L 5 R 1180/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 3740/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1180/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.2.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1964 geborene Klägerin (GdB 70) hat keinen Beruf erlernt und eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausgeübt, stattdessen Sozialleistungen bezogen. Von 2006 bis 2007 arbeitete sie (nicht versicherungspflichtig) kurzzeitig in einer Wäscherei und von Ende 2008 bis August 2009 in einem Altersheim; derzeit bezieht sie Arbeitslosengeld II.

Am 9.12.2009 beantragte die Klägerin erstmals Rente wegen Erwerbsminderung, worauf die Beklagte das Gutachten des Lungenarztes und Sozialmediziners Dr. H. vom 5.2.2010 erhob. Dieser diagnostizierte einen dringenden Verdacht auf Somatisierungsstörung bei leichter Oligophrenie, Amblyopie rechts, Skotome bds. rechts mehr als links, ein hyperkinetisches Herzsyndrom sowie vermehrte Brustkyphose (außerdem Neigung zu rezidivierenden Bronchitiden, anamnestisch bekannte Borrelioseinfektion vor 10 Jahren, antibiotisch behandelt, Z. n. operierter Osteolyse der linken Pyramidenspitze 1980). Der getestete IQ von 91 liege an der Grenze zwischen niedriger und durchschnittlicher Intelligenz. Die Klägerin empfinde regelmäßige Arbeit fast jeglicher Art als zu schwer. Sie könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 10.2.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12.5.2010 zurück. Klage wurde nicht erhoben.

Am 20.1.2011 stellte die Klägerin erneut einen Rentenantrag, worauf die Beklagte das Gutachten der Internistin Dr. B.-K. vom 18.4.2011 mit psychiatrischem Zusatzgutachten der Psychiaterin und Sozialmedizinerin Dr. Ho. vom 28.3.2011 erhob.

Dr. Ho. führte im Gutachten vom 28.3.2011 (u.a.) aus, die Klägerin habe - zur Alltagsgestaltung befragt - den strukturierten Alltag eines nicht berufstätigen Menschen beschrieben. Bei der Erhebung des psychischen Befunds fand Dr. Ho. die Klägerin nicht depressiv verstimmt bei ausreichender affektiver Modulations- und Schwingungsfähigkeit. Bei der z.T. sehr vagen Schilderung der Beschwerden habe die Klägerin sehr appellativ gewirkt. Hinweise auf eine relevante intellektuelle Minderbegabung gebe es nicht, jedoch Hinweise auf z.T. unübersehbare tendenzielle Verhaltensweisen im Sinne von Aggravation und negativen Antwortverzerrungen. Der psychopathologische Befund weiche nur wenig von der altersentsprechenden Norm ab. Die Gutachterin diagnostizierte eine Somatisierungsstörung mit psychischen und somatischen Faktoren leichter Ausprägung (Ausschluss einer relevanten intellektuellen Minderbegabung). Verordnete Antidepressiva würden (ausweislich des Medikamentenspiegels) nicht (regelmäßig) eingenommen. Eine quantitative Leistungsminderung liege nicht vor.

Dr. B.-K. (die u.a. eine eingehende Befunderhebung hinsichtlich des Haltungs- und Bewegungsapparats, der Wirbelsäule und der Gliedmaßen durchgeführt hatte) diagnostizierte im Gutachten vom 18.4.2011 zusätzlich eine geringgradige Funktionseinschränkung bei degenerativen BWS-Veränderungen (ausreichend korrigierte Sehstärke bei Stauungspapille, Z. n. nach antibiotisch behandelter Borrelieninfektion ohne Hinweis auf eine Chronifizierung, anamnestisch angeborene Oligophrenie ausgeschlossen, Verdacht auf Medikamentenincompliance). Die Klägerin, bei der ein deutliches Rentenbegehren ohne den Wunsch auf (Rückkehr in) ein Erwerbsleben bestehe, könne leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 26.4.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin (u.a.) eine posttraumatische Belastungsstörung wegen einer äußerst belastenden Familiengeschichte (in der Kindheit) geltend; sie könne wegen einer rezidivierenden depressiven Störung (mittelgradige Episode - Attest Dipl.-Psych. J. vom 7.7.2011) nicht arbeiten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.8.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf die Klägerin am 1.9.2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhob.

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte. Der HNO-Arzt Dr. Sp. erachtete die Klägerin für fähig, leichte Tätigkeiten über 6 Stunden täglich zu verrichten (Bericht vom 6.1.2012). Der Dipl.-Psych. J. gab im Bericht vom 12.1.2012 (Diagnosen: rezidivierende depressive Episoden, Panikstörung, posttraumatische Belastungsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung) an, die Klägerin sei auch einer leichten Berufstätigkeit nicht gewachsen. Die Internistin Dr. Ku. hielt eine Erwerbstätigkeit zwischen 3 und 6 Stunden täglich für möglich (Bericht vom 11.1.2012). Die Psychiaterin W. führte im Bericht vom 10.1.2012 aus, sie habe bei der ersten Untersuchung der Klägerin (u.a.) eine schwere depressive Symptomatik festgestellt. Der Befund habe sich verschlechtert. Die Klägerin könne wegen Antriebsstörung, Schmerzsymptomatik und Panikattacken auch nicht unter 3 Stunden täglich arbeiten. Der Orthopäde Dr. Kun. teilte im Bericht vom 17.1.2012 die von ihm erhobenen Befunde (an LWS, BWS und HWS, Knie) mit und gab an, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich nicht wesentlich geändert. Ihre Fähigkeit zur Verrichtung einer körperlich leichten Berufstätigkeit sei nicht eingeschränkt.

Nachdem die Beklagte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Allgemeinarztes und Sozialmediziners Dr. He. vom 10.4.2012 (leichte Arbeiten 6 Stunden täglich und mehr möglich) vorgelegt hatte, erhob das Sozialgericht das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. Ga. vom 8.10.2012 (mit ergänzender Stellungnahme vom 17.12.2012). Der Gutachter führte zur aktuellen Therapie u.a. aus, die Klägerin suche alle 2 bis 3 Monate die Psychiaterin W. auf, die ihr Medikamente verschreibe und frage, ob es Neues gebe. Den Dipl.-Psych. J. konsultiere die Klägerin alle 1 bis 2 Monate, vierteljährlich gehe sie zum Orthopäden Dr. Kun., der ihr Physiotherapie verordne. Prof. Dr. Ga. eruierte den Tagesablauf der Klägerin (Aufstehen zwischen 5.00 Uhr und 10.00 Uhr, vormittags Hausarbeit [außer Fensterputzen], nachmittags 2 bis 3 Stunden Schlaf, anschließend in den Stadtgarten, abends Fernsehen, selten Kochen, 1- bis 2-mal wöchentlich zum Einkauf) und erhob den psychischen Befund; es ergaben sich keine Hinweise auf Störungen von Antrieb, Psychomotorik oder Affektivität. Obwohl die Klägerin angebe, ständig unter Schmerzen zu leiden, habe sie bei der Untersuchung kein Schmerz- oder Entlastungsverhalten gezeigt. Es bestünden Inkonsistenzen zwischen dem Ausmaß der geschilderten Beschwerden und der eigenständigen Haushaltsbewältigung. Auch zu Freizeitaktivitäten und Interessen seien inkonsistente Angaben zu erhalten. Der Gutachter diagnostizierte eine Dysthymia mit Somatisierungssyndrom. Eine depressive Episode, eine diagnostisch eigenständige Angst- bzw. Somatisierungsstörung und eine posttraumatische Belastungs- oder eine Intelligenzstörung seien nicht zu begründen. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) 8 Stunden täglich verrichten. Sie sei auch wegefähig.

Die Klägerin legte Arztunterlagen (u.a. Attest des Dipl.-Psych.-J. vom 20.11.2012: keine Erwerbsfähigkeit, Berentung unbedingt erforderlich) vor und machte geltend, sie habe noch nie 6 Stunden gearbeitet und könne das schon deshalb nicht. Prof. Dr. Ga. habe sie nach der in der Kindheit erlittenen Gewalt nicht gefragt.

Nachdem Prof. Dr. Ga. unter dem 17.12.2012 zu dem vorgelegten Attest des Dipl.-Psych. J. Stellung genommen hatte (keine Änderung der Leistungseinschätzung), wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 13.2.2013 ab. Zur Begründung führte es aus, der Klägerin stehe Erwerbsminderungsrente gem. § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht zu, weil sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne und deshalb nicht erwerbsgemindert sei (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das gehe aus dem Gutachten des Prof. Dr. Ga., der die Einschätzung der Verwaltungsgutachter Dres. B.-K. und Ho. bestätigt habe, überzeugend hervor. Wegen der von Prof. Dr. Ga. diagnostizierten Dysthymia, die durch eine adäquate Behandlung auch gebessert werden könne, sei das Leistungsvermögen der Klägerin nicht in rentenberechtigendem Maße (zeitlich) eingeschränkt. Der abweichenden Auffassung des Dipl.-Psych. J. und der Psychiaterin W., deren Berichte dem Gutachter vorgelegen hätten, sei nicht zu folgen. Eine depressive Episode, eine diagnostisch eigenständige Angst- bzw. Somatisierungsstörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Intelligenzstörung habe der Gutachter nicht festgestellt. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für die Klägerin nicht in Betracht.

Auf das ihr am 19.2.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.3.2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, sie halte unter Hinweis auf die Auffassung des Dipl.-Psych. J. und der Psychiaterin W. an ihrem Rentenbegehren fest. Das Gutachten des Prof. Dr. Ga. mit der Feststellung einer nur leicht ausgeprägten psychischen Störung sei nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.2.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.8.2011 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1.8.2011 bis 31.7.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Klägerin hat abschließend eine Bescheinigung des Orthopäden Dr. Be. vom 22.5.2013 (zur Vorlage bei der Arbeitsagentur) vorgelegt. Darin sind Diagnosen (u.a. von Wirbelsäulenerkrankungen) aufgelistet; die Klägerin (Behandlung seit 21.9.2012) leide unter Schmerzen der LWS, HWS, der Füße, Hand- und Kniegelenke.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er die Berufung gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

II.

Der Senat weist die Berufung der Klägerin gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die gem. §§ 143,144,151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren; sie hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Erwerbsminderungsrente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist insbesondere im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten bzw. die im Berufungsverfahren vorgelegten Arztunterlagen anzumerken:

Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin (die nach Feststellung der Beklagten ungeachtet des Fehlens versicherungspflichtiger Beschäftigungen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Gewährung von Erwerbsminderungsrente erfüllt) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Sie ist damit nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts. Aus den Verwaltungsgutachten der Dres. B.-K. und Ho. und dem Gerichtsgutachten des Prof. Dr. Ga. geht überzeugend hervor, dass eine rentenberechtigende (quantitative) Leistungsminderung nicht vorliegt.

Wegen Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet ist das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin nicht auf unter 6 Stunden täglich abgesunken. Das hat bereits die Verwaltungsgutachterin Dr. B.-K. festgestellt, die auch eine eingehende Erhebung der maßgeblichen Befunde am Haltungs- und Bewegungsapparat, an der Wirbelsäule und den Gliedmaßen vorgenommen hat. Der behandelnde Orthopäde Dr. Kun. hat deren Einschätzung im Bericht vom 17.1.2012 bestätigt; der Beratungsarzt der Beklagten Dr. He. hat sich dem in der Stellungnahme vom 10.4.2012 angeschlossen. Aus der im Berufungsverfahren vorgelegten (für die Arbeitsagentur bestimmten) Bescheinigung des Orthopäden Dr. Be. vom 22.5.2013 geht anderes nicht hervor. Darin sind Diagnosen (im Kern von Wirbelsäulenerkrankungen) aufgelistet, die bei der Begutachtung der Klägerin bzw. dem behandelnden Orthopäden Dr. Kun. bekannt waren; neue (sozialmedizinisch relevante) Befunde enthält die Bescheinigung nicht. Für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente sind aber nicht Diagnosen, sondern (rentenrechtlich beachtliche) Funktions- bzw. Leistungseinschränkungen maßgeblich; solche hat Dr. Be. nicht beschrieben und auch eine Leistungseinschätzung nicht abgegeben.

Auch auf psychiatrischem Fachgebiet bestehen keine rentenberechtigenden Leistungseinschränkungen. Das geht aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. Ga. (ebenso aus dem Verwaltungsgutachten der Dr. Ho.) hervor. Stichhaltige Einwendungen sind dagegen nicht erhoben worden. Die Berichte des Dipl.-Psych. J. und der Dr. W., auf die die Klägerin ihr Rentenbegehren stützen will, enthalten ärztliche Meinungsäußerungen, jedoch keine aus Befunden nachvollziehbar begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzung; sie sind durch die Erkenntnisse der Gutachter Dr. Ho. und Prof. Dr. Ga. widerlegt.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Gutachten und Arztberichte weitere Ermittlungen, etwa weitere Begutachtungen, nicht auf.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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