Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 R 1870/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 695/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 188/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1.3.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
In der Sache ist zwischen den Beteiligten - im Wege eines Überprüfungsverfahrens - die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.6.2002 (ZRBG), BGBl. 2002 I S. 2074, streitig. Formal geht es um die fristgerechte Einlegung der Berufung bei Zustellung im Ausland durch Einschreiben mit Rückschein.
Der am 00.00.1940 in Bershad geborene Kläger ist Verfolgter des Nationalsozialismus und lebt seit Dezember 1990 in Israel.
Am 11.6.1995 beantragte er bei der "Claims Conference on Jewish Material Claims Against Germany" (Claims Conference) die Gewährung von Leistungen aus dem nach Artikel 2 der Durchführungsvereinbarung zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (Einigungsvertrag), BGBl. II 889, eingerichteten Fonds (Artikel 2 Fonds) auf Entschädigung in Höhe von 300 Euro monatlich. Auf den diesbezüglichen Formularen der Claims Conference gab er an, sich in der Zeit von 1941 bis 1944 im Ghetto Bershad aufgehalten zu haben. Zur Beschreibung seiner Verfolgung führte er aus: "Ich bin im Jahr 1940 in Bershad geboren. Meine Mutter erzählte mir, als ich es schon verstehen konnte, dass sie es sehr schwer mit mir hatte. Es gab wenig Nahrung und wir litten alle unter der schweren Kälte. Im Jahre 1944 im Monat April kehrten wir nach Bershad zurück. Mein Vater war dort in Bershad umgekommen. Ich lebte in Bershad, bis ich im Jahr 1990 in Israel einwanderte." Die Claims Conference gewährte dem Kläger die beantragten Leistungen.
Am 9.10.2002 beantragte der Kläger erstmals bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente auf Grund von Ghettobeitragszeiten. Im Antragsformular benannte er unter der Überschrift "Angaben zu Beschäftigungszeiten im Ghetto" das Ghetto Bershad als Ort des Ghettos. Die Frage nach dem Zeitraum der Beschäftigung beantwortete er mit: "1941 - 1944". Die Frage nach der Art der Beschäftigung ließ er unbeantwortet. Mit Bescheid vom 8.1.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Das ZRBG finde keine Anwendung für Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto, welches sich auf dem Gebiet des Deutschen Reiches (Stand 31.12.1937) oder eines mit dem ehemaligen Deutschen Reich verbündeten Staates befunden habe. Das treffe für das Ghetto Bershad zu. Dieses Ghetto habe sich in Transnistrien befunden, welches im Zeitraum von 1941 bis 1944 zum rumänischen Staat gehört habe. Rumänien wiederum sei mit dem Deutschen Reich verbündet gewesen. Dieser mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene und dem Kläger durch Einschreiben mit Rückschein übersandte Bescheid wurde ihm ausweislich des Rückscheins am 22.1.2003 bekannt gegeben.
Der Kläger legte am 8.1.2005 "Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid" ein. Da Transnistrien nicht durch Rumänien annektiert worden sei, sei das ZRBG auch auf Beschäftigungsverhältnisse in Ghettos in Transnistrien anwendbar. Die Beklagte machte den Kläger darauf aufmerksam, dass sein "Widerspruch" außerhalb der dreimonatigen Frist eingegangen und deswegen unzulässig sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung seien nicht ersichtlich. Allerdings werde sie den "Widerspruch" als Überprüfungsantrag werten und das Verfahren von Amts wegen wieder aufnehmen, wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung die Anwendbarkeit des ZRBG für Beschäftigungen in Ghettos in Transnistrien bejahe.
Zwischenzeitlich beantragte der Kläger unter dem 14.11.2007 beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (Bundesamt) die Gewährung einer sog. Anerkennungsleistung nach der Richtlinie der Bundesregierung vom 1.10.2007 über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit im Ghetto, die keine Zwangsarbeit war und bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung geblieben ist. Er gab an, er habe sich in der Zeit von 1941 bis 1944 im Ghetto Bershad aufgehalten. Sein Verfolgungsschicksal schilderte er wie folgt: "Die Familie lebte in sehr schweren Verhältnisse im Ghetto. Mutter und Bruder arbeiteten hart, der Vater war Partisan und wurde 1944 von deutschen Soldaten durch Erschießung umgebracht." Die Frage, ob er während seines Aufenthaltes im Ghetto gearbeitet habe, beantwortete er mit "Ja", ohne einen ebenfalls erfragten Zeitraum anzugeben; er schilderte dazu Folgendes: "Die Mutter arbeitete die ganze Zeit ihres Aufenthaltes im Ghetto." Die Frage nach Arbeit auch außerhalb des Ghettos ließ er ebenso unbeantwortet wie die Frage nach dem Zustandekommen des Arbeitseinsatzes. Mit Bescheid vom 22.6.2009 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers ab. Die Gewährung einer Anerkennungsleistung setze u.a. voraus, dass der Antragsteller während des Ghettoaufenthaltes ohne Zwang in einem beschäftigungsähnlichen Verhältnis gearbeitet habe, also mit einer gewissen Regelmäßigkeit einer - selbst gesuchten oder vom Judenrat vermittelten - Arbeit nachgegangen sei. Das sei im Falle des Klägers auf Grund seines geringen Lebensalters nicht zutreffend. Der Umstand, die Mutter zur Arbeit begleitet zu haben, sei nicht ausreichend, um einen Anspruch auf eine Anerkennungsleistung zu begründen.
Am 2.2.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Überprüfung seines "Rentenantrages" unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum ZRBG aus Juni 2009. Er gab in einem ersten Fragebogen an, von November 1941 bis zum 18.3.1944 sich im Ghetto Bershad zwangsweise aufgehalten und dort in demselben Zeitraum auch gearbeitet zu haben. Der Judenrat sei der Arbeitgeber gewesen. Zur Art der Arbeit gab er an: "Mit meiner Mutter und Bruder Raumreinigung in Kommandantur, Krankenhaus, Gemüsesortieren." Die Arbeit sei im Ghetto vom Judenrat vermittelt worden. In einem weiteren Fragebogen gab er an, von November 1941 bis zum 20.3.1944 während seines zwangsweisen Aufenthaltes im Ghetto und auch außerhalb des Ghettos (zusammen mit anderen Arbeitskräften bei täglicher Rückkehr ohne Bewachung) gearbeitet zu haben. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Er habe Einfluss auf die Aufnahme der Arbeit und die Wahl der Arbeitsstelle gehabt. Als Tätigkeitsbeschreibung der Beschäftigung gab er an: In der deutschen Kommandatur Fußböden waschen, reinigen, Toiletten reinigen, Abfall wegtragen; Wassertragen; im Versorgungslager für die deutsche Armee Gemüse sortieren. Er habe acht bis zehn Stunden täglich, sieben Tage die Woche gearbeitet. Er habe als Entlohnung Lebensmittel von der deutschen Armee erhalten. Zeugen könne er für die Arbeitszeiten im Ghetto nicht mehr benennen.
Mit Bescheid vom 1.3.2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme ihres Bescheides vom 8.1.2003 ab. Auch unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des BSG zum ZRBG habe der Kläger keinen Rentenanspruch; Ghettobeitragszeiten seien nur anzuerkennen, wenn der Verfolgte u. a. mit einer gewissen Regelmäßigkeit einer Arbeit nachgegangen sei. Bei Kindern, die am Ende der Ghettozeit das vierte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, sei davon auszugehen, dass die für eine Ghettobeschäftigung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht vorhanden gewesen seien.
Den inhaltlich nicht begründeten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.5.2011 (Absendungsvermerk am 19.5.2011) zurück.
Im Klageverfahren (Klageeingang: am 20.6.2011, SG Düsseldorf, S 27 R 1870/11) hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Das SG hat den Kläger schriftlich befragt, ob er eine eigene Beschäftigung verrichtet habe und wie er sie ggfs. gefunden habe. Dazu hat der Kläger mitgeteilt, er habe zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder, Jahrgang 1937, in der deutschen Kommandantur den Fußboden gefegt und den Staub entfernt. Diese Arbeit habe auch die Raumreinigung der Kantine umfasst. Er habe zudem Holzscheite zum Heizen der Öfen in der Kommandantur gebracht. Die Arbeit sei ihnen vom Judenrat zugewiesen worden. Er und sein Bruder hätten Lebensmittel für diese Arbeiten bekommen. Auch habe sein Bruder eine Ghettorente für die gleichen Arbeiten erhalten.
Das SG hat mit Urteil vom 1.3.2012 die Klage abgewiesen. Zu Recht habe es die Beklagte im Überprüfungsverfahren abgelehnt, den Bescheid vom 8.1.2003 zurückzunehmen und dem Kläger Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach Maßgabe des § 35 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) zu gewähren. Dessen Voraussetzungen, Erreichen der Regelaltersgrenze und Erfüllen der allgemeinen Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 S. 1 SGB VI) seien vorliegend nicht zu bejahen. Um die allgemeine Wartezeit zu erfüllen, seien Beitragszeiten anzurechnen (§ 55 SGB VI). Die allein in Betracht kommenden Beitragszeiten nach dem ZRBG seien nicht gegeben: § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZRBG sehe die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt vor. Zwar habe der Kläger im Ghetto Bershad von November 1941 bis Mitte März 1944 gelebt und allenfalls seiner Mutter beim Fußboden waschen, Toiletten reinigen, Wasser tragen, Abfall wegtragen und Gemüse sortieren geholfen. In einem Lebensalter während dieses Aufenthaltes von einem Jahr und 4 Monate bis drei Jahren und acht Monaten habe er indes weder die kognitiven noch die motorischen Fähigkeiten gehabt, eine freiwillige und entgeltliche Tätigkeit auszuüben.
Das SG hat eine Ausfertigung des Urteils am 15.3.2012 und - mangels Eintreffen eines Rückscheins - erneut am 31.5.2012 sowie abermals am 10.7.2012 jeweils durch Einschreiben mit Rückschein an den Kläger abgesandt.
Mit am 15.8.2012 beim LSG eingegangen Schreiben hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 1.3.2012 eingelegt. Er bittet um Überprüfung seiner Klage und um eine gerechte Entscheidung. Das BSG habe im Juni 2009 beschlossen, dass es keine Altersgrenzen für Ghettorenten gebe. Die Bundesregierung habe am 30.11.2011 beschlossen, die alten zu strengen Bewertungskriterien bei Anträgen auf Ghettorenten zu annullieren. Zudem habe die Bundesregierung im Juli 2012 beschlossen, den Ghettoüberlebenden eine Monatsrente von 370 Euro zu zahlen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
- hilfsweise unter Gewährung von Einsetzung in die versäumte Berufungsfrist - das Urteil des SG Düsseldorf vom 01.03.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1.3.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.5.2011 zu verpflichten, den Bescheid vom 8.1.2003 zurückzunehmen und ihm Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten von November 1941 bis März 1944 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte, die ihre Rechtsauffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt sieht, beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat erfolglos nach einem etwaigen Rücklauf der Rückscheine beim SG Düsseldorf ermittelt.
Auf Anfrage des Senats hat der Kläger mitgeteilt, er habe das Urteil "im März 2012" per Einschreiben bekommen.
Sodann hat der Senat den Kläger mit Schreiben vom 6.11.2012 darauf hingewiesen, dass das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1.3.2012 durch Einschreiben mit Rückschein am 15.3.2012 erstmals an den Kläger abgesandt worden und die Rechtsmittelbelehrung in diesem Urteil die Berufungsfrist von drei Monaten nach Zustellung für Kläger, die im Ausland leben, ausweise. Ferner hat der Senat darauf aufmerksam gemacht, dass die Zustellung mit Übergabe des Einschreibbriefs an den Adressaten vollzogen sei. Bei Erhalt des Urteils "im März 2012" sei die dreimonatige Berufungsfrist spätestens mit Ablauf des 30.06.2012 verstrichen sei. Die Möglichkeit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Senat aufgezeigt.
Der Kläger hat daraufhin am 29.11.2012 vorgetragen, dass er erst im August 2012 Berufung gegen das Urteil eingelegt habe, weil er kein Deutsch könne und es lange gedauert habe, bis er einen Dolmetscher gefunden habe. Sein Dolmetscher und er hätten auch nicht verstanden, was ein Rückschein bedeute und was damit getan werden solle. Zudem hat der Kläger das Anschreiben des SG Düsseldorf vom 5.7.2012, mit welchem ihm die Ausfertigung der Entscheidung vom 1.3.2012 - zum dritten Mal - übersandt worden ist, und diese Ausfertigung in Kopie (einschließlich Rechtsmittelbelehrung) zu den Gerichtsakten übermittelt.
Mit Schreiben vom 10.1.2013 und vom 20.1.2013 haben sich die Beklagte und der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu schriftlich am 10.1.2013 bzw. am 20.1.2012 ihr Einverständnis erklärt hatten, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist - nach gewährter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verstreichen der Berufungsfrist - zulässig (A.), aber in der Sache nicht begründet (B.).
A. I. Der Kläger hatte die vorliegend maßgebende dreimonatige Berufungsfrist, die am 31.3.2012 zu laufen begann und am 30.6.2012 endete, versäumt, als er am 15.8.2012 Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil einlegte.
Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird, § 151 Abs. 2 S. 1 SGG. Wenn das Urteil im Ausland zugestellt wird, beträgt die Berufungsfrist drei Monate, §§ 153 Abs. 1 erster Halbsatz i.V.m. 87 Abs. 1 S. 2 SGG. Da der Kläger in Jerusalem, Israel, wohnt und weder einen Zustellungsbevollmächtigten (gemäß § 63 Abs. 3 SGG) noch einen Prozessbevollmächtigten noch einen besonderen Vertreter im Inland hat (siehe BSG, Urteil vom 6.10.1977, 9 RV 22/77, SozR 1500 § 151 Nr 4), ist vorliegend diese Dreimonatsfrist ab Zustellung des erstinstanzlichen - mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung im Sinne von § 66 Abs. 1 SGG versehenen - Urteils für die Berufungsfrist maßgebend. Das Sozialgericht hat das Urteil - mit dem Passus in der Rechtsmittelbelehrung "Die Berufungsfrist beträgt für den Kläger drei Monate, weil die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgerichtsgesetzes erfolgt." - ausweislich des Vermerks in der Gerichtsakte am 15.3.2012 an die Wohnanschrift des Klägers in Jerusalem durch Einschreiben mit Rückschein abgesandt. Bei der Zustellungsart "Einschreiben mit Rückschein" ist die Zustellung im Sinne von § 63 Abs. 2 S. 1 SGG i.V.m. § 175 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) mit Übergabe des Einschreibebriefs an den Adressaten vollzogen; der Rückschein ist nicht Teil der Zustellung, sondern dient nur - wie es auch in § 175 S. 2 ZPO zum Ausdruck kommt - Nachweiszwecken (insbesondere BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 3 KR 14/04 R, SozR 4-1750 § 175 Nr. 1; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, § 63 Rdnr. 9; Hüßtege, in: Thomas / Putzo, Kommentar zur ZPO, 34. Aufl. 2013, § 175 Rdnrn. 4 und 6; Stöber, in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 29. Aufl. 2012, § 175 ZPO Rdnrn. 3 f). Vorliegend steht für den Senat aus dem glaubhaften Vortrag des Klägers, das erstinstanzliche Urteil im "März 2012" erhalten zu haben, dem Absendevermerk des Sozialgerichts "15.3.2012" und unter Berücksichtigung üblicher Postlaufzeiten im außereuropäischen Ausland - so lagen beispielsweise im streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren zwischen Absendung des Bescheides der Beklagten am 8.1.2003 und der Quittierung des Erhalts des dazugehörenden Einschreibebriefs durch den Kläger am 22.1.2003 vierzehn Tage - fest, dass die Übergabe des Einschreibebriefs mit dem erstinstanzlichen Urteil spätestens am 31.3.2012 erfolgt ist. Unerheblich ist insofern, dass insgesamt drei Absendungen des erstinstanzlichen Urteils jeweils durch Einschreiben mit Rückschein erfolgten und kein Rückschein bislang zurück kam, kommt es doch für den Vollzug dieser Zustellungsart nicht auf die Ausstellung, Absendung oder den Eingang des Rückscheins beim Absender (des Einschreibebriefes) an. Somit hat die dreimonatige Berufungsfrist jedenfalls am 31.3.2012 zu laufen begonnen.
Sie ist gemäß der Regelungen in §§ 151, 153 Abs.1 i.V.m. 87 Abs. 1 S. 2, 64 SGG mit Ablauf des 30.06.2012 verstrichen. Die Einlegung der Berufung erfolgte am 15.8.2012.
II. Dem Kläger ist aber wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 SGG zu gewähren. Ihn trifft kein (überwiegendes) Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist. Er hat die versäumte Rechtshandlung (Einlegung der Berufung am 15.8.2012) auch rechtzeitig im Sinne von § 67 Abs. 2 S. 3 SGG nachgeholt.
Nach § 67 Abs. 1 SGG ist einem Prozessbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das ist der Fall, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden angesichts der gesamten Umstände des Einzelfalls nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist (BSG Urteil vom 31.03.1993, 13 RJ 9/92, SozR 3-1500 § 67 Nr 7; Keller, a.a.O., § 67 Rdnr. 3). Sollte zu der Fristversäumung eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts (BVerfGE 75, 183, 189) beigetragen haben, ist nach dem Gebot eines fairen Verfahrens (BVerfG Beschluss vom 4.5.2004, 1 BvR 1892/03, NJW 2004, 2887) trotz vorwerfbaren Verhaltens des Prozessführenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BSG, Beschluss vom 7.10.2004, B 3 KR 14/04 R, SozR 4-1750 § 175 Nr 1). Eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts kann darin gesehen werden, dass das Gericht mehrere Zustellungen desselben Urteils, das jeweils mit der erneuten Rechtsmittelbelehrung insbesondere zur Berufungsfrist versehen ist, an einen Prozessbeteiligten durchführt; dies gilt insbesondere dann, wenn die zweite Zustellung des Urteils innerhalb des Laufs der ersten Rechtsmittelfrist erfolgt und es sich um einen anwaltlich nicht vertretenen Kläger handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 31.10.2012, B 13 R 165/12 B, SozR 4-1500 § 67 Nr 11). Bei einem anwaltlich nicht vertretenen Kläger ist es naheliegend, dass dadurch der Eindruck erweckt wird, er dürfe der zweiten, neueren Belehrung folgen.
Vorliegend kann offen bleiben, ob es auch einem gewissenhaften Prozessführenden, der nicht des Deutschen mächtig ist, in Israel lebend gelungen sein müsste, innerhalb der Zeit vom 31.3.2012 bis zum 30.6.2012 einen geeigneten Dolmetscher für die Übersetzung des erstinstanzlichen Urteils zu finden, den Inhalt der Entscheidung und der Rechtsmittelbelehrung zu verstehen und für den Eingang der Berufung bei Gericht zu sorgen. Denn jedenfalls hat das Sozialgericht am 31.5.2012 auf richterliche Anordnung hin, nachdem es offenbar keinen Rücklauf des Rückscheins verzeichnen konnte, das Urteil erneut durch Einschreiben mit Rückschein dem Kläger zugestellt. Mangels anderer Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass auch die zu dieser zweiten Zustellung gehörende Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils mit der neutral abgefassten Rechtsmittelbelehrung insbesondere zur Berufungsfrist, "Die Berufungsfrist beträgt für den Kläger drei Monate, weil die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgerichtsgesetzes erfolgt.", versehen war. So jedenfalls ging das Gericht bei der dritten Zustellung der Entscheidung - aufgrund richterlicher Verfügung vom 5.7.2012, ausgeführt am 10.7.2012, vor, das diesbezügliche Anschreiben und die Ausfertigung des Urteils hat der Kläger im Berufungsverfahren in Kopie zu den Akten übersandt. Nach den vom Senat als üblich erachteten Postlaufzeiten für Einschreibesendungen mit Rückschein im außereuropäischen Ausland, s.o., ist ferner davon auszugehen, dass die zweite Zustellung der Urteilsausfertigung durch Übergabe an den Kläger Mitte Juni 2012 im außereuropäischen Ausland - und damit noch innerhalb der bis zum 30.6.2012 laufenden Berufungsfrist im außereuropäischen Ausland - erfolgte. Der Kläger hat vom Empfängerhorizont aus davon ausgehen dürfen, dass die Berufungsfrist von drei Monaten -nunmehr von Mitte Juni 2012 an gerechnet - erneut in Lauf gesetzt wurde. Als das Sozialgericht laut Absendevermerk am 15.7.2012 die dritte Zustellung der Urteilsausfertigung durch Einschreiben Rückschein auf den Postweg brachte, hat der Kläger abermals davon ausgehen dürfen, dass die Berufungsfrist von drei Monaten - nunmehr von Ende Juli 2012 an gerechnet - ein weiteres Mal in Gang gesetzt wurde. Innerhalb dieses dritten Zeitraums hat er "fristgerecht", nämlich am 15.8.2012, Berufung eingelegt.
Ob dem Kläger am nichterfolgten Rücklauf des ersten Rückscheins ein Verantwortungsbeitrag zuzuordnen ist, war nicht weiter aufzuklären, zumal ein Rückschein - selbst bei sorgfaltsgerechtem Ausfüllen und Absenden - auf vielfältige Weise z. B. auf dem Beförderungsweg abhandenkommen kann und das Sozialgericht jedenfalls nach der Feststellung, dass der erste Rückschein nicht zu den Gerichtsakten gelangt ist, eine andere Zustellungsart, nämlich diejenige der öffentliche Zustellung, hätte wählen können, um den Nachweis der erfolgten Zustellung zu erbringen.
Die Frist von einem Monat im Sinne des § 67 Abs. 2 S. 3 SGG zur Nachholung der versäumten Rechtshandlung ist gewahrt. Denn der Kläger hatte diese Rechtshandlung, nämlich Einlegung der Berufung, am 15.8.2012 bereits nachgeholt, bevor er im Berufungsverfahren durch den Senat im Hinweisschreiben vom 6.11.2012 von der Maßgeblichkeit der ersten Zustellung für den Lauf der Berufungsfrist informiert worden war. Von einer ausdrücklichen Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte sodann gemäß § 67 Abs. 2 S. 4 SGG abgesehen werden.
B. Der Bescheid der Beklagten vom 1.3.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.5.2011 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten gemäß nach § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 8.1.2003 und auf Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten. Die Ablehnung der Altersrentenbewilligung war von Anfang an nicht rechtswidrig.
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Für die Beantwortung der Frage nach der unrichtigen Rechtsanwendung, also der anfänglichen objektiven Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, ist auf die Rechtslage bei Erlass des Bescheides nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht abzustellen (BSG, Urteil vom 25.10.1984, 11 RAz 3/83, SozR 1300 § 44 Nr 13; Schütze, in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rdnr. 10). So kann sich insbesondere ein belastender Verwaltungsakt als anfänglich rechtswidrig erweisen, wenn er bei Erlass der damaligen Rechtsprechung des BSG entsprach. Ein solcher Verwaltungsakt ist aufgrund einer Rechtsprechungsänderung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Änderung auf der Erkenntnis der unrichtigen Rechtsanwendung durch die bisherige Rechtsprechung beruht (Schütze, a.a.O.).
Der Bescheid vom 8.1.2003, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers, ihm unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Regelaltersrente zu gewähren, abgelehnt hat, ist zwar bestandskräftig im Sinne von § 77 erster Halbsatz SGG und damit bindend geworden. Bei seinem Erlass ist indes das Recht nicht unrichtig angewandt worden; der Ablehnungsbescheid ist vielmehr - auch im Lichte der vom Kläger geltend gemachten jüngeren Rechtsprechung des BSG zum ZRBG (Urteile vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R und B 13 R 85/08 R, BSGE 103, 190 (Parallelentscheidungen), B 13 R 139/08 R, BSGE 103, 201; Urteil vom 3.6.2009, B 5 R 26/08 R, BSGE 103, 220) - anfänglich objektiv rechtmäßig. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung.
Nach § 35 S. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die allgemeine Wartezeit beträgt nach § 50 Abs. 1 S. 1 vor Nr. 1 SGB VI fünf Jahre. Auf die allgemeine Wartezeit werden gemäß § 51 Abs. 1 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. Beitragszeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Als eine solche Vorschrift erweist sich § 2 Abs. 1 ZRBG. Der Kläger kann vorliegend keine Ghettobeitragszeiten im Sinne dieser Vorschrift geltend machen. Denn die für die Annahme von Ghettobeitragszeiten - mindestens im Umfang eines Kalendermonats - erforderlichen Umstände sind nicht glaubhaft gemacht.
Nach der Vorschrift des den Anwendungsbereich des ZRBG bestimmenden § 1 ZRBG gilt dieses Gesetz nur für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und gegen Entgelt ausgeübt wurde (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) und b) ZRBG). "Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto" i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG erfasst jegliche Beschäftigung innerhalb und außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos, die von Verfolgten ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R). Beschäftigung in diesem Sinne meint - wie der Beschäftigungsbegriff im übrigen Sozialversicherungsrecht auch - jede nicht selbständige Arbeit (LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, veröffentlicht unter www.juris.de). Anhaltspunkte für das Bestehen einer solchen Arbeit sind eine von Weisungen eines anderen hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung abhängige Tätigkeit sowie eine gewisse funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens oder Weisungsgebers, wobei die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit maßgeblich sind (LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, a.a.O.). Eine Beschäftigung wurde "gegen Entgelt" im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) ZRBG ausgeübt, wenn für die geleistete Arbeit irgendeine Art der Entlohnung erhalten wurde, ob in Geld, Naturalien oder in Gutscheinen, unabhängig von Quantität, Qualität und Transferweg (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 139/08 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 5).
Die Beschäftigung ist "aus eigenem Willensentschluss" im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) ZRBG - im Unterschied zu Zwangsarbeit - zustande gekommen, wenn der Ghetto-Bewohner hinsichtlich des Zustandekommens oder der Durchführung der Arbeit noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R). Auch die Annahme einer vom Judenrat angebotenen Arbeit ist eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R). Schließlich steht auch ein bestimmtes Lebensalter im Sinne einer Altersuntergrenze nicht der Annahme einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommen Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) ZRBG entgegen (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 139/08 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 5; BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 61/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr 2). So ist im Hinblick auf die grundsätzliche Arbeitsfähigkeit jedenfalls elf- und zwölfjähriger Kinder, die in diesem Alter unter den extremen Verhältnissen des Ghettos bereits denselben Bedingungen wie Erwachsene unterlagen, ein freier Willensentschluss zur Aufnahme und Ausübung einer bestimmten Arbeit in der Rechtsprechung bejaht worden, wenn es sich der Art nach um solche Verrichtungen handelte, die Kinder körperlich zu leisten im Stande sind und die insofern als typische Kinderarbeit angesehen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3; LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, a.a.O.; nachgehend BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 139/08 R, a.a.O.; LSG NRW, Urteil vom 28.1.2008, L 8 RJ 139/04, veröffentlicht unter www.juris.de). Allerdings ist bei besonders jungen Ghettobewohnern zu prüfen, ob die gesamten Umstände des Einzelfalls (z.B. nach der Art der angegebenen Arbeit an sich, nach den dafür erforderlichen Anforderungen an die individuelle Körperkraft, nach den dafür erforderlichen Anforderungen an die kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten und an das Ausdauer- und Konzentrationsvermögen sowie nach den sonstigen Rahmenbedingungen, unter denen die angegebenen Verrichtungen erfolgten) noch für einen eigenen Willensentschluss im Sinne einer freien Willensentscheidung zur Aufnahme einer Beschäftigung sprechen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, a.a.O.).
Für die Feststellung der für die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) und b) ZRBG erforderlichen Tatsachen genügt es nach § 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22.12.1970 in der ab 1.1.1992 geltenden Fassung (WGSVG), wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende Umstände zu berücksichtigen. Bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten muss das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sein, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Tatsache spricht (LSG NRW, Urteil vom 1.9.2006, L 4 R 145/05, veröffentlicht unter www.juris.de).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, im Ghetto Bershad in der Zeit von November 1941 bis März 1944 eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, ausgeübt zu haben. Zum einen bestand - zur Überzeugung des Senats - allenfalls die bloße Möglichkeit, dass der Kläger die von ihm angegebenen Tätigkeiten (in der deutschen Kommandantur: Raumreinigung, Fußböden waschen, reinigen, fegen, Staub entfernen, Heizholzscheite tragen, Abfall wegtragen, Wasser tragen; im Versorgungslager für die deutsche Armee: Gemüse sortieren) dort auch verrichtet hat. Im Hinblick auf das junge Lebensalter des Klägers - zu Beginn der behaupteten Beschäftigung im November 1941 war er 16 Monate alt - war es mindestens ebenso wahrscheinlich, dass es dem Kläger an der körperlichen Kraft wie an den motorischen Fähigkeiten fehlte, Wasser, Holzscheite und Abfall zu tragen sowie Fußböden zu waschen und zu reinigen. Selbst wenn man es gegen Ende des Ghettoaufenthaltes, als der Kläger drei Jahre und neun Monate alt war, als überwiegend wahrscheinlich ansähe, dass er die muskulären wie motorischen Fähigkeiten gehabt habe, diese Tätigkeiten zu verrichten, so bestand durchgehend allenfalls eine bloße Möglichkeit, dass der Kläger diese Arbeiten aus eigenem Willensentschluss angenommen hat. Es war zur Überzeugung des Senats ebenso wahrscheinlich, dass es dem Kläger an den erforderlichen Anforderungen an die kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten sowie an das Ausdauer- und Konzentrationsvermögen fehlte, aus eigenem Willensentschluss eine Tätigkeit aufzunehmen und über mehrere Stunden hinweg täglich die vorgetragenen Verrichtungen auszuführen. Es ist ebenso gut möglich, dass der Kläger von seiner Mutter zum Schutz zur Arbeit mitgenommen wurde und dass sich die Tätigkeiten als "Spielbeschäftigungen" erwiesen, welche die arbeitende Mutter dem Kläger aufgab, damit sie an ihrem Arbeitsplatz auch ihrer Arbeit nachgehen und ihren Sohn zugleich betreuen wie beaufsichtigen konnte. Dass der Bruder des Klägers nach dessen Vortrag für die gleichen Arbeiten und betreffend den gleichen Zeitraum (November 1941 bis März 1944) eine "Ghettorente" bekommen haben soll, ändert nichts an dieser Bewertung. Zum einen war der nach den Angaben des Klägers 1937 geborene Bruder bereits zu Beginn des Ghettoaufenthaltes älter als der Kläger zu dessen Ende. Zum anderen ist streitgegenständlich allein ein etwaiger Regelaltersrentenanspruch des Klägers und nicht des Bruders des Klägers. Zeugen gibt es nach dem eigenen Bekunden des Klägers nicht mehr. Dem Senat diente zur Überzeugungsbildung insbesondere die eigene - teils aktuelle Erfahrung - einzelner Senatsmitglieder im täglichen Umgang mit Kleinkindern, die üblicherweise - wie es das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat - im Alter von 16 Monaten gerade den motorischen Vorgang des selbständigen und sicheren Laufens erlernt haben und zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr im allgemeinen sauber werden sowie sich in einfachen Sätzen sprachlich verständigen können.
Ausführungen zu den weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 ZRBG (insbesondere zur Existenz des Ghettos Bershad im geltend gemachten Zeitraum und zur Zugehörigkeit dieses in Transnistrien gelegenen Ghettos zu einem Gebiet, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war) erübrigten sich.
Ob der Kläger - entsprechend seines Vortrags - künftig Anspruch auf eine andere Rentenleistung als diejenige der Altersrente oder auf eine weitere Entschädigungsleistung haben kann, war nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits zur Überprüfung der anfänglichen Rechtswidrigkeit des Altersrente nach dem SGB VI ablehnenden Bescheides vom 8.1.2003.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
In der Sache ist zwischen den Beteiligten - im Wege eines Überprüfungsverfahrens - die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.6.2002 (ZRBG), BGBl. 2002 I S. 2074, streitig. Formal geht es um die fristgerechte Einlegung der Berufung bei Zustellung im Ausland durch Einschreiben mit Rückschein.
Der am 00.00.1940 in Bershad geborene Kläger ist Verfolgter des Nationalsozialismus und lebt seit Dezember 1990 in Israel.
Am 11.6.1995 beantragte er bei der "Claims Conference on Jewish Material Claims Against Germany" (Claims Conference) die Gewährung von Leistungen aus dem nach Artikel 2 der Durchführungsvereinbarung zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (Einigungsvertrag), BGBl. II 889, eingerichteten Fonds (Artikel 2 Fonds) auf Entschädigung in Höhe von 300 Euro monatlich. Auf den diesbezüglichen Formularen der Claims Conference gab er an, sich in der Zeit von 1941 bis 1944 im Ghetto Bershad aufgehalten zu haben. Zur Beschreibung seiner Verfolgung führte er aus: "Ich bin im Jahr 1940 in Bershad geboren. Meine Mutter erzählte mir, als ich es schon verstehen konnte, dass sie es sehr schwer mit mir hatte. Es gab wenig Nahrung und wir litten alle unter der schweren Kälte. Im Jahre 1944 im Monat April kehrten wir nach Bershad zurück. Mein Vater war dort in Bershad umgekommen. Ich lebte in Bershad, bis ich im Jahr 1990 in Israel einwanderte." Die Claims Conference gewährte dem Kläger die beantragten Leistungen.
Am 9.10.2002 beantragte der Kläger erstmals bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente auf Grund von Ghettobeitragszeiten. Im Antragsformular benannte er unter der Überschrift "Angaben zu Beschäftigungszeiten im Ghetto" das Ghetto Bershad als Ort des Ghettos. Die Frage nach dem Zeitraum der Beschäftigung beantwortete er mit: "1941 - 1944". Die Frage nach der Art der Beschäftigung ließ er unbeantwortet. Mit Bescheid vom 8.1.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Das ZRBG finde keine Anwendung für Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto, welches sich auf dem Gebiet des Deutschen Reiches (Stand 31.12.1937) oder eines mit dem ehemaligen Deutschen Reich verbündeten Staates befunden habe. Das treffe für das Ghetto Bershad zu. Dieses Ghetto habe sich in Transnistrien befunden, welches im Zeitraum von 1941 bis 1944 zum rumänischen Staat gehört habe. Rumänien wiederum sei mit dem Deutschen Reich verbündet gewesen. Dieser mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene und dem Kläger durch Einschreiben mit Rückschein übersandte Bescheid wurde ihm ausweislich des Rückscheins am 22.1.2003 bekannt gegeben.
Der Kläger legte am 8.1.2005 "Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid" ein. Da Transnistrien nicht durch Rumänien annektiert worden sei, sei das ZRBG auch auf Beschäftigungsverhältnisse in Ghettos in Transnistrien anwendbar. Die Beklagte machte den Kläger darauf aufmerksam, dass sein "Widerspruch" außerhalb der dreimonatigen Frist eingegangen und deswegen unzulässig sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung seien nicht ersichtlich. Allerdings werde sie den "Widerspruch" als Überprüfungsantrag werten und das Verfahren von Amts wegen wieder aufnehmen, wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung die Anwendbarkeit des ZRBG für Beschäftigungen in Ghettos in Transnistrien bejahe.
Zwischenzeitlich beantragte der Kläger unter dem 14.11.2007 beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (Bundesamt) die Gewährung einer sog. Anerkennungsleistung nach der Richtlinie der Bundesregierung vom 1.10.2007 über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit im Ghetto, die keine Zwangsarbeit war und bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung geblieben ist. Er gab an, er habe sich in der Zeit von 1941 bis 1944 im Ghetto Bershad aufgehalten. Sein Verfolgungsschicksal schilderte er wie folgt: "Die Familie lebte in sehr schweren Verhältnisse im Ghetto. Mutter und Bruder arbeiteten hart, der Vater war Partisan und wurde 1944 von deutschen Soldaten durch Erschießung umgebracht." Die Frage, ob er während seines Aufenthaltes im Ghetto gearbeitet habe, beantwortete er mit "Ja", ohne einen ebenfalls erfragten Zeitraum anzugeben; er schilderte dazu Folgendes: "Die Mutter arbeitete die ganze Zeit ihres Aufenthaltes im Ghetto." Die Frage nach Arbeit auch außerhalb des Ghettos ließ er ebenso unbeantwortet wie die Frage nach dem Zustandekommen des Arbeitseinsatzes. Mit Bescheid vom 22.6.2009 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers ab. Die Gewährung einer Anerkennungsleistung setze u.a. voraus, dass der Antragsteller während des Ghettoaufenthaltes ohne Zwang in einem beschäftigungsähnlichen Verhältnis gearbeitet habe, also mit einer gewissen Regelmäßigkeit einer - selbst gesuchten oder vom Judenrat vermittelten - Arbeit nachgegangen sei. Das sei im Falle des Klägers auf Grund seines geringen Lebensalters nicht zutreffend. Der Umstand, die Mutter zur Arbeit begleitet zu haben, sei nicht ausreichend, um einen Anspruch auf eine Anerkennungsleistung zu begründen.
Am 2.2.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Überprüfung seines "Rentenantrages" unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum ZRBG aus Juni 2009. Er gab in einem ersten Fragebogen an, von November 1941 bis zum 18.3.1944 sich im Ghetto Bershad zwangsweise aufgehalten und dort in demselben Zeitraum auch gearbeitet zu haben. Der Judenrat sei der Arbeitgeber gewesen. Zur Art der Arbeit gab er an: "Mit meiner Mutter und Bruder Raumreinigung in Kommandantur, Krankenhaus, Gemüsesortieren." Die Arbeit sei im Ghetto vom Judenrat vermittelt worden. In einem weiteren Fragebogen gab er an, von November 1941 bis zum 20.3.1944 während seines zwangsweisen Aufenthaltes im Ghetto und auch außerhalb des Ghettos (zusammen mit anderen Arbeitskräften bei täglicher Rückkehr ohne Bewachung) gearbeitet zu haben. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Er habe Einfluss auf die Aufnahme der Arbeit und die Wahl der Arbeitsstelle gehabt. Als Tätigkeitsbeschreibung der Beschäftigung gab er an: In der deutschen Kommandatur Fußböden waschen, reinigen, Toiletten reinigen, Abfall wegtragen; Wassertragen; im Versorgungslager für die deutsche Armee Gemüse sortieren. Er habe acht bis zehn Stunden täglich, sieben Tage die Woche gearbeitet. Er habe als Entlohnung Lebensmittel von der deutschen Armee erhalten. Zeugen könne er für die Arbeitszeiten im Ghetto nicht mehr benennen.
Mit Bescheid vom 1.3.2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme ihres Bescheides vom 8.1.2003 ab. Auch unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des BSG zum ZRBG habe der Kläger keinen Rentenanspruch; Ghettobeitragszeiten seien nur anzuerkennen, wenn der Verfolgte u. a. mit einer gewissen Regelmäßigkeit einer Arbeit nachgegangen sei. Bei Kindern, die am Ende der Ghettozeit das vierte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, sei davon auszugehen, dass die für eine Ghettobeschäftigung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht vorhanden gewesen seien.
Den inhaltlich nicht begründeten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.5.2011 (Absendungsvermerk am 19.5.2011) zurück.
Im Klageverfahren (Klageeingang: am 20.6.2011, SG Düsseldorf, S 27 R 1870/11) hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Das SG hat den Kläger schriftlich befragt, ob er eine eigene Beschäftigung verrichtet habe und wie er sie ggfs. gefunden habe. Dazu hat der Kläger mitgeteilt, er habe zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder, Jahrgang 1937, in der deutschen Kommandantur den Fußboden gefegt und den Staub entfernt. Diese Arbeit habe auch die Raumreinigung der Kantine umfasst. Er habe zudem Holzscheite zum Heizen der Öfen in der Kommandantur gebracht. Die Arbeit sei ihnen vom Judenrat zugewiesen worden. Er und sein Bruder hätten Lebensmittel für diese Arbeiten bekommen. Auch habe sein Bruder eine Ghettorente für die gleichen Arbeiten erhalten.
Das SG hat mit Urteil vom 1.3.2012 die Klage abgewiesen. Zu Recht habe es die Beklagte im Überprüfungsverfahren abgelehnt, den Bescheid vom 8.1.2003 zurückzunehmen und dem Kläger Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach Maßgabe des § 35 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) zu gewähren. Dessen Voraussetzungen, Erreichen der Regelaltersgrenze und Erfüllen der allgemeinen Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 S. 1 SGB VI) seien vorliegend nicht zu bejahen. Um die allgemeine Wartezeit zu erfüllen, seien Beitragszeiten anzurechnen (§ 55 SGB VI). Die allein in Betracht kommenden Beitragszeiten nach dem ZRBG seien nicht gegeben: § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZRBG sehe die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt vor. Zwar habe der Kläger im Ghetto Bershad von November 1941 bis Mitte März 1944 gelebt und allenfalls seiner Mutter beim Fußboden waschen, Toiletten reinigen, Wasser tragen, Abfall wegtragen und Gemüse sortieren geholfen. In einem Lebensalter während dieses Aufenthaltes von einem Jahr und 4 Monate bis drei Jahren und acht Monaten habe er indes weder die kognitiven noch die motorischen Fähigkeiten gehabt, eine freiwillige und entgeltliche Tätigkeit auszuüben.
Das SG hat eine Ausfertigung des Urteils am 15.3.2012 und - mangels Eintreffen eines Rückscheins - erneut am 31.5.2012 sowie abermals am 10.7.2012 jeweils durch Einschreiben mit Rückschein an den Kläger abgesandt.
Mit am 15.8.2012 beim LSG eingegangen Schreiben hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 1.3.2012 eingelegt. Er bittet um Überprüfung seiner Klage und um eine gerechte Entscheidung. Das BSG habe im Juni 2009 beschlossen, dass es keine Altersgrenzen für Ghettorenten gebe. Die Bundesregierung habe am 30.11.2011 beschlossen, die alten zu strengen Bewertungskriterien bei Anträgen auf Ghettorenten zu annullieren. Zudem habe die Bundesregierung im Juli 2012 beschlossen, den Ghettoüberlebenden eine Monatsrente von 370 Euro zu zahlen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
- hilfsweise unter Gewährung von Einsetzung in die versäumte Berufungsfrist - das Urteil des SG Düsseldorf vom 01.03.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1.3.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.5.2011 zu verpflichten, den Bescheid vom 8.1.2003 zurückzunehmen und ihm Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten von November 1941 bis März 1944 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte, die ihre Rechtsauffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt sieht, beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat erfolglos nach einem etwaigen Rücklauf der Rückscheine beim SG Düsseldorf ermittelt.
Auf Anfrage des Senats hat der Kläger mitgeteilt, er habe das Urteil "im März 2012" per Einschreiben bekommen.
Sodann hat der Senat den Kläger mit Schreiben vom 6.11.2012 darauf hingewiesen, dass das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1.3.2012 durch Einschreiben mit Rückschein am 15.3.2012 erstmals an den Kläger abgesandt worden und die Rechtsmittelbelehrung in diesem Urteil die Berufungsfrist von drei Monaten nach Zustellung für Kläger, die im Ausland leben, ausweise. Ferner hat der Senat darauf aufmerksam gemacht, dass die Zustellung mit Übergabe des Einschreibbriefs an den Adressaten vollzogen sei. Bei Erhalt des Urteils "im März 2012" sei die dreimonatige Berufungsfrist spätestens mit Ablauf des 30.06.2012 verstrichen sei. Die Möglichkeit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Senat aufgezeigt.
Der Kläger hat daraufhin am 29.11.2012 vorgetragen, dass er erst im August 2012 Berufung gegen das Urteil eingelegt habe, weil er kein Deutsch könne und es lange gedauert habe, bis er einen Dolmetscher gefunden habe. Sein Dolmetscher und er hätten auch nicht verstanden, was ein Rückschein bedeute und was damit getan werden solle. Zudem hat der Kläger das Anschreiben des SG Düsseldorf vom 5.7.2012, mit welchem ihm die Ausfertigung der Entscheidung vom 1.3.2012 - zum dritten Mal - übersandt worden ist, und diese Ausfertigung in Kopie (einschließlich Rechtsmittelbelehrung) zu den Gerichtsakten übermittelt.
Mit Schreiben vom 10.1.2013 und vom 20.1.2013 haben sich die Beklagte und der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu schriftlich am 10.1.2013 bzw. am 20.1.2012 ihr Einverständnis erklärt hatten, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist - nach gewährter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verstreichen der Berufungsfrist - zulässig (A.), aber in der Sache nicht begründet (B.).
A. I. Der Kläger hatte die vorliegend maßgebende dreimonatige Berufungsfrist, die am 31.3.2012 zu laufen begann und am 30.6.2012 endete, versäumt, als er am 15.8.2012 Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil einlegte.
Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird, § 151 Abs. 2 S. 1 SGG. Wenn das Urteil im Ausland zugestellt wird, beträgt die Berufungsfrist drei Monate, §§ 153 Abs. 1 erster Halbsatz i.V.m. 87 Abs. 1 S. 2 SGG. Da der Kläger in Jerusalem, Israel, wohnt und weder einen Zustellungsbevollmächtigten (gemäß § 63 Abs. 3 SGG) noch einen Prozessbevollmächtigten noch einen besonderen Vertreter im Inland hat (siehe BSG, Urteil vom 6.10.1977, 9 RV 22/77, SozR 1500 § 151 Nr 4), ist vorliegend diese Dreimonatsfrist ab Zustellung des erstinstanzlichen - mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung im Sinne von § 66 Abs. 1 SGG versehenen - Urteils für die Berufungsfrist maßgebend. Das Sozialgericht hat das Urteil - mit dem Passus in der Rechtsmittelbelehrung "Die Berufungsfrist beträgt für den Kläger drei Monate, weil die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgerichtsgesetzes erfolgt." - ausweislich des Vermerks in der Gerichtsakte am 15.3.2012 an die Wohnanschrift des Klägers in Jerusalem durch Einschreiben mit Rückschein abgesandt. Bei der Zustellungsart "Einschreiben mit Rückschein" ist die Zustellung im Sinne von § 63 Abs. 2 S. 1 SGG i.V.m. § 175 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) mit Übergabe des Einschreibebriefs an den Adressaten vollzogen; der Rückschein ist nicht Teil der Zustellung, sondern dient nur - wie es auch in § 175 S. 2 ZPO zum Ausdruck kommt - Nachweiszwecken (insbesondere BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 3 KR 14/04 R, SozR 4-1750 § 175 Nr. 1; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, § 63 Rdnr. 9; Hüßtege, in: Thomas / Putzo, Kommentar zur ZPO, 34. Aufl. 2013, § 175 Rdnrn. 4 und 6; Stöber, in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 29. Aufl. 2012, § 175 ZPO Rdnrn. 3 f). Vorliegend steht für den Senat aus dem glaubhaften Vortrag des Klägers, das erstinstanzliche Urteil im "März 2012" erhalten zu haben, dem Absendevermerk des Sozialgerichts "15.3.2012" und unter Berücksichtigung üblicher Postlaufzeiten im außereuropäischen Ausland - so lagen beispielsweise im streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren zwischen Absendung des Bescheides der Beklagten am 8.1.2003 und der Quittierung des Erhalts des dazugehörenden Einschreibebriefs durch den Kläger am 22.1.2003 vierzehn Tage - fest, dass die Übergabe des Einschreibebriefs mit dem erstinstanzlichen Urteil spätestens am 31.3.2012 erfolgt ist. Unerheblich ist insofern, dass insgesamt drei Absendungen des erstinstanzlichen Urteils jeweils durch Einschreiben mit Rückschein erfolgten und kein Rückschein bislang zurück kam, kommt es doch für den Vollzug dieser Zustellungsart nicht auf die Ausstellung, Absendung oder den Eingang des Rückscheins beim Absender (des Einschreibebriefes) an. Somit hat die dreimonatige Berufungsfrist jedenfalls am 31.3.2012 zu laufen begonnen.
Sie ist gemäß der Regelungen in §§ 151, 153 Abs.1 i.V.m. 87 Abs. 1 S. 2, 64 SGG mit Ablauf des 30.06.2012 verstrichen. Die Einlegung der Berufung erfolgte am 15.8.2012.
II. Dem Kläger ist aber wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 SGG zu gewähren. Ihn trifft kein (überwiegendes) Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist. Er hat die versäumte Rechtshandlung (Einlegung der Berufung am 15.8.2012) auch rechtzeitig im Sinne von § 67 Abs. 2 S. 3 SGG nachgeholt.
Nach § 67 Abs. 1 SGG ist einem Prozessbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das ist der Fall, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden angesichts der gesamten Umstände des Einzelfalls nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist (BSG Urteil vom 31.03.1993, 13 RJ 9/92, SozR 3-1500 § 67 Nr 7; Keller, a.a.O., § 67 Rdnr. 3). Sollte zu der Fristversäumung eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts (BVerfGE 75, 183, 189) beigetragen haben, ist nach dem Gebot eines fairen Verfahrens (BVerfG Beschluss vom 4.5.2004, 1 BvR 1892/03, NJW 2004, 2887) trotz vorwerfbaren Verhaltens des Prozessführenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BSG, Beschluss vom 7.10.2004, B 3 KR 14/04 R, SozR 4-1750 § 175 Nr 1). Eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts kann darin gesehen werden, dass das Gericht mehrere Zustellungen desselben Urteils, das jeweils mit der erneuten Rechtsmittelbelehrung insbesondere zur Berufungsfrist versehen ist, an einen Prozessbeteiligten durchführt; dies gilt insbesondere dann, wenn die zweite Zustellung des Urteils innerhalb des Laufs der ersten Rechtsmittelfrist erfolgt und es sich um einen anwaltlich nicht vertretenen Kläger handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 31.10.2012, B 13 R 165/12 B, SozR 4-1500 § 67 Nr 11). Bei einem anwaltlich nicht vertretenen Kläger ist es naheliegend, dass dadurch der Eindruck erweckt wird, er dürfe der zweiten, neueren Belehrung folgen.
Vorliegend kann offen bleiben, ob es auch einem gewissenhaften Prozessführenden, der nicht des Deutschen mächtig ist, in Israel lebend gelungen sein müsste, innerhalb der Zeit vom 31.3.2012 bis zum 30.6.2012 einen geeigneten Dolmetscher für die Übersetzung des erstinstanzlichen Urteils zu finden, den Inhalt der Entscheidung und der Rechtsmittelbelehrung zu verstehen und für den Eingang der Berufung bei Gericht zu sorgen. Denn jedenfalls hat das Sozialgericht am 31.5.2012 auf richterliche Anordnung hin, nachdem es offenbar keinen Rücklauf des Rückscheins verzeichnen konnte, das Urteil erneut durch Einschreiben mit Rückschein dem Kläger zugestellt. Mangels anderer Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass auch die zu dieser zweiten Zustellung gehörende Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils mit der neutral abgefassten Rechtsmittelbelehrung insbesondere zur Berufungsfrist, "Die Berufungsfrist beträgt für den Kläger drei Monate, weil die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgerichtsgesetzes erfolgt.", versehen war. So jedenfalls ging das Gericht bei der dritten Zustellung der Entscheidung - aufgrund richterlicher Verfügung vom 5.7.2012, ausgeführt am 10.7.2012, vor, das diesbezügliche Anschreiben und die Ausfertigung des Urteils hat der Kläger im Berufungsverfahren in Kopie zu den Akten übersandt. Nach den vom Senat als üblich erachteten Postlaufzeiten für Einschreibesendungen mit Rückschein im außereuropäischen Ausland, s.o., ist ferner davon auszugehen, dass die zweite Zustellung der Urteilsausfertigung durch Übergabe an den Kläger Mitte Juni 2012 im außereuropäischen Ausland - und damit noch innerhalb der bis zum 30.6.2012 laufenden Berufungsfrist im außereuropäischen Ausland - erfolgte. Der Kläger hat vom Empfängerhorizont aus davon ausgehen dürfen, dass die Berufungsfrist von drei Monaten -nunmehr von Mitte Juni 2012 an gerechnet - erneut in Lauf gesetzt wurde. Als das Sozialgericht laut Absendevermerk am 15.7.2012 die dritte Zustellung der Urteilsausfertigung durch Einschreiben Rückschein auf den Postweg brachte, hat der Kläger abermals davon ausgehen dürfen, dass die Berufungsfrist von drei Monaten - nunmehr von Ende Juli 2012 an gerechnet - ein weiteres Mal in Gang gesetzt wurde. Innerhalb dieses dritten Zeitraums hat er "fristgerecht", nämlich am 15.8.2012, Berufung eingelegt.
Ob dem Kläger am nichterfolgten Rücklauf des ersten Rückscheins ein Verantwortungsbeitrag zuzuordnen ist, war nicht weiter aufzuklären, zumal ein Rückschein - selbst bei sorgfaltsgerechtem Ausfüllen und Absenden - auf vielfältige Weise z. B. auf dem Beförderungsweg abhandenkommen kann und das Sozialgericht jedenfalls nach der Feststellung, dass der erste Rückschein nicht zu den Gerichtsakten gelangt ist, eine andere Zustellungsart, nämlich diejenige der öffentliche Zustellung, hätte wählen können, um den Nachweis der erfolgten Zustellung zu erbringen.
Die Frist von einem Monat im Sinne des § 67 Abs. 2 S. 3 SGG zur Nachholung der versäumten Rechtshandlung ist gewahrt. Denn der Kläger hatte diese Rechtshandlung, nämlich Einlegung der Berufung, am 15.8.2012 bereits nachgeholt, bevor er im Berufungsverfahren durch den Senat im Hinweisschreiben vom 6.11.2012 von der Maßgeblichkeit der ersten Zustellung für den Lauf der Berufungsfrist informiert worden war. Von einer ausdrücklichen Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte sodann gemäß § 67 Abs. 2 S. 4 SGG abgesehen werden.
B. Der Bescheid der Beklagten vom 1.3.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.5.2011 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten gemäß nach § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 8.1.2003 und auf Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten. Die Ablehnung der Altersrentenbewilligung war von Anfang an nicht rechtswidrig.
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Für die Beantwortung der Frage nach der unrichtigen Rechtsanwendung, also der anfänglichen objektiven Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, ist auf die Rechtslage bei Erlass des Bescheides nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht abzustellen (BSG, Urteil vom 25.10.1984, 11 RAz 3/83, SozR 1300 § 44 Nr 13; Schütze, in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rdnr. 10). So kann sich insbesondere ein belastender Verwaltungsakt als anfänglich rechtswidrig erweisen, wenn er bei Erlass der damaligen Rechtsprechung des BSG entsprach. Ein solcher Verwaltungsakt ist aufgrund einer Rechtsprechungsänderung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Änderung auf der Erkenntnis der unrichtigen Rechtsanwendung durch die bisherige Rechtsprechung beruht (Schütze, a.a.O.).
Der Bescheid vom 8.1.2003, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers, ihm unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Regelaltersrente zu gewähren, abgelehnt hat, ist zwar bestandskräftig im Sinne von § 77 erster Halbsatz SGG und damit bindend geworden. Bei seinem Erlass ist indes das Recht nicht unrichtig angewandt worden; der Ablehnungsbescheid ist vielmehr - auch im Lichte der vom Kläger geltend gemachten jüngeren Rechtsprechung des BSG zum ZRBG (Urteile vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R und B 13 R 85/08 R, BSGE 103, 190 (Parallelentscheidungen), B 13 R 139/08 R, BSGE 103, 201; Urteil vom 3.6.2009, B 5 R 26/08 R, BSGE 103, 220) - anfänglich objektiv rechtmäßig. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung.
Nach § 35 S. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die allgemeine Wartezeit beträgt nach § 50 Abs. 1 S. 1 vor Nr. 1 SGB VI fünf Jahre. Auf die allgemeine Wartezeit werden gemäß § 51 Abs. 1 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. Beitragszeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Als eine solche Vorschrift erweist sich § 2 Abs. 1 ZRBG. Der Kläger kann vorliegend keine Ghettobeitragszeiten im Sinne dieser Vorschrift geltend machen. Denn die für die Annahme von Ghettobeitragszeiten - mindestens im Umfang eines Kalendermonats - erforderlichen Umstände sind nicht glaubhaft gemacht.
Nach der Vorschrift des den Anwendungsbereich des ZRBG bestimmenden § 1 ZRBG gilt dieses Gesetz nur für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und gegen Entgelt ausgeübt wurde (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) und b) ZRBG). "Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto" i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG erfasst jegliche Beschäftigung innerhalb und außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos, die von Verfolgten ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R). Beschäftigung in diesem Sinne meint - wie der Beschäftigungsbegriff im übrigen Sozialversicherungsrecht auch - jede nicht selbständige Arbeit (LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, veröffentlicht unter www.juris.de). Anhaltspunkte für das Bestehen einer solchen Arbeit sind eine von Weisungen eines anderen hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung abhängige Tätigkeit sowie eine gewisse funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens oder Weisungsgebers, wobei die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit maßgeblich sind (LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, a.a.O.). Eine Beschäftigung wurde "gegen Entgelt" im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) ZRBG ausgeübt, wenn für die geleistete Arbeit irgendeine Art der Entlohnung erhalten wurde, ob in Geld, Naturalien oder in Gutscheinen, unabhängig von Quantität, Qualität und Transferweg (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 139/08 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 5).
Die Beschäftigung ist "aus eigenem Willensentschluss" im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) ZRBG - im Unterschied zu Zwangsarbeit - zustande gekommen, wenn der Ghetto-Bewohner hinsichtlich des Zustandekommens oder der Durchführung der Arbeit noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R). Auch die Annahme einer vom Judenrat angebotenen Arbeit ist eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 81/08 R). Schließlich steht auch ein bestimmtes Lebensalter im Sinne einer Altersuntergrenze nicht der Annahme einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommen Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) ZRBG entgegen (BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 139/08 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 5; BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 61/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr 2). So ist im Hinblick auf die grundsätzliche Arbeitsfähigkeit jedenfalls elf- und zwölfjähriger Kinder, die in diesem Alter unter den extremen Verhältnissen des Ghettos bereits denselben Bedingungen wie Erwachsene unterlagen, ein freier Willensentschluss zur Aufnahme und Ausübung einer bestimmten Arbeit in der Rechtsprechung bejaht worden, wenn es sich der Art nach um solche Verrichtungen handelte, die Kinder körperlich zu leisten im Stande sind und die insofern als typische Kinderarbeit angesehen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3; LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, a.a.O.; nachgehend BSG, Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 139/08 R, a.a.O.; LSG NRW, Urteil vom 28.1.2008, L 8 RJ 139/04, veröffentlicht unter www.juris.de). Allerdings ist bei besonders jungen Ghettobewohnern zu prüfen, ob die gesamten Umstände des Einzelfalls (z.B. nach der Art der angegebenen Arbeit an sich, nach den dafür erforderlichen Anforderungen an die individuelle Körperkraft, nach den dafür erforderlichen Anforderungen an die kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten und an das Ausdauer- und Konzentrationsvermögen sowie nach den sonstigen Rahmenbedingungen, unter denen die angegebenen Verrichtungen erfolgten) noch für einen eigenen Willensentschluss im Sinne einer freien Willensentscheidung zur Aufnahme einer Beschäftigung sprechen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, a.a.O.).
Für die Feststellung der für die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) und b) ZRBG erforderlichen Tatsachen genügt es nach § 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22.12.1970 in der ab 1.1.1992 geltenden Fassung (WGSVG), wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende Umstände zu berücksichtigen. Bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten muss das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sein, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Tatsache spricht (LSG NRW, Urteil vom 1.9.2006, L 4 R 145/05, veröffentlicht unter www.juris.de).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, im Ghetto Bershad in der Zeit von November 1941 bis März 1944 eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, ausgeübt zu haben. Zum einen bestand - zur Überzeugung des Senats - allenfalls die bloße Möglichkeit, dass der Kläger die von ihm angegebenen Tätigkeiten (in der deutschen Kommandantur: Raumreinigung, Fußböden waschen, reinigen, fegen, Staub entfernen, Heizholzscheite tragen, Abfall wegtragen, Wasser tragen; im Versorgungslager für die deutsche Armee: Gemüse sortieren) dort auch verrichtet hat. Im Hinblick auf das junge Lebensalter des Klägers - zu Beginn der behaupteten Beschäftigung im November 1941 war er 16 Monate alt - war es mindestens ebenso wahrscheinlich, dass es dem Kläger an der körperlichen Kraft wie an den motorischen Fähigkeiten fehlte, Wasser, Holzscheite und Abfall zu tragen sowie Fußböden zu waschen und zu reinigen. Selbst wenn man es gegen Ende des Ghettoaufenthaltes, als der Kläger drei Jahre und neun Monate alt war, als überwiegend wahrscheinlich ansähe, dass er die muskulären wie motorischen Fähigkeiten gehabt habe, diese Tätigkeiten zu verrichten, so bestand durchgehend allenfalls eine bloße Möglichkeit, dass der Kläger diese Arbeiten aus eigenem Willensentschluss angenommen hat. Es war zur Überzeugung des Senats ebenso wahrscheinlich, dass es dem Kläger an den erforderlichen Anforderungen an die kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten sowie an das Ausdauer- und Konzentrationsvermögen fehlte, aus eigenem Willensentschluss eine Tätigkeit aufzunehmen und über mehrere Stunden hinweg täglich die vorgetragenen Verrichtungen auszuführen. Es ist ebenso gut möglich, dass der Kläger von seiner Mutter zum Schutz zur Arbeit mitgenommen wurde und dass sich die Tätigkeiten als "Spielbeschäftigungen" erwiesen, welche die arbeitende Mutter dem Kläger aufgab, damit sie an ihrem Arbeitsplatz auch ihrer Arbeit nachgehen und ihren Sohn zugleich betreuen wie beaufsichtigen konnte. Dass der Bruder des Klägers nach dessen Vortrag für die gleichen Arbeiten und betreffend den gleichen Zeitraum (November 1941 bis März 1944) eine "Ghettorente" bekommen haben soll, ändert nichts an dieser Bewertung. Zum einen war der nach den Angaben des Klägers 1937 geborene Bruder bereits zu Beginn des Ghettoaufenthaltes älter als der Kläger zu dessen Ende. Zum anderen ist streitgegenständlich allein ein etwaiger Regelaltersrentenanspruch des Klägers und nicht des Bruders des Klägers. Zeugen gibt es nach dem eigenen Bekunden des Klägers nicht mehr. Dem Senat diente zur Überzeugungsbildung insbesondere die eigene - teils aktuelle Erfahrung - einzelner Senatsmitglieder im täglichen Umgang mit Kleinkindern, die üblicherweise - wie es das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat - im Alter von 16 Monaten gerade den motorischen Vorgang des selbständigen und sicheren Laufens erlernt haben und zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr im allgemeinen sauber werden sowie sich in einfachen Sätzen sprachlich verständigen können.
Ausführungen zu den weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 ZRBG (insbesondere zur Existenz des Ghettos Bershad im geltend gemachten Zeitraum und zur Zugehörigkeit dieses in Transnistrien gelegenen Ghettos zu einem Gebiet, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war) erübrigten sich.
Ob der Kläger - entsprechend seines Vortrags - künftig Anspruch auf eine andere Rentenleistung als diejenige der Altersrente oder auf eine weitere Entschädigungsleistung haben kann, war nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits zur Überprüfung der anfänglichen Rechtswidrigkeit des Altersrente nach dem SGB VI ablehnenden Bescheides vom 8.1.2003.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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