L 18 SO 220/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 SO 122/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SO 220/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 98 Abs. 5 SGB XII betrifft auch die örtliche Zuständigkeit des nach Landesgesetz sachlich zuständigen überörtlichen Trägers.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.11.2011 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Erstattung von Eingliederungshilfe in Höhe von 23.117,76 EUR hat, die er für die teilstationäre Betreuung und Pflege von Herrn B. (im Folgenden: B.) in der Werkstatt für behinderte Menschen in B-Stadt im Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.10.2007 erbracht hat.

Der 1953 geborene B. leidet unter einer Oligrophrenie im Sinne einer Debilität. Er wohnte bis zu seiner Aufnahme in die stationäre Einrichtung "H." des B.D. (im Folgenden: D.), B-Stadt (Landkreis A-Stadt) im Januar 1972 bei seinen Eltern in A. (Bezirk Unterfranken). Der Kläger erbrachte an B. Leistungen der Sozialhilfe; unter anderem übernahm er im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten für den Besuch der Werkstatt für Behinderte in B-Stadt.

Mit Schreiben vom 3. August 2005, eingegangen beim Kläger am 05.08.2005, teilte B. über einen Mitarbeiter des D. mit, dass ihm eine eigene Wohnung in B-Stadt zur Anmietung angeboten worden sei, in der er in Zukunft durch D. ambulant betreut werden könne. Er bat um Kostenübernahme.

Daraufhin leitete der Kläger das Schreiben an die Stadt A. - Sozialamt - mit Schreiben vom 9. August 2005 weiter, damit diese in eigener sachlicher und örtlicher Zuständigkeit entscheide. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete der Kläger den Beklagten von dem Schreiben des B. und dem Schreiben an die Stadt A ... Er machte geltend, dass der Beklagte ab dem Wechsel in das ambulant betreute Wohnen sowohl örtlich als auch sachlich für die Übernahme der Werkstattkosten zuständig sei, und bat den Beklagten darum, ihm zu gegebener Zeit einen Abdruck seiner Entscheidung zu übersenden.

Mit Bescheid vom 07.09.2005 übernahm der Kläger nach den Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Kosten der teilstationären Betreuung einschließlich der teilstationären Pflege (Tagespflege) in der Werkstatt für behinderte Menschen in B-Stadt ab 01.01.2005 bis zum Ausscheiden aus der Einrichtung, längstens jedoch bis 31.10.2005.

Der im Schreiben vom 09.08.2005 vom Kläger vertretenen Auffassung widersprach der Beklagte mit Schreiben vom 14.09.2005. Gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII bleibe der Sozialhilfeträger für Personen, die Leistungen in ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten erhalten würden, zuständig, der vor dem Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen sei. Eine Zuständigkeit des Beklagten sei daher nicht gegeben. Die Stadt A. sowie die Einrichtung erhielten einen Abdruck des Schreibens. Unter Bezugnahme auf das Schreiben erklärte der Kläger daraufhin am 22.09.2005 schriftlich, "dass es korrekt ist, dass wir gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII weiterhin für die anfallenden Werkstattkosten zuständig sind". Ein Abdruck dieses Schreibens ging an die Stadt A. und an D.

Zum 01.11.2005 wechselte der Hilfeempfänger in das ambulant betreute Wohnen. Mit Bescheid vom 22.09.2005 änderte der Kläger seinen Bescheid vom 07.09.2005 dahingehend ab, dass die Kosten der teilstationären Betreuung einschließlich der teilstationären Pflege (Tagespflege) in der Werkstatt für behinderte Menschen in B-Stadt ab 01.01.2005 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zum Ausscheiden aus der Einrichtung übernommen werden. Mit weiterem Bescheid vom 24.01.2006 übernahm der Kläger die Kosten bereits ab 01.11.2005. Ab dem 01.11.2007 war der Hilfeempfänger wieder stationär untergebracht. Seit diesem Zeitpunkt ist der Beklagte Kostenträger.

Am 19.05.2008 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er die Kosten für den Besuch der Werkstatt für behinderte Menschen durch B. ab dem 01.11.2005 irrtümlich übernommen habe. Die örtliche Zuständigkeit für die teilstationäre Betreuung des Hilfeempfängers in der Werkstatt richte sich nach § 98 Abs. 1 SGB XII, so dass der Beklagte örtlich, aber auch sachlich zuständig gewesen sei. Er mache daher einen Kostenerstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend. Den Kostenerstattungsanspruch bezifferte er mit weiterem Schreiben vom 25.11.2008 auf 23.177,76 EUR. Der Beklagte wies mit Schreiben vom 16.12.2008 und vom 31.03.2009 den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch zurück.

Am 14.12.2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Mit Urteil vom 18.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass § 105 Abs. 1 SGB X als - einzig denkbare - Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch nicht in Betracht käme, da jedenfalls ein Ausschluss nach § 105 Abs. 3 SGB X vorliege. Der Beklagte habe im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.10.2007 nicht die erforderliche Kenntnis vom Vorliegen seiner Leistungspflicht gehabt. Aufgrund der Mitteilung des Klägers vom 22.09.2005 habe der Beklagte darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger als zuständiger Leistungsträger die für B. anfallenden Werkstattkosten übernimmt. Durch die nachfolgende Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 105 Abs. 1 SGB X setze sich der Kläger in Widerspruch zu seinem ursprünglichen Verhalten. Die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs stelle sich somit als treuwidrig im Sinne eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (hier: widersprüchliches Verhalten, "venire contra factum proprium") dar. Dieser Grundsatz sei in der Rechtsordnung allgemein anerkannt und finde auch bei den Erstattungsansprüchen nach §§ 102 ff. SGB X Anwendung. Vor diesem Hintergrund sei eine Kenntnis des Beklagten vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungspflicht im Sinne des § 105 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.11.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm die Aufwendungen für den Besuch der Werkstatt für Behinderte durch Herrn B. im Zeitraum vom 01.11.2005 bis 31.10.2007 in Höhe von 23.117,76 EUR zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Behördenakten verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie ist aber unbegründet. Dem Kläger steht kein Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten für die von ihm im Zeitraum vom 01.11.2005 bis 31.10.2007 getätigten Aufwendungen für den Besuch der Werkstatt für Behinderte durch B. zu.

1. Der Senat trifft auf der Grundlage des Akteninhalts und der Angaben der Beteiligten, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat, folgende Feststellungen: B hat am 05.08.2005 beim Kläger Leistungen der Teilhabe in Form von ambulanten Betreuungsleistungen bzw. Unterstützungsleistungen für den Besuch der Werkstatt für Behinderte ab dem Zeitpunkt seines Umzugs in die neue Wohnung i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) beantragt. Der Kläger hat dann am 09.08.2005 den Antrag des B. hinsichtlich der Kosten des Betreuten Wohnens an die Stadt A. und hinsichtlich der Übernahme der Werkstattkosten an den Beklagten zur Entscheidung als zuständige - und mögliche (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX) - Rehabilitationsträger übersandt. Allerdings hat der Kläger gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 22.09.2005 im Einvernehmen mit der von diesem zuvor geäußerten Rechtsauffassung (doch) seine - des Klägers - Zuständigkeit erklärt. Infolgedessen hat er mit Bescheiden vom 22.09.2005 und 24.01.2006 über den Antrag des B. entschieden und antragsgemäß die Kosten der teilstationären Betreuung einschließlich der teilstationären Pflege (Tagespflege) in der Werkstatt für behinderte Menschen in B-Stadt ab 01.11.2005 bis auf weiteres übernommen. Der Kläger hat dem B. im Zeitraum 01.11.2005 bis 31.10.2007 für seinen Besuch der Werkstatt für Behinderte in B-Stadt Eingliederungshilfe i.S.d. §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 4 SGB XII i.V.m. § 41 SGB IX in Höhe von insgesamt 23.117,76 EUR geleistet. B. hat in diesem Zeitraum eine Wohnung in B-Stadt bewohnt, die er nach durchgeführtem Wohntraining durch D. angemietet hatte und in der er ambulant betreut worden ist. Die Betreuungsleistungen haben Mitarbeiter des D. erbracht, die B. im sozialen Umgang, bei Außenaktivitäten, der Gestaltung der angemieteten Wohnung und seiner Versorgung begleiteten sowie ihn bei der Einteilung seines Geldes und der Erfüllung administrativer Aufgaben unterstützt haben. Den Betreuungsleistungen lag ein Gesamtkonzept des D. zu Grunde, das das bereits zuvor durchgeführte Wohntraining und die eigenständige Anmietung der Wohnung mit umfasst hat. Kostenträger für diese Leistungen war die Stadt A. - Amt für soziale Leistungen.

Dies zugrunde legend ist ein Anspruch des Klägers aus § 105 Abs. 1 SGB X nicht gegeben, weil der Kläger für die Eingliederungshilfeleistungen an B (originär) zuständig war (dazu unter 2.). Ein solcher Erstattungsanspruch wäre - hilfsweise - gemäß § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX analog ausgeschlossen (dazu unter 3.). Andere Anspruchsgrundlagen für eine Erstattung zugunsten des Klägers sind nicht gegeben (dazu unter 4.).

2. Ein Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten nach § 105 Abs. 1 SGB X auf Erstattung der von ihm an B. erbrachten Eingliederungshilfe in Höhe von 23.117,76 EUR ist nicht gegeben.

§ 105 Abs. 1 S. 1 SGB X trifft folgende Regelung: Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage liegen nicht vor, weil der Kläger als zuständiger Leistungsträger Leistungen der Eingliederungshilfe an B für den Besuch der Werkstatt für Behinderte im Zeitraum 01.11.2005 bis 31.10.2007 erbracht hat.

Nach § 98 Abs. 5 S. 1 SGB XII (in der zum 01.11.2005 gültigen Fassung) bleibt für die Leistungen an Personen, die Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt örtlich zuständig war.

Unter den Begriff "Leistungen an Personen" sind alle Leistungen nach dem SGB XII zu subsumieren, insbesondere Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII (vgl. u.a. Bundessozialgericht, Urteil vom 25.08.2011, B 8 SO 7/10 R). § 98 Abs. 5 S. 1 normiert eine Gesamtfallzuständigkeit (vgl. Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand 06/12, § 98 Rn. 98; so auch Rabe in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 98 SGB XII Rn. 36; Gerlach a.a.O., S. 7). Er perpetuiert die örtliche Zuständigkeit des zuletzt für die Leistung zuständigen (örtlichen oder überörtlichen) Trägers (vgl. Schlette a.a.O. Rn. 95) bzw. des (örtlichen oder überörtlichen) Trägers, der zuletzt zuständig gewesen wäre (vgl. aktuelle Fassung des § 98 Abs. 5 SGB XII; siehe dazu Gerlach a.a.O., S. 3, 9). Sinn und Zweck dieser Regelung ist, diejenigen Leistungsorte zu schützen, die Formen des betreuten Wohnens anbieten und finanziell durch den dadurch bedingten Zuzug hilfebedürftiger Personen überproportional belastet würden (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.; siehe dazu auch Schlette a.a.O., Rn. 94 m.w.N.).

B. war bis zum 31.10.2005 in einer stationären Einrichtung ("H.") untergebracht und besuchte schon zu dieser Zeit die Werkstatt für Behinderte in B-Stadt. Die Kosten hierfür übernahm der Kläger als zuständiger Sozialhilfeträger. Zum 01.11.2005 wechselte B. in das ambulant betreute Wohnen, wo er bis zum 31.10.2007 verblieb. Nach der insoweit eindeutigen Regelung des § 98 Abs. 5 S. 1 SGB XII blieb somit der Kläger auch über den 01.11.2005 hinaus für die Erbringung der Eingliederungshilfe an B. originär zuständig (vgl. §§ 97, 98 SGB XII i.V.m. Art. 11 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches).

Soweit der Kläger demgegenüber die Auffassung vertritt, § 98 Abs. 5 S. 1 SGB XII finde keine Anwendung, soweit nicht der örtliche Träger sachlich zuständig gewesen sei, sondern - wie im vorliegenden Fall - der überörtliche, ist dem nicht zu folgen. Der Kläger verkennt, dass § 98 SGB XII umfassend regelt, welcher Sozialhilfeträger zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII in einem räumlich abgrenzbaren Bereich zuständig ist, und zwar unabhängig davon, welcher Leistungsträger in diesem Bereich letztlich sachlich für die Leistungserbringung zuständig ist. § 98 SGB XII regelt somit - notwendiger- und konsequenterweise in all seinen Absätzen - auch die örtliche Zuständigkeit eines gegebenenfalls nach § 97 SGB XII (i.V.m. den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften) sachlich zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträgers. Im Übrigen steht die vom Kläger vertretene Auffassung im offensichtlichen Widerspruch zum oben beschriebenen Sinn und Zweck der Regelung in § 98 Abs. 5 S. 1 SGB XII. Sie soll die Orte, die ambulant betreutes Wohnen anbieten, vor einer überproportionalen finanziellen Belastung durch den Zuzug hilfebedürftiger Personen schützen. Dieser Schutz muss unabhängig davon gewährleist sein, ob vor dem Eintritt in das ambulant betreute Wohnen nach den spezifischen landesrechtlichen Regelungen (vgl. § 97 Abs. 2 SGB XII) ein örtlicher oder überörtlicher Träger für die Leistungserbringung sachlich zuständig war bzw. gewesen wäre.

Ferner stünden einem Erstattungsanspruch des Klägers nach § 105 SGB X auch die Erwägungen entgegen, die das SG seinem Urteil zu Grunde gelegt hat. Der Senat nimmt auf diese Gründe Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Überdies wäre zu beachten, dass der Beklagte von dem Leistungsfall, der den Zeitraum 01.11.2005 bis 31.10.2007 betraf, vor dem 01.11.2007 Kenntnis gehabt haben müsste. Denn nur in diesem Fall könnte (ggf. teilweise) ein Erstattungsanspruch des Klägers bestehen (vgl. § 105 Abs. 3 SGB X). B. ist erst am 01.11.2005 von der stationären Einrichtung in das ambulant betreute Wohnen gewechselt, ohne dass der Beklagte vom Eintritt dieses den Leistungsfall auslösenden Ereignisses in Kenntnis gesetzt worden wäre. Der letzte Schriftwechsel zwischen den Beteiligten in der Angelegenheit datierte vom 22.09.2005. Dies spricht gegen eine Kenntnis des Beklagten vom Vorliegen der Vorraussetzungen für seine Leistungspflicht ab 01.11.2005. Selbst wenn man aber annähme, dass der vorangegangene Schriftverkehr zwischen den Beteiligten grundsätzlich geeignet gewesen ist, dem Beklagten Kenntnis von seiner Leistungspflicht ab 01.11.2005 zu verschaffen, wäre diese Kenntnis durch die Mitteilung des Klägers vom 22.09.2005 wieder entfallen. Der Beklagte erhielt nach Aktenlage ab 01.11.2005 keine (weiteren) Informationen über die fortbestehende Hilfebedürftigkeit des B. Erst am 19.05.2008 hat sich der Kläger in der Angelegenheit wieder an den Beklagten gewandt und ihn über die fortlaufende Leistungserbringung ab 01.11.2005 informiert.

3. Ein Erstattungsanspruch des Klägers auf Grundlage des § 105 SGB X wäre - hilfsweise - nach § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX ausgeschlossen.

Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (S. 2). Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Muss für diese Feststellung ein Gutachten nicht eingeholt werden, entscheidet der Rehabilitationsträger innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang (S. 2). Wird der Antrag weitergeleitet, gelten die Sätze 1 und 2 für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend; die in Satz 2 genannte Frist beginnt mit dem Eingang bei diesem Rehabilitationsträger (S. 3). Gemäß § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX ist für unzuständige Rehabilitationsträger, die eine Leistung nach Absatz 2 Satz 1 und 2 erbracht haben, § 105 des Zehnten Buches nicht anzuwenden, es sei denn, die Rehabilitationsträger vereinbaren Abweichendes.

§ 14 SGB IX findet auch im Verhältnis zwischen zwei Rehabilitationsträgern gleicher Art, also auch zwischen zwei Sozialhilfeträgern Anwendung findet (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2010, B 1/3 KR 6/09 R).

Nach seinem Wortlaut setzt § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX eine Leistungserbringung des erstangegangen Rehabilitationsträgers nach Abs. 2 S. 1 und S. 2 und damit eine Nichtweiterleitung durch den erstangegangenen Reha-Träger voraus. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, weil der Kläger den Antrag i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX weitergeleitet hat.

Vorliegend hat der Kläger als erstangegangener Reha-Träger aber trotz Weiterleitung (Schreiben des Klägers an den Beklagten vom 09.08.2005 aufgrund Antrags vom 05.08.2005) geleistet (Bescheide des Klägers vom 22.09.2005 und vom 24.01.2006). Später hat er die dieser Leistung zugrunde liegende mutmaßlich irrtümliche Annahme einer Leistungspflicht geändert (Schreiben des Klägers vom 19.05.2008). Auf diese Fallkonstellation ist § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX entsprechend anzuwenden.

Gesetzesanalogie setzt eine die analoge Anwendung rechtfertigende Gesetzeslücke voraus. Ferner muss die analoge Anwendung methodengerecht begründet werden (BVerfG vom 28.07.2010, 1 BvR 2133/08 juris Rn 9 f) und eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen gegeben sein (BVerfG vom 21.12.2009, 1 BvR 2738/08 juris Rn 32). Diese Voraussetzungen einer Gesetzesanalogie sind vorliegend erfüllt. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX ist es, einen Erstattungsanspruch des erstangegangen Rehabilitationsträgers in Fällen auszuschließen, in denen er zielgerichtet in fremde Zuständigkeiten eingreift. Ein Erstattungsanspruch erscheint in diesen Fällen nicht gerechtfertigt, so dass jegliche Erstattung ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2007,
B 1 KR 34/06 R). Der Kläger hat im vorliegenden Fall durch die Bewilligung vom 22.09.2005 in die infolge der Weiterleitung bestehende Zuständigkeit des Beklagten nach § 14 SGB IX für die Entscheidung über den Antrag (siehe dazu Luik in jurisPK-SGB IX, Stand 11.03.2013, § 14 Rn. 45 m.w.N.; BSG, Urteil vom 20.04.2010, B 1/3 KR 6/09 R; Urteil vom 26.06.2007, B 1 KR 34/06 R; Urteil vom 29.09.2009, B 8 SO 19/08 R m.w.N.; zur verdrängenden Wirkung einer Zuständigkeit nach § 14 SGB IX siehe u.a. SG Bayreuth, Beschluss vom 29.07.2005, S 4 SO 45/05 ER; Luik a.a.O. m.w.N.; siehe auch Gerlach in ZfF 1/2008, S. 10 zum Verhältnis § 14 SGB IX zu § 98 Abs. 5 SGB XII) eingegriffen. Zur Schließung der gesetzlichen Regelungslücke ist der Kläger in diesem Fall von der Interessenlage her nicht anders zu stellen als ein erstangegangener Träger, der trotz des Bestehens und der Kenntnis einer anderweitigen Leistungszuständigkeit den Antrag an den zuständigen Träger nicht weiterleitet, sondern selbst entscheidet.

Eine von der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX abweichende Vereinbarung zwischen den Beteiligten besteht nach den Feststellungen des Senats nicht.

Im Übrigen würden auch hier wieder die unter 2. angeführten Gründe einem Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X entgegenstehen.

4. Andere gesetzliche Grundlagen, auf die der Kläger seinen Erstattungsanspruch stützen könnte, sind nicht gegeben. Der Kläger hat - wie aus den Bewilligungsbescheiden eindeutig hervorgeht - die Leistungen an B. im Zeitraum 01.11.2005 bis 31.10.2007 nicht vorläufig im Sinne des § 102 SGB X erbracht. Der Kläger war gegenüber dem Beklagten auch nicht nachrangig verpflichteter Leistungsträger im Sinne des § 104 SGB X. Bei den Beteiligten, beides Sozialhilfeträger, handelt es sich um institutionell gleichrangige Leistungsträger. Zudem bestand im streitigen Zeitraum nur ein Anspruch des B. auf Unterstützung seines Besuchs der Werkstatt für Behinderte in B-Stadt, und zwar in Form der Erbringung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Für den Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ist dagegen konstitutiv, dass Sozialleistungsansprüche des Hilfeempfängers gegen mindestens zwei Leistungsträger gegeben waren (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 14.05.1985, 4a RJ 13/84; siehe zum Ganzen Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, Aktualisierungsstand 08/11, § 104 Rn. 7 f.). Es ist also für eine Anwendbarkeit des § 104 SGB X nicht ausreichend, wenn - wie vorliegend - zwischen zwei Leistungsträgern Streit darüber besteht, wer für die Erfüllung eines Anspruchs nach dem SGB XII örtlich und sachlich zuständig war. In einem solchen Fall gibt es nur die Möglichkeit einer Erstattung nach § 105 SGB X (vgl. Pattar in juris-PK-SGB X, Stand 01.12.2012, § 104 Rn. 13).

Nach alledem hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.11.2011 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs. 1 VwGO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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