L 3 U 12/07

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 U 112/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 12/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Nachweis des seelischen Gesundheitserstschadens als Voraussetzung für den Tatbestand des Arbeitsunfalls sowie zu "Mobbing" am Arbeistplatz als Einwirkung im Sinne eines Arbeitsunfalls.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Vorfalls vom 15. November 2000 als Arbeitsunfall.

Der 1970 geborene Kläger beantragte am 5. Januar 2004 bei der Beklagten die Anerkennung eines Vorfalls vom 15. November 2000 als Arbeitsunfall. Er gab an, er sei als Sicherheitsmitarbeiter bei der X. AG & Co KG aA in A-Stadt beschäftigt und an diesem Tag als Sicherheitsmitarbeiter zur Überwachung in den A-Stadter U-Bahnen eingesetzt gewesen. Während der Arbeit sei es zu unberechtigter Gewaltanwendung seiner Kollegen gegen U-Bahn-Gäste gekommen. Das habe auch zu einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren geführt, während dessen der Kläger erheblichem Druck durch seine Kollegen ausgesetzt gewesen sei. Miterleben zu müssen, wie der eigene Arbeitsauftrag – Schutz anderer im öffentlichen Verkehrsbereich – durch Kollegen vorsätzlich pervertiert worden sei, habe für den Kläger ein solches Trauma dargestellt, dass er sich davon trotz umfangreicher Behandlungsversuche nicht wieder erholt habe. Er legte einen Bericht des behandelnden Psychologen G. vom 22. Februar 2002, der eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert hatte. Der Kläger legte einen Bericht der Neurologin und Psychiaterin C. vom 10. September 2001 und einen Entlassungsbericht der Fachklinik Berus in Überherrn nach dortigem stationärem Aufenthalt des Klägers vom 6. Juni bis zum 18. Juli 2002 (unter der Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung") vor. Außerdem zog die Beklagte die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main, Az.: 3530 Js 210044/01 bei.

Mit Bescheid vom 18. August 2004 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 15. November 2000 als Arbeitsunfall ab. Rempeleien und Handgreiflichkeiten seien im Sicherheitsdienst an der Tagesordnung oder zumindest nicht auszuschließen. Ein dort Beschäftigter müsse sich auf solche Situationen seelisch einstellen. Auch wenn es am 15. November 2000 zu einem Fehlverhalten mit nachfolgender Körperverletzung der ehemaligen Kollegen des Klägers gekommen sein sollte, begründe dieses Vorgehen aufgrund der Intensität der Ereignisse keinen Arbeitsunfall im Sinne der Definition. Die vom Kläger erwähnten und angedrohten Repressalien seitens der Kollegen müssten auf arbeitsrechtlichem und strafrechtlichem Wege gelöst werden.

Den hiergegen am 30. August 2004 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2005 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 2. Juni 2005 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhoben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Oktober 2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es liege schon kein Arbeitsunfall vor. Der Kläger habe außer der behaupteten psychischen Folgeschädigung nichts erlitten; er sei nur Zeuge eines umstrittenen Vorfalls gewesen. Es liege auch keine von der Beklagten zu entschädigende posttraumatische Belastungsstörung als "Unfallfolge" vor. Es fehle bereits an der Grundvoraussetzung eines objektiv vorliegenden katastrophalen Großschadensereignisses, das die Grenze der psychischen Belastbarkeit des Betroffenen eindeutig überschreite. Soweit es sich um primäre Verletzungen und Einwirkungen auf dritte Personen handele, sei anerkannt, dass eine PTBS nur anzunehmen sei, wenn das psychische Opfer in einer besonderen Beziehung zu den primär Geschädigten gestanden habe. Diese Voraussetzungen seien im Sinne einer wertenden Kausalitätsbetrachtung erforderlich, um die Uferlosigkeit der denkbaren, sich betroffen Fühlenden und Ansprüche Erhebenden einzugrenzen. Eine fahrlässige psychische Schädigung eines Dritten sei grundsätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen. Die Argumentation des Klägers laufe darauf hinaus, dass der allein erfühlte Eindruck des Klägers maßgeblich sein solle. Es gebe eine Vielzahl von Hinweisen auf psychische Vorerkrankungen des Klägers; es sei nicht vorstellbar, dass ein psychiatrischer Gutachter hier eine sichere Abgrenzung zwischen Vorschaden, Unfallschaden und Begleiterkrankung werde treffen können.

Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 21. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Januar 2007 Berufung eingelegt.

Der Kläger ist der Auffassung, er sei dadurch traumatisiert worden, dass er habe miterleben müssen, wie seine Kollegen sich nicht an die Grundsätze des Rechts hielten, sondern dass sie ihre uniformierte Machtstellung dazu missbrauchten, an Schwächeren ihre Willkür auszutoben und andere Kollegen zum Mitwirken an diesen rechtswidrigen Gewalttaten einzuspannen. Die Beklagte und das Sozialgericht hätten vorliegend eine Voraussetzung für die Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung auf alle psychischen Unfallfolgen übertragen, was nicht zulässig sei. Auch andere psychische Erkrankungen könnten Unfallfolgen sein. Eine individuelle Prüfung des Zustandes des Klägers sei nicht erfolgt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts gebe es auch keine ausreichenden Hinweise auf eine Vorerkrankung des Klägers.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. August 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2005 zu verurteilen, das Ereignis vom 15. November 2000 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger unter Anerkennung einer PTBS sowie einer paranoiden Schizophrenie als Unfallfolgen Rente nach einer MdE von 100 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.

Der Senat hat zunächst einen Bericht des behandelnden Psychologen A. vom 20. Februar 2008 eingeholt. Demnach leide der Kläger eindeutig unter den Folgen eines Traumas und rechtfertige die Diagnose einer PTBS. Dieses sei damals ausgelöst worden durch einen offensichtlich ungerechtfertigten Gewaltübergriff von Kollegen des Klägers auf dunkelhäutige Fahrgäste und die in der Folge auf seine Aussage gegen Kollegen stattfindende Quälerei seitens der Kollegen. Drohungen wie "Wir werden dich fertigmachen!" und "Du bist nirgends sicher!" hätten dabei Ängste ausgelöst, da der Kläger seine Kollegen aufgrund der genannten Übergriffe durchaus als gewaltbereit eingeschätzt habe.

Außerdem hat der Senat einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. D. (vom 12. Oktober 2008) und dessen über den Kläger geführte Patientenunterlagen angefordert. Weiterhin hat der Senat aus dem vor dem Sozialgericht geführten Schwerbehindertenrechtsstreit S 24/26 SB 2598/04 ein psychiatrisches Sachverständigengutachten des Prof. Dr. K. vom 16. April 2007 beigezogen. Der Sachverständige hat hierin ausgeführt, es bestehe kein Zweifel daran, dass der Kläger unter einer halluzinatorisch-paranoiden Schizophrenie leide, die zunehmend progredient und jetzt exazerbiert sei. Hinweise hierauf fänden sich bereits in frühen Berichten von Januar 2001, wo die Beschwerden zwar noch auf Erlebnisse am Arbeitsplatz zurückgeführt worden seien, sich aber bereits Symptome fänden, die nicht mit der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Übereinstimmung zu bringen seien.

Anschließend hat der Senat ein psychiatrisches Gutachten bei Prof. Dr. H., Geschäftsführender Direktor am Zentrum für Psychiatrie des Universitätsklinikums H Stadt, vom 23. September 2010 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, bei dem Kläger bestehe eine ausgeprägte psychotische Symptomatik mit Stimmenhören, Verfolgungs- und Vergiftungsideen sowie mnestischen Beeinträchtigungen. Es sei die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie (F20.0 nach ICD-10) zu stellen, die Hinweise auf eine Chronifizierung aufweise, beispielsweise anhand der mnestischen Defizite. Diese Erkrankung lasse sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in keinen ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 15. November 2000 bringen. Eine (Mit)Verursachung einer psychotischen Symptomatik durch ein Ereignis und dies im Zusammenhang mit einer paranoiden Schizophrenie werde in den diagnostischen Kriterien für Schizophrenie und ihre Unterform der paranoiden Schizophrenie nicht beschrieben.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat dann ein psychiatrisches Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik Hohe Mark in Oberursel, Dr. J., vom 7. Januar 2012 eingeholt, die zu dem Ergebnis gekommen ist, bei dem Kläger liege gleichzeitig eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10: F43.1) und eine paranoide Schizophrenie (ICD 10: F20.0) vor. Die paranoide Schizophrenie gehe aufgrund der ausgeprägten Negativsymptomatik mit starken kognitiven Defiziten einher. Daneben bestehe eine Neigung zu reaktiver depressiver und zu Panikattacken, die im Rahmen beider Haupterkrankungen zu sehen seien. Die Ereignisse vom 15. November 2000 seien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich mitverursachend für die posttraumatische Belastungsstörung des Klägers; die inhaltliche Ausgestaltung der Symptomatik mit Intrusionen, die sich bereits auf den 15. November 2000 selbst bezögen, samt Vermeidungsverhalten wiesen auf einen klaren Zusammenhang hin. Zähle man die Ereignisse in den Tagen nach dem 15. November 2000 hinzu, so sei die Ursache der posttraumatischen Belastungsstörung mit Sicherheit in den diesbezüglich geschilderten Vorgängen im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers zu sehen. Zwischen den Wahninhalten von der Psychose des Klägers und den Ereignissen des 15. Novembers 2000 und den darauffolgenden Tagen bestehe ebenfalls ein deutlicher Zusammenhang, wobei unklar bleibe, ob die Schizophrenie direkt aus dem Geschehen heraus entstanden sei oder sich als Folgestörung aus der unfallbedingten posttraumatischen Belastungsstörung entwickelt habe und ob der 15. November 2000 alleinig für die Entstehung einer Schizophrenie ausgereicht habe. In beiden Fällen seien jedoch die Ereignisse des 15. November 2000 ebenfalls mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich mitverursachend in Bezug auf die Entwicklung der Schizophrenie des Klägers. Die Ausführungen zur Schizophrenie in den ICD 10 hätten nur den Charakter, die Symptome der Erkrankung und mögliche Verlaufsformen zu beschreiben. Zu den Ursachen werde an keiner Stelle Stellung genommen, so dass der Argumentation von Prof. Dr. H. nicht gefolgt werden könne. Aus ihrer persönlichen Berufserfahrung mit vielen schizophrenen Patienten könne bei den meisten Erkrankten der Beginn der Erkrankung tatsächlich nicht einer genauen Ursache zugeordnet werden. Es seien aber durchaus einzelne Patienten erinnerlich, bei denen am Anfang der paranoiden Schizophrenie ein definiertes Ereignis oder eine dadurch hervorgerufene Angstsymptomatik gestanden habe, welche als Auslöser der Schizophrenie fungierten. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit hat die Sachverständige auf 100 v. H. geschätzt.

Hierzu hat der Senat eine psychiatrische Stellungnahme des Prof. Dr. H. vom 20. September 2012 eingeholt, der dargelegt hat, der Bewertung von Dr. J. könne nicht gefolgt werden. Die Einschätzung, dass die Auslösungsmerkmale für die Annahme einer PTBS vorgelegen hätten, sei nicht nachvollziehbar. Die ausreichende Schwere des Vorfalls erscheine auch nach interpretatorischen Bemühungen der Gutachterin nicht nachvollziehbar. Auffällig sei auch, dass der Kläger bei den Vorgutachten spontan keine Nachhallerinnerungen habe berichten können; dieses Faktum ignoriere die Gutachterin dahingehend, dass sie die Darlegung im Vorgutachten verleugne und die Darstellung von Nachhallerinnerungen in diesem Vorgutachten unterstelle. Die von der Gutachterin erfragten "Bilder" könnten nicht mit ausreichender Sicherheit als Intrusionserlebnisse klassifiziert werden. Auffällig sei, dass der Kläger die entsprechenden Symptome bei keinem Vorgutachter spontan habe nennen können. Es erscheine wenig plausibel, dass der in seiner Struktur kognitiv eingeschränkte Kläger selbst und spontan spezifische "Bilder" hervorgebracht habe. Die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie sei wesentlich besser geeignet, das Gesamtbild der beobachteten Symptome zu erklären. Auch alternativ einer PTBS zurechenbare Einzelsymptome seien im Rahmen einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit Residualsymptomen regelmäßig beobachtete Phänomene. Die von Dr. J. in den Raum gestellte Entstehungsthematik hinsichtlich der schizophrenen Symptome erscheine nach dem internationalen Stand des Wissens nicht haltbar. Nach heutigem Wissen liege der Entstehungszeitpunkt einer Schizophrenie – als neurale Entwicklungsstörung betrachtet – am Übergang des ersten in das zweite Trimenon der mütterlichen Schwangerschaft. Alternativ würden perinatale Traumata angenommen. Voraussetzung für die Entstehung einer Schizophrenie seien subtile funktionsmorphologische Strukturveränderungen des Gehirns. Entgegen der Annahme von Dr. J. könne die Ätiologie einer schizophrenen Erkrankung daher nicht im Auftreten eines traumatischen Ereignisses liegen. Der Kläger verarbeite die von ihm erlebte Konfliktsituation dahingehend, dass er vermeinte, seine Kollegen wollten ihn vergiften und umbringen. In seinen Handlungen sei er von ihm Aufträge erteilenden Stimmen geleitet worden. Letzteres lege die Annahme nahe, dass der Kläger die Konfliktsituation psychotisch, nicht aber traumatisch verarbeitet habe. Daher sei es wahrscheinlich, dass das psychotische Geschehen bereits längerfristig und damit vor dem Anlassfall bestanden haben könnte. Aufgrund des Mangels entsprechender Einlassungen des Klägers und des Fehlens diagnostischer Angaben von Behandlern könne diese Annahme jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit objektiviert werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere auch im Vorbringen der Beteiligten und in den medizinischen Unterlagen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts vom 23. Oktober 2006 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Vorkommnisse vom 15. November 2000 als Arbeitsunfall.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist § 8 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit, wobei nach Satz 2 Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewährung einer Verletztenrente (Urteile des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2007 – B 2 U 23/05 R, vom 4. September 2007 – B 2 U 28/06 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 sowie vom 17. Februar 2009 – B 2 U18/07 R, jeweils m. w. N.). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Arbeitsunfall und die Gesundheitserstschädigung im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 – B 2 U 16/00). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Versicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff. SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfallmerkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, Rdnr. 3b zu § 128 m. w. N.).

Auch wenn man unterstellt, dass die im Rahmen seiner Beschäftigung auftretenden Vorkommnisse vom 15. November 2000 eine im Sinne der Definition des Arbeitsunfalls relevante von außen kommende psychische Einwirkung auf den Kläger darstellten, fehlt es vorliegend an einem im Vollbeweis feststellbaren Gesundheitserstschaden. Hinweise auf einen am 15. November 2000 im Zusammenhang mit den geltend gemachten Ereignissen im Sinne eines Erstschadens aufgetretenen Schock finden sich nicht. Entsprechende Symptome werden weder in den aktenkundigen medizinischen Unterlagen noch vom Kläger selbst im Verfahren geschildert. Hiergegen sprechen zudem auch die Angaben des Klägers selbst gegenüber der Polizei über dessen Verhalten am 15. November 2000 als Reaktion auf die von ihm geschilderten Übergriffe seiner Kollegen auf Fahrgäste. In den entsprechenden Protokollen vom selben Tag wird geschildert, wie der Kläger selbst immer wieder versucht hat, die Situation zu beruhigen, und auch dazwischen gegangen ist, als es zu Handgreiflichkeiten kam. Schockreaktionen werden hingegen an keiner Stelle dargelegt.

Im Weiteren kann auch die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS; ICD-10: F 43.1) nicht gesichert werden, wohl aber die einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F 20.0).

Dies folgt aus dem überzeugenden Sachverständigengutachten des Prof. Dr. H. und dessen ergänzender Stellungnahme zu dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. J. Den Feststellungen von Dr. J. kann demgegenüber nicht gefolgt werden. Das Gutachten von Dr. J. vermag mit dem Ergebnis, die PTBS und eine auf dieser Grundlage sich entwickelnde Schizophrenie seien als Folge des Vorkommnisses vom 15. November 2000 festzustellen, bereits deshalb nicht zu überzeugen, weil die Sachverständige in ihrem Gutachten selbst ausführt, es lasse sich nicht trennen, in welchem Umfang die Ereignisse des 15. November 2000 selbst und in welchem Umfang die Ereignisse in den Tagen danach zur Auslösung der von ihr diagnostizierten PTBS beigetragen hätten. Wenn dann ohne weitere Begründung eine "wesentliche Mitverursachung der Ereignisse des 15. November 2000" angenommen wird, ist dies nicht nachvollziehbar, und es fehlt jegliche Abwägung, weshalb im Ergebnis vorliegend wesentlich an den Vorfall vom 15. November 2000 anzuknüpfen sein soll.

Prof. Dr. H. legt in seinem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme ausführlich dar, weshalb die bei dem Kläger feststellbaren Symptome auch unter Berücksichtigung der Krankengeschichte und der Tatsache, dass diese zeitlich kurzfristig nach dem 15. November 2000 erstmals dokumentiert sind, die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung entgegen der Auffassung von Dr. J. nicht begründen können. Der Sachverständige legt überzeugend dar, dass diesbezüglich vorliegend wesentliche diagnostische Kriterien fehlen: Er verneint nicht nur ein Belastungsereignis von außergewöhnlicher Bedrohung als möglichen Auslöser einer PTBS, sondern auch das Vorliegen weiterer Diagnosekriterien. So lassen sich weder Nachhallerinnerungen noch eine eindeutiges Vermeidungsverhalten sicher feststellen. Prof. Dr. H. zeigt auf, dass im Hinblick auf das A-Kriterium das Gutachten von Dr. J. nicht nachvollziehbar ist. Vielmehr kommt hier diagnostischen Kriterien nur eine untergeordnete Bedeutung zu und es erfolgt eine subjektive Interpretation eines weit über den Vorfallszeitpunkt hinausgehenden Zeitraums, eine ideologische Einordnung des Geschehens und eine mit dem Vorfall im Sinne der Auslösungskriterien nicht relevant sein könnende Beschreibung weiterer von der Gutachterin angenommener psychisch relevanter Ereignisse. So übernimmt die Gutachterin aus den Darstellungen des Klägers, dass in der Gruppe Ausländerfeindlichkeit geherrscht habe und interpretiert dies ohne objektive Begründung dahingehend, dass der Kläger somit "Beobachter als auch potenzielles Opfer" gewesen sei. Dies stellt eine subjektive Reflexion von Dr. J. dar, aber kein den für eine PTBS geforderten Auslösungskriterien entsprechendes Merkmal. Die Darstellung, in der Gruppe habe "eine generelle Neigung zu ausländerfeindlichen, insbesondere wohl türkisch-feindlichen Reaktionen" geherrscht, ist durch nichts belegt. Wenn man eine solche Situation aber unterstellt, handelt es sich um eine Prägung des Arbeitsumfelds des Klägers allgemein, also ebenso vor und nach dem angeschuldigten Ereignis, und taugt damit nicht für die Bewertung der Schwere des vorliegend konkret zu bewertenden Ereignisses. Für die Zeit nach dem Ereignis vom 15. November 2000 beschreibt Dr. J. dann eine Mobbing-Situation, die, wenn man sie entsprechen der Angaben des Klägers unterstellt, fraglos psychisch belastend war, nicht aber die geforderte Dynamik des hier zu bewertenden auslösenden Ereignisses vom 15. November 2000 begründet. Da zudem die Diagnose der paranoiden Schizophrenie im Raum stand, überzeugt es auch nicht, wenn die Sachverständige es unterlässt abzuwägen, inwieweit entsprechende Phänomen auch dieser Erkrankung geschuldet sein können. Unabhängig von der Frage, ob die von Dr. J. in ihrem Gutachten geschilderten "Bilder", die der Kläger wahrnehme, als Intrusionserlebnisse i. S. einer PTBS klassifiziert werden könnten, sind diese Darstellungen schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil gegenüber den Vorgutachtern entsprechende Symptome spontan nicht geäußert wurden. Einzelsymptome, wie das kognitive Defizit des Klägers, dessen beobachtete Anspannung und sein intellektueller Leistungsverlust, können zwar auch einer PTBS zugeordnet werden, sind aber im Rahmen einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie, wie sie auch Dr. J. diagnostiziert, regelmäßig beobachtete Phänomene. Hierzu gehören ebenso sozialer Rückzug, Verwahrlosung und der Verlust der Alltagsfähigkeit mit Verlust der Lebensqualität.

Prof. Dr. H. begründet daneben auch ausführlich, weshalb die These von Dr. J., die Ätiologie der schizophrenen Erkrankung könne in dem traumatischen Ereignis liegen, nicht haltbar ist. Während Prof. Dr. H. insoweit auf den aktuelle wissenschaftlichen Erkenntnisstand abstellt, fehlt es den Darlegungen von Dr. J. an einer entsprechenden Grundlage, die insoweit lediglich auf den Umstand abhebt, dass ihr einzelne Patienten erinnerlich seien, bei denen am Anfang der paranoiden Schizophrenie ein definiertes Ereignis oder eine dadurch hervorgerufene Angstsituation gestanden und als Auslöser der Schizophrenie fungiert habe. Unabhängig von der medizinisch-wissenschaftlichen Haltbarkeit dieser These fehlt es letztlich aber auch diesbezüglich in dem Gutachten von Dr. J. bereits an der erforderlichen klaren Abgrenzung zwischen den Vorkommnissen vom 15. November 2000 und den sonstigen als auslösend betrachteten Umständen in der Zeit nach dem 15. November 2000 und in Form des allgemein als ausländer- und spezifisch türkisch-feindliche beschriebenen Umfeldes.

Wie die Sachverständige Dr. J. darstellt, ist das vom Kläger geschilderte Geschehen am Arbeitsplatz in der Zeit nach dem 15. November 2000 als "Mobbing" am Arbeitsplatz anzusehen. Dieses wiederum kann nicht als Einwirkung im Sinne eines Arbeitsunfalls gewertet werden, denn der Anerkennung steht bereits der Umstand entgegen, dass es sich hierbei um kein punktuelles Ereignis handelt, das einen Gesundheitsschaden hervorzurufen vermag. Dies belegen die bereits in der Rechtsprechung geläufigen einschlägigen Definitionen wie die des Bundesarbeitsgerichts, Mobbing sei das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte (BAG, Urteil vom 15. Januar 1997 - 7 ABR 14/96 - BAGE 85, 56 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 118 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 133), oder die des Thüringer Landesarbeitsgerichts (Urteil vom 15. Februar 2001 - 5 Sa 102/2000 - LAGE BGB § 626 Nr. 133; Urteil vom 10. April 2001 - 5 Sa 403/2000 - LAGE GG Art. 2 Persönlichkeitsrecht Nr. 2; ebenso LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. August 2001 6 Sa 415/01 - NZA-RR 2002, 121; LAG Bremen, Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 Sa 78/02 - LAGE GG Art. 2 Persönlichkeitsrecht Nr. 5; LAG Hamm, Urteil vom 25. Juni 2002 - 18 (11) Sa 1295/01 - NZA-RR 2003, 8), Mobbing seien "fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen”. Die Besonderheit der als Mobbing bezeichneten tatsächlichen Erscheinungen liegt damit darin, dass nicht einzelne, abgrenzbare Handlungen, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte in einem Prozess zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers führen kann (s. BAG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - juris; vgl. insgesamt Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 1. Dezember 2009, L 3 U 157/07 – juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. Juni 2011, - L 3 U 30/08 -).

Nach alledem kann vorliegend unter keinem denkbaren Aspekt ein durch die Vorkommnisse vom 15. November 2000 verursachter Gesundheitserstschaden im Vollbeweis festgestellt werden, so dass die Feststellung des angeschuldigten Ereignisses als Arbeitsunfall abzulehnen war und die Berufung demnach keinen Erfolg haben konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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