Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 AL 417/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 349/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Hebt die Agentur für Arbeit einen Rücknahme und Erstattungsbescheid nach mehr als einem Jahr wieder auf und erlässt einen neuen Rücknahme und Erstattungsbescheid, so steht der Rechtmäßigkeit die Nichteinhaltung der Jahresfrist entgegen, wenn keine neuen Tatsachen vorliegen und sich die Rechtslage nicht geändert hat.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2011 und der Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 teilweise in Bezug auf die Rücknahme der Arbeitslosenhilfe-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattungsforderung in Höhe von 22.488,22 EUR aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattung überzahlter Leistungen einschließlich überzahlter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.
Nach Erschöpfung ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld bezog die Klägerin ab dem 03.07.1995 mit kürzeren Unterbrechungen Alhi von der Beklagten. In den jeweiligen Anträgen gab die Klägerin bis zum Fortzahlungsantrag zum 01.08.2003 an, keine Vermögenswerte zu besitzen.
Nachdem die Beklagte erfahren hatte, die Klägerin und ihr Ehemann hätten in der Zeit vom 09.05.1992 bis 22.08.2001 insgesamt 383.860 DM, vom 15.02.2002 bis 30.07.2002 insgesamt 9.200 EUR und vom 10.10.2002 bis 29.01.2003 insgesamt 5.700 EUR in die Türkei überwiesen, erklärte die Klägerin im Rahmen der Anhörung, es habe sich um Überweisungen zur Unterstützung von Verwandten in der Türkei gehandelt. Mit Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008 nahm die Beklagte die Alhi-Bewilligung ab 01.08.1998 nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ganz zurück und forderte die Klägerin zur Erstattung von insgesamt 30.524,75 EUR (Alhi und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) auf.
Dagegen hat die Klägerin Klage (Az: S 1 AL 375/08) beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2009 stellte der Vorsitzende fest, die letzte nachweisbare große Vermögenssumme sei ab dem 12.04.2002 verbraucht gewesen. Danach lägen keine Anhaltspunkte mehr für ein Vermögen der Eheleute vor. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Angaben der Klägerin im Antrag vom 12.07.2002 zu ihrer Bedürftigkeit zutreffend seien. Auf Vorschlag des Vorsitzenden schlossen die Beteiligten daraufhin folgenden Vergleich:
"1. Die Beklagte stellt die Rückforderungssumme im Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008 unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin im Antrag vom 12.07.2002 zutreffende Angaben gemacht hat, rechtsmittelfähig neu fest.
2. Die Beklagte erstattet dem Bevollmächtigten der Klägerin 1/3 der außergerichtlichen Kosten für das Vorverfahren.
3. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der anhängige Rechtsstreit damit in vollem Umfang erledigt ist."
Mit Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 nahm die Beklagte daraufhin unter dem Betreff "Vollzug des Vergleichs beim Sozialgericht vom 28.10.2009; Rücknahme- und Erstattungsbescheid; Mein Bescheid vom 20.03.2008 - Rücknahme- und Erstattungsbescheid - ist somit als gegenstandslos zu betrachten" die Bewilligung von Alhi vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X ganz zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen iHv insgesamt 22.488,22 EUR (Alhi sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge). Nach Abzug der anerkannten Unterhaltszahlungen ergebe sich aus den Überweisungen in die Türkei noch ein Vermögen von 360.210 DM, das den Vermögensfreibetrag von 16.000 DM übersteige. Es habe damit keine Bedürftigkeit bestanden. Das Vermögen sei nicht angegeben worden, die Klägerin habe falsche Angaben gemacht.
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim SG erhoben. Die Beklagte stütze ihre Behauptungen nur auf Vermutungen. Vermögen vor dem 01.08.1998 sei unerheblich. Die Überweisungsbeträge bis 1998 würden als verbraucht gelten. Rechtsmittel gegen den Bescheid seien möglich, man habe eine vollständige rechtsmittelfähige Neuverbescheidung vereinbart. Mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da ihr der zwischen den Beteiligten geschlossene Vergleich im Verfahren S 1 AL 375/08 entgegenstehe. In der damaligen Sitzung sei der Vorsitzende davon ausgegangen, dass ab dem 12.07.2002 eine Bedürftigkeit der Klägerin vorgelegen habe. Deshalb hätten die Beteiligten vereinbart, dass die Rückforderungssumme nochmals rechtsmittelfähig festgesetzt, nicht jedoch eine erneut angreifbare Rücknahmeentscheidung getroffen werden sollte. Die Beklagte habe im Bescheid vom 26.03.2010 nur über die Rückforderungssumme neu entschieden. Der Vergleich habe auch die Zeit vor dem 12.07.2002 erfasst, insofern sollte die vorhergehende Aufhebung und Rückforderung rechtskräftig bestehen bleiben. Hierfür spreche neben dem Wortlaut von Ziffer 1. des Vergleichs die Kostenerstattung von 1/3, was dem Verhältnis der neu festgesetzten Summe zur ursprünglichen Forderung entspreche. Andernfalls wäre eine zweite Klagemöglichkeit erster Instanz eröffnet, wofür die Beteiligten kein Motiv gehabt hätten. Für die Unwirksamkeit des Vergleichs würden keine Anhaltspunkte vorliegen.
Dagegen hat die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe zu Unrecht die Unzulässigkeit der Klage angenommen. Nach der Vereinbarung im Vergleich sei klar gewesen, dass ein neuerlicher Bescheid voll rechtsmittelfähig sein sollte. Es sei Verjährung eingetreten und die in Bezug auf das nicht angegebene Vermögen zugrunde gelegten Berechungen und Überlegungen seien nicht haltbar. Im Hinblick auf die Rücknahme des Bescheides vom 20.03.2008 durch den Bescheid vom 26.03.2010 sei die frühere Verfügung gegenstandslos geworden. Die neue Entscheidung berufe sich nicht nur auf den Vergleich, sondern nehme die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 erneut zurück. Der Bescheid habe deshalb vollumfänglich angegriffen werden können. Dafür, dass die ursprüngliche Aufhebung habe bestehen bleiben sollen, ergebe sich aus der Formulierung des Vergleichs nichts.
Die Klägerin beantragt:
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2011 und der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 teilweise in Bezug auf die Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattungsforderung in Höhe von 22.488,22 EUR wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2011 - Az.: S 17 AL 417/10 - zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 ist im Hinblick auf die Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattungsforderung hinsichtlich überzahlter Leistungen iHv 22.488,22 EUR (Alhi, Kranken. und Pflegeversicherungsbeiträge) rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010. Die von der Klägerin dagegen erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) ist entgegen der Annahme des SG zulässig. Zwar ist durch die prozessrechtliche Wirkung des gerichtlichen Vergleichs vom 28.10.2009 der damalige Rechtsstreit vollumfänglich erledigt worden, mithin eine neue Klage in derselben Sache unzulässig (vgl dazu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 101 Rn 10 mwN). Allerdings war nach Ziffer 1. des Vergleichs ausdrücklich eine neue rechtsmittelfähige Feststellung der Rückforderungssumme vereinbart worden, eine Überprüfungsmöglichkeit hinsichtlich des neuen Bescheides sollte ausdrücklich eingeräumt werden. Dementsprechend hat die Beklagte auch zutreffend ihre jeweiligen Rechtsbehelfsbelehrungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid formuliert und insbesondere auf die Zulässigkeit einer Klage dagegen hingewiesen. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 nicht um die bloße Umsetzung des Vergleichs vom 28.10.2009. Mit diesem Bescheid wird nicht alleine die Rückforderungssumme unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin im Antrag vom 12.07.2002 zutreffende Angaben gemacht hat, rechtsmittelfähig neu festgestellt, sondern es wird zunächst der Bescheid vom 20.03.2008 aufgehoben, dann eine neue Rücknahmeentscheidung über den Zeitraum vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 gemäß § 45 SGB X getroffen und schließlich die Erstattungspflicht der gewährten Alhi (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X) bzw der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (§ 335 Abs 1 und Abs 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch -SGB III-) festgesetzt. Es handelt sich damit auch nicht um eine bloß wiederholende Verfügung (vgl dazu Bolay in: Lüdtke, SGG, 4. Aufl, § 141 Rn 44) in Bezug auf den Bescheid vom 20.03.2008, denn die Beklagte hat nicht eine Sachentscheidung unter Hinweis auf das frühere Verfahren abgelehnt hat, sondern in der Sache selbst neu entschieden. Selbst bei Annahme, es würde sich um einen Zweitbescheid handeln, der - teilweise - die bindend gewordene Erstentscheidung im Bescheid vom 20.03.2008 bestätigt, wäre der Klageweg neu eröffnet (vgl BSG, Urteil vom 12.12.1991 - 7 RAr 26/90 - SozR 3-4100 § 94 Nr 1). Auch deshalb ist der Klägerin die Möglichkeit einer Anfechtung in jedem Fall gegeben.
Die Anfechtungsklage richtet sich dabei nicht gegen die zunächst im Bescheid vom 26.03.2010 verfügte Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008. Soweit die Beklagte im Bescheid vom 26.03.2010 ausführt, der Bescheid vom 20.03.2008 sei als gegenstandslos zu betrachten, kann dies nicht anders verstanden werden, als dass der frühere Bescheid aufgehoben wird. Maßstab für die Inhaltsbestimmung der getroffenen Regelung ist allein der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) erkennen kann (BSG, Urteil vom 29.06.1995 - 11 RAr 109/94 - SozR 3-1200 § 53 Nr 8; Urteil vom 28.06.1990 - 4 RA 57/89 - SozR 3-1300 § 32 Nr 2; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 31 Rn 26). Demnach ist der Begriff "gegenstandslos" dahingehend zu verstehen, dass damit eine "Aufhebung" gemeint ist. Neben dem Wortsinn ergibt sich dies vor allem auch daraus, dass die Beklagte im Anschluss daran in ihrem Bescheid vom 26.03.2010 erneut inhaltlich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 geprüft und eine entsprechende Rücknahme verfügt hat. Im Widerspruchsbescheid vom 16.07.2010 erfolgt dies in gleichen Maßen. Dies wäre aber nicht möglich, wenn nicht die bereits bestandene Rücknahmeentscheidung vom 20.03.2008 zuvor aufgehoben worden wäre. Eine Beschwer durch die Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008 ist für die Klägerin dabei nicht gegeben. Selbst wenn man hier keine ausdrückliche Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008 annehmen wollte, so wäre dieser Bescheid jedenfalls durch die im Bescheid vom 26.03.2010 im Weiteren vorgenommene nochmalige Rücknahme- und Erstattungsentscheidung ersetzt worden und hätte sich insofern nach § 39 Abs 2 SGB X erledigt (vgl BSG, Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 64/05 R - juris).
Die im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 verfügte Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 ist rechtswidrig. Unabhängig davon, ob die Klägerin tatsächlich Vermögen oberhalb des Freibetrages besaß und grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X), scheitert eine Rücknahme jedenfalls an der Nichteinhaltung der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X. Danach muss die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit der Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Kenntnis ist gegeben, wenn die Behörde - auch irrtümlich - subjektiv überzeugt ist, dass die ihr vorliegenden Tatsachen für eine Rücknahme der Bewilligung genügen (vgl BSG, Urteil vom 06.04.2006, aaO; Urteil vom 08.02.1996 - 13 RJ 35/94 - SozR 3-1300 § 45 Nr 27; Urteil vom 25.01.1994 - 7 RAr 14/93 - SozR 3-1300 § 48 Nr 32; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 45 Rn 83). Dies ist spätestens zum Zeitpunkt der erstmaligen Aufhebung der Bewilligung der Fall, woran sich auch nichts ändert, wenn sich dieser Aufhebungsbescheid durch Erlass eines neuen Rücknahmebescheides später erledigt (BSG, Urteil vom 06.04.2006, aaO). Die Beklagte hatte jedenfalls bereits am 20.03.2008 Kenntnisse in dem Umfang, dass sie subjektiv davon ausgegangen ist, die Rücknahme der Alhi-Bewilligung ab 01.08.1998 - damit auch hinsichtlich des nunmehr verfügten Zeitraums vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 - sei gerechtfertigt. In Bezug auf die Zeit vor dem 12.07.2002 hat sich an dieser Erkenntnislage auch durch das sozialgerichtliche Verfahren S 1 AL 375/08 nichts geändert. Bereits wegen des Verstoßes gegen das Verfahrensrecht in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X ist damit der Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 im Hinblick auf die Rücknahmeverfügung rechtswidrig und aufzuheben.
Auch die Verfügungen hinsichtlich der Festsetzung der Erstattungsforderung iHv 16.249,06 EUR bezüglich der überzahlten Alhi für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattung der überzahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge iHv insgesamt 6.239,16 EUR im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 erweisen sich als rechtswidrig.
Als Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung scheidet § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X aus, wonach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit ein Veraltungsakt aufgehoben worden ist. Die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 wurde weder durch den Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008 - dieser Bescheid wurde wie oben ausgeführt mit Bescheid vom 26.03.2010 aufgehoben bzw hat sich nach § 39 Abs 2 SGB X erledigt - noch durch die Rücknahmeentscheidung im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 - die Rücknahmeverfügung ist wie oben ausgeführt rechtswidrig - aufgehoben.
Die Forderung der Erstattung von insgesamt 22.488,22 EUR kann sich auch nicht auf Ziffer 1. des Vergleichs vom 28.10.2009 stützen. Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur. So ist er einerseits Prozesshandlung der Beteiligten, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechtes richtet, andererseits öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gilt (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 101 Rn 3 mwN zur Rechtsprechung). Im Hinblick auf die in Ziffer 1. des Vergleichs vereinbarte Neufeststellung der Rückforderungssumme unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin am 12.07.2002 richtige Angaben gemacht hat - mithin die Leistungsbewilligung ab 12.07.2002 rechtmäßig erfolgte -, sollte alleine die von der Klägerin zu erstattenden Leistungen für die Zeit bis 11.07.2002 neu berechnet werden. Die Vereinbarung spricht nicht von einer nochmaligen Prüfung oder Entscheidung über die Aufhebung oder Rücknahme der Alhi-Bewilligung, vielmehr sollte alleine aufgrund von Ziffer I. des Vergleichs die Beklagte eine Rückzahlung der bis 11.07.2002 überzahlten Leistungen von der Klägerin verlangen dürfen. Andernfalls hätte sich der Vergleich nicht auf die Neufeststellung der Rückforderungssumme beschränkt. Auch die Problematik in Bezug auf eine Einhaltung der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X im Falle einer Neuentscheidung über die Rücknahme der Bewilligung nach § 45 SGB X - siehe dazu auch die obigen Ausführungen - spricht für die Entscheidung, nur die Frage der Rückforderungssumme und nicht die Frage Rücknahme der Bewilligung von Alhi zu regeln. Die Auflage, dass die Neufestsetzung rechtsmittelfähig erfolgen sollte, bezieht sich insofern erkennbar alleine auf die richtige Berechnung der Rückforderungssumme. Hierfür sprechen auch die in der Niederschrift vom 28.10.2009 festgehaltenen Ausführungen des Vorsitzenden der 1. Kammer des SG, wonach die letzte nachweisbare große Vermögenssumme ab dem 12.04.2002 verbraucht gewesen sei und danach keine Anhaltspunkte mehr für ein Vermögen der Eheleute bestanden hätten. Daraus folgt aber gerade der sich im Vergleich widerspiegelnde Umkehrschluss, dass bis 11.04.2002 jedenfalls entsprechendes Vermögen bei der Klägerin und ihrem Ehemann vorhanden gewesen sein soll, mithin Alhi zu Unrecht geleistet worden ist.
Der Vergleich vom 28.10.2009 könnte zwar grundsätzlich als öffentlich-rechtlicher Vertrag für sich Rechtsgrundlage für eine Rückforderung sein. Die alleinige Regelung einer Rückforderung ohne eine ihr zugrundeliegende Rücknahme der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung steht zwar im Widerspruch zu den Regelungen der materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X, verstößt aber inhaltlich nicht gegen ein gesetzliches Verbot iSd §§ 134, 138 BGB, weshalb dies den Vergleich noch nicht unwirksam macht (vgl BSG, Urteil vom 17.05.1989 - 10 RKg 16/88 - SozR 1500 § 101 Nr 8 mwN; Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 101 Rn 7b). Allerdings hat die Beklagte mit der - so von ihr zwar erklärten, aber ggf. nicht gewollten - Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008 auf die Durchsetzung des ihr im Vergleich zugestandenen Rückforderungsrechts verzichtet. Der Vergleich bezieht sich auf eine Neufestsetzung der Rückforderungssumme aus dem Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008. Dieser ist aber gerade aufgehoben worden, weshalb eine Neufestsetzung der dort geregelten Rückforderungssumme ausscheidet. Die vom Vergleich - offensichtlich bewusst - unberührt gelassene Aufhebung der Alhi-Bewilligung ab 01.08.1998, die Grundlage für die Rückforderung ist, ist entfallen.
Im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit der Rückforderung nach § 50 SGB X im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 ist auch die Erstattungsforderung der geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge rechtswidrig, da diese nach § 330 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 5 SGB III voraussetzt, dass die Bewilligungsentscheidung über die Gewährung der Alhi rückwirkend aufgehoben und die Alhi zurückgefordert wird.
Über die Berufung konnte der Senat in der Sache entscheiden, obwohl das SG die Klage abgewiesen hat, ohne selbst in der Sache zu entscheiden (§ 159 Abs 1 Nr 1 SGG). Die Zurückverweisung steht nach § 159 Abs 1 SGG im Ermessen des Senats. Nachdem der Sachverhalt vorliegend geklärt ist und ohne eine Zurückverweisung die Erledigung des Verfahrens beschleunigt werden kann, übt der Senat sein Ermessen auch unter Berücksichtigung des Verlustes einer Instanz dahingehend aus, dass er selbst in der Sache entscheidet.
Damit waren der Gerichtsbescheid des SG und der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 in Bezug auf die Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattungsforderung der für die Zeit gewährten Leistungen aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattung überzahlter Leistungen einschließlich überzahlter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.
Nach Erschöpfung ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld bezog die Klägerin ab dem 03.07.1995 mit kürzeren Unterbrechungen Alhi von der Beklagten. In den jeweiligen Anträgen gab die Klägerin bis zum Fortzahlungsantrag zum 01.08.2003 an, keine Vermögenswerte zu besitzen.
Nachdem die Beklagte erfahren hatte, die Klägerin und ihr Ehemann hätten in der Zeit vom 09.05.1992 bis 22.08.2001 insgesamt 383.860 DM, vom 15.02.2002 bis 30.07.2002 insgesamt 9.200 EUR und vom 10.10.2002 bis 29.01.2003 insgesamt 5.700 EUR in die Türkei überwiesen, erklärte die Klägerin im Rahmen der Anhörung, es habe sich um Überweisungen zur Unterstützung von Verwandten in der Türkei gehandelt. Mit Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008 nahm die Beklagte die Alhi-Bewilligung ab 01.08.1998 nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ganz zurück und forderte die Klägerin zur Erstattung von insgesamt 30.524,75 EUR (Alhi und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) auf.
Dagegen hat die Klägerin Klage (Az: S 1 AL 375/08) beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2009 stellte der Vorsitzende fest, die letzte nachweisbare große Vermögenssumme sei ab dem 12.04.2002 verbraucht gewesen. Danach lägen keine Anhaltspunkte mehr für ein Vermögen der Eheleute vor. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Angaben der Klägerin im Antrag vom 12.07.2002 zu ihrer Bedürftigkeit zutreffend seien. Auf Vorschlag des Vorsitzenden schlossen die Beteiligten daraufhin folgenden Vergleich:
"1. Die Beklagte stellt die Rückforderungssumme im Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008 unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin im Antrag vom 12.07.2002 zutreffende Angaben gemacht hat, rechtsmittelfähig neu fest.
2. Die Beklagte erstattet dem Bevollmächtigten der Klägerin 1/3 der außergerichtlichen Kosten für das Vorverfahren.
3. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der anhängige Rechtsstreit damit in vollem Umfang erledigt ist."
Mit Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 nahm die Beklagte daraufhin unter dem Betreff "Vollzug des Vergleichs beim Sozialgericht vom 28.10.2009; Rücknahme- und Erstattungsbescheid; Mein Bescheid vom 20.03.2008 - Rücknahme- und Erstattungsbescheid - ist somit als gegenstandslos zu betrachten" die Bewilligung von Alhi vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X ganz zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen iHv insgesamt 22.488,22 EUR (Alhi sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge). Nach Abzug der anerkannten Unterhaltszahlungen ergebe sich aus den Überweisungen in die Türkei noch ein Vermögen von 360.210 DM, das den Vermögensfreibetrag von 16.000 DM übersteige. Es habe damit keine Bedürftigkeit bestanden. Das Vermögen sei nicht angegeben worden, die Klägerin habe falsche Angaben gemacht.
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim SG erhoben. Die Beklagte stütze ihre Behauptungen nur auf Vermutungen. Vermögen vor dem 01.08.1998 sei unerheblich. Die Überweisungsbeträge bis 1998 würden als verbraucht gelten. Rechtsmittel gegen den Bescheid seien möglich, man habe eine vollständige rechtsmittelfähige Neuverbescheidung vereinbart. Mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da ihr der zwischen den Beteiligten geschlossene Vergleich im Verfahren S 1 AL 375/08 entgegenstehe. In der damaligen Sitzung sei der Vorsitzende davon ausgegangen, dass ab dem 12.07.2002 eine Bedürftigkeit der Klägerin vorgelegen habe. Deshalb hätten die Beteiligten vereinbart, dass die Rückforderungssumme nochmals rechtsmittelfähig festgesetzt, nicht jedoch eine erneut angreifbare Rücknahmeentscheidung getroffen werden sollte. Die Beklagte habe im Bescheid vom 26.03.2010 nur über die Rückforderungssumme neu entschieden. Der Vergleich habe auch die Zeit vor dem 12.07.2002 erfasst, insofern sollte die vorhergehende Aufhebung und Rückforderung rechtskräftig bestehen bleiben. Hierfür spreche neben dem Wortlaut von Ziffer 1. des Vergleichs die Kostenerstattung von 1/3, was dem Verhältnis der neu festgesetzten Summe zur ursprünglichen Forderung entspreche. Andernfalls wäre eine zweite Klagemöglichkeit erster Instanz eröffnet, wofür die Beteiligten kein Motiv gehabt hätten. Für die Unwirksamkeit des Vergleichs würden keine Anhaltspunkte vorliegen.
Dagegen hat die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe zu Unrecht die Unzulässigkeit der Klage angenommen. Nach der Vereinbarung im Vergleich sei klar gewesen, dass ein neuerlicher Bescheid voll rechtsmittelfähig sein sollte. Es sei Verjährung eingetreten und die in Bezug auf das nicht angegebene Vermögen zugrunde gelegten Berechungen und Überlegungen seien nicht haltbar. Im Hinblick auf die Rücknahme des Bescheides vom 20.03.2008 durch den Bescheid vom 26.03.2010 sei die frühere Verfügung gegenstandslos geworden. Die neue Entscheidung berufe sich nicht nur auf den Vergleich, sondern nehme die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 erneut zurück. Der Bescheid habe deshalb vollumfänglich angegriffen werden können. Dafür, dass die ursprüngliche Aufhebung habe bestehen bleiben sollen, ergebe sich aus der Formulierung des Vergleichs nichts.
Die Klägerin beantragt:
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2011 und der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 teilweise in Bezug auf die Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattungsforderung in Höhe von 22.488,22 EUR wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2011 - Az.: S 17 AL 417/10 - zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 ist im Hinblick auf die Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattungsforderung hinsichtlich überzahlter Leistungen iHv 22.488,22 EUR (Alhi, Kranken. und Pflegeversicherungsbeiträge) rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010. Die von der Klägerin dagegen erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) ist entgegen der Annahme des SG zulässig. Zwar ist durch die prozessrechtliche Wirkung des gerichtlichen Vergleichs vom 28.10.2009 der damalige Rechtsstreit vollumfänglich erledigt worden, mithin eine neue Klage in derselben Sache unzulässig (vgl dazu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 101 Rn 10 mwN). Allerdings war nach Ziffer 1. des Vergleichs ausdrücklich eine neue rechtsmittelfähige Feststellung der Rückforderungssumme vereinbart worden, eine Überprüfungsmöglichkeit hinsichtlich des neuen Bescheides sollte ausdrücklich eingeräumt werden. Dementsprechend hat die Beklagte auch zutreffend ihre jeweiligen Rechtsbehelfsbelehrungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid formuliert und insbesondere auf die Zulässigkeit einer Klage dagegen hingewiesen. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 nicht um die bloße Umsetzung des Vergleichs vom 28.10.2009. Mit diesem Bescheid wird nicht alleine die Rückforderungssumme unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin im Antrag vom 12.07.2002 zutreffende Angaben gemacht hat, rechtsmittelfähig neu festgestellt, sondern es wird zunächst der Bescheid vom 20.03.2008 aufgehoben, dann eine neue Rücknahmeentscheidung über den Zeitraum vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 gemäß § 45 SGB X getroffen und schließlich die Erstattungspflicht der gewährten Alhi (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X) bzw der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (§ 335 Abs 1 und Abs 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch -SGB III-) festgesetzt. Es handelt sich damit auch nicht um eine bloß wiederholende Verfügung (vgl dazu Bolay in: Lüdtke, SGG, 4. Aufl, § 141 Rn 44) in Bezug auf den Bescheid vom 20.03.2008, denn die Beklagte hat nicht eine Sachentscheidung unter Hinweis auf das frühere Verfahren abgelehnt hat, sondern in der Sache selbst neu entschieden. Selbst bei Annahme, es würde sich um einen Zweitbescheid handeln, der - teilweise - die bindend gewordene Erstentscheidung im Bescheid vom 20.03.2008 bestätigt, wäre der Klageweg neu eröffnet (vgl BSG, Urteil vom 12.12.1991 - 7 RAr 26/90 - SozR 3-4100 § 94 Nr 1). Auch deshalb ist der Klägerin die Möglichkeit einer Anfechtung in jedem Fall gegeben.
Die Anfechtungsklage richtet sich dabei nicht gegen die zunächst im Bescheid vom 26.03.2010 verfügte Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008. Soweit die Beklagte im Bescheid vom 26.03.2010 ausführt, der Bescheid vom 20.03.2008 sei als gegenstandslos zu betrachten, kann dies nicht anders verstanden werden, als dass der frühere Bescheid aufgehoben wird. Maßstab für die Inhaltsbestimmung der getroffenen Regelung ist allein der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) erkennen kann (BSG, Urteil vom 29.06.1995 - 11 RAr 109/94 - SozR 3-1200 § 53 Nr 8; Urteil vom 28.06.1990 - 4 RA 57/89 - SozR 3-1300 § 32 Nr 2; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 31 Rn 26). Demnach ist der Begriff "gegenstandslos" dahingehend zu verstehen, dass damit eine "Aufhebung" gemeint ist. Neben dem Wortsinn ergibt sich dies vor allem auch daraus, dass die Beklagte im Anschluss daran in ihrem Bescheid vom 26.03.2010 erneut inhaltlich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 geprüft und eine entsprechende Rücknahme verfügt hat. Im Widerspruchsbescheid vom 16.07.2010 erfolgt dies in gleichen Maßen. Dies wäre aber nicht möglich, wenn nicht die bereits bestandene Rücknahmeentscheidung vom 20.03.2008 zuvor aufgehoben worden wäre. Eine Beschwer durch die Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008 ist für die Klägerin dabei nicht gegeben. Selbst wenn man hier keine ausdrückliche Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008 annehmen wollte, so wäre dieser Bescheid jedenfalls durch die im Bescheid vom 26.03.2010 im Weiteren vorgenommene nochmalige Rücknahme- und Erstattungsentscheidung ersetzt worden und hätte sich insofern nach § 39 Abs 2 SGB X erledigt (vgl BSG, Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 64/05 R - juris).
Die im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 verfügte Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 ist rechtswidrig. Unabhängig davon, ob die Klägerin tatsächlich Vermögen oberhalb des Freibetrages besaß und grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X), scheitert eine Rücknahme jedenfalls an der Nichteinhaltung der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X. Danach muss die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit der Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Kenntnis ist gegeben, wenn die Behörde - auch irrtümlich - subjektiv überzeugt ist, dass die ihr vorliegenden Tatsachen für eine Rücknahme der Bewilligung genügen (vgl BSG, Urteil vom 06.04.2006, aaO; Urteil vom 08.02.1996 - 13 RJ 35/94 - SozR 3-1300 § 45 Nr 27; Urteil vom 25.01.1994 - 7 RAr 14/93 - SozR 3-1300 § 48 Nr 32; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 45 Rn 83). Dies ist spätestens zum Zeitpunkt der erstmaligen Aufhebung der Bewilligung der Fall, woran sich auch nichts ändert, wenn sich dieser Aufhebungsbescheid durch Erlass eines neuen Rücknahmebescheides später erledigt (BSG, Urteil vom 06.04.2006, aaO). Die Beklagte hatte jedenfalls bereits am 20.03.2008 Kenntnisse in dem Umfang, dass sie subjektiv davon ausgegangen ist, die Rücknahme der Alhi-Bewilligung ab 01.08.1998 - damit auch hinsichtlich des nunmehr verfügten Zeitraums vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 - sei gerechtfertigt. In Bezug auf die Zeit vor dem 12.07.2002 hat sich an dieser Erkenntnislage auch durch das sozialgerichtliche Verfahren S 1 AL 375/08 nichts geändert. Bereits wegen des Verstoßes gegen das Verfahrensrecht in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X ist damit der Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 im Hinblick auf die Rücknahmeverfügung rechtswidrig und aufzuheben.
Auch die Verfügungen hinsichtlich der Festsetzung der Erstattungsforderung iHv 16.249,06 EUR bezüglich der überzahlten Alhi für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattung der überzahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge iHv insgesamt 6.239,16 EUR im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 erweisen sich als rechtswidrig.
Als Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung scheidet § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X aus, wonach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit ein Veraltungsakt aufgehoben worden ist. Die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 wurde weder durch den Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008 - dieser Bescheid wurde wie oben ausgeführt mit Bescheid vom 26.03.2010 aufgehoben bzw hat sich nach § 39 Abs 2 SGB X erledigt - noch durch die Rücknahmeentscheidung im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 - die Rücknahmeverfügung ist wie oben ausgeführt rechtswidrig - aufgehoben.
Die Forderung der Erstattung von insgesamt 22.488,22 EUR kann sich auch nicht auf Ziffer 1. des Vergleichs vom 28.10.2009 stützen. Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur. So ist er einerseits Prozesshandlung der Beteiligten, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechtes richtet, andererseits öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gilt (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 101 Rn 3 mwN zur Rechtsprechung). Im Hinblick auf die in Ziffer 1. des Vergleichs vereinbarte Neufeststellung der Rückforderungssumme unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin am 12.07.2002 richtige Angaben gemacht hat - mithin die Leistungsbewilligung ab 12.07.2002 rechtmäßig erfolgte -, sollte alleine die von der Klägerin zu erstattenden Leistungen für die Zeit bis 11.07.2002 neu berechnet werden. Die Vereinbarung spricht nicht von einer nochmaligen Prüfung oder Entscheidung über die Aufhebung oder Rücknahme der Alhi-Bewilligung, vielmehr sollte alleine aufgrund von Ziffer I. des Vergleichs die Beklagte eine Rückzahlung der bis 11.07.2002 überzahlten Leistungen von der Klägerin verlangen dürfen. Andernfalls hätte sich der Vergleich nicht auf die Neufeststellung der Rückforderungssumme beschränkt. Auch die Problematik in Bezug auf eine Einhaltung der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X im Falle einer Neuentscheidung über die Rücknahme der Bewilligung nach § 45 SGB X - siehe dazu auch die obigen Ausführungen - spricht für die Entscheidung, nur die Frage der Rückforderungssumme und nicht die Frage Rücknahme der Bewilligung von Alhi zu regeln. Die Auflage, dass die Neufestsetzung rechtsmittelfähig erfolgen sollte, bezieht sich insofern erkennbar alleine auf die richtige Berechnung der Rückforderungssumme. Hierfür sprechen auch die in der Niederschrift vom 28.10.2009 festgehaltenen Ausführungen des Vorsitzenden der 1. Kammer des SG, wonach die letzte nachweisbare große Vermögenssumme ab dem 12.04.2002 verbraucht gewesen sei und danach keine Anhaltspunkte mehr für ein Vermögen der Eheleute bestanden hätten. Daraus folgt aber gerade der sich im Vergleich widerspiegelnde Umkehrschluss, dass bis 11.04.2002 jedenfalls entsprechendes Vermögen bei der Klägerin und ihrem Ehemann vorhanden gewesen sein soll, mithin Alhi zu Unrecht geleistet worden ist.
Der Vergleich vom 28.10.2009 könnte zwar grundsätzlich als öffentlich-rechtlicher Vertrag für sich Rechtsgrundlage für eine Rückforderung sein. Die alleinige Regelung einer Rückforderung ohne eine ihr zugrundeliegende Rücknahme der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung steht zwar im Widerspruch zu den Regelungen der materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X, verstößt aber inhaltlich nicht gegen ein gesetzliches Verbot iSd §§ 134, 138 BGB, weshalb dies den Vergleich noch nicht unwirksam macht (vgl BSG, Urteil vom 17.05.1989 - 10 RKg 16/88 - SozR 1500 § 101 Nr 8 mwN; Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 101 Rn 7b). Allerdings hat die Beklagte mit der - so von ihr zwar erklärten, aber ggf. nicht gewollten - Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2008 auf die Durchsetzung des ihr im Vergleich zugestandenen Rückforderungsrechts verzichtet. Der Vergleich bezieht sich auf eine Neufestsetzung der Rückforderungssumme aus dem Bescheid vom 20.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008. Dieser ist aber gerade aufgehoben worden, weshalb eine Neufestsetzung der dort geregelten Rückforderungssumme ausscheidet. Die vom Vergleich - offensichtlich bewusst - unberührt gelassene Aufhebung der Alhi-Bewilligung ab 01.08.1998, die Grundlage für die Rückforderung ist, ist entfallen.
Im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit der Rückforderung nach § 50 SGB X im Bescheid vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 ist auch die Erstattungsforderung der geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge rechtswidrig, da diese nach § 330 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 5 SGB III voraussetzt, dass die Bewilligungsentscheidung über die Gewährung der Alhi rückwirkend aufgehoben und die Alhi zurückgefordert wird.
Über die Berufung konnte der Senat in der Sache entscheiden, obwohl das SG die Klage abgewiesen hat, ohne selbst in der Sache zu entscheiden (§ 159 Abs 1 Nr 1 SGG). Die Zurückverweisung steht nach § 159 Abs 1 SGG im Ermessen des Senats. Nachdem der Sachverhalt vorliegend geklärt ist und ohne eine Zurückverweisung die Erledigung des Verfahrens beschleunigt werden kann, übt der Senat sein Ermessen auch unter Berücksichtigung des Verlustes einer Instanz dahingehend aus, dass er selbst in der Sache entscheidet.
Damit waren der Gerichtsbescheid des SG und der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 in Bezug auf die Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 01.08.1998 bis 11.07.2002 und die Erstattungsforderung der für die Zeit gewährten Leistungen aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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