S 30 SO 179/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
30
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 30 SO 179/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Der Leistungsträger der Sozialhilfe ist gemäß § 54 Abs. 3 SGB XII nicht nur für die Eingliederungshilfe bei Betreuung in einer Pflegefamilie "allein" leistungsverpflichtet, den Träger der Sozialhilfe trifft auch "allein" die Verpflichtung, den Lebensunterhalt der hilfebedürftigen Person nach dem 3. oder 4. Kapital des SGB XII sicherzustellen. § 39 Abs. 1 S. 2 SGB VIII und auch § 39 Abs. 1 S. 1 SGB
VIII, der die Annexleistung "Lebensunterhalt" regelt, wird von § 54 Abs. 3 SGB XII als lex specialis verdrängt. Eine Verpflichtung des Trägers der Jugendhilfe besteht daneben nicht.

2. Die allgemeine Vorrangsregelung nach § 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII ist daher nicht anwendbar, weil im Anwendungsbereich des § 54 Abs. 3 SGB XII Leistungspflichten verschiedener Leistungsträger nicht miteinander konkurrieren. Der Träger der Jugendhilfe nach dem SGB VIII hat daher gegen den Träger der Sozialhilfe einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X auch für bewilligten Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII; dies schließt grundsätzlich bewilligte Sonderbedarfe für Klassenfahrten, Weihnachtsbeihilfen und pauschalierten Ferienbeihilfen ein, die als Teil des allgemeinen Lebensunterhalts gelten.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die im Jugendhilfefall M X in der Zeit vom 05.08.2009 bis einschließlich 31.12.2012 entstandenen ungedeckten Aufwendungen auch in Bezug auf den Lebensunterhalt - einschließlich der Leistungen für Klassenfahrten, Weihnachtsbeihilfen und pauschalierten Ferienbeihilfen - nebst Prozesszinsen mit vier vom Hundert seit Rechtshängigkeit zu zahlen. 2. Im Übrigen wird die Klage im Hinblick den Zeitraum 01.06.2009 bis 04.08.2009 und im Hinblick auf einen höheren Zinsanspruch abgewiesen. 3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 95 Prozent.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung nach § 104 SGB X für übernommene Kosten einer Unterbringung im Hilfefall M X durch die Klägerin als Leistungsträger der Jugendhilfe gegenüber der Beklagten als Leistungsträger der Eingliederungshilfe und hier nach einem Teilvergleich nur noch über die Frage, ob die Beklagte als Verpflichtete zur Erbringung der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe ausnahmsweise auch zur Gewährung der Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts – so wie jugendhilferechtlich in § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII geregelt – verpflichtet ist.

Das am 00.0.2002 geborene schwerstbehinderte Kind, M W, konnte von der Kindesmutter nicht entsprechend erzogen und versorgt werden und wurde daraufhin zunächst als Bereitschaftspflegekind von den Eheleuten N1 in N2 aufgenommen. Das Bereitschaftspflegeverhältnis wurde am 19.9.2005 in ein Dauerpflegeverhältnis umgewandelt. Die ungedeckten Kosten belaufen sich monatlich auf 1.212,65 EUR. Die Klägerin leistet (spätestens seit dem 1.7.2009) Hilfe durch Übernahme der entstehenden Kosten der Unterbringung bei den Pflegeeltern und zwar in Form der Übernahme der Kosten für Pflege – beim Erziehungsbeitrag berücksichtigte die Klägerin einen 3,5 fachen Hebesatz – sowie darüber hinaus auch in Form der Übernahme der Kosten zur Sicherstellung des Lebensunterhalts - § 39 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VIII.

Am 1.6.2010 beantragte die Klägerin gegenüber der Beklagten Kostenübernahme der gewährten Hilfe, die die Klägerin unter Berufung auf die Vorschriften Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 33 SGB VIII gewährte; die Klägerin wies darauf hin, dass das Kind M ein mehrfach behindertes Kind sei und nach der Änderung des § 54 Abs. 3 SGB XII durch das Assistenzpflegebedarfsgesetz zum 5.8.2009 die Familienpflege für Kinder mit körperlicher oder geistiger Behinderung als Leistung der Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff SGB XII zu betrachten sei und daher die Beklagte vorrangig Eingliederungshilfe zu erbringen habe. Die erbrachten Leistungen nach § 27, 33 SGB VIII seien daher nachrangig. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 30.12.2010 ab; die Beklagte wies darauf hin, dass noch nicht nachgewiesen worden sei, dass die vollstationäre Unterbringung tatsächlich vermieden worden sei. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass die Mutter mit der Betreuung des Kindes massiv überfordert worden gewesen sei und das Kind deshalb aus dem mütterlichen Haushalt herausgenommen worden sei. Die Mutter sei nicht in der Lage gewesen, die Erziehung zu gewährleisten. Dies stelle eindeutig ein Fall der Hilfe zur Erziehung dar, so dass Leistungen nach dem SGB VIII vorrangig vor den Leistungen nach dem SGB XII im Sinne des § 10 Abs. 4 SGB VIII zu leisten seien. Bis zum 31.03.2012 entstanden Kosten in Höhe von 42.075,45 EUR. Mit ihrer Klage vom 17.4.2012, beim Sozialgericht Düsseldorf am 19.4.2012 eingegangen, verfolgt die Klägerin weiterhin ihr Begehren auf Kostenerstattung gemäß § 104 SGB X.

Mit Schriftsatz vom 14.8.2012 stellte die Klägerin ein Klageerweiterungsantrag und forderte auch den noch nicht erfassten Zeitraum 1.4.2012 bis 31.08.2012 mit ungedeckten Kosten in Höhe von 6.233,85 EUR ein. Mit Schreiben vom 17.09.2012 stimmte die Beklagte der Erstattung des Erziehungsbeitrags zwar dem Grunde nach zu, griff aber die Anhebung des Erziehungsbeitrags um den 3,5 fachen Satz an. Nach Anregung durch die Klägerin präzisierte die Beklagte das Teilanerkenntnis dahingehend, sie wolle den einfachen Erziehungsbeitrag übernehmen. Mit Schriftsatz vom 18.12.2012 konkretisierte die Klägerin nochmals der Klageantrag, mit dem nunmehr auch der Zeitraum bis einschließlich 31.12.2012 umfasst ist. Am 14.03.2013 fand ein Verhandlungstermin statt; in diesem wies der Beklagtenvertreter nochmals ausdrücklich darauf hin, dass die Beklagte die klägerseits begehrte Übernahme des Lebensunterhalts ablehne, dieser sozialhilferechtliche Anspruch nach dem 3. bzw. 4 Kapitel des SGB XII sei im Gegensatz zur Eingliederungshilfe vom Vorrangsgrundsatz des § 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII erfasst. Bezüglich dieses Aspektes baten die Beteiligten um streitige Entscheidung. Im Nachgang zum Verhandlungstermin unterbreitete das Gericht den Beteiligten einen Teilvergleich im Hinblick auf den Hebesatz für die Kosten der Pflege. Diesen Teilvergleich nahmen die Beteiligten an, die Klägerin mit Schriftsatz vom 04.07.2013, die Beklagte mit Schriftsatz vom 05.07.2013. Die Beteiligten stellten daher ausdrücklich nur noch die Frage streitig, welcher Leistungsträger unter Berücksichtigung von § 10 Abs. 4 SGB VIII für die Sicherstellung des Lebensunterhalts zuständig ist.

Die Klägerin ist diesbezüglich der Ansicht, die Beklagte sei als zuständiger Leistungsträger für die Eingliederungshilfe nunmehr auch für die Erbringung der Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes zuständig. Im Hinblick auf die Argumentation der Beklagten zu den Aufwendungen für den Lebensunterhalt sei darauf hinzuweisen, dass dies auf einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, Urteil vom 02.03.2006; Aktenzeichen: 5 C 15/05) basiere, die vor den Regelungen des Assistenzpflegegesetzes also mit Änderung des § 54 Abs. 3 SGB XII zum 05.08.2009 ergangen sei. Nach der Intention des Gesetzgebers, mit der auch § 27a Abs. 4 Satz 3 SGB XII in das SGB XII aufgenommen worden sei, sei erkennbar, dass die Sicherstellung des Lebensunterhaltes des behinderten Kindes auch in der Sozialhilfe untrennbar mit der Eingliederungshilfe verknüpft sei. Daher sollte eine Annexleistung geschaffen werden, wie sie in der Familienpflege nach dem SGB XII bereits seit langem bekannt sei.

Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß noch,

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die im Jugendhilfefall M X in der Zeit vom 01.06.2009 bis einschließlich 31.12.2012 entstandenen ungedeckten Aufwendungen auch in Bezug auf den Lebensunterhalt - einschließlich der Leistungen für Klassenfahrten, Weihnachtsbeihilfen und pauschalierten Ferienbeihilfen - nebst Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Beklagte sei zur Übernahme auch der Kosten für die Sicherstellung des Lebensunterhalts nicht verpflichtet, es gelte der Nachrangsgrundsatz gemäß § 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII. Hilfen im Sinne der §§ 32 ff SGB VIII erfassten den notwendigen Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII und auch die Kosten der Erziehung nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB VIII. Daseinsleistungen des Pflegegeldes, die den Lebensunterhalt abdeckten, seien nicht Bestandteil der Eingliederungshilfe und seien auch nicht als Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem 3. bzw. 4 Kapitel des SGB XII zu erbringen. Hierfür greife der Nachrang gemäß § 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII. Da Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts nicht Bestandteil der Leistungen der Eingliederungshilfe seien, greife auch die Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII nicht, diese Vorrangsregelung verpflichte die Beklagte nur in Bezug auf die Kosten für die Pflege und Erziehung, nicht aber auch für die Sicherstellung des Lebensunterhalts. Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII seien daher nachrangig. Hierzu zählten im übrigen auch die in der gegnerischen Verwaltungsakte aufgeführten Leistungen für Klassenfahrten, Weihnachtsbeihilfen und pauschalierten Ferienbeihilfen.

Das Gericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 30.04.2013 angehört. Die Verwaltungsakte (Gz.: 257991) lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht kann gem. § 105 I Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid und damit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu angehört wurden.

II. Die Klage ist zulässig.

1) Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Der Klageantrag der Klägerin war nach Abschluss des Teilvergleichs gemäß §§ 133, 157 BGB analog auszulegen (zur Notwendigkeit der Auslegung bei Testerklärungen vgl.: Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 90, Rn. 4a; § 92, Rn. 2; § 123, Rn. 3b). Hierbei war zum einen zu berücksichtigen, dass nach Abschluss des Teilvergleichs über den Hebesatz beim Pflegegeld nur noch die Kostenerstattung im Hinblick auf die anteiligen Kosten zur Sicherstellung des Lebensunterhalts streitig war, zum anderen war zu berücksichtigen, dass namentlich auch die zum Lebensunterhalt gehörenden, aber gesondert bewilligten Leistungen durch die Klägerin für Klassenfahrten, Weihnachtsbeihilfen und pauschalierter Ferienbeihilfen von der Beklagten streitig gestellt worden sind. Da das Gericht an die Fassung der Anträge gemäß § 123, 2. HS SGG nicht gebunden ist, war der Klageantrag der Klägerin in diesem Sinne auszulegen. Dabei hat die Klägerin den konkreten, auf den Lebensunterhalt entfallenden Anteil nicht mitgeteilt, so dass eine betragsmäßige Festlegung nicht möglich, aber auch nicht erforderlich gewesen ist.

2) Die Klage ist im Übrigen auch als allgemeine Leistungsklage im Sinne von § 54 V SGG statthaft.

III. Die Klage ist in sich hinsichtlich des Hauptanspruchs auch weit gehend begründet – jedenfalls soweit die Klage die Kostenerstattung für die Zeit ab dem 05.08.2009 betrifft, ab diesem Zeitpunkt ist durch das Assistenzpflegegesetz der neu eingefügte § 54 Abs. 3 SGB XII in Kraft getreten. Hinsichtlich des weitergehenden, geltend gemachten Anspruchs für den Zeitraum 01.06.2009 bis 04.08.2009 ist die Klage hingegen unbegründet, hinsichtlich des Zinsanspruchs ist die Klage ebenfalls nur teilweise begründet. Die Klägerin hat – nach Abschluss des Teilvergleiches – einen weitergehenden Anspruch auf Kostenerstattung nach § 104 SGB X auch für die auf die Sicherstellung des Lebensunterhaltes entfallenden Anteile der an die Pflegeeltern bewilligten Leistungen und zwar einschließlich der bewilligten Leistungen für Klassenfahrt, Weihnachtsbeihilfen und pauschalierten Ferienbeihilfen ab 05.08.2009. Hat nach § 104 SGB X ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Diese Voraussetzungen sind jedenfalls ab 05.08.2009 erfüllt, weil die Klägerin als nachrangig verpflichteter Leistungsträger hier auch neben dem Erziehungsbeitrag den weitergehenden Lebensunterhalt sichergestellt hat und die Beklagte insgesamt vorrangig bzw. allein verpflichtet war.

1) Die Verpflichtung der Beklagten für die Bewilligung der Eingliederungshilfe ergibt sich - zwischen den Beteiligten - unstreitig aus dem durch das Assistenzpflegegesetz zum 05.08.2009 neu eingefügten § 54 Abs. 3 SGB XII. Dabei begründet § 54 Abs. 3 SGB XII die alleinige und ausschließliche Pflicht auf Bewilligung von Eingliederungshilfe durch den Leistungsträger der Sozialhilfe. § 35a SGB VIII iVm § 39 Abs. 1 S. 2 SGB VIII, der ebenfalls die Eingliederungshilfe in Form der Kosten für den Sachaufwand für die Pflege und Erziehung im Jugendhilferecht regelt, wird von § 54 Abs. 3 SGB XII als lex specialis verdrängt. Daneben besteht daher keine Verpflichtung des jugendhilferechtlichen Leistungsträgers.

2) Die alleinige Verpflichtung der Beklagten auch zur Übernahme des Lebensunterhalts, entweder nach dem 3. oder nach dem 4. Kapitel des SGB XII, ergibt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin materiell-rechtlich auch nicht zur Sicherstellung des Lebensunterhalts gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII verpflichtet gewesen war. Die § 104 SGB X geforderten nachrangige Leistungspflicht der Klägerin ergibt sich nämlich allenfalls aus § 43 Abs. 1 SGB I. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten greift im vorliegenden Verhältnis die Vorrangsregelung des § 10 Abs. 4 SGB VIII nicht; damit ist auch die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht anwendbar (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 02.03.2006; Aktenzeichen: 5 C 15/05; BVerwGE 125, 95-100). Die dort getroffene Kernaussage, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe wegen seiner Aufwendungen für den Lebensunterhalt eines in einer Pflegefamilie untergebrachten, körperlich oder geistig behinderten Kindes, Jugendlichen bzw. jungen Volljährigen keine Erstattung von dem für Maßnahmen der Eingliederungshilfe zuständigen Träger der Sozialhilfe verlangen kann, gilt in konsequenter Auslegung des § 10 Abs. 4 SGB VIII nur dann, wenn die Ansprüche nach dem SGB VIII dem SGB XII miteinander konkurrieren (vgl hierzu insb. BVerwG, aaO, LS und insb. Rz.: 8). Für das Verhältnis zwischen Leistungen des SGB VIII und den Leistungen nach SGB XII hält § 10 Abs. 4 SGB VIII die maßgebliche Regelung bereit. Danach gehen grundsätzlich die Leistungen der Jugendhilfe den Leistungen der Sozialhilfe vor - § 10 Abs. 4 Satz 1 (grundlegend zum Konkurrenzverhältnis zwischen sozialhilferechtlicher und jugendhilferechtlicher Eingliederungshilfe vgl.: BVerwG, Urteil v. 19.10.2011, 5 C 6/11, ZFSH/SGB 2012, 33-36 = JAmt 2012, 47-50 = NVwZ-RR 2012, 67-69; BSG, Urteil v. 24.03.2009, B 8 SO 29/07 R, BSGE 103, 39-45 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1 = JAmt 2009, 623-626 = NVwZ-RR 2010, 67-70; LSG NRW, Urteil v. 18.06.2012, L 20 SO 12/09). Sachlogisch greift die Vorschrift dann nicht, wenn gegen den Leistungsträger der Jugendhilfe kein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Verbindung mit § 39 Abs. 1 SGB VIII gegeben ist. Dies ist im vorliegenden Fall nach der Einführung von § 54 Abs. 3 SGB XII – zwischen den Beteiligten auch unbestritten – ausdrücklich für die Eingliederungshilfe der Fall. Aufgrund dieser Sondervorschrift ist durch den Gesetzgeber die ausschließliche Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe nach dem SGB XII klargestellt; dies gilt zunächst ausdrücklich für den Bereich Pflege und Erziehung nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB VIII. Diesbezüglich ist die Beklagte als Träger der Sozialhilfe uneingeschränkt allein zuständig (vgl. bereits oben unter 2). Der Übergangszeitraum bis 31.12.2013 ist auch noch nicht abgelaufen.

3) Eine Anwendung der Vorrangsvorschrift des § 10 Abs. 4 SGB VIII scheidet jedoch nicht nur in Bezug auf die in der Eingliederungshilfe beinhalteten Leistungen für Pflege und Erziehung nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB VIII aus, sondern auch in Bezug auf Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Auch diesbezüglich ist "ausschließlich" eine Pflicht zur Sicherstellung des Lebensunterhalts durch die Beklagten als Träger der Sozialhilfe gegeben. Die einzige Vorschrift, wonach die Klägerin als Träger der Jugendhilfe dem Grunde nach verpflichtet sein könnte, ist § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Die Vorschrift regelt die Sicherstellung des Unterhalts von Kindern und Jugendlichen, die außerhalb ihres Elternhauses Hilfe zur Erziehung erhalten - das sog. Pflegegeld. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass sich der Leistungsberechtigte zur Deckung des Lebensunterhalts an das Sozialamt wenden muss (Stähr, in: Hauck/Haines, § 39 SGB VIII Rn. 1). Die Gewährung von pädagogischer Hilfe und Unterhaltsleistungen sollen aus einer Hand erfolgen (Wiesner, § 39 SGB VIII Rn. 2). Deshalb ist in der Literatur und Rechtsprechung unbestritten, dass der Unterhaltsanspruch nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII eine Annexleistung darstellt; die Regelung stellt keinen selbständigen Anspruch dar (BVerwG, Beschluss v. 24.9.2007, 5 B 154/07; BVerwG, Urteil v. 12.9.1996, 5 C 31/95; Bay VGH München, Beschluss v. 29.12.2005, 12 ZB 04.1571; Sächsisches OVG, Urteil v. 2.7.2008, 1 A 90/08, NJW 2008 S. 3729 f.; Wiesner, § SGB VIII, Rn. 6; weitere Nachweise zum Charakter als Annexleistung vgl. unten Rz. 3). Der Unterhaltsanspruch teilt deshalb das Schicksal des Hauptanspruchs auf Kostenerstattung bezüglich Erziehung und Pflege. Dieser Anspruch liegt gemäß § 54 Abs. 3 SGB XII aber ausschließlich in den Händen der Beklagten, so dass der Unterhaltsanspruch dessen Schicksal teilt. Da die Klägerin damit jedenfalls materiell-rechtlich nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII nicht – auch nicht nachrangig – für die Sicherstellung des Lebensunterhaltes verpflichtet ist, bleibt es auch bezüglich des Anteils zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes ausschließlich bei der Zuständigkeit der Beklagten. Dies deckt sich im Übrigen auch mit der ratio legis von § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Nur weil dieser Anspruch als Annexleistung zu qualifizieren ist, ist sichergestellt, dass einem Betroffenen pädagogische Hilfe und Unterhaltsleistungen aus einer Hand gewährt werden können. Scheidet daher der Hauptanspruch "Erziehungsbeitrag" gegen den Jugendhilfeträger aus, weil nach § 54 Abs. 3 SGB XII allein der Sozialhilfeträger zuständig ist, kann konsequenterweise der Unterhaltsanspruch auch nur durch den Sozialhilfeträger erfolgen, um die Gewährung von Hilfen aus einer Hand – nunmehr durch die Hand des Sozialhilfeträgers – sicherzustellen.

4) Die nachrangige Leistungsverpflichtung der Klägerin, so wie als Erstattungsvoraussetzung von § 104 SGB X gefordert, ergibt sich daher nicht aus materiell-rechtlichen Überlegungen, sondern allenfalls aus der allgemeinen Vorschrift des zuerst angegangen Leistungsträgers gemäß § 43 Abs. 1 SGB I, der den Leistungsempfänger von dem Risiko eines Zuständigkeitsstreits zwischen Leistungsträgern entbinden will.

5) Von dem Erstattungsanspruch sind im Übrigen darüber hinaus auch die Leistungen für Klassenfahrten, Weihnachtsbeihilfen und pauschalierten Ferienbeihilfen erfasst. Wie die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.09.2012 zutreffend einräumt, unterfallen diese Bedarfe und Leistung grundsätzlich dem erweiterten Lebensunterhalt und sind in der Regel gemäß § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII, § 73 SGB XII zu decken. Nach § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII wird im Einzelfall der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Da die Beklagte in ihren Stellungnahmen die Notwendigkeit dieser Bedarfe dem Grunde nach nicht angegriffen hat, sondern eine Übernahme dieser Kosten ausschließlich mit Hinweis auf § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII abgelehnt hat, weil diese Leistungen zum Lebensunterhalt gehören, ist der Anspruch der Klägerin auch diesbezüglich gerechtfertigt, da auch diese Leistungen als Annexleistungen unabdingbar mit dem Erziehungsbeitrag verknüpft sind.

6) Der Anspruch auf Kostenerstattung kann allerdings erst mit Inkrafttreten des § 54 Abs. 3 SGB XII zum 05.08.2009 entstehen. Ein weitergehender Anspruch den Zeitraum 01.06.2009 bis 04.08.2009 besteht nicht. Die Erstattungsvoraussetzung gemäß § 104 SGB X liegen daher insgesamt erst mit diesem Datum vor.

7) Die durch die Klägerin geleisteten Zahlungen im Umfang der Sicherstellung des Lebensunterhalts sind gemäß § 44 SGB I zu verzinsen, nach Abs. 1 sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Der weitergehende - mit dem Klageantrag – geltend gemachte Zinsanspruch auf Übernahme von Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit auf den anteilig gewährten Lebensunterhalt war hingegen abzuweisen.

Die Klage ist daher im Hinblick auf den Hauptanspruch ab 05.08.2009 begründet, im Hinblick auf den geltend gemachten Zeitraum 01.06.2009 bis 04.08.2009 ist die Klage hingegen unbegründet; im Hinblick auf den Zinsanspruch ist die Klage ebenfalls nur teilweise begründet.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits. Dabei weist das Gericht darauf hin, dass die Klägerin in einem geringem Maße hinsichtlich des Zeitraums und des Zinsanspruchs unterlegen ist und das Unterliegen ca. 5 Prozent ausmacht (43 Monate beantragt – 01.06.0209
Rechtskraft
Aus
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