L 4 KR 4624/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 360/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4624/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Präimplantationsdiagnostik unterfällt weder den Anspruchsregelungen der §§ 25, 26 SGB V als Maßnahme der Früherkennung, noch stellt sie eine Maßnahme der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V dar noch ist sie nach § 27a SGB V zu gewähren noch liegt insoweit ein Systemmangel vor (siehe bereits Urteil des Senats vom 19.04.2013 - L 4 KR 5058/12 -).
Revision anhängig B 1 KR 19/13 R.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. September 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Durchführung reproduktionsmedizinischer Behandlungen mittels In-Vitro-Fertilisation (IVF) in Höhe von EUR 21.578,31 zu erstatten hat und ob sie dem Kläger zunächst zwei weitere Behandlungszyklen als Sachleistung zu gewähren hat.

Der am 1976 geborene Kläger und die am 1982 geborene M. K. (im Folgenden M.K.) sind verheiratet. Der Kläger, bei dem keine Fertilitätsstörung vorliegt, ist bei der Beklagten versichert. Er leidet an einer cerebralen autosomal dominanten Artheriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukoenzephalopathie (CADASIL), einer dominant-rezessiv vererbbaren neurologischen Erkrankung, die einen degenerativen Verlauf bis zur Demenz nehmen kann und für die es keine kausale Therapie gibt.

Wegen des Kinderwunsches des Klägers und von M.K. fertigte der Urologe Dr. Sc. am 28. Juni 2011 ein Spermiogramm des Klägers an. Am 29. Juni 2011 führten die Gynäkologen Dr. P.-K., T. und Dr. S. Beratungsgespräche mit dem Kläger und M.K. durch, am 30. August 2011 wurde bei M.K. und am 19. September 2011 beim Kläger eine Infektionsdiagnostik durchgeführt. Außerdem wurde M.K. am 8. September 2011 von Dr. P.-K., T. und Dr. S. voruntersucht. Diese Untersuchungen fanden jeweils in Deutschland statt. Insgesamt wurde dem Kläger und M.K. hierfür ein Betrag in Höhe von EUR 478,96 in Rechnung gestellt.

Am 21. September 2011 beantragten der Kläger und M.K. bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung. Sie begehrten einen Zuschuss zur PID, zumindest in der Höhe, die der üblichen Kostenübernahme bei einer künstlichen Befruchtung entspricht. Zur Begründung trugen sie vor, dass diese Behandlung für sie die einzige Möglichkeit sei, ihrem Kind und auch ihnen unnötiges Leid und eine immense psychische Belastung zu ersparen. Da die PID in Deutschland seit dem 7. Juli 2011 zwar zulässig, auf nicht absehbare Zeit aber technisch noch nicht möglich sei, seien sie darauf angewiesen, die Behandlung im Ausland durchführen zu lassen. Nach einer umfassenden Beratung, die auch die medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte der PID mit eingeschlossen habe, sei ihnen von ihren Ärzten geraten worden, sich an das "Centrum voor Reproductieve Geneeskunde" der Universitätsklinik Brüssel zu wenden, da dieses über die nötigen technischen Mittel und die nötige praktische Erfahrung verfüge. Sie fügten die ärztliche Bescheinigung des Internisten, Diabetologen und Kardiologen Dr. P. vom 14. September 2011, eine Kostenaufstellung für Selbstzahler für eine IVF des Kinderwunschzentrums H. ohne Datum und einen Kostenvoranschlag des Prof. Dr. L. und Dr. V., Belgien, Version 12/2010 bei.

Mit an den Kläger und M.K. gerichtetem Bescheid vom 28. September 2011 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung bei zuvor durchzuführender PID ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Maßnahmen der künstlichen Befruchtung u.a. dann eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung darstellten, wenn eine Fertilitätsstörung vorliege. Im Falle des Klägers und von M.K. sei zwar das Vorliegen einer vererbbaren Erkrankung, nicht jedoch eine eingeschränkte Zeugungsfähigkeit bestätigt. Nach den derzeit gültigen Richtlinien stelle das Vorliegen einer vererbbaren Erkrankung keine Grundlage zur Einleitung einer künstlichen Befruchtung dar. Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung könnten daher nicht bewilligt werden. Eine Bewilligung im Ausland - hier in der Universitätsklinik in Brüssel - scheide demnach ebenfalls aus.

Dagegen legten der Kläger und M.K., die mit Ausnahme von Blutuntersuchungen im Februar 2012 und in den Monaten Mai bis Juli 2012 die weitere Behandlung am 11. Oktober 2011 in Brüssel fortsetzten, wo - im Ergebnis ohne Erfolg - am 25. Februar 2012 eine erste und am 18. Juni 2012 eine zweite IVF mit vorangehender PID durchgeführt wurde, Widerspruch ein. Unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens wiesen sie ergänzend darauf hin, dass die PID nach dem Gesetzesentwurf 17/5451, der am 7. Juli 2011 im Bundestag bewilligt worden sei, eine Maßnahme darstelle, die bei schwerwiegenden vererbbaren Krankheiten durchaus den Vorgaben innerhalb der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Die eigene Übernahme der Kosten für eine PID stelle für sie eine extreme soziale Härte dar, die sie finanziell überfordere.

Mit an den Kläger gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2011 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Inwieweit und in welchem Umfang die Behandlung im EWR-Ausland zu erstatten sei, richte sich nach dem nationalen Sachleistungssystem. Die Regelungen des § 13 Abs. 4 bis 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) führten nicht dazu, dass auch solche Behandlungen erstattet werden müssten, die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verboten seien. Dies ergäbe sich daraus, dass nach § 13 Abs. 1 SGB V die Kostenerstattung grundsätzlich anstelle der Sachleistung trete. Die Kostenerstattung nach dieser Vorschrift könne somit nur dann beansprucht werden, wenn alle nach deutschem Recht (hierzu gehörten beispielsweise auch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses -GBA-) maßgeblichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt seien. Dazu zähle unter anderem, wie auch bei einer Inanspruchnahme im Inland, das Vorliegen der medizinischen Indikation für die jeweils vorgesehene Behandlungsmethode. Maßgebend für die Beurteilung, ob ein Sachleistungsanspruch bestehe, sei § 27a SGB V. Grundsätzlich sei eine IVF oder Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) entsprechend § 27a SGB V i.V.m. den Richtlinien des GBA über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (Richtlinien über künstliche Befruchtung) eine von der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldete Leistung. Die vom Kläger gewünschte PID stelle jedoch keine Leistung zu Lasten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung dar. Insofern begründe dies für sie, die Beklagte, keine Möglichkeit, sich an den Kosten für die in Belgien begehrte Kinderwunschbehandlung zu beteiligen.

Deswegen erhoben der Kläger und M.K., die ihre Klage im weiteren Verlauf zurücknahm, am 24. Januar 2012 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Insbesondere wegen des CADASIL-Syndroms, welches dominant vererbt werde, bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass seine Nachkommen mit der gleichen Krankheit belastet seien. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine PID seien daher erfüllt. Sie hätten die Behandlungsmaßnahmen in Belgien durchführen lassen, da die Maßnahme bis jetzt in Deutschland nicht zur Verfügung stehe. Für die PID selbst würden die Einschränkungen zur Leistungshöhe aus § 27a SGB V nicht gelten. Auch für den IVF-Behandlungsteil würden sie hier nicht gelten, da ursächlich nicht eine Sterilitätserkrankung, sondern eine genetische Erkrankung sei. Es sei deshalb nicht § 27a SGB V, sondern § 27 SGB V anzuwenden. Der Kläger legte neben einer Kostenaufstellung der bisher erfolgten Behandlungen in der Zeit vom 28. Juni 2011 bis 2. Juli 2012 und der entsprechenden Rechnungen in Höhe von EUR 13.073,24 für Voruntersuchungen in Deutschland, Medikamente und den ersten Behandlungsversuch in Brüssel am 25. Februar 2012 sowie in Höhe von EUR 8.505,07 für Voruntersuchungen in Deutschland, Medikamente und den zweiten Behandlungsversuch in Brüssel am 18. Juni 2012 folgende Arztbriefe, Bescheinigungen, Beurteilungen und Rechnungen vor: • des Prof. Dr. G., Städtisches Klinikum K., Neurologische Klinik vom 16. Dezember 2008, über die stationäre Behandlung vom 21. bis 24. November 2011 (Diagnose: rechtscerebrale transitorische ischämische Attacke (TIA), Differentialdiagnostik Erstmanifestation Migräne mit Aura, Leukencephalopthie unklarer Ätiologie, vasovagale Synkope nach Blutentnahme mit kurzzeitiger Asystolie), • des Dr. M., Städtisches Klinikum K., Neurologische Klinik vom 1. Juni 2010 (Diagnose: dringender Verdacht auf CADASIL), • der Ärztin für Humangenetik Dr. J. vom 2. August 2010 und 8. Juni 2011 (Diagnose: Verdacht auf CADASIL; PID-Behandlung in Deutschland derzeit nicht möglich) und • des Dr. Sk., Zentrum für Humangenetik M. vom 16. August 2010 (Ergebnis: heterozygoter Nachweis der Mutation p.R133C im NOTCH3-Gen),

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit Urteil vom 19. September 2012 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte das SG aus, die Beklagte habe zutreffend die Anspruchsvoraussetzungen des § 13 SGB V verneint. Ergänzend sei auszuführen, dass die streitige Behandlung, insbesondere auch die künstliche Befruchtung, nicht wegen einer Fertilitätsstörung des Klägers erfolge, sondern ausschließlich deshalb, weil allein die PID die Möglichkeit eröffne, für die Implantation erbgesunde Zellen aufzufinden und damit die Chance zur Geburt eines gesunden Kindes zu erhöhen. § 27a SGB V und die dazu ergangene Richtlinie über künstliche Befruchtung vom 14. August 1990, zuletzt geändert am 21. Juli 2011, räumten dem Kläger jedoch keinen Anspruch auf Maßnahmen der Befruchtungsmedizin ein, die über die notwendige Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft hinausgingen. Eine Änderung der §§ 27a, 27 SGB V sei mit der Neufassung des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz -ESchG-) vom 13. Dezember 1990, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. November 2011 (BGBl. I, 2228), nicht erfolgt. Gemäß § 3a Abs. 2 Satz 2 ESchG werde abweichend von der in § 3a Abs. 1 erfolgten Strafbewehrung bestimmt: Bestehe aufgrund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stamme, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stamme, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, handele nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit genetisch untersuche. Die durch das Gesetz vom 21. November 2011 vorgenommene Änderung des ESchG ändere jedoch nichts an der krankenversicherungsrechtlichen Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers. Denn die Frage, ob die PID vorliegend in Deutschland strafrechtlich bewehrt sei oder nach Maßgabe des § 3a Abs.2 ESchG nicht rechtswidrig durchgeführt werden könne, sei von der Frage nach dem aus § 27a SGB V resultierenden Anspruch auf Maßnahmen der Befruchtungsmedizin zu trennen. Nach § 27a SGB V schulde die Beklagte nur diejenigen Maßnahmen, die zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich seien, nicht aber solche Maßnahmen, die sich darüber hinaus auf die Geburt eines gesunden Kindes richteten. Eine erweiternde Auslegung des § 27a SGB V oder des § 27 SGB V im klägerischen Sinne scheide aus. Die einen ethisch-rechtlich umstrittenen Sachverhalt betreffende Entscheidung, ob über die Änderung des ESchG hinaus krankenversicherungsrechtlich ein Leistungsanspruch für die PID unter welchen Voraussetzungen auch immer bestehen solle, bedürfe ebenfalls einer eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung. § 27 SGB V sei für die Beurteilung, ob ein Sachleistungsanspruch bestanden habe und hinsichtlich eines dritten und vierten Zyklusses bestehe, nicht einschlägig. Maßnahmen, die sich als Teil einer künstlichen Befruchtung erwiesen, regele das Gesetz allein im Rahmen des § 27a SGBV (hierzu umfassend Bundessozialgericht [BSG] vom 28. September 2010 - B 1 KR 26/09 R -, in juris). Ungeachtet dessen beinhalte die PID nicht eine Krankenbehandlung des Klägers gemäß § 27 SGB V. Die PID sei keine Maßnahme mit Therapiecharakter, sondern sei - wie ausgeführt - eine solche, die ausschließlich dazu diene, erbgesunde Zellen aufzufinden. Eine Therapie der klägerischen Erkrankung als solcher erfolge nicht.

Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 10. Oktober 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. November 2012 Berufung eingelegt. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, die Erwägungen des SG, die streitgegenständliche Behandlung stehe nicht im Zusammenhang mit einer Fertilitätsstörung seinerseits, greife sowohl in medizinischer wie in rechtlicher Hinsicht zu kurz. Für die Begriffe "Krankheit", "Krankheitsbeschwerden" und "Krankenbehandlung" gelte eine medizinisch-funktionale Sichtweise. Bei ihm liege eine gestörte Körperfunktion vor. Zu einem gesunden Körperzustand einer Person im fortpflanzungsfähigen Alter gehöre nämlich nicht nur die Fertilität an sich, sondern auch die Fähigkeit, gesunde Nachkommen - frei von Erbkrankheiten - zu zeugen. An letzterem mangele es. Insoweit liege eine Krankheit seinerseits vor. Diese Krankheit bzw. deren Folgen könne durch die streitgegenständliche Behandlung gelindert werden. Denn die streitgegenständliche Behandlung ziele darauf ab, befruchtete Eizellen vom weiteren Fortpflanzungsvorgang auszuschließen, wenn diese jeweils seine Erbkrankheit tragen würden. Aus medizinischer Sicht sei dies Krankenbehandlung. Unerheblich sei, dass die Krankheit durch die Behandlungsmaßnahme nicht gänzlich behoben werden könne und dass die Behandlung nicht direkt einen Körperteil seinerseits verändere. Letzteres gehöre nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des SGB V. Nicht relevant sei auch der Umstand, dass bei der Therapie befruchtete Eizellen, die Träger der Krankheit seien, nicht behandelt, sondern ausgesondert würden. Die Therapie eines Leidens könne gerade darin liegen, hiervon betroffene Körperteile zu entfernen. § 3a ESchG sei mit Blick auf eine Klagabweisung unbehelflich. Die Vorschrift besage lediglich, dass bei gegebener Indikationslage die PID nicht rechtswidrig sei. Das SG habe auch das Regelungsverhältnis der §§ 27, 27a SGB V verkannt. § 27 SGB V gewähre Krankenbehandlung und stelle in Abs. 1 Satz 4 fest, dass zur Krankenbehandlung auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit gehörten. Eine Einschränkung dahingehend, dass hiermit nur die Zeugungsfähigkeit an sich, nicht aber auch in qualitativ gesunder Weise gemeint sein soll, sei der Vorschrift nicht zu entnehmen. Eine derartige einschränkende Auslegung würde dem Krankheitsbegriff widersprechen. § 27a SGB V sei eine Spezialregelung für den Fall, dass die Krankheit gerade darin liege, dass zu deren Überwindung reproduktionsmedizinische Maßnahmen notwendig seien. Nur in diesem Anwendungsbereich sei § 27a SGB V lex specialis zu § 27 SGB V. Dieser Anwendungsbereich sei hier indes nicht eröffnet. Rechtsethisch unvertretbar sei es, die Pränataldiagnostik und Spätabtreibung als Kassenleistung zu gewähren, das Erkennen gesunder Embryonen im Alter von wenigen Tagen, welches Spätabtreibungen überflüssig mache, jedoch als Kassenleistung zu verwehren. Hierin läge auch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung beider Fallgruppen. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei auch deshalb verletzt, da eine Rechtsordnung, die zu Spätabtreibungen zwinge, nicht auf sachgerechten Erwägungen beruhen könne. Das Urteil des Senats vom 19. April 2013 - L 4 KR 5058/12 - vertrage sich nicht mit einer grundrechtsorientierten Auslegung zu § 27 SGB V (vgl. dazu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März 2011, L 5 KR 177/10, in juris). Diese Rechtsauffassung würde ihn zwingen, sich und M.K. Schwangerschaften auf Probe mit all den vorgetragenen Folgen, z.B. auch Spätabtreibungen, zuzumuten. Dies sei keine angemessene und verhältnismäßige Alternative. Ganz abgesehen davon, dass die damit verbundenen Kosten, die wiederum Kassenleistungen wären, beträchtlich seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts K. vom 19. September 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm bislang entstandene Kosten für zwei Behandlungszyklen der künstlichen Befruchtung mit Präimplantationsdiagnostik in Höhe von EUR 21.578,31 zu erstatten und die Beklagte zu verurteilen, ihm zunächst zwei weitere Behandlungszyklen der künstlichen Befruchtung mit Präimplantationsdiagnostik als Sachleistung zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der Senat hat die Beteiligten auf sein Urteil vom 19. April 2013 - L 4 KR 5058/12 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) hingewiesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten in beiden Instanzenzügen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von EUR 750,00 ist überschritten. Bereits der Erstattungsanspruch, den der Kläger geltend macht, beläuft sich auf EUR 21.578,31.

Die zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen keine Ansprüche auf Erstattung der Kosten für die bereits durchgeführte zweimalige PID und IVF noch auf die Übernahme der Kosten für weitere Behandlungszyklen zu.

Dem Anspruch auf Erstattung der in der Zeit vom 28. Juni bis 19. September 2011 angefallenen Kosten in Höhe von EUR 478,96 steht bereits entgegen, dass dem Kläger insoweit nicht dadurch Kosten entstanden sind, dass die Beklagte die Leistung abgelehnt hat (hierzu 1. a)). Darüber hinaus besteht aber auch insgesamt kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die PID (hierzu 1. b)) und der IVF (hierzu 1.c)). Auch verfassungsrechtliche Einwände schlagen nicht durch (hierzu 1.d)). Damit besteht auch kein Anspruch auf Übernahme künftiger Kosten (hierzu 2.). Nachdem die Leistungen zu Lasten der Beklagten in Deutschland nicht in Anspruch genommen werden können, kommt auch die Erstattung bzw. Übernahme der Kosten für in Belgien erbrachte Leistungen nicht in Betracht (hierzu 3.).

1. Der Kläger hat nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt. Als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch scheidet § 13 Abs. 2 SGB V deshalb aus.

Als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch kommt damit nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind einem Versicherten von der Krankenkasse Kosten für eine selbst beschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war.

a) Bezüglich der in der Zeit vom 28. Juni bis 19. September 2011 angefallenen Kosten fehlt es schon an der Voraussetzung, dass dem Kläger dadurch Kosten entstanden sind, dass die Beklagte die Leistung abgelehnt hat (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V).

Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach ständiger Rechtsprechung aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 SGB V soll einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall gewähren, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 15. April 1997 - 1 BK 31/96 -; Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 5/05 R -; Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R -, jeweils in juris). Dieses Verfahren ist entgegen früherer Andeutung (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 1993 - 1 RK 37/92 -, in juris) auch zu fordern in Fällen, in denen von vornherein feststand, dass eine durch Gesetz oder Verordnung von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden würde und sich der Versicherte dadurch gezwungen gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen (vgl. eingehend BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 B 1 KR 8/06 R -, in juris). Nur bei einer Vorabprüfung können die Krankenkassen ihre Gesundheitsgefahren und wirtschaftlichen Risiken vorbeugenden - Beratungsaufgaben erfüllen, die Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender Leistungen zu schützen und ggf. aufzeigen, welche Leistungen an Stelle der begehrten in Betracht kommen. Dem kann nicht der Einwand der "Förmelei" entgegengehalten werden, weil der Wortlaut des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V unmissverständlich einen Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Ablehnung und Kostenlast verlangt (vgl. BSG, Urteile vom 14. Dezember 2006 B 1 KR 8/06 R - aaO und 2. November 2007 - B 1 KR 14/07 R -, in juris).

Der Kläger hat seinen Antrag auf Kostenerstattung bzw. Übernahme der Kosten erst am 21. September 2011 gestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatten wegen des Kinderwunsches bereits vom 28. Juni bis 19. September 2011 Behandlungen stattgefunden, für die dem Kläger und M.K. insgesamt EUR 478,96 in Rechnung gestellt worden sind. Die insoweit geltend gemachte Kostenerstattung, wobei der Senat offen lässt, ob der Kläger überhaupt die Erstattung der Kosten für Behandlungen bei M.K. geltend machen kann, betrifft damit einen Zeitraum, der bereits bei Antragstellung vollständig in der Vergangenheit lag. In der Zeit vor und während dieser Behandlung hatte der Kläger keinerlei Kontakt mit der Beklagten aufgenommen, um sie über die begonnene Kinderwunschbehandlung mit dem Ziel der PID und IVF zu unterrichten. Dadurch hat er der Beklagten die Möglichkeit genommen, die Notwendigkeit und Übernahmefähigkeit der Behandlung sowie die gestellte Diagnose zu überprüfen und gegebenenfalls andere Behandlungsmethoden vorzuschlagen bzw. darauf hinzuweisen, dass eine Übernahme dieser Kosten nicht möglich ist. Der Kläger hat sich eine Leistung besorgt, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. Zumindest für diese Kosten war der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 28. September 2011 deshalb nicht ursächlich.

Die Behandlungen zwischen dem 28. Juni und 19. September 2011 waren auch nicht unaufschiebbar im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB V. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn eine Leistungserbringung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zu einer Entscheidung der Krankenkasse mehr besteht. Die medizinische Dringlichkeit ist indessen nicht allein ausschlaggebend. Denn neben der Unaufschiebbarkeit wird vorausgesetzt, dass die Krankenkasse die in Rede stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung der Krankenkasse vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, darf die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden (BSG, Urteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 5/99 R -; Urteil vom 2. November 2007 - B 1 KR 14/07 R -, jeweils in juris). Grund hierfür ist wiederum, dass nur bei einer Vorabprüfung die Krankenkassen ihre Gesundheitsgefahren und wirtschaftlichen Risiken vorbeugenden Beratungsaufgaben erfüllen können, die Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender Leistungen zu schützen und gegebenenfalls aufzeigen, welche Leistungen an Stelle der begehrten in Betracht kommen.

Eine solche medizinische Unaufschiebbarkeit oder Dringlichkeit hat mit Blick auf die zwischen dem 28. Juni und 19. September 2011 durchgeführten Behandlungen nicht vorgelegen. Die Behandlungen mussten nicht derart kurzfristig erbracht werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Kläger schon im August 2010 ein erstes humangenetisches Beratungsgespräch führte. Auch waren der 1976 geborene Kläger und die 1982 geborene M.K. im Jahr 2011 erst 35 bzw. 29 Jahre alt und weitere Behandlungszyklen sind geplant. Dies lässt den Schluss darauf zu, dass die im Juni 2011 begonnene Behandlung nicht unaufschiebbar war.

b) Insgesamt scheitert der Kostenerstattungsanspruch des Klägers mit Blick auf die PID aber auch daran, dass die PID weder den Anspruchsregelungen der §§ 25, 26 SGB V als Maßnahme der Früherkennung (hierzu aa)) unterfällt, noch stellt sie eine Maßnahme der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V dar (hierzu bb)). Die begehrten Leistungen sind auch nicht nach § 27a SGB V zu erstatten (hierzu cc)) und es liegt insoweit auch kein Systemmangel vor (hierzu dd)).

aa) Anspruch auf Früherkennungsuntersuchungen nach §§ 25, 26 SGB V haben bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen lebende Versicherte (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 7. August 2008 - L 4 KR 259/07 -, in juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2012 - L 5 KR 2538/10 -, nicht veröffentlicht). Die PID dient im Vorfeld der Entscheidung über eine künstliche Befruchtung dem möglichen Ausschluss einer Befruchtung von genetisch belasteten Eizellen mit genetisch belasteten Spermien. Die PID soll die Zeugung eines kranken Kindes und damit gegebenenfalls eine zum Abbruch führende Schwangerschaft oder eine schwerwiegende Gesundheitsstörung beim Embryo verhindern. Sie findet weder am Körper des Klägers noch der M.K., aber auch nicht bei einem schon gezeugten Embryo statt, weshalb §§ 25, 26 SGB V schon deshalb, weil die Untersuchung nicht an einem lebenden Körper erfolgt, den Anspruch des Klägers auf Durchführung einer PID nicht stützen.

bb) Die PID stellt auch keine Maßnahme der Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V dar. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V ärztliche Behandlung durch zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigte Behandler (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Krankheit im Sinne dieser Vorschrift ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R - und vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R -, jeweils in juris). Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (ständige Rechtsprechung seit BSG, Urteil vom 28. April 1967 - 3 RK 12/65 -, in juris). Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in den Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1998 - B 1 KR 18/96 R -; Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 11/04 R -; Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R -, alle in juris).

Ob die beim Kläger bestehende Genmutation selbst eine Krankheit in diesem Sinne darstellt, nachdem sie ursächlich für die beim Kläger vorliegende CADASIL-Erkrankung ist, oder ob nur die CADASIL-Erkrankung selbst als Krankheit zu werten ist, lässt der Senat dahingestellt. Jedenfalls kann mithilfe der PID dieser Gendefekt und die CADASIL-Erkrankung nicht behandelt werden. Die PID vermag beim Kläger die Genmutation und auch die CADASIL-Erkrankung weder zu heilen, noch ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die PID ist keine Maßnahme mit Therapiecharakter, sondern eine solche, die ausschließlich dazu dient, erbgesunde Zellen aufzufinden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf das Kind. Bei Durchführung der PID ist noch kein Kind gezeugt, weshalb auch noch keine Krankenbehandlung an ihm stattfinden kann. Auch das Vorbringen des Klägers, wonach mithilfe der PID die Erbkrankheit tragende befruchtete Eizellen vom weiteren Fortpflanzungsvorgang ausgeschlossen werden könnten und damit sein erhöhtes Risiko an CADASIL erkrankende erbkranke Kinder zu zeugen, aufgehoben wird, vermag einen Anspruch gestützt auf § 27 SGB V nicht zu rechtfertigen. Der Kläger leidet nicht unter einer Zeugungsunfähigkeit, die als beeinträchtigte Körperfunktion gewertet werden kann, und die, wenn sie einer ärztlichen Behandlung zugänglich ist (BSG, Urteil vom 28. April 1967 - 3 RK 12/65 -, Urteil vom 13. Februar 1975 - 3 RK 68/73, jeweils in juris), unter den Krankheitsbegriff fällt. Dahingestellt bleiben kann, ob die Unfähigkeit an CADASIL erkrankende Kinder zu zeugen, unter den Krankheitsbegriff fallen würde. Denn eine solche Unmöglichkeit liegt beim Kläger nicht vor. Dies wird daraus deutlich, dass es gesunde befruchtete Eizellen gibt, die M.K. eingepflanzt werden können. Wenn dies nicht der Fall wäre, könnte auch die PID dem Kläger nicht zu gesunden Nachkommen verhelfen. Allein durch das bei ihm bestehende erhöhte Risiko an CADASIL erkrankende erbkranke Kinder zu zeugen, wird der Kläger aber nicht in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt und es handelt sich insoweit auch nicht um eine entstellende anatomische Abweichung. Die eigentliche Körperfunktion der Zeugung ist beim Kläger nicht gestört. Er kann auch nicht nur kranke Kinder zeugen. Ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand scheidet deshalb aus. Eine Krankheit unter diesem Aspekt liegt nicht vor. Folglich schuldet die Beklagte auch nicht die Behandlung dieser Beeinträchtigung des Klägers.

cc) Die Erstattung der Kosten der PID kann auch nicht auf § 27a SGB V gestützt werden. Das SGB V regelt in § 27a Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB V, dass medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zu den Sachleistungen der Krankenbehandlung gehören, wenn u.a. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind und nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird. Die Voraussetzungen hat der GBA in der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in § 27a Abs. 4 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 und i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V erlassenen Richtlinie über künstliche Befruchtung, die nach Erlass des Urteils des SG mit Blick auf die Zählweise der Behandlungsversuche am 18. Oktober 2012 erneut geändert wurde, näher definiert. Nach Nr. 11.3 der Richtlinie gelten als medizinische Indikationen zur Durchführung einer IVF, teilweise unter Vorliegen weiterer Voraussetzungen, eine Tubenamputation, ein Tubenverschluss, ein tubarer Funktionsverlust, eine Sterilität und eine Subfertilität des Mannes. Diese Indikationen für die Durchführung einer IVF-Behandlung erfüllt der Kläger - wie von ihm selbst vorgetragen - nicht. Die im Vorfeld der künstlichen Befruchtung durchzuführende PID soll nicht deshalb erfolgen, weil nur auf diesem Weg bei M.K. eine Schwangerschaft herbeizuführen ist, sondern weil die Möglichkeit der PID die Chance bietet, durch eine mögliche Selektion erbgesunder Zellen und die nachfolgende Implantation die Chance des Klägers und der M.K. auf die Geburt eines gesunden Kindes zu erhöhen. Dies stellt keine Indikation für die Durchführung einer künstlichen Befruchtung mittels IVF dar. Damit scheidet § 27a SGB V auch als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung begehrte Erstattung der Kosten für die PID aus.

Abgesehen davon wären die Kosten der PID auch für den Fall des Vorliegens der Voraussetzungen für eine IVF nicht nach § 27a Abs. 1 SGB V zu erstatten, denn die PID gehört nicht zu den Maßnahmen, die im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung in Betracht kommen. In der Richtlinie über künstliche Befruchtung ist unter Nr. 12 der Umfang der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung in Betracht kommen, abschließend aufgezählt. Hierbei ist die PID nicht erwähnt. Eine Analogie kommt nicht in Betracht. Hiervon ist auch nicht deshalb abzugehen, weil nach § 3a Abs. 3 ESchG in der Fassung vom 21. November 2011, gültig ab 8. Dezember 2011, nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen die PID nicht mehr strafbar ist. Der Gesetzgeber hat insoweit nur eine Regelung mit Blick auf die Strafbarkeit getroffen. Bezüglich der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgte im SGB V keine Änderung. Die Frage, ob die PID vorliegend in Deutschland strafrechtlich bewehrt ist oder nach Maßgabe des § 3a Abs. 2 ESchG als nicht rechtswidrig durchgeführt werden kann, ist von der Frage nach dem aus § 27a SGB V resultierenden Anspruch auf Maßnahmen der Befruchtungsmedizin zu trennen. Nach § 27a SGB V schuldet die beklagte Krankenkasse nur diejenigen Maßnahmen, die zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich sind, nicht aber solche, die sich darüber hinaus auf die Geburt eines gesunden Kindes richten. Eine erweiternde Auslegung des § 27a SGB V oder des § 27 SGB V im klägerischen Sinne scheidet aus. Die einen ethisch-rechtlich umstrittenen Sachverhalt betreffende Entscheidung, ob über die Änderung des ESchG hinaus krankenversicherungsrechtlich ein Anspruch für die PID unter bestimmten Voraussetzungen auch immer bestehen soll, bedarf einer eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung. Eine solche Entscheidung wäre wünschenswert, liegt aber tatsächlich nicht vor. Allein die Tatsache, dass eine bestimmte Untersuchungsmethode nicht strafbar ist, hat nicht zur Folge, dass in diesem Fall die Krankenkasse dann auch diese Untersuchungsmethode zu gewähren hat. Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungsmethoden, die nicht strafbewehrt sind, die aber dennoch nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführen sind, sondern vom Einzelnen selbst zu tragen sind.

dd) Ein Leistungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels. Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 B 1 KR 10/09 R -, in juris). Voraussetzung für die Annahme eines Systemmangels ist, dass die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode der Behandlung einer Krankheit dient. Letzteres ist im Zusammenhang mit der PID indessen nicht der Fall. Wie bereits ausgeführt (vgl. 1. b) bb)) stellt die PID keine Maßnahme der Krankenbehandlung dar und das Risiko erbkranke Kinder zu zeugen, ist keine Krankheit. Ein Systemmangel kommt deshalb von vornherein nicht in Betracht.

c) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die IVF. Als Anspruchsgrundlage für die künstliche Befruchtung in Form der IVF kommt allein § 27a SGB V in Betracht. § 27a SGB V ist mit Blick auf die künstliche Befruchtung lex specialis zu § 27 SGB V. § 27 SGB V deckt im Rahmen der Krankenbehandlung außerhalb der künstlichen Befruchtung erfolgende Maßnahmen zur Behandlung einer - beim Kläger nicht vorliegenden - Zeugungsunfähigkeit ab (Adelt/Kraftberger in LPK-SGB V, 3. Auflage 2009, § 27 Rd. 102f.). Wie ebenfalls bereits ausgeführt (vgl. 1. b) cc)) liegt beim Kläger keine Indikation für die Durchführung einer künstlichen Befruchtung vor, da der Kläger nicht zeugungsunfähig ist. Die künstliche Befruchtung soll nicht wegen einer Fertilitätsstörung des Klägers, sondern ausschließlich deshalb erfolgen, weil allein die im Zusammenhang mit der Befruchtung durchzuführende PID die Möglichkeit eröffnet, für die Implantation erbgesunde Zellen aufzufinden und damit die Chance zur Geburt eines gesunden Kindes zu erhöhen. Maßnahmen, die sich auf die Geburt eines gesunden Kindes richten, schuldet die Beklagte nicht.

d) Eine Ungleichbehandlung des Klägers, die zu einer Leistungspflicht wegen Verletzung des Art. 3 GG führen könnte, ist nicht erkennbar. Der Kläger wird gegenüber anderen Versicherten nicht benachteiligt. PID und nachfolgende IVF würden den Kläger vielmehr gegenüber anderen Menschen, bei denen auch ein - wenn auch kleineres - Risiko besteht, ein behindertes Kind zu zeugen, bevorzugen.

Etwas anderes lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Beklagte gegebenenfalls eine Abtreibung gewähren würde und die Kosten für die Behandlung eines behinderten und kranken Kindes zu übernehmen hätte. Abtreibung und Behandlung des Kindes sind im Gegensatz zur PID und IVF für den Fall, dass das Risiko besteht, ein erbkrankes Kind zu zeugen, im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten. Die Frage, ob dies hinsichtlich der Abtreibung rechtsethisch vertretbar ist, hat der Gesetzgeber zu entscheiden.

Auch das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2013 (- L 5 KR 177/10 -, in juris) steht dem nicht entgegen. Der dortige Anspruch auf Versorgung mit einem grundsätzlich nicht mehr zu Lasten der Krankenkasse verordnungsfähigen Arzneimittels ergab sich unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (- 1 BvR 347/98 -, in juris) aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V. Die Voraussetzungen waren deshalb zu bejahen, weil eine lebensbedrohliche Erkrankung vorlag, da das Leben des ungeborenen Kindes der dortigen Klägerin von einer Fehlgeburt bedroht war, es keine andere in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeit gab und es eine gewisse Erfolgsaussicht zur Vermeidung einer Fehlgeburt mithilfe der Behandlung gab. So liegt der Fall des Klägers nicht. Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung auf der Grundlage dieses Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, mittlerweile umgesetzt in § 2 Abs. 1a SGB V, sind hier nicht gegeben. Es besteht zwar eine Erfolgsaussicht, dass mithilfe der PID und IVF erbkranke Zellen aussortiert werden und es gibt auch keine andere Behandlungsmöglichkeit, es fehlt aber an einer lebensgefährlichen und regelmäßig zum Tod führenden Erkrankung des - noch nicht gezeugten - Kindes. Eine solche ist auch nicht wegen einer möglichen Abtreibung zu bejahen. Eine Abtreibung würde auf einer Entscheidung des Klägers und M.K. beruhen und wäre vermeidbar.

2. Mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen (1. b)) kann der Kläger auch für die Zukunft von der Beklagten nicht verlangen, dass ihm weitere Behandlungsversuche mit PID und IVF als Sachleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) gewährt werden.

3. Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten für die in Belgien durchgeführten bzw. durchzuführenden Maßnahmen ergibt sich auch nicht nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer u.a. in einem anderen EU-Mitgliedsstaat anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Der Anspruch ist von einem konkreten primären Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten abhängig (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 - B 1 KR 19/08 R -, in juris). Dies wird im Wortlaut des Satzes 1 durch die Formulierung "anstelle" verdeutlicht. Der danach in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch setzt daher - wie der Erstattungsanspruch bei im Inland in Anspruch genommenen Leistungen nach § 13 Abs. 3 SGB V - voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Maßgeblich für den Versicherungsschutz ist insoweit der Leistungsumfang der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Von diesem Leistungsumfang ist die vom Kläger bereits durchgeführte und noch durchzuführende PID und IVF - wie ausgeführt - nicht umfasst, so dass offenbleiben kann, ob die genannten weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 4 SGB V erfüllt sind.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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