L 5 AS 710/13 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 893/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 710/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 28. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Vollstreckungsankündigung.

Die am ... 1990 geborene Antragstellerin hatte in den Jahren 2006 bis 2008 als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern vom Antragsgegner Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bezogen. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. August 2009 hatte der Antragsgegner mit an die Mutter der Antragstellerin adressiertem Bescheid Leistungen für diese i.H.v. 3.612,64 EUR zurückgefordert. Dagegen war nach Angaben des Antragsgegners kein Widerspruch eingelegt worden. Die Antragstellerin hatte auf verschiedene Mahnungen in den Jahren 2009 und 2010 nicht reagiert.

Unter dem 12. März 2013 kündigte die Gemeinde S. als Vollstreckungsbehörde der Antragstellerin die beabsichtigte Vollstreckung hinsichtlich einer Forderung i.H.v. 3.917,77 EUR an. In der anliegenden Forderungsaufstellung nannte sie "Rückforder. ALG II (Mahnbetr.) AZ: 506Q9023 (LK H. )".

Die Antragstellerin hat am 26. März 2013 beim Sozialgericht Magdeburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Begehren, dass die "K. H. –S. Straße H. " die Betreibung der Zahlungsaufforderung bzw. Vollstreckungsankündigung vom 12. März 2013 sofort einzustellen habe. Sie habe die Leistungen persönlich nie erhalten. Auch habe sie keine Mahnung bekommen. Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat sie angegeben, keinen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. August 2009 erhalten zu haben.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 28. Mai 2013 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Der Antrag sei nicht begründet. Mit bestandskräftigem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. August 2009 sei die Antragstellerin verpflichtet worden, dem Antragsgegner einen Betrag i.H.v. 3.612,64 EUR zu erstatten. Auf weitere Mahnungen habe sie nicht reagiert. Es sei nicht erkennbar, dass die Vollstreckungsankündigung rechtswidrig sei.

Dagegen hat die Antragstellerin am 28. Juni 2013 Beschwerde beim erkennenden Senat eingelegt und nochmals wiederholt, den Bescheid vom 4. August 2009 nie erhalten zu haben. Auf einen rechtlichen Hinweis vom 8. Juli 2013 hinsichtlich der Unzuständigkeit des angerufenen Sozialgerichts hat sie nicht reagiert.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen, den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 28. Mai 2013 aufzuheben und dem Antragsgegner aufzugeben, das Betreiben der Vollstreckungsankündigung vom 12. März 2013 sofort einzustellen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen

Die Behauptung, den Bescheid vom 4. August 2009 nicht erhalten zu haben, sei unglaubwürdig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Dieser hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Beschwerde ist auch statthaft gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beschwerdewert von 750 EUR wird überschritten, da die Antragstellerin sich gegen eine Vollstreckungsankündigung i.H.v. 3.917,77 EUR wendet und die sofortige Einstellung der Vollstreckung dieser Summe begehrt.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist - im Ergebnis - nicht zu beanstanden.

a. Der Antragsgegner ist für die begehrte Einstellung des Betreibens weiterer Vollstreckungsmaßnahmen nicht passiv legitimiert, da er dazu materiell-rechtlich nicht verpflichtet werden kann. Vielmehr hätte sich ein solcher Antrag gegen die Gemeinde S. als Vollstreckungsbehörde richten müssen. Aus diesen Gründen wäre der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner als unbegründet zurückzuweisen gewesen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz 10. Auflage, § 69 Rn. 4, vor § 51 Rn. 13).

Die Gemeinde S. ist als Vollstreckungsbehörde für die Eintreibung einer Forderung des Antragsgegners zuständig.

Die Rechtsgrundlage für dieses Handeln ergibt sich aus § 66 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (VwVG LSA). Danach gelten für die Vollstreckung zu Gunsten einer Behörde, die nicht Behörde des Bundes oder eine bundesunmittelbare Körperschaft, Anstalt und Stiftung des öffentlichen Rechts ist, die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens.

Durch Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 1. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, Nr. 61) ist seit dem 1. Januar 2011 der Landkreis H. als Rechtsnachfolger der ARGE SGB II H. für die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II zuständig. Diese erfolgt durch die Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H. , einem Eigenbetrieb ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Sie ist gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz SGB II an die Stelle des bisherigen Trägers getreten.

Der Landkreis H. ist keine Behörde i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Deshalb finden hier die landesrechtlichen Vorschriften über die Verwaltungsvollstreckung Anwendung.

Nach § 1 Abs. 1 VwVG LSA werden Leistungsbescheide von Landkreisen nach den Vorschriften dieses Teils vollstreckt. Leistungsbescheide in diesem Sinne sind Verwaltungsakte, die zu einer Geldleistung verpflichten (§ 1 Abs. 1 VwVG LSA). Um einen solchen handelt es sich bei dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Antragsgegners vom 4. August 2009.

Die Gemeinde S. ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwVG LSA als Vollstreckungsbehörde tätig geworden. Dies erfolgte gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VwVG LSA im Rahmen der Vollstreckungshilfe. Das Begehren der Antragstellerin, die Vollstreckung einzustellen, hätte sich im Rahmen des VwVG LSA gegen die Vollstreckungsbehörde, also die Gemeinde S. , richten müssen.

Zum einen wäre bei der Vollstreckungsbehörde ein Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gemäß § 24 VvWG LSA bis zu einer Entscheidung des Vollstreckungsgläubigers, hier des Antragsgegners, in Betracht gekommen.

Zum anderen hätte die Antragstellerin gemäß § 23 Abs. 1 Ziffer 2, 3 VwVG LSA die Vollstreckung gerichtlich für unzulässig erklären bzw. die gerichtlich angeordnete Einstellung beantragen können. In beiden Fällen wäre der Antrag aber ebenfalls gegen die Vollstreckungsbehörde zu richten gewesen. Zuständig für eine gerichtliche Inanspruchnahme von Rechtsschutz wäre gemäß § 66 VwWG LSA das örtlich zuständige Verwaltungsgericht. § 51 SGG enthält insoweit keine Annexregelung über die Rechtswegzuweisung öffentlich-rechtlicher Vollstreckungsstreitigkeiten in Angelegenheiten des Sozialrechts zu den Sozialgerichten. Vielmehr ergibt sich die ausdrückliche Rechtswegzuweisung aus § 66 Abs. 1, Satz 3 SGB X i.V.m. VwVG LSA. Dafür spricht neben dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auch § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB X, der eine ausnahmsweise und ausdrückliche Rechtswegzuweisung für die Anordnung von Erzwingungshaft zu den Sozialgerichten regelt (so auch: VGH Mannheim, Beschluss vom 12. April 1984,10 S 489/84, NJW 1984 S. 2482; LSG Berlin, Beschluss vom 22. März 1996, L 9 Kr-SE 23/96, Beith. 1986 S. 785 für Zwangsvollstreckungen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes; anders für den Fall der Anordnung einer Durchsuchung mit entsprechender Anwendung von § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB X: HambOVG, Beschluss vom 8. Februar 1982, Bs V 58/80, Die Öffentliche Verwaltung, Heft 14, Seite 602).

b. Der eindeutig gegen den Antragsgegner gerichtete Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz konnte auch nicht in ein im Rahmen des SGG zulässiges Rechtsmittel gegen diesen mit dem Ziel der Vollstreckungseinstellung umgedeutet werden. In Betracht käme insoweit lediglich § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn u.a. eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Es besteht jedoch kein Rechtsschutzinteresse an einer weitergehenden Inanspruchnahme der Sozialgerichte außerhalb der gesetzlichen Regelungen im Landesvollstreckungsrechts, da die Einwendungen der Antragstellerin gegenüber der Vollstreckungsbehörde dort zu berücksichtigen sind (anders für den Fall des Fehlens von Rechtsschutzmöglichkeiten im Vollstreckungsverfahren: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. April 2008, L 2 B 247/07 AS ER, sozialgerichtsbarkeit.de).

Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vollstreckung sind u.a. der richtige Vollstreckungsschuldner (§ 2 VwWG LSA) bzw. ein unanfechtbarer Leistungsbescheid (§ 3 Abs. 1 Ziffer 1 VwWG LSA). Die Einwendungen der Antragstellerin, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. August 2009 nie erhalten zu haben, betreffen insoweit die Frage der Zulässigkeit der Vollstreckung. Im Rahmen einer von der Vollstreckungsbehörde gemäß § 24 VvWG LSA angeordneten einstweiligen oder einer gemäß § 23 Abs. 1 Ziffer 2, 3 VvWG LSA verwaltungsgerichtlich angeordneten Vollstreckungseinstellung können diese Einwendungen Berücksichtigung finden, weshalb es einer - gesetzlich nicht vorgesehenen - Erweiterung der einstweiligen Rechtsschutzmöglichkeiten auf die Sozialgerichte nicht bedarf.

Dessen ungeachtet weist der Senat jedoch darauf hin, dass die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung nicht offensichtlich ist. Insoweit hält er die Ausführungen des Sozialgerichts nicht für überzeugend. Es ist schon fraglich, ob der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. August 2009 der Antragstellerin bekannt gegeben worden und damit wirksam i.S.d. §§ 37 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB X geworden ist. Diese hatte zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung das 18. Lebensjahr vollendet. Dessen ungeachtet war nach der vom Antragsgegner vorgelegten Bescheidkopie dieser an die Mutter der Antragstellerin gerichtet. Ob diese insoweit als Bevollmächtigte gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X bestellt worden war, vermag der Senat mangels Verwaltungsakten nicht beurteilen.

Darüber hinaus bestehen Zweifel an einem unanfechtbar gewordenen Leistungsbescheid i.S.v. § 3 Abs. 1 Ziffer 1 VvWG LSA. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch Post übermittelt wird, gilt mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 2 SGB X). Üblicherweise versendet der Antragsgegner Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mit einfachem Brief. Sollte dies hier auch der Fall gewesen sein, obläge ihm beim Bestreiten des Zugangs die Nachweispflicht.

3. Von einer Beiladung der Gemeinde S. als Vollstreckungsbehörde gemäß § 75 SGG hat der Senat hat abgesehen. Denn eine Verurteilung im vorliegenden Verfahren nach erfolgter Beiladung käme gemäß § 75 Abs. 5 SGG nicht in Betracht. Danach können nur ein Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden. Die Gemeinde S. fällt nicht darunter.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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