S 38 KA 5151/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5151/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
S
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage (02.08.2010) ist der Bescheid des beklagten Berufungsausschusses vom 20.05.2010, mit dem der Bescheid des Zulassungsausschusses aufgehoben (Dem Antrag der Arge der Krankenkassenverbände auf Entziehung der Zulassung wurde durch den Zulassungsausschuss nicht entsprochen.) und der Entzug der Zulassung wegen gröblicher Pflichtverletzungen des Klägers (95 Abs. 6 SGG) ausgesprochen wurde. Grundlage war der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts H. vom 03.06.2008 (Az. 1 Cs 107 Js 7204/03). Dem Kläger wurden 21 tatmehrheitliche Fälle von gewerbsmäßigem Betrug im Zeitraum Januar 2000 bis Mai 2003 mit einer Schadenssumme in Höhe von 9151,91 EUR zur Last gelegt. Er wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Zur Begründung führte der Beklagte aus, gemäß § 410 Absatz 3 StPO habe der Strafbefehl die Wirkung eines rechtskräftigen Strafurteils erlangt. Die Verwertung der Feststellungen aus dem rechtskräftig abgeschlossenen Strafbefehlsverfahren unterlägen keinen Einschränkungen. Der Kläger habe seine Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verletzt. Die angeordnete Entziehung der Zulassung sei auch verhältnismäßig, da sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragszahnärztlichen Versorgung darstelle und eine mildere Maßnahme diesem Zweck nicht mehr gerecht werde. Auch ein Wohlverhalten sei nicht festzustellen. In diesem Zusammenhang könne auch nicht außer Betracht bleiben, dass der eingetretene Schaden bis heute nicht vollständig wieder gutgemacht worden sei. Im Übrigen könne eine Änderung des Abrechnungsverhaltens nur während der langen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens als berücksichtigungsfähig angesehen werden. Auch der Umstand der insgesamt relativ langen Verfahrensdauer - Dauer des Strafverfahrens bedingt durch die Komplexität des Sachverhalts und durch die wiederholt durchzuführenden Beschlagnahmemaßnahmen der Patientenunterlagen - stehe einem Zulassungsentziehungsverfahren nicht entgegen. Es sei geboten gewesen, die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde abzuwarten und dann aufgrund rechtskräftig gewordener strafgerichtlicher Feststellungen einzuschreiten. Deshalb sei erst nach Kenntnis im Jahr 2009 durch die Arge der Krankenkassenverbände am 22. Juni 2009 der Antrag auf Entziehung der Zulassung gestellt worden.

Gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte aus, der Entzug der Zulassung nach § 95 Abs. 6 SGB V sei aus mehreren Gründen nicht gerechtfertigt. So sei bereits fraglich, ob eine gröbliche Pflichtverletzung vorliege, zumal die Verfehlungen im Zeitraum 2001-2003 begangen worden seien. Jedenfalls sei das Vertrauensverhältnis nicht so nachhaltig gestört, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr zumutbar sei. Zu berücksichtigen sei ferner, dass es sich um wenige Einzelfälle über einen Zeitraum von drei Jahren gehandelt habe. Motivation des Klägers sei nicht gewesen, sich persönlich zu bereichern, sondern den Patienten eine adäquate Versorgung zukommen zu lassen. Unzutreffend sei ferner, der Kläger habe den Schaden nicht vollständig wieder gutgemacht. Dem Kläger sei vielmehr nicht bekannt, dass noch ein Betrag offen sei. Hinzu komme, dass das "Wohlverhalten" des Klägers hätte berücksichtigt werden müssen. Immerhin habe der Kläger sein Verhalten bereits schon im Jahr 2003 entsprechend geändert und es sei seither zu keinerlei Beanstandungen mehr gekommen.

Mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 04.06.2009 wurde die Approbation des Klägers widerrufen. Dagegen legte der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München ein, welches mit Urteil vom 20.10.2009 (Az: M 16 K 09.3072) entschied. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde zurückgewiesen, so dass der "Wider-ruf der Approbation" am 05.05.2010 rechtskräftig wurde. Daraufhin wurde mit Bescheid der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns vom 14.07.2010 der Kläger aus dem Zahnarztregister gestrichen. Dagegen wurde Widerspruch eingelegt. Am 01.09.2010 wurde, gestützt auf § 27 Zulassungsverordnung für Zahnärzte (ZA-ZV) in Verbindung mit § 95 Abs. 6 SGB V ebenfalls der Entzug der Zulassung durch den Zulassungsausschuss ausgesprochen, da die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr vorliegen würden. Die Entscheidung des Zulassungsausschusses wurde dann durch den beklagten Berufungsausschuss in der Sitzung vom 07.04.2011 bestätigt und zum Ausdruck gebracht, es gebe keinen Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Die dagegen eingelegte Klage zum Sozialgericht München wurde unter dem Az. S 38 KA 5088/11 geführt. Die beigeladene AOK teilte mit Schreiben vom 23.08.2012 mit, der Kläger habe zwischenzeitlich die Approbation wieder erhalten (Wiedererlangung Approbation am 02.07.2012) und sei wieder in das Zahnarztregister eingetragen (Eintragung in das Zahnarztregister am 12.07.2012). Daraufhin teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 30.10.2012 mit, an der Fortführung des Klageverfahrens bestehe seitens des Klägers kein Interesse mehr. Das Interesse des Klägers an dem Verfahren habe sich insoweit erledigt. Dieses Schreiben wurde dem Beklagten zugesandt, der ausführte, seitens des Beklagten werde der Erledigterklärung zugestimmt. Mit Schreiben vom 21.11.2012 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, sei-ne Mitteilung vom 30.10.2012 stelle keine Erledigungserklärung dar. Dieses Verfahren wurde ebenfalls zur mündlichen Verhandlung am 25.06.2013 geladen und verhandelt. In Übereinstimmung mit den Vertreterinnen der Beigeladenen zu 1 und 2 teilte das Gericht seine Auffassung mit, dieser Rechtsstreit sei durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet worden. Der Rechtsstreit wurde daher ausgetragen.

Auf Frage des Gerichts wurde im Verfahren S 38 KA 5151/10 mitgeteilt, im Hin-blick auf die aufschiebende Wirkung der Klageverfahren sei die Abrechnungsbefugnis wieder erteilt worden und der Kläger habe eine neue ZA-Abrechnungs-nummer erhalten.

Der Prozessbevollmächtigte stellte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 03.08.2011.

Die Vertreterinnen der Beigeladenen zu 1 und 2 stellten keine Anträge.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war auch die Klageakte im Verfahren S 38 KA 5088/11 und die zugehörige Verwaltungsakte sowie die Beklagtenakte im Verfahren S 38 KA 5151/10. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 25.06.2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

Die Zulässigkeit steht auch nicht in Frage wegen des Parallelverfahrens unter dem Aktenzeichen S 38 KA 5088/11, insbesondere eines evtl. fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass diese Zulassungsentziehung Wirksamkeit entfaltet mit der Folge, dass es nicht mehr darauf ankommt, ob dem Kläger gemäß § 96 Abs. 6 SGB V in Verbindung mit § 27 ZV-Zahnärzte (gröbliche Pflichtverletzungen) die Zulassung zu entziehen war. Andererseits handelte es sich um unterschiedliche, separate Sachverhalte, wegen denen der Entzug der Zulassung ausgesprochen wurde. Hinzu kommt, dass nach einvernehmlicher Erledigterklärung des Rechtsstreits unter dem Aktenzeichen S 38 KA 5088/11 der Zulassungsentzug erst mit der Erledigterklärung Wirkung entfaltet. Insofern ist das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen.

Rechtsgrundlage für den Zulassungsentzug sind § 95 Abs. 6 S. 1 fünfte Alternative SGB V in Verbindung mit § 27 ZV-Zahnärzte. Danach ist eine Zulassung zu entziehen, wenn der Vertragsarzt seine vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts H. (Az. 1 Cs 107 Js 7204/03) entfaltet Tatbestandswirkung. Denn er steht nach § 410 Abs. 3 StPO einem rechtskräftigen Urteil gleich. Die dort getroffenen Feststellungen können von den Zulassungsgremien zugrunde gelegt werden. Weitere eigene Feststellungen durch die Zulassungsgremien sind nicht erforderlich (vgl. SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 24.02.2010, Az. S 4 KR 38/09; SG Düsseldorf, Urteil vom 14.7.2010, Az. S 2 KA 61/08). Danach steht fest, dass sich der Kläger in 21 tatmehrheitlich begangenen Fällen des Betruges gemäß § 263 StGB schuldig gemacht hat.

Die Pflichtverletzungen müssen aber so gröblich sein, dass aufgrund des dadurch bewirkten Ausmaßes der Störung des Vertrauens die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Krankenkassen nicht mehr zumutbar ist. Hinsichtlich der Bewertung der gröblichen Pflichtverletzungen steht den Zulassungsgremien kein Beurteilungsspielraum zu. Die Gerichte sind zu einer uneingeschränkten Überprüfung befugt.

Insbesondere kommt es auf die Art der Pflichtverletzungen an. Nach gefestigter Rechtsprechung der Sozialgerichte gehört die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung zu den Pflichten, die für die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung essentiell sind. Bei der Vielzahl von Abrechnungsvorgängen, die bei den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen von Zahnärzten quartalsweise eingereicht werden, muss auf die Richtigkeit der Angaben jedes einzelnen Arztes ver-traut werden. Dies bringt es mit sich, dass die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung "ein Fundament des Systems der vertragsärztlichen Versorgung" dar-stellt (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2012, Az. B 6 KA 22/11 R). Wird dagegen verstoßen, ist der Verstoß deshalb per se als gröblich zu werten. Diese Einstufung erfolgt unabhängig von der Zahl der Verstöße und des Zeitraums, während dem die Verstöße stattgefunden haben. Denn auch einmalige Pflichtverstöße oder Pflichtverletzungen in nur einem Quartal, die zu dieser grundlegenden Pflichtengruppe gehören, reichen aus, das Vertrauen so nachhaltig zu zerstören, dass ein Verbleib des Arztes/Zahnarztes im System der vertragsärztlichen/vertragszahnärztlichen Versorgung nicht zumutbar ist. Schließlich waren die Pflichtverletzungen im streitgegenständlichen Verfahren auch Gegenstand des Strafverfahrens, abgeschlossen durch rechtskräftigen Strafbefehl (03.06.2008; Az. 1 Cs 107 Js 7204/03), und führten auch zu einem rechtskräftigen Widerruf der Approbation ( vgl. Bayerisches Verwaltungsgericht München, Urteil vom 20.10.2009, Az: M 16 K 09.3072). Dass der Kläger mittlerweile die Approbation wieder erlangt hat (Wiedererlangung der Approbation am 02.07.2012) und wieder in das Zahnärzte-Register eingetragen ist, ist für dieses "Zulassungsentzugsverfahren" allein deshalb unerheblich, weil maßgebliche Sach- und Rechtslage für die hier vorliegende Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (20.05.2010) ist und in dem hier streitgegenständlichen Verfahren zu beurteilen ist, ob der Zulassungsentzug wegen gröblicher Pflichtverletzungen gerechtfertigt ist. Die Wiedererteilung der Approbation spricht allerdings dafür, dass die Regierung von Oberbayern als zuständige Verwaltungsbehörde mittlerweile die Würdigkeit und Zuverlässigkeit des Klägers zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs (§ 2 Abs. 2 Ziff. 2 ZHG) als gegeben ansieht und sich eventuell die Zulassungsgremien, allerdings, ohne an die Entscheidung der Regierung von Oberbayern gebunden zu sein, bei einem neuen Zulassungsantrag des Klägers dieser Rechtsauffassung anschließen könnten (§ 95 Abs. 6 SGB V in Verbindung mit § 27 ZV-Zahnärzte).

Im Hinblick auf den Eingriff in die Berufsausübung nach Art. 12 Grundgesetz, den ein Zulassungsentzug nach § 95 Abs. 6 SGB V darstellt, ist die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich. Die lange Zeitspanne zwischen den Taten (2000-2003) und dem Antrag der Krankenkassen (22.06.2009) beziehungsweise der Entscheidung des Berufungsausschusses (22.05.2010) führt nach Auffassung des Gerichts nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit. Grund für die Verfahrensdauer ist, dass sich bereits das strafrechtliche Ermittlungsverfahren hinzog und erst mit rechtskräftigen Strafbefehl (03.06.2008; Az. 1 Cs 107 Js 7204/03) endete und die Krankenkassen erst im Jahr 2009 von dem strafrechtlichen Verfahren erfuhren. Aus der Verfahrensdauer erwuchsen dem Kläger aber keine Nachteile für seine vertragszahnärztliche Zulassung. Aus dem Umstand der langen Verfahrensdauer darf der Kläger aber auch keine Vorteile ziehen, da er ansonsten gegenüber anderen Ärzten besser gestellt wäre, bei denen - eventuell auch durch entsprechendes Mitwirken der Angeschuldigten - eine strafrechtliche Ahndung zügiger stattfand. Dies wäre mit Art. 3 Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Davon abgesehen erscheint es nachvollziehbar und sinnvoll, erst den Abschluss eines Strafverfahrens abzuwarten. Soweit die Klägerseite darauf hinweist, der Zulassungsentzug sei auch im Hinblick auf die wenigen Einzelfälle (7 pro Jahr) über einen Zeitraum von drei Jahren unverhältnismäßig, wird diese Auffassung vom Gericht nicht geteilt. Denn auch die Schadenssumme im Einzelfall beträgt im Durchschnitt ca. 433.-EUR, hochgerechnet auf das Jahr ca. 3000.- EUR, so dass von einem "Kavaliersdelikt", auch wenn die Handlungen aus altruistischen Motiven heraus zum Wohle der Patienten erfolgt sein sollten, nicht mehr gesprochen werden kann. Immerhin führten die Pflichtverletzungen zu einer strafrechtlichen Ahndung und zum Widerruf der Approbation. Bei dieser Sachlage schließt sich das Gericht der Auffassung des Beklagten an, wonach das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragszahnärztlichen Versorgung die Entziehung der Zulassung darstellt.

Was ein etwaiges "Wohlverhalten" des Klägers angeht, das eventuell im Rahmen der "Verhältnismäßigkeit" zu würdigen wäre, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die sogenannte "Wohlverhaltens-Rechtsprechung" des Bundessozialgerichts, abweichend von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu "Approbationen" (BVerwGE 105,267), mittlerweile aufgegeben wurde (vgl. BSG, Urteil vom 17.10 2012, Az. B 6 KA 49/11 R). Während "Wohlverhalten" bei Entscheidungen des Berufungsausschusses, die nach Veröffentlichung dieses Urteils ergehen, nicht mitberücksichtigt wird, findet die "Wohlverhaltens-Rechtsprechung" aus Gründen des prozessualen Vertrauensschutzes für laufende Verfahren - wie hier - nach wie vor Anwendung. Erforderlich ist aber eine Bewährungszeit von fünf Jahren seit der Entscheidung des Berufungsausschusses, die hier allerdings noch nicht abgelaufen ist. Insofern kommt es nicht darauf an, ob überhaupt ein "Wohlverhaltenstatbestand" vorliegt.

Damit liegen die Voraussetzungen für einen Entzug der Zulassung nach § 95 Abs. 6 SGG i.V.m. § 27 ZV-Zahnärzte vor. Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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