L 9 R 2936/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3500/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2936/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1963 geborene Klägerin ist gelernte Schneiderin und war als Näherin, Schneiderin und Zuschneiderin mit Unterbrechungen bis Oktober 2007 beschäftigt. Wegen eines Bandscheibenvorfalles im Bereich der Halswirbelsäule bezog die Klägerin daraufhin bis zur Aussteuerung durch die Krankenkasse am 15.02.2009 Krankengeld. Im Anschluss erhielt sie für ein Jahr Arbeitslosengeld I. Derzeit bezieht sie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Am 01.04.2009 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Unter Berücksichtigung beigezogener Befundberichte (u.a. des Reha-Entlassungsberichtes der Rehaklinik S., D., vom 29.02.2008 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 31.01.2008 bis 21.02.2008 sowie des Berichtes des S.-Klinikums V. vom 14.04.2008 über einen stationären Aufenthalt vom 08.04.2008 bis 14.04.2008 (ventrale Discektomie HWK6/7 am 09.04.2008) erstattete Dr. S. unter dem 08.05.2009 im Auftrag der Beklagten ein Gutachten. Sie gab als Diagnosen teils deutliche degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Operation eines Bandscheibenvorfalles, eine Bandscheibenprothese C6/7 (4/08) bei Wurzelkompressionssyndrom C7 links, eine Bandscheibenvorwölbung C5/6 und einen kleinen Bandscheibenvorfall Th8/9 an. Zum Untersuchungszeitpunkt haben keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen, keine wesentlichen sensomotorischen Ausfälle, keine objektivierbaren Nervenwurzelreizzeichen vorgelegen. Darüber hinaus bestanden ein bisher ohne Folgeerkrankungen medikamentös behandelter Bluthochdruck und der Verdacht auf eine Somatisierungsstörung. Die Tätigkeit als Zuschneiderin in einer Polstermöbelfabrik ausschließlich im Stehen in ständig nach vorn gebeugter Haltung könne aufgrund der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule nur noch unter dreistündig ausgeübt werden. In der Zusammenschau aller Befunde sei das Leistungsvermögen der Klägerin gemindert, jedoch nicht aufgehoben. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könnten auch weiterhin vollschichtig ausgeübt werden. Häufige Zwangshaltungen der Wirbelsäule, häufiges Bücken sowie häufige Überkopfarbeiten sollten vermieden werden. Die sozialmedizinisch relevanten Gehstrecken zum Erreichen eines Arbeitsplatzes seien der Klägerin problemlos möglich. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15.05.2009 die Gewährung einer Rente ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009).

Hiergegen hat die Klägerin am 27.10.2009 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.

Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen bei dem Schmerztherapeuten Dr. M. und der Oberärztin Dr. S., Klinikum K. Dr. M. hat unter dem 19.01.2010 über eine Behandlung der Klägerin vom 05.09.2008 bis 28.07.2009 berichtet. Er habe die Klägerin am 24.08.2009 an die Schmerzklinik K. überwiesen, einen Abschlussbericht habe er noch nicht erhalten. Dr. S. hat über ein chronisches Schmerzsyndrom Stadium II nach Gerbershagen, einen chronisch thorakalen Schmerz rechts bei kleinem Bandscheibenvorfall Th8/9 rechts sowie leichter Impression des Myelons, eine arterielle Hypertonie, einen Verdacht auf längere depressive Reaktion, über psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten und einen Zustand nach Discektomie HWK6/7 und Implantation einer Prothese berichtet (Schreiben vom 02.03.2010). Im Vordergrund stehe der thorakale Schmerz rechts. Während der epiduralen Opiatanalgesie vom 25.08. bis 08.09.2009 habe eine gute Schmerzreduktion erreicht werden können. Die Entlassung am 11.09.2009 sei in fast schmerzfreiem Zustand erfolgt. Zum Zeitpunkt der Entlassung aus der stationären Behandlung sei die Klägerin für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes höchstens vier Stunden täglich belastbar gewesen.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch das Einholen eines nervenärztlichen Gutachtens bei Dr. S., V ... Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 10.08.2010 degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule mit Bandscheibenschäden und einen Zustand nach durchgeführter Bandscheibenoperation beschrieben, ohne dass neurologische Funktionsausfälle bestünden. Es bestehe eine Schmerzstörung, bei der sowohl psychische Faktoren als auch ein medizinischer Krankheitsfaktor eine Rolle spielten. Die von der Klägerin beschriebenen Gefühlsstörungen am Rücken kämen bei Bandscheibenbeeinträchtigungen ausgehend von der Brustwirbelsäule nicht vor und auch nicht bei anderen neurologischen Erkrankungen. Es sei daher schwer zu entscheiden, ob von einer dissoziativen (von einer durch psychische Faktoren bedingten Gefühlsempfindungsstörung) auszugehen sei oder ob diese Angabe vor dem Hintergrund der auch bei der Begutachtung feststellbaren Verdeutlichungstendenz zu sehen sei. Es handele sich dabei jedenfalls um keine relevante bzw. funktionell wirksame Beeinträchtigung. Unter Berücksichtigung näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen sei die Klägerin in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG den Chirurgen und Orthopäden Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dr. S. hat unter dem 22.01.2011 einen Zustand nach Implantation einer Bandscheibenprothese zwischen dem sechsten und siebten Halswirbel, leichte degenerative Veränderungen der darüber liegenden Segmente, einen chronischen Reizzustand (Cervikalsyndrom) der Weichteilstrukturen der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in beide Arme (Cervikobrachialgie beidseits), einen Bandscheibenvorfall Th8/Th9 mit lokalem Reizzustand der Weichteile (Thorakalsyndrom) sowie beginnende umformende Veränderungen des rechten Schultereckgelenkes festgestellt. Überkopfarbeiten und das regelmäßige Heben und Tragen schwerer Lasten (mehr als 10 kg) sollten vermieden werden. Das Arbeiten in monotonen Haltungen und Zwangshaltungen sei nicht möglich. Eine Einschränkung ergebe sich auch hinsichtlich Tätigkeiten, die ausschließlich im Sitzen und hier überwiegend mit vorgebeugtem Oberkörper durchgeführt werden müssten. Besondere klimatische Bedingungen seien aufgrund der bestehenden muskulären Reizzustände zu meiden; ebenso Arbeiten, die besondere Ansprüche hinsichtlich der Verantwortung oder hinsichtlich einer besonderen geistigen Beanspruchung stellten. Unter Beachtung der qualitativen Leistungseinschränkungen sei die Klägerin auf unfallchirurgisch/orthopädischem Fachgebiet in der Lage, arbeitstäglich mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche leichte körperliche Arbeiten zu verrichten.

Auf weiteren Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG hat das SG Dr. D., B., mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 10.05.2011 hat er eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie ein C7-Wurzelkompressionssyndrom links festgestellt. Auf orthopädischem Gebiet bestünden deutliche degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Zustand nach Operation eines Bandscheibenvorfalls und Einsetzen einer Bandscheibenprothese C6/7 im April 2008 bei Bandscheibenvorwölbung C5/6 und kleinem Bandscheibenvorfall Th8/9. Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung sei erheblich und besitze eindeutigen Krankheitswert. Die Klägerin könne keine mittelschweren oder schweren körperlichen Arbeiten mit Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten mehr leisten. Wenn überhaupt, seien ihr nur leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen ohne Belastung durch Akkord oder Fließbandarbeit, psychischen Stress, Wechselschicht, Hitze, Kälte, Zugluft, Lärm und Arbeiten im Freien zumutbar. Sofern die Klägerin zurzeit überhaupt längere Zeit arbeiten könne, seien häufige Arbeitspausen über das übliche Maß hinaus erforderlich. Aufgrund der Schwere der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit Zunahme der Symptomatik im letzten Jahr, und Entwicklung zumindest einer schweren depressiven Episode mit Panikattacken im Dezember letzten Jahres, mit der Notwendigkeit einer stationären psychiatrischen Behandlung, sei die Klägerin derzeit nicht in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Ihr seien höchstens drei bis unter sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen zumutbar. Zu einer Besserung der Beschwerden dürften etwa zwei Jahre einer konstanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung erforderlich sein. Auf die Einwendungen des Neurologen und Psychiaters B. in dessen sozialmedizinischer Stellungnahme vom 11.10.2011 hat Dr. D. unter dem 01.12.2011 noch einmal ergänzend Stellung genommen. Hierauf hat die Beklagte eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme vom 10.02.2012 vorgelegt.

Die Klägerin befand sich vom 07.12.2010 bis 17.12.2010 in stationärer Behandlung der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Neurologie R. Sie wurde u.a. mit den Diagnosen "Depressive Episode, derzeit schwere Episode (F32.2), Panikattacken (F41.00)" in ausreichend gut stabilisiertem Zustand, frei von depressiven Symptomen und frei von Eigen- und Fremdgefährdung am 17.12.2010 auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen.

Mit Urteil vom 22.05.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Darlegung der entsprechenden Rechtsgrundlagen hat es die Auffassung vertreten, dass die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Zur Begründung bezog es sich auf die Gutachten von Dr. S. und Dr. S ... Die Kammer habe sich insbesondere nicht davon überzeugen können, dass es nach der Begutachtung bei Dr. S. zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen sei, wie dies Dr. D. angegeben habe. Die Klägerin sei aus der Klinik R. im Dezember 2010 nach nur zehn Tagen andauerndem Aufenthalt entlassen worden, ohne dass in der Folgezeit eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung erfolgt sei. Deshalb bestünden ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer entsprechend schwergradigen Depression bzw. deute dies zumindest auf keinen sehr ausgeprägten Leidensdruck hin.

Gegen das ihr am 03.07.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.07.2012 Berufung eingelegt. Unter Verweis auf einen Bericht ihres behandelnden Chirurgen Dr. B. hält sie daran fest, erwerbsgemindert zu sein. Sie weist zudem darauf hin, dass sie am 01.06.2012 an der Wirbelsäule operiert worden sei. Eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme stehe unmittelbar bevor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. Mai 2012 sowie den Bescheid vom 15. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe ab dem 1. April 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat den Bericht der F.klinik Bad B. vom 31.08.2012 vorgelegt, wo sich die Klägerin vom 06.08.2012 bis 27.08.2012 in stationärer Behandlung befunden hat. Dort sind als Diagnosen eine Nukleotomie und Teilvertebrektomie BSV Th8/9 am 01.06.2012, eine eingeschränkte Wirbelsäulenbeweglichkeit, eine Bandscheibenprothesenimplantation 04/08 in Höhe C6/7 sowie eine arterielle Hypertonie, eine Hypothyreose sowie eine gemischte Hyperlipidämie angegeben. Es war vermerkt worden, dass bei der Abschlussuntersuchung aktuell über keine Schmerzen zervikal geklagt worden sei. Die HWS sei nicht wesentlich bewegungseingeschränkt gewesen, die BWS etwas beschwerdegelindert. Nach wie vor bestehe eine Taubheit rechts paravertebral ausstrahlend in Höhe der operierten Bandscheiben. Im Rahmen der Rehamaßnahme habe eine weitere Beschwerdelinderung und insbesondere eine Verbesserung des Alltagsaktivitätsniveaus erzielt werden können. Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bezogen seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in überwiegend stehender, gehender oder sitzender Position und zu allen Schichtmodellen möglich. Vermieden werden sollten häufige Arbeiten in Wirbelsäulen-Zwangshaltungen sowohl zervikal als auch lumbal, ebenso häufiges Arbeiten in gebückter Position.

Die Klägerin hat eingewandt, der behandelnde Oberarzt habe sich ihr gegenüber dahingehend geäußert, dass sie in ihrem Zustand auf keinen Fall auch nur leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten könne. Darüber hinaus hätte die durchgeführte Operation zu keiner Besserung der Beschwerden geführt. Vielmehr sei es so, dass das zuvor bestehende Taubheitsgefühl noch zugenommen habe. Auf der rechten Seite sei der Bereich der Brustwirbelsäule von den unteren Rippen bis zu dem Schulterblatt taub.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen bei der Fachärztin für Allgemeinmedizin K. und beim Chirurgen Dr. B. Die Hausärztin hat ausgeführt, dass die Klägerin angegeben habe, keine Tätigkeit über einen längeren Zeitraum (zwei bis drei Stunden) ausüben zu können, ohne dass sie starke Beschwerden habe, die sie zur Aufgabe der Arbeit zwängen. Der Chirurg Dr. B. hat unter dem 10.03.2013 mitteilt, die Klägerin vom 12.12.2011 bis zum 24.07.2012 behandelt zu haben. Zur Untersuchung am 24.07.2012 hat er ausgeführt, dass die Klägerin angegeben habe, dass sich die Schmerzen nach der Operation gebessert hätten. Er hat angegeben, dass die Klägerin unter einem schweren Schmerzsyndrom, welches u.a. auch mit einem Phentanylpflaster behandelt werde, leide. Hinzu komme der Bandscheibenvorfall Th8. Das schwere Schmerzsyndrom schließe eine berufliche Tätigkeit aus, deswegen seien auch leichte Tätigkeiten nur unter drei Stunden am Tag möglich.

Mit Verfügung vom 14.03.2013 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Eine Stellungnahme der Klägerin ist trotz gewährter stillschweigender Fristverlängerung nicht mehr eingegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte und das SG haben zu Recht entschieden, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht zusteht.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 14.03.2013 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand März 2013, § 43 SGB VI Rn. 58 und 30 ff.).

Die Klägerin ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats nicht voll erwerbsgemindert.

Eine Erwerbsminderung der Klägerin, das heißt ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere aus den Gutachten von Dr. S., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten kann, von Dr. S. und Dr. S.

Danach bestehen seit 2006 bei der Klägerin aufgrund der nachgewiesenen degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule chronisch therapieresistente Schmerzen im HWS-Bereich, die in die Schulter und den Arm ausstrahlen (Dr. M., Bericht vom 29.09.2008, M7 der Akten der Beklagten). An organischen Befunden sind auf chirurgisch/orthopädischem Fachgebiet zunächst die Folgen einer ventralen Discektomie HWK 6/7 und die Implantation einer Bandscheiben-Prothese sowie ein Bandscheibenvorfall Th8/Th9 mit lokalem Reizzustand der Weichteile zu berücksichtigen. Eine wesentliche Bewegungseinschränkung ist hiermit nicht verbunden, was der Senat den Gutachten von Dr. S. und Dr. S. (An- und Auskleiden zügig und problemlos, ebenso das Hinlegen und Aufrichten von der Untersuchungsliege) entnimmt. Gleiches schildert auch der nach § 109 SGG gehörte Orthopäde Dr. S., der angegeben hat, schwerwiegende Befunde hätten sich auf orthopädischem Fachgebiet nicht feststellen lassen. Angesichts der Versorgung mit einem Bandscheibenimplantat, des beschriebenen chronischen Reizzustandes mit Ausstrahlung in beide Arme ist schlüssig und nachvollziehbar, dass hierdurch Überkopfarbeiten nicht mehr zumutbar und das Heben und Tragen von Gegenständen mit mehr als 10 kg, sowie das Arbeiten in monotonen Haltungen und Zwangshaltungen nicht mehr möglich sind, wie dies sowohl Dr. S. als auch von Dr. S. ausgeführt haben. Eine zeitliche Leistungsminderung resultiert hieraus jedoch nicht, was auch der nach § 109 SGG gehört Sachverständige Dr. S. bestätigt hat.

Bei neurologisch unauffälligem Befund und unter Berücksichtigung der nach den vorliegenden Röntgenaufnahmen in regelrechter Lage und Funktion implantierten Bandscheibenprothese besteht eine Diskrepanz zwischen der geschilderten Beschwerdeintensität und den objektivierbaren Befunden (Gutachten Dr. S., Dr. S., Dr. S.). Insoweit ist, wie Dr. S. überzeugend und nachvollziehbar festgestellt hat, von einer Schmerzstörung mit sowohl psychischen Faktoren wie auch mit einem medizinischen Krankheitsfaktor auszugehen. Die Kriterien für die Annahme einer somatoformen Schmerzstörung liegen nach seiner Einschätzung nicht vollständig vor. Die beschriebene Einschränkung hindert die Klägerin aber ebenfalls nicht, leichtere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens 6 Stunden am Tag auszuüben. Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen von Dr. S., der zunächst festgestellt hat, dass weder eine krankheitswertige Depression noch eine sonstige somatoforme Störung, eine Angststörung oder andere psychische Störung von Krankheitswert nachgewiesen werden konnte. Darüber hinaus haben Behandlungsmaßnahmen, wie etwa der operative Eingriff im April 2008 und der stationäre Aufenthalt in der Schmerzklinik K., aus der die Klägerin "fast schmerzfrei" entlassen wurde (insoweit ist die abgegebene Einschätzung eines Leistungsvermögens von vier Stunden am Tag in der sachverständigen Zeugenaussage vom 02.03.2010 schon nicht plausibel), regelmäßig zu einer Linderung der Beschwerden geführt, woraus Dr. S. zu Recht schließt, dass die psychische Komponente für das Schmerzerleben nicht im Vordergrund steht. Insoweit lassen sich daher weder Diagnosen beschreiben, die eine zeitliche Leistungsminderung nachvollziehbar machen könnten, noch ist aufgrund des geschilderten Befundes plausibel, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sein soll, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wozu im Übrigen auch rein aufsichtsführende Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung gehören, auszuüben. Dieser Einschätzung steht auch das Gutachten von Dr. D. nicht entgegen. Der Senat vermag sich seiner Einschätzung, es sei nach der Untersuchung durch Dr. S. zu einer wesentlichen Verschlimmerung gekommen, nicht anzuschließen. Die Diagnosen im Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie R. nach einem stationären Aufenthalt der Klägerin dort vom 07. bis 17.12.2010 belegen zwar eine zum damaligen Zeitpunkt bestehende depressive Episode in einer damals schweren Ausprägung, sie belegen aber keine dauerhafte und anhaltende Gesundheitsbeeinträchtigung in dieser Ausprägung. So wurde die Klägerin nach "nur" 10 Tagen (vgl. zur bei dieser Diagnose eher ungewöhnlich kurzen Dauer des Aufenthaltes die sozialmedizinische Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. B., die der Senat im Wege des qualifizierten Beteiligtenvortrages verwerten kann) "ausreichend stabilisiert" wieder entlassen. Eine Depression als eigenständige Erkrankung wird unter den von Dr. D. angegebenen Diagnosen auf nervenärztlichem Fachgebiet schon nicht aufgeführt. Dass es zu schweren und kurzdauernden Depressionen kommen kann, wie er ausgeführt hat, reicht zudem nicht aus, hieraus eine andauernde Leistungsminderung abzuleiten. Zum Zeitpunkt seiner Begutachtung hat die Klägerin im Übrigen schon keine Antidepressiva mehr eingenommen. Schließlich führt er selbst aus, dass es unter entsprechender medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung rasch zu einer Besserung der depressiven Symptomatik gekommen war. Soweit er zur Begründung der von ihm angenommenen Leistungseinschränkung auf unter sechs Stunden auf die fortbestehende Schmerzsymptomatik verweist, die er einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung unterordnet, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn die angenommene Verschlimmerung begründet er gerade mit der Notwendigkeit eines stationären Aufenthaltes wegen einer schweren depressiven Episode mit Panikattacken, die aber als weitgehend abgeklungen angesehen werden muss, nachdem er selbst entsprechende Diagnosen nicht mehr aufführt. Eine Zunahme der Schmerzen dergestalt, dass tatsächlich keine Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen mehr bestehen soll, vermag der Senat dem Gutachten nicht schlüssig zu entnehmen. Dies gilt umso mehr, als Dr. D. selbst anmahnt, eine notwendige psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei bislang noch (immer) nicht eingeleitet worden. Die Behandlung beim Schmerztherapeuten Dr. M., als auch in der Schmerzklinik K. hat die Klägerin zudem abgebrochen bzw. nicht weitergeführt, obwohl eine entsprechende Empfehlung gerade von der Klinik R. ausgesprochen wurde. Die Behandlung wird offensichtlich derzeit nur noch hausärztlich durchgeführt, was ebenfalls angesichts der geschilderten Beschwerden nicht nachvollziehbar ist und für die Beobachtungen der gehörten Sachverständigen spricht, die geklagten Beschwerden könnten mit dem objektiven Befund nicht in Einklang gebracht werden. Insoweit ist auch nicht schlüssig, wenn Dr. D. entgegen aller anderen gehörten Gutachter ohne nähere Begründung häufige, über das übliche Maß hinausgehende Arbeitspausen für erforderlich hält.

Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht aufgrund der am 01.06.2012 erfolgten Nukleotomie und Teilvertebrektomie des BSV Th8/9 beim Facharzt für Neurochirurgie Dr. R., Bad H. Über den operativen Eingriff hinausgehend lässt sich eine Änderung des Beschwerdebildes nicht feststellen. Seine postoperative Kontrolle belegt eine vollständige Dekompression und regelrechte Rekonstruktion. Die präoperativ nach ventral ausstrahlenden Schmerzen waren schon zum Zeitpunkt der Entlassung dort deutlich rückläufig gewesen. Insoweit vermag der Senat die Einwendungen gegen die Einlassungen der F.klinik Bad B. im ärztlichen Entlassungsbericht vom 31.08.2012 nur bedingt nachzuvollziehen. Die angeblich falsch dargestellten Angaben beziehen sich - abgesehen vom Alter, das statt mit 49 tatsächlich mit 59 angegeben wurde - allein auf aus Sicht der Klägerin unzutreffend wiedergegebene eigene Äußerungen (Tragen des mitgebrachten Phentanyl-Pflasters, Einverständnis, als vollschichtig leistungsfähig entlassen zu werden). Soweit angeblich Oberarzt K. geäußert haben soll, der Klägerin seien auch keine leichten Tätigkeiten mehr vollschichtig zumutbar, findet dies in dem im Übrigen von Dr. K. mitunterzeichneten Bericht keine Bestätigung. Der Senat kann offenlassen, ob diese Angaben tatsächlich gemacht wurden. Die im Bericht enthaltenen Befunde, die im Übrigen von der Klägerin nicht angezweifelt wurden, belegen die im Entlassungsbericht vorgenommene Leistungseinschätzung, der auch weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen bestätigt. Der Entlassungsbericht geht zunächst - und entgegen der Einlassungen der Klägerin - davon aus, dass eine Tätigkeit als Schneiderin tatsächlich nicht mehr zumutbar ist (vgl. Beschreibung des Leistungsbildes unter B.3 des Entlassungsberichtes). Über Instabilitäten im Bereich der Wirbelsäule ist weder vom Operateur berichtet worden, noch lässt sich Entsprechendes dem Aufnahmebefund oder der Abschlussuntersuchung entnehmen. Das An- und Auskleiden war im Übrigen schon bei der Aufnahmeuntersuchung selbstständig und problemlos möglich, ebenso wie der Nacken- und Schürzengriff durchführbar gewesen sind. Die von der Klägerin beantragte Anhörung der Hausärztin und des Orthopäden Dr. B. haben keine neuen Befunde und Erkenntnisse erbracht. Eigene Untersuchungsbefunde (abgesehen von der Klage über Muskelhartspann und der Klage über eine mangelnde Wirksamkeit von Phentanyl) hat Dr. K. nicht mitgeteilt, insbesondere auch keine Befunde, die in der Folge der Operation am 01.06.2012 festzustellen waren. Dr. B. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 10.03.2013 ausgeführt, die Klägerin zuletzt am 24.07.2012 behandelt zu haben. Dies war noch vor der Aufnahme zur Anschlussheilbehandlung in der F.klinik Bad B. und vermag daher auch keinen Aufschluss über den derzeitigen Gesundheitszustand und vor allem den Zustand unmittelbar nach Ende der Heilmaßnahme zu geben. Bemerkenswert ist allerdings, dass auch Dr. B. über eine Besserung der Schmerzen nach der Operation berichtet, eine bestehende Instabilität der Wirbelsäule, wie sie die Klägerin unter Bezugnahme auf Dr. K. behauptet, aber ebenfalls unerwähnt lässt. Der Senat hat daher - nachdem auch die Medikation weder umgestellt noch andere Behandlungsmaßnahmen eingeleitet wurden - keinen Zweifel, dass auch nach dem operativen Eingriff im Juni 2012 es zumindest zu keiner wesentlichen Verschlechterung des Beschwerdebildes gekommen ist und der Klägerin leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen auch weiterhin zumutbar sind. Der von Dr. B. vertretenen Auffassung, wegen des schweren Schmerzsyndroms seien der Klägerin keine auch nur leichten Tätigkeiten mehr zumutbar, vermag der Senat angesichts einer zuletzt 9 Monate zurückliegenden letzten Konsultation und eines davorliegenden nur zweimaligen Kontaktes sowie unter Berücksichtigung der vorliegenden fachspezifischen Gutachten nicht näher zu treten. Er selbst weist darauf hin, dass unklar sei, ob und inwieweit sich das thorakale Schmerzsyndrom nach der Operation verändert hat.

Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass das von der Klägerin geltend gemachte Taubheitsgefühl im Bereich der Brustwirbelsäule und dessen Zunahme nach der Operation für die Leistungsbeurteilung nicht relevant ist, worauf bereits Dr. S. hingewiesen hat.

Schließlich besteht auch keine Notwendigkeit, eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen, weil die wesentlichen Einschränkungen bereits durch die Begrenzung auf leichte Arbeiten Berücksichtigung finden. Darüber hinaus ist die Gehfähigkeit der Klägerin nach übereinstimmender Auffassung der Gutachter und zur Überzeugung des Senats auch nicht derart eingeschränkt, dass sie nicht in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Sie ist vielmehr in der Lage, wenigstens viermal arbeitstäglich Wegstrecken von 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen.

Schließlich ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass ein Anspruch nach § 240 SGB VI auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Klägerin nach dem 01.01.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Damit ist die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weshalb die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen ist.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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