L 1 KR 1/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 38 KR 1423/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 1/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, gegenüber der Beklagten Anspruch auf Krankenhilfe zu haben.

Der 1965 in M. geborene Kläger war vom 25. Juli bis zum 25. November 1987 in verschiedenen Strafanstalten der Deutschen Demokratischen Republik als politischer Häftling im Gewahrsam. Am 9. März 1988 reiste er in das Bundesgebiet ein. Er gehört zum Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und des § 9 Abs. 1 Häftlingshilfegesetzes in der Fassung vom 2. Juni 1993 (HHG a.F.). Leistungen wurden dem Kläger allerdings nicht gewährt; die ablehnende Entscheidung der Freien und Hansestadt H., Versorgungsamt, ist bestandskräftig.

Der Kläger war vom 29. November 1985 bis jedenfalls zum 31. Dezember 1995 bei der AOK H., einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, als freiwilliges Mitglied krankenversichert. Der Kläger, bei dem jedenfalls seit 2003 die Diagnose bipolare Schizophrenie gestellt wird, vertritt die Auffassung, er sei bis heute bei der Beklagten krankenversichert. Am 16. Januar 2009 bescheinigte die Beklagte dem Kläger eine Mitgliedschaft bis zum 31. Dezember 1995. Diese Mitgliedsbescheinigung ist Gegenstand des Rechtsstreits S 38 KR 1463/10=L 1 KR 43/13.

Während des Verwaltungsverfahrens betreffend die Mitgliedsbescheinigung forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 19. Mai 2009 auf, ihm Unterlagen zur Gewährung von Krankenhilfe nach Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes über die Verwaltung der Mittel der Träger der Krankenversicherung in der Fassung vom 20. Dezember 1988 (KVMG a.F.) zu übersenden. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 5. Juni 2009 ab. Wie ihr das Versorgungsamt mitgeteilt habe, stehe dem Kläger kein Anspruch auf Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung zu. Mit Schreiben vom 7. Juni 2009, das er als Widerspruch bezeichnete, beantragte der Kläger erneut Leistungen der Krankenhilfe. Am 29. Juni 2010 wiederholte er seinen Antrag telefonisch. Mit zwei Schreiben vom 30. Juni und vom 9. Juli 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F. existiere nicht mehr. Mit Schreiben vom 11. Juli 2010, das von ihm wiederum als Widerspruch bezeichnet wurde, beantragte der Kläger noch einmal die Gewährung von Krankenhilfe nach Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F. Die Vorschrift sei weiterhin geltendes Gesetz. Denn die geplante Änderung sei durch das Gesetz zur Aufhebung des Krankenhausgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 20. Dezember 1991 wieder gestrichen worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2010 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die von ihr als Bescheide bezeichneten Schreiben vom 5. Juni 2009 und 9. Juli 2010 zurück. Sie führte aus, der geltend gemachte Anspruch hänge zudem davon ab, dass der Kläger während seiner Haftzeit Gesundheitsschäden erlitten habe. Einen entsprechenden Nachweis habe er bislang nicht geführt.

Am 29. September 2010 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg die zunächst unter dem Aktenzeichen S 38 KR 1463/10 geführte Klage erhoben. Im Erörterungstermin vom 6. November 2012 hat er hinsichtlich des hiesigen Streitgegenstands klargestellt, im gehe es ausschließlich darum zu klären, ob ihm ein Anspruch aus Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F. zustehe. Denn in diesem Fall müsse es sich nicht um anderweitigen freiwilligen Versicherungsschutz kümmern. Nach Abtrennung dieses Verfahrens vom übrigen Rechtsstreit hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 19. November 2012 die als Feststellungsklage verstandene Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Krankenhilfe nach Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F., weil diese Vorschrift durch Art. 13 Satz 1 des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) ersatzlos gestrichen worden sei. Eine Übergangsregelung habe lediglich für bis zum 30. Juni 1990 entstandene Ansprüche bestanden. Art. 13 Satz 1 GRG sei zwar seinerseits wieder gestrichen worden. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Folgeänderung zur Aufhebung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz), ohne dass Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F. wieder aufgelebt sei. Stattdessen sei § 90b BVFG eingeführt worden. Hierauf könne der Kläger den geltend gemachten Anspruch aber ebenso wenig stützen. Nach dieser Vorschrift seien Leistungen bei Krankheit längstens für die ersten 78 Wochen nach Einreise in das Bundesgebiet gewährt worden. Danach habe sich die Lage der Berechtigten nicht mehr von derjenigen aller anderen Bundesbürger unterscheiden sollen. Im Zuge der Wiedervereinigung sei diese Vorschrift dann dahin abgeändert worden, dass nur noch Vertriebene leistungsberechtigt seien. Damit fehle es heute an einer gesetzlichen Grundlage für den geltend gemachten Anspruch. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich knapp 24 Jahre nach Streichung des Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F. nicht mehr berufen. Eine verfassungsrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz geschützte Eigentumsposition sei nicht betroffen.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 8. Dezember 2012 zugestellt worden. Am 18. Dezember 2012 hat er dagegen Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F. sei nicht wirksam aufgehoben worden. Zumindest sei er so zu stellen, als stehe ihm ein Anspruch auf Krankenhilfe nach dieser Vorschrift zu. Denn er sei 1988 nicht auf Art. 8 Nr. 2 KVMG a.F. hingewiesen worden. Vielmehr sei ihm die unzutreffende Auskunft erteilt worden, er könne Krankenversicherungsschutz nur über eine freiwillige Versicherung erlangen. Wenigstens aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei ihm Krankenhilfe zu gewähren.

Der Kläger beantragt nach Lage der Akten sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2012 und die Bescheide vom 5. Juni 2009 und 9. Juli 2010, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. September 2010, aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 9. März 1988 einen unterbrochenen Anspruch auf Krankenhilfe gegenüber der Beklagten hat.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts im Ergebnis wie in der Begründung für zutreffend.

Mit Beschluss vom 25. Februar 2013 hat der Senat die Berufung § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin übertragen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten in diesem Verfahren sowie im Verfahren L 1 KR 43/13 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Der Senat konnte in der gegebenen Besetzung verhandeln und entscheiden, nachdem der Senat die Berufung der Berichterstatterin übertragen hat.

II. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben worden. Sie ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Soweit sie den Zeitraum vor dem 1. Januar 1996 betrifft, ist die Klage bereits unzulässig. Insoweit fehlt dem Kläger das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Vor dem 1. Januar 1996 war er unstreitig als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten versichert. Er hatte dem Grunde nach Anspruch auf sämtliche Leistungen, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werden. Die begehrte Feststellung, in diesem Zeitraum zudem Anspruch auf Krankenhilfe gehabt zu haben, würde ihm keinen Vorteil bei den – zudem für die Vergangenheit – zu beanspruchenden Leistungen verschaffen. Er hätte allenfalls einen finanziellen Vorteil, weil ihm die Krankenhilfe beitragsfrei gewährt worden wäre. Doch geht es dem Kläger erkennbar nicht um eine Beitragserstattung für die Vergangenheit, sondern um seinen aktuellen Versicherungsschutz. Hierfür brächte ihm die begehrte Feststellung, soweit sie sich zeitlich mit der freiwilligen Versicherung bei der Beklagten deckt, keinerlei rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil.

2. Soweit sie den Zeitraum seit dem 1. Januar 1996 betrifft, ist die Klage als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig, aber nicht begründet. Das behauptete Rechtsverhältnis besteht nicht. Wie das Sozialgericht mit zutreffender Begründung, auf die uneingeschränkt Bezug genommen wird, entschieden hat, steht dem Kläger gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Krankenhilfe zu. Der Senat sieht daher insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab.

Mit Blick auf das Berufungsvorbringen sei lediglich ergänzt, dass der Kläger nicht verlangen kann, aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als stünde ihm ein Krankenhilfeanspruch zu. Hierfür müsste eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung vorliegen, durch welche dem Kläger ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden wäre. Auf der Rechtsfolgenseite müsste durch die Vornahme einer Amtshandlung der Beklagten der Zustand hergestellt werden können, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde (vgl. zu Voraussetzungen und Folgen eines Herstellungsanspruchs nur BSG 10. 5. 2012 – B 1 KR 19/11 R – Juris – m.w.N., st. Rspr.). Schon eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung ist nicht ersichtlich. Das pauschale Vorbringen des Klägers, ihm sei bei der Einreise in das Bundesgebiet die seines Erachtens unzutreffende Auskunft erteilt worden, er habe keinen Anspruch auf Krankenhilfe, reicht hierfür nicht aus. Weitere Ermittlungsansätze sind nicht ersichtlich. Zudem käme selbst dann, wenn man eine Pflichtverletzung der Beklagten unterstellen wollte, als ihre rechtmäßige Amtshandlung nicht ohne Weiteres die Gewährung von Krankenhilfe in Betracht. Denn es wäre weiterhin nicht objektiv belegt, dass der Kläger bei seinem Eintreffen im Bundesgebiet krank war oder innerhalb von drei Monaten danach erkrankte, was Voraussetzung eines Anspruchs aus Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KVMG a.F. in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 1 Heimkehrergesetz in der Fassung vom 23. Juli 1979 (Heimkehrergesetz a.F.) war. Selbst wenn man auch dies zu Gunsten des Klägers unterstellen wollte, hätte sein etwaiger Leistungsanspruch längstens bis zum 30. Juni 1990 bestanden. Wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, endete mit diesem Tag die bei Abschaffung des Art. 8 Abs. 2 KVMG a.F. eingeräumte Übergangsfrist.

Dass dem Kläger, so er bis zum 30. Juni 1990 überhaupt anspruchsberechtigt gewesen sein sollte, jedenfalls darüber hinaus kein Anspruch auf Leistungen der Krankenhilfe zustand, verstößt schließlich nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Übergangsfrist orientierte sich an der Regelung in § 90b Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Fassung vom 20. Dezember 1988 (BVFG a.F.), die gleichzeitig mit der Abschaffung des Art. 8 Abs. 2 KVMG a.F. eingeführt worden war (vgl. zu Grund und Dauer der Befristung den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu Art. 12 des Entwurfs eines Gesundheits-Reformgesetzes – GRG – in BT-Drucks. 11/3480, S. 74). Der Kläger kann nicht verlangen besser gestellt zu werden, als wenn er nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BVFG a.F. Anspruch auf Leistungen bei Krankheit gehabt hätte. Dieser Anspruch hätte ihm längstens für die ersten 78 Wochen von dem Tag der Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet zugestanden, vgl. § 90b Abs. 2 Satz 1 BVFG a.F, und mithin am 8. September 1989 geendet. Diese Befristung entsprach dem Charakter der Leistung als einer Starthilfe für die Eingliederung in das bundesdeutsche Beschäftigungssystem und das System der sozialen Sicherung (vgl. die Gesetzesbegründung zu Art. 36 Nr. 2 Abs. 2 GRG in BT-Drucks. 11/2237, S. 265) und ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Für den Kläger ergibt sich daher unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Leistungen der Krankenhilfe im relevanten Zeitraum seit dem 1. Januar 1996.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf dem Rechtsgedanken des § 193 Abs. 1 und 4 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger unterlegen ist und die Aufwendungen der Beklagten nicht erstattungsfähig sind.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen, weil weder die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 noch 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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