgte und sie somit mit den Verhältnissen, insbesondere den einkommenssteuerrechtlichen Feststellungen, unvereinbar war, die der Klägerin als Grundlage ihrer Meldung bekannt waren. Die Beklagte durfte vielmehr davon ausgehen, dass sich die Einkommenssituation der Klägerin nicht geändert hatte, und das voraussichtlichen Einkommen der Klägerin auf 0.- EUR schätzen, sodass die angefochtenen Bescheide Bestand haben konnten.
b) Einkommensschätzungen für die Folgejahre musste die Beklagte nicht vornehmen. Denn das Gesetz hat insoweit den Künstlern und Publizisten die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich einer Änderung der Verhältnisse auferlegt.
aa) Ändern sich die Verhältnisse, die für die Ermittlung des voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommens maßgebend waren, ist auf Antrag die Änderung mit Wirkung vom Ersten des Monats an zu berücksichtigen, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag bei der Künstlersozialkasse eingeht. Satz 1 gilt entsprechend, wenn das Jahresarbeitseinkommen geschätzt worden ist (§ 12 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB V). Diese Vorschrift soll als lex specialis zu § 48 SGB X eine Korrektur des voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommens für vergangene Zeiträume ausschließen (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes, BT-Drs. 11/2964, S. 16). Hieraus ergibt sich, dass die Beklagte nur auf Antrag des Künstlers oder Publizisten Änderungen derjenigen rechtlichen Umstände festzustellen hat, die – wie die Beitragshöhe oder die Versicherungsfreiheit – auf den Angaben zum voraussichtlichen Einkommen aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit beruhen.
bb) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob und ggf. in welcher Form (z.B. konkludent im Rahmen eines Schriftsatzes während des gerichtlichen Verfahrens) die Klägerin nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides Anträge nach § 12 Abs. 3 Satz 1 KSVG bei der Beklagten gestellt hat. Denn eine Änderung mit Wirkung zu dem in dieser Vorschrift bezeichneten Zeitpunkt setzt zwingend voraus, dass die Klägerin ihren Antrag mit konkreten Angaben zur Änderung ihres voraussichtlichen Arbeitseinkommens versieht. Dies ist nicht geschehen, sodass die Versicherungsfreiheit andauert.
5. Unerheblich für die Prüfung der Versicherungsfreiheit sind nach dem Wortlaut und der ratio legis von § 3 KSVG die Umstände, die für ein Arbeitseinkommen aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit nicht über 3.900,00 EUR verantwortlich sind. Die Gründe für den Einkommensrückgang bei der Klägerin sind daher unbeachtlich. Denn durch § 3 KSVG sollen Personen von der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden, für die die künstlerische bzw. publizistische Tätigkeit nicht die wirtschaftliche Existenz darstellt (BR-Drucks 410/76 S 14; BT-Drucks 8/3172 S 6, 21). Diese Vorschrift dient daher ebenso wie das Merkmal der Erwerbsmäßigkeit dem Zweck, die Versicherungspflicht auf Personen zu beschränken, die des sozialen Schutzes durch das KSVG bedürfen (BSG, Urteil vom 21. Juli 2011 – B 3 KS 5/10 R –, juris). Wer – wie die Klägerin – die künstlerische Tätigkeit in einer Art und Weise ausübt, die nicht zur Schaffung einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage führt, bedarf des Schutzes gerade durch das KSVG nicht (vgl. LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.), sondern wird durch anderweitige Regelungen, u.a. die sog. Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, geschützt.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
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