Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 667/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 83/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 05. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht", also die Zuerkennung des Merkzeichens "RF".
Mit Bescheid vom 04.08.2009 stellte das Landratsamt Konstanz - Amt für Gesundheit und Versorgung - bei der am 24.09.1950 geborenen Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 ab 01.05.2008 fest, wobei für eine seelische Störung mit Depression ein Teil-GdB von 50 und für ein Wirbelsäulenleiden sowie für eine Funktionsbeeinträchtigung der Hüftgelenke ein Teil-GdB von jeweils 10 zugrunde gelegt wurde.
Am 13.10.2009 stellte die Klägerin den Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Zur Begründung legte sie die fachärztliche gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie Dr. A. vom 03.05.2010 über eine stationäre Behandlung der Klägerin in der Klinik B. in C. vom 05.05.2010 bis 03.06.2010 vor, auf die Bezug genommen wird. Nachdem Dr. D. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 01.07.2010 ausgeführt hatte, eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten, die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei in nennenswertem Umfang zumutbar, lehnte das Landratsamt Konstanz mit Bescheid vom 09.07.2010 den Antrag ab. Den hiergegen am 20.07.2010 erhobenen Widerspruch, der nicht begründet wurde, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 11.03.2011 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen gehört. Die Ärztin für Psychiatrie Dr. E. hat unter dem 14.07.2012 mitgeteilt, die Klägerin befinde sich seit dem 25.05.2007 in ihrer kontinuierlichen psychiatrisch psychotherapeutischen Behandlung. Es bestehe eine chronifizierte Depression mit Somatisierung. Die Klägerin sei rasch erschöpfbar und leide unter Anhedonie. Sie schätze den GdB auf ihrem Fachgebiet mit 40. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei prinzipiell möglich, wobei davon auszugehen sei, dass die Klägerin in Folge ihrer Depression nicht über den nötigen Antrieb hierzu verfüge und einer solchen Veranstaltung nichts Positives abgewinnen könne. Eine Gehbehinderung, die zum Ausschluss des Besuchs von Veranstaltungen führen würde, bestehe nicht. Der Allgemeinmediziner Dr. F. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 15.08.2012 mitgeteilt, er habe die Klägerin am 03.05.2012 untersucht und hierbei eine depressive Verstimmung, unklare Beschwerden im Bereich der Beine sowie im Bereich der Schultern beidseits diagnostiziert. Die Frage, ob die Klägerin wegen ihrer Behinderungen an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht mehr teilnehmen könne, hat Dr. F. verneint.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.12.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht lägen bei der Klägerin nicht vor. Unter Zugrundelegung der sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte seien keine Gründe ersichtlich, weshalb die Klägerin ständig nicht mehr in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Gegen den am 08.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 07.01.2013 Berufung eingelegt, ohne diese zu begründen. Die Klägerin hat mitgeteilt, ihr Ehemann sei am 22.07.2013 verstorben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 05. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Februar 2011 zu verpflichten, bei ihr ab dem 13. Oktober 2009 die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist nicht statt zu geben.
Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind nach § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (Schwb¬AwV) landesrechtlich geregelt. In Baden-Württemberg enthielt § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV) vom 15.10.2004, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und seit dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl. 2009, S. 131) galt, die entsprechenden Regelungen. Danach stand der Nachteilsausgleich nach § 6 Nr. 8 RGebStV u.a. schwerbehinderten Menschen zu, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Der RGebStV hat nur bis zum 31.12.2012 gegolten. Nur bis zu diesem Tag hat das Merkzeichen "RF" eine volle Befreiung von den Rundfunkgebühren bedingt. Seit dem 01.01.2013 wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht mehr durch Gebühren, sondern durch Beiträge finanziert. Dies regelt nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch nicht geändert. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird der Rundfunkbeitrag nach § 2 Abs. 1 auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt: 1. Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 v.H. allein wegen der Sehbehinderung, 2. Hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und 3. Behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Nach § 4 Abs. 7 RBStV ist der Antrag auf Befreiung oder Ermäßigung vom Beitragsschuldner schriftlich bei der zuständigen Landesrundfunkanstalt zu stellen. Die Voraussetzungen für die Befreiung oder Ermäßigung sind durch die entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers im Original oder durch den entsprechenden Bescheid im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen. Als öffentliche Veranstaltungen sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 17.03.1982 – 9a/9 RVs 6/81 - juris Rn. 15 ff.). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Solange er mit technischen Mitteln oder mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise auch nur einzelne öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er an einer Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht gehindert (BSG, Urt. v. 11.01.1991, 9a/9 RVs 15/89, Juris; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 09.05.2011, L 8 SB 2294/10, juris Rn. 35 ff.). Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zugute kommt, die den ausdrücklich genannten schwerbehinderten Menschen (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial benachteiligten Menschen vergleichbar sind. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor, insbesondere ist bei ihr lediglich ein GdB von 50 festgestellt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.02.2012 - B 9 SB 2/11 R - juris) kommt die Feststellung des Merkzeichens "RF" zwar auch bei einem Menschen mit Behinderung mit einem GdB unter 80 in Betracht, wenn ein gesundheitlich bedingter Härtefall vorliegt. Ein solcher ist nach der Rechtsprechung des BSG dann gegeben, wenn eine Person mit einem GdB von weniger als 80 wegen eines besonderen psychischen Leidens ausnahmsweise an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht mehr teilnehmen kann (BSG, a.a.O., juris Rn. 24). Das BSG hat zum einen allerdings nicht ausgeführt, worin die Besonderheit des psychischen Leidens, das zum ständigen Ausschluss des Besuchs öffentlicher Veranstaltungen führt, gründet. In Betracht kommen könnte ein psychisches Leiden, das "normalerweise" nicht zu dieser Einschränkung führt, jedoch im Einzelfall so ausgeprägt ist, dass es dem Besuch öffentlicher Veranstaltungen entgegensteht. Zum anderen hat das BSG die Härtefallregelung dem einschlägigen (bayerischen) Landesrecht entnommen, wo der Verordnungsgeber in § 2 der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht v. 21.07.1992 eine entsprechende Regelung getroffen hatte. Diese Rechtsprechung ist auf die in Baden-Württemberg geltende Rechtslage nicht anwendbar. Insbesondere ist die Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 RBStV nicht einschlägig. Danach hat unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Abs. 1 die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt danach insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Abs. 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Danach bezieht sich die Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 RBStV nur auf die Befreiung von der Beitragspflicht in sozialen Notlagen nach § 4 Abs. 1 RBStV, nicht jedoch auf die Ermäßigung nach § 4 Abs. 2 RBStV. Eine analoge Anwendung auch auf die Ermäßigung würde zu einem Wertungswiderspruch führen. Denn dann würde derjenige, bei dem kein GdB von wenigstens 80 festgestellt ist, von der Beitragspflicht befreit werden können, während der schwerbehinderte Mensch mit einem GdB von wenigstens 80 lediglich in den Genuss einer Ermäßigung des Rundfunkbeitrags käme. Unabhängig hiervon sind die weiteren Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" nicht erfüllt. Denn die Klägerin ist wegen ihrer Erkrankungen nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Senat stützt sich hierbei auf die vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte. Der Allgemeinarzt Dr. F. hat als Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin auf nicht nervenärztlichem Fachgebiet unklare Beschwerden im Bereich der Beine und der Schultern beidseits genannt. Eine Einschränkung bezüglich des Besuchs öffentlicher Veranstaltungen ergibt sich daraus nicht. Insbesondere besteht keine Gehbehinderung. Eine Einschränkung der Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen folgt auch nicht aus der bei der Klägerin weiter vorliegenden chronifizierten Depression mit Somatisierung. Die Ärztin für Psychiatrie Dr. E. hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 14.07.2012 in nachvollziehbarer Weise ausgeführt, dass der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen prinzipiell möglich sei. Allein der Umstand, dass die Klägerin einer solchen Veranstaltung nichts Positives abgewinnen kann, steht der grundsätzlichen Möglichkeit einer Teilnahme nicht entgegen. Auch der weiter von Dr. E. mitgeteilte Umstand, dass der mit der Klägerin im Haushalt lebende Ehemann schwer krank und laut Aussagen der Klägerin stark in seiner Mobilität eingeschränkt sei, rechtfertigt gleichfalls nicht die Annahme, dass die Klägerin an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr teilnehmen kann. Denn die Betreuung des Ehepartners stellt keinen für das Merkzeichen "RF" relevanten Grund dar, an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilzunehmen, da diese Betreuung während der Zeit der Teilnahme an der jeweiligen Veranstaltung ggf. durch Dritte übernommen werden kann. Maßgeblich sind hierbei allein die beim Antragsteller vorliegenden gesundheitlichen Voraussetzungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht", also die Zuerkennung des Merkzeichens "RF".
Mit Bescheid vom 04.08.2009 stellte das Landratsamt Konstanz - Amt für Gesundheit und Versorgung - bei der am 24.09.1950 geborenen Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 ab 01.05.2008 fest, wobei für eine seelische Störung mit Depression ein Teil-GdB von 50 und für ein Wirbelsäulenleiden sowie für eine Funktionsbeeinträchtigung der Hüftgelenke ein Teil-GdB von jeweils 10 zugrunde gelegt wurde.
Am 13.10.2009 stellte die Klägerin den Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Zur Begründung legte sie die fachärztliche gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie Dr. A. vom 03.05.2010 über eine stationäre Behandlung der Klägerin in der Klinik B. in C. vom 05.05.2010 bis 03.06.2010 vor, auf die Bezug genommen wird. Nachdem Dr. D. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 01.07.2010 ausgeführt hatte, eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten, die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei in nennenswertem Umfang zumutbar, lehnte das Landratsamt Konstanz mit Bescheid vom 09.07.2010 den Antrag ab. Den hiergegen am 20.07.2010 erhobenen Widerspruch, der nicht begründet wurde, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 11.03.2011 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen gehört. Die Ärztin für Psychiatrie Dr. E. hat unter dem 14.07.2012 mitgeteilt, die Klägerin befinde sich seit dem 25.05.2007 in ihrer kontinuierlichen psychiatrisch psychotherapeutischen Behandlung. Es bestehe eine chronifizierte Depression mit Somatisierung. Die Klägerin sei rasch erschöpfbar und leide unter Anhedonie. Sie schätze den GdB auf ihrem Fachgebiet mit 40. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei prinzipiell möglich, wobei davon auszugehen sei, dass die Klägerin in Folge ihrer Depression nicht über den nötigen Antrieb hierzu verfüge und einer solchen Veranstaltung nichts Positives abgewinnen könne. Eine Gehbehinderung, die zum Ausschluss des Besuchs von Veranstaltungen führen würde, bestehe nicht. Der Allgemeinmediziner Dr. F. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 15.08.2012 mitgeteilt, er habe die Klägerin am 03.05.2012 untersucht und hierbei eine depressive Verstimmung, unklare Beschwerden im Bereich der Beine sowie im Bereich der Schultern beidseits diagnostiziert. Die Frage, ob die Klägerin wegen ihrer Behinderungen an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht mehr teilnehmen könne, hat Dr. F. verneint.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.12.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht lägen bei der Klägerin nicht vor. Unter Zugrundelegung der sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte seien keine Gründe ersichtlich, weshalb die Klägerin ständig nicht mehr in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Gegen den am 08.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 07.01.2013 Berufung eingelegt, ohne diese zu begründen. Die Klägerin hat mitgeteilt, ihr Ehemann sei am 22.07.2013 verstorben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 05. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Februar 2011 zu verpflichten, bei ihr ab dem 13. Oktober 2009 die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist nicht statt zu geben.
Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind nach § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (Schwb¬AwV) landesrechtlich geregelt. In Baden-Württemberg enthielt § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV) vom 15.10.2004, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und seit dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl. 2009, S. 131) galt, die entsprechenden Regelungen. Danach stand der Nachteilsausgleich nach § 6 Nr. 8 RGebStV u.a. schwerbehinderten Menschen zu, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Der RGebStV hat nur bis zum 31.12.2012 gegolten. Nur bis zu diesem Tag hat das Merkzeichen "RF" eine volle Befreiung von den Rundfunkgebühren bedingt. Seit dem 01.01.2013 wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht mehr durch Gebühren, sondern durch Beiträge finanziert. Dies regelt nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch nicht geändert. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird der Rundfunkbeitrag nach § 2 Abs. 1 auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt: 1. Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 v.H. allein wegen der Sehbehinderung, 2. Hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und 3. Behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Nach § 4 Abs. 7 RBStV ist der Antrag auf Befreiung oder Ermäßigung vom Beitragsschuldner schriftlich bei der zuständigen Landesrundfunkanstalt zu stellen. Die Voraussetzungen für die Befreiung oder Ermäßigung sind durch die entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers im Original oder durch den entsprechenden Bescheid im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen. Als öffentliche Veranstaltungen sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 17.03.1982 – 9a/9 RVs 6/81 - juris Rn. 15 ff.). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Solange er mit technischen Mitteln oder mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise auch nur einzelne öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er an einer Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht gehindert (BSG, Urt. v. 11.01.1991, 9a/9 RVs 15/89, Juris; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 09.05.2011, L 8 SB 2294/10, juris Rn. 35 ff.). Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zugute kommt, die den ausdrücklich genannten schwerbehinderten Menschen (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial benachteiligten Menschen vergleichbar sind. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor, insbesondere ist bei ihr lediglich ein GdB von 50 festgestellt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.02.2012 - B 9 SB 2/11 R - juris) kommt die Feststellung des Merkzeichens "RF" zwar auch bei einem Menschen mit Behinderung mit einem GdB unter 80 in Betracht, wenn ein gesundheitlich bedingter Härtefall vorliegt. Ein solcher ist nach der Rechtsprechung des BSG dann gegeben, wenn eine Person mit einem GdB von weniger als 80 wegen eines besonderen psychischen Leidens ausnahmsweise an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht mehr teilnehmen kann (BSG, a.a.O., juris Rn. 24). Das BSG hat zum einen allerdings nicht ausgeführt, worin die Besonderheit des psychischen Leidens, das zum ständigen Ausschluss des Besuchs öffentlicher Veranstaltungen führt, gründet. In Betracht kommen könnte ein psychisches Leiden, das "normalerweise" nicht zu dieser Einschränkung führt, jedoch im Einzelfall so ausgeprägt ist, dass es dem Besuch öffentlicher Veranstaltungen entgegensteht. Zum anderen hat das BSG die Härtefallregelung dem einschlägigen (bayerischen) Landesrecht entnommen, wo der Verordnungsgeber in § 2 der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht v. 21.07.1992 eine entsprechende Regelung getroffen hatte. Diese Rechtsprechung ist auf die in Baden-Württemberg geltende Rechtslage nicht anwendbar. Insbesondere ist die Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 RBStV nicht einschlägig. Danach hat unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Abs. 1 die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt danach insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Abs. 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Danach bezieht sich die Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 RBStV nur auf die Befreiung von der Beitragspflicht in sozialen Notlagen nach § 4 Abs. 1 RBStV, nicht jedoch auf die Ermäßigung nach § 4 Abs. 2 RBStV. Eine analoge Anwendung auch auf die Ermäßigung würde zu einem Wertungswiderspruch führen. Denn dann würde derjenige, bei dem kein GdB von wenigstens 80 festgestellt ist, von der Beitragspflicht befreit werden können, während der schwerbehinderte Mensch mit einem GdB von wenigstens 80 lediglich in den Genuss einer Ermäßigung des Rundfunkbeitrags käme. Unabhängig hiervon sind die weiteren Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" nicht erfüllt. Denn die Klägerin ist wegen ihrer Erkrankungen nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Senat stützt sich hierbei auf die vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte. Der Allgemeinarzt Dr. F. hat als Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin auf nicht nervenärztlichem Fachgebiet unklare Beschwerden im Bereich der Beine und der Schultern beidseits genannt. Eine Einschränkung bezüglich des Besuchs öffentlicher Veranstaltungen ergibt sich daraus nicht. Insbesondere besteht keine Gehbehinderung. Eine Einschränkung der Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen folgt auch nicht aus der bei der Klägerin weiter vorliegenden chronifizierten Depression mit Somatisierung. Die Ärztin für Psychiatrie Dr. E. hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 14.07.2012 in nachvollziehbarer Weise ausgeführt, dass der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen prinzipiell möglich sei. Allein der Umstand, dass die Klägerin einer solchen Veranstaltung nichts Positives abgewinnen kann, steht der grundsätzlichen Möglichkeit einer Teilnahme nicht entgegen. Auch der weiter von Dr. E. mitgeteilte Umstand, dass der mit der Klägerin im Haushalt lebende Ehemann schwer krank und laut Aussagen der Klägerin stark in seiner Mobilität eingeschränkt sei, rechtfertigt gleichfalls nicht die Annahme, dass die Klägerin an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr teilnehmen kann. Denn die Betreuung des Ehepartners stellt keinen für das Merkzeichen "RF" relevanten Grund dar, an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilzunehmen, da diese Betreuung während der Zeit der Teilnahme an der jeweiligen Veranstaltung ggf. durch Dritte übernommen werden kann. Maßgeblich sind hierbei allein die beim Antragsteller vorliegenden gesundheitlichen Voraussetzungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
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