L 6 KR 62/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 19 KR 5383/09
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 62/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erfolgt die Auszahlung einer in Form der Direktversicherung abgeschlossenen Lebensversicherung nach dem 60. Geburtstag des Arbeitnehmers, kann davon ausgegangen werden, dass die Versicherung der Altersversorgung diente (vgl. BSG, Urteile vom 30. März 2011 - B 12 KR 16/10 R und vom 12. Dezember 2007 - B 12 KR 6/06 R; Thüringer LSG, Urteil vom 8. November 2011 - Az.: L 6 KR 1167/06). Dies gilt auch dann, wenn die Versicherungsbeiträge vom Lohn des Klägers einbehalten wurden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. November 2010 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Auszahlungsbetrag aus einer zugunsten des Klägers geführten Lebensversicherung zur Beitragsfestsetzung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung heranzuziehen ist.

Seit 1980 bestand zugunsten des im Februar 1949 geborenen Klägers bei den D. Versicherungen eine Lebensversicherung. Versicherungsnehmerin war zunächst seine ehemalige Arbeitgeberin, die G. H. GmbH & Co.KG. Der Vertrag wurde durch seine späteren Arbeitgeber, zuletzt die P.-O. GmbH, übernommen. Zu keiner Zeit war der Kläger selbst Versicherungsnehmer. Er zahlte nie selbst Beiträge an die D., diese wurden durch den jeweiligen Arbeitgeber an diese überwiesen. In der Zeit vom 27. Mai 2008 bis zum 25. November 2009 war der Kläger arbeitslos und bezog von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld. Vom 26. November 2009 bis 31. Juli 2010 war er bei der Beklagten freiwillig versichert, seit dem 1. August 2010 ist er als Beschäftigter bei der Beklagten versichert, er bezieht ein Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze.

Die Lebensversicherung lief vertragsgemäß aus und der Kläger erhielt zum 30. April 2009 eine Auszahlung von 61.164,91 EUR. Nach entsprechender Mitteilung durch die D. erhob die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2009 von dem Kläger ab 1. Mai 2009 Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 79,01 EUR (Beitragssatz 15,5 v.H.) und zur gesetzlichen Pflegeversicherung in Höhe von 9,94 EUR (Beitragssatz 1,95 v.H.). Sie berücksichtigte hierbei pro Monat ein Einhundertzwanzigstel des Auszahlungsbetrages, wobei dies für die nächsten zehn Jahre gelten sollte. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2009 zurück. Das Sozialgericht Nordhausen hat die Klage mit Urteil vom 24. November 2010 abgewiesen.

Im Berufungsverfahren macht der Kläger geltend, er habe die Direktversicherung allein aus seinem Lohn bezahlt. Es handle sich bei ihr gerade nicht um eine betriebliche Altersvorsorge, weil er nicht aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Selbst wenn der Auszahlbetrag zu berücksichtigen wäre, würde nur der verminderte Beitragssatz gelten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. November 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 2009 zu verurteilen, die Kapitalauszahlung in Höhe von 61.194,91 EUR nicht bei der Bemessung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen, hilfsweise, nur den verminderten Beitragssatz zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass der Auszahlbetrag zur Beitragsfestsetzung herangezogen werden könne. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Kläger ab dem 1. August 2010 ein anderweitiges versicherungspflichtiges Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze beziehe. Zwar werden seit diesem Zeitpunkt Beiträge aus dem kapitalisierten Versorgungsbezug weder berechnet noch gefordert, dem Grunde nach bleibe aber die Beitragspflicht bis zum 30. April 2019 erhalten. Sie würde auch tatsächlich wieder aufleben, wenn sich die Einkommenssituation dergestalt ändern würde, dass die Beitragsbemessungsgrenze unterschritten würde.

Der Senat hat durch den jeweils zuständigen Berichterstatter am 4. Juni 2012 und am 18. März 2013 Erörterungstermine durchgeführt. Zum genauen Inhalt wird auf die Sitzungsniederschriften (Bl. 86 f. und 98 f. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bereit erklärt.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der geheimen Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund des ausdrücklich erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Beitragsfestsetzung ohne Berücksichtigung des Auszahlungsbetrages von 61.194,91 EUR hat. Auch die Zugrundelegung eines verminderten Beitragssatzes kommt nicht in Betracht.

Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich der Bescheid vom 11. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 2009. Soweit für die Zeit ab dem 1. August 2010 durch die Beklagte neue Beitragsbescheide unter Berücksichtigung des nunmehr vorhandenen Einkommens aus einer Beschäftigung erlassen wurden, wendet sich der Kläger hiergegen nicht. Der angegriffene Bescheid wird hierdurch auch nicht obsolet, da er dem Grunde nach die Beitragspflicht bis zum 30. April 2019 feststellt. Diese würde ohne weiteres wieder aufleben, wenn das Einkommen des Klägers unter die Beitragsbemessungsgrenze fallen würde.

Die Beklagte hat zu Recht den Auszahlungsbetrag bei der Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung berücksichtigt. Für die Festsetzung der Beiträge zur Pflegeversicherung war sie aufgrund der Vereinbarung zwischen der Pflegekasse bei der K. K. und der Beklagten vom 5. Oktober 1998 (Bundesanzeiger Nr. 197 vom 21. Oktober 1998) berechtigt.

Nach § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) werden bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) der Beitragsbemessung zugrunde gelegt. Dies gilt ebenso bei Beziehern von Arbeitslosengeld (§ 232a Abs. 3 SGB V) und freiwillig Versicherten (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Als Versorgungsbezüge gelten, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden, auch Renten der betrieblichen Altersversorgung (§ 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V). Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Diese Vorschriften gelten für die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung entsprechend (§ 57 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI)).

Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei dem Auszahlungsbetrag um eine Leistung aus einer betrieblichen Altersvorsorge nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass zu den Renten der betrieblichen Altersversorgung auch Renten gehören, die aus einer vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer abgeschlossenen Direktversicherung gezahlt werden (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2011 - Az.: B 12 KR 16/10 R, nach juris Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Um eine solche Direktversicherung handelt es sich, wenn für die betriebliche Altersversorgung eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen wird und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistung des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind. Diese Leistung ist dann der betrieblichen Altersversorgung zuzurechnen, wenn sie die Versorgung des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Alter, bei Invalidität oder Tod bezweckt, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen soll. Dieser Versorgungszweck kann sich auch aus der vereinbarten Laufzeit ergeben. Unerheblich ist, ob der Abschluss nach Auffassung der Beteiligten allein zur Ausnutzung der steuerrechtlich anerkannten und begünstigten Gestaltungsmöglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung erfolgt.

Hier wurde die Direktversicherung durch die erste Arbeitgeberin zugunsten des Klägers abgeschlossen und von den weiteren Arbeitgebern übernommen. Sie diente der Versorgung des Klägers bei Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger tatsächlich noch nicht aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Allein entscheidend ist, welcher Zweck bei Abschluss des Vertrages verfolgt wurde. Hierfür bieten die Vertragsgestaltung und insbesondere die Vertragslaufzeit den entscheidenden Anhaltspunkt. Erfolgte die Auszahlung einer in Form der Direktversicherung abgeschlossenen Lebensversicherung - wie hier - nach dem 60. Geburtstag des Arbeitnehmers, kann davon ausgegangen werden, dass die Versicherung der Altersversorgung diente (vgl. BSG, Urteile vom 30. März 2011 - Az.: B 12 KR 16/10 R und vom 12. Dezember 2007 - Az.: B 12 KR 6/06 R, jeweils nach juris; Senatsurteil vom 8. November 2011 - Az.: L 6 KR 1167/06).

An der Einstufung als betriebliche Altersversorgung ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger die Versicherungsbeiträge praktisch selbst erbracht hat, da sie von dessen Lohn einbehalten wurden. Es entspricht der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 30. März 2011 - Az.: B 12 KR 16/10 R, nach juris), dass Renten, an ihre Stelle getretene nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen bzw. (seit dem 1.1.2004) auch vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbarte nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen, die aus einer ursprünglich vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer abgeschlossenen Direktversicherung erbracht werden, auch dann zu den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zählen, wenn sie ganz oder zum Teil auf Leistungen des Arbeitnehmers bzw. des Versicherten selbst beruhen, solange der Arbeitgeber die Direktversicherung als Versicherungsnehmer fortführt. Entscheidend ist allein der Umstand, wer Versicherungsnehmer war. Dies war hier nie der Kläger, sondern immer der jeweilige Arbeitgeber. Der Kläger hat auch während der Zeiten der Arbeitslosigkeit selbst keine Prämien erbracht.

Schließlich ist § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V nicht verfassungswidrig. Die Neuregelung der Beitragspflicht auf einmalige Kapitalleistungen ab 1. Januar 2004 verstößt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 7. April 2008 - Az.: 1 BvR 1924/07, nach juris) nicht gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz, da sie ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis erst mit Wirkung für die Zukunft gestaltet und die Betroffenen nicht in den Fortbestand der Rechtslage, welche die nicht wiederkehrenden Leistungen gegenüber anderen Versorgungsbezügen privilegierte, uneingeschränkt vertrauen dürften. Auch im Übrigen ist ein Verfassungsverstoß nicht erkennbar (vgl. BSG, Urteil vom 13. September 2006 - Az.: B 12 KR 5/06 R, nach juris; Senatsurteil vom 24. Juli 2012 - L 6 KR 715/08).

Die Anwendung eines verminderten Beitragssatzes kommt nicht in Betracht. Die Vorraussetzungen des § 243 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt, da der Kläger zu jeder Zeit Anspruch auf Krankengeld hatte. Der reduzierte Beitragssatz des § 248 Satz 2 SGB V kommt ebenfalls nicht in Betracht, da es sich hier nicht um Versorgungsbezüge nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V, sondern um solche nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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