L 3 SB 1938/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 SB 1645/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1938/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist noch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht", also die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" streitig.

Das Versorgungsamt Stuttgart stellte zuletzt mit Bescheid vom 29.04.2002 bei dem am 11.03.1961 geborenen polnischen Kläger, welcher in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 seit 26.10.2001 fest. Hierbei legte es folgende Behinderungen zugrunde: Alkoholkrankheit, seelische Störung (Teil-GdB 60), Hüftgelenksendoprothese links (Teil-GdB 20), Leberschaden (Teil-GdB 10).

Auf den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 13.03.2008, in welchem er die Feststellung der Merkzeichen "G", "aG" und "RF" begehrte, zog das Versorgungsamt Stuttgart ärztliche Unterlagen bei, u.a. Befundberichte des behandelnden Psychiaters Dr. A. vom 07.11.2007 und 09.10.2006, auf die Bezug genommen wird. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 17.09.2008 erhob der Kläger am 29.09.2008 Widerspruch unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin B. mit den Diagnosen "Polymorphe, psychotische Störungen mit wiederholten Dekompensationen, Orientierungslosigkeit, Aggressivität bei chronischer Alkoholabhängigkeit mit Zustand nach Alkoholhalluzinationen". Gleichzeitig beantragte er die Neufeststellung eines höheren GdB.

Mit Teilabhilfebescheid vom 23.04.2009 stellte der Beklagte das Merkzeichen "G" fest. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 13.07.2009 (Blatt 147) weiterhin die Feststellung des Merkzeichens "RF" geltend machte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2010 den Widerspruch insoweit zurück.

Mit Bescheid vom 22.04.2009 lehnte der Beklagte die Neufeststellung des GdB ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2010 zurück.

Am 15.03.2010 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 22.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.02.2010 und den Bescheid vom 17.09.2008 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 23.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.02.2010 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Auf deren Auskünfte wird Bezug genommen. Es hat weiter bei Dr. C., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Chefarzt der Klinik für Suchttherapie am Klinikum D., ein nervenärztliches Gutachten eingeholt. Im Gutachten vom 20.02.2012 hat Dr. C. ausgeführt, auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe beim Kläger eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ. Die wesentlichen Charakterzüge seien hier emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle, Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten könnten vorkommen, vor allem bei Kritik durch andere. Der Kläger sei seit längerem abstinent. Kriterien für das Vorliegen einer überdauernden psychotischen Erkrankung - insbesondere aus dem schizophrenen Formenkreis - lägen nicht vor. Der Kläger sei weder blind noch gehörlos. Die bei ihm vorliegenden Erkrankungen hinderten ihn nicht daran, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Das SG hat sodann in der mündlichen Verhandlung von 13.02.2013 den behandelnden Psychiater und Psychotherapeuten des Klägers Dr. A. als Zeuge gehört. Dieser hat vorgetragen, er behandle den Kläger seit ca. 2004. Die Diagnose einer instabilen Persönlichkeitsstörung sei zwischenzeitlich unstrittig. In den letzten zwei Jahren liege eine eher stabilere Phase vor. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Kläger und seines Krankheitsbildes könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass ein ganz abrupter Wechsel erfolge. Der derzeit gute Zustand des Klägers sei ohne therapeutischen Beistand nicht möglich. Seit ca. einem Jahr liege eine stabilere Phase vor. Der Kläger lebe in seiner eigenen Welt, die bestimmt sei von Größenideen und dem Kampf der guten gegen böse Mächte. Erwerbstätig könne der Kläger nicht mehr sein, er beschränke sich auf eine schriftstellerische Tätigkeit. Über einen Freundeskreis des Klägers sei ihm nichts bekannt. Hinsichtlich der Alltagsgestaltung sei der Kläger in der Lage, sich zu kleiden und zu ernähren. Es bestehe beim Kläger eine erhöhte Aggressivität, das heißt ein erhöhtes Potential. Ohne Rausch seien beim Kläger bisher keine Tätlichkeiten vorgekommen. Rückblickend seien die Jahre seit 2004 katastrophal gewesen, nachdem der Kläger damals geheiratet habe. Seit einem Jahr sei die Situation etwas stabiler, weil beim Kläger Hoffnung auf eine erneute Partnerschaft bestehe. Es sei beim Kläger nicht so wie bei anderen Borderline-Erkrankten, dass er sozial völlig abgestürzt sei, aber die Auswirkungen seien schwer wegen der psychosenahen Symptomatik. Ob der Kläger an öffentlichen Veranstaltungen aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht mehr teilnehmen könne, könne er nicht genau sagen. Er wisse, dass der Kläger zeitweise an Treffen einer religiösen Gemeinschaft teilgenommen habe. Der Kläger habe keine Platzangst oder Soziophobie, sondern sei bestimmt durch den Kampf der dunklen Mächte, die den Kläger angreifen könnten, im Sinne einer Bedrohung. Er verhalte sich so, dass dies möglichst wenig stattfinde.

In der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2013 hat sich der Beklagte verpflichtet, beim Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 22.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.02.2010 einen gesamt-GdB von 80 seit 23.10.2008 festzustellen. Der Kläger hat das Teil-Anerkenntnis angenommen. Den weiteren widerruflich geschlossenen Vergleich, in welchem sich der Beklagte verpflichtet hat, die Voraussetzungen des Merkzeichen "RF" seit 13.03.2008 festzustellen, hat dieser mit Schriftsatz vom 28.02.2013, beim SG am 04.03.2013 eingegangen, widerrufen. Mit Urteil vom 13.02.2013, verkündet am 25.03.2013, hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Gründe des Urteils wird gem. § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.

Gegen das am 03.04.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.05.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, aufgrund seiner Erkrankung sei er praktisch an das Haus gebunden, da ihm der Kontakt mit der Umwelt und damit der Außenwelt unerträglich sei. Das SG habe verkannt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" auch allein aufgrund einer psychischen Störung erfüllt sein könnten. Dies sei bei ihm der Fall. Beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen gerate er unter starken emotionalen Druck, jeder Kontakt mit der Außenwelt ziehe bei ihm ein unkontrollierbares und stark erhöhtes Verlangen nach Alkohol nach sich. Unbeachtlich sei, dass er an einer geringen, nicht ins Gewicht fallenden Zahl von Veranstaltungen, insbesondere Treffen religiöser Gemeinschaften, teilnehmen könne. Zudem sei ihm das Merkzeichen "RF" bereits zugebilligt gewesen. Es sei zwischenzeitlich keine Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten. Lediglich aufgrund der jahrelangen Abstinenz von Alkohol und von allem Bedrohlichen, was diese Abstinenz gefährden könne, sei es nicht zu einem Rückfall gekommen. Der Kläger vertritt weiter die Rechtsauffassung, für die Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" seien die in Nr. 33, S. 141 f. dargelegten Festlegungen der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2004 weiterhin maßgeblich. Nach Nr. 33 der AHP seien die Voraussetzungen u.a. erfüllt bei geistig oder seelisch behinderten Menschen, bei denen befürchtet werden müsse, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.

Der Kläger hat weiter eine Bescheinigung des Dr. A. vom 22.04.2013 vorgelegt, in welcher dieser ausführt, aufgrund der Art und Ausprägung der Erkrankung des Klägers - es handle sich um eine Schizophrenie-Spektrum-Erkrankung bzw. eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit Borderline-Anteilen sowie Aggressivität und erheblichen Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltungsfähigkeit, anamnestisch erheblicher Suchtmittelmissbrauch - sei der Kläger nicht in der Lage, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Unter einer zurückgezogenen Lebensweise sei der Kläger seit 2007 abstinent und habe seit 2009 keine Veranstaltungen mehr besucht. Mit Schriftsatz vom 15.07.2013 hat er weiter vorgetragen, die "Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) 2005 (gemeint: 2004) seien der Beurteilung weiterhin zugrunde zu legen. Nach Nr. 33 AHP seien die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" erfüllt bei geistig oder seelisch behinderten Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Februar 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 17. September 2008 und des Teilabhilfebescheids vom 23. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Februar 2010 zu verpflichten, die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Das Merkzeichen "RF" sei zu keiner Zeit zuerkannt gewesen, es sei lediglich in einer ärztlichen Stellungnahme die Feststellung des begehrten Merkzeichens befürwortet worden. Der Kläger könne nach eigenem Bekunden noch an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 05.06.2013 darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, wovon der Kläger mit Schriftsatz vom 15.07.2013 Gebrauch gemacht hat.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist nicht statt zu geben.

Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind nach § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (Schwb¬AwV) landesrechtlich geregelt. In Baden-Württemberg enthielt § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV) vom 15.10.2004, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und seit dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl. 2009, S. 131) galt, die entsprechenden Regelungen. Danach stand der Nachteilsausgleich nach § 6 Nr. 8 RGebStV u.a. schwerbehinderten Menschen zu, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Der RGebStV hat nur bis zum 31.12.2012 gegolten. Nur bis zu diesem Tag hat das Merkzeichen "RF" eine volle Befreiung von den Rundfunkgebühren bedingt. Seit dem 01.01.2013 wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht mehr durch Gebühren, sondern durch Beiträge finanziert. Dies regelt nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch nicht geändert. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird der Rundfunkbeitrag nach § 2 Abs. 1 auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt:

1. Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 v.H. allein wegen der Sehbehinderung, 2. Hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und 3. Behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Nach § 4 Abs. 7 RBStV ist der Antrag auf Befreiung oder Ermäßigung vom Beitragsschuldner schriftlich bei der zuständigen Landesrundfunkanstalt zu stellen. Die Voraussetzungen für die Befreiung oder Ermäßigung sind durch die entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers im Original oder durch den entsprechenden Bescheid im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen.

Als öffentliche Veranstaltungen sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 17.03.1982 – 9a/9 RVs 6/81 - juris Rn 15 ff.). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Solange er mit technischen Mitteln oder mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise auch nur einzelne öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er an einer Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht gehindert (BSG, Urt. v. 11.01.1991, 9a/9 RVs 15/89, Juris; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 09.05.2011, L 8 SB 2294/10, Juris Rn. 35 ff.). Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zu Gute kommt, die den ausdrücklich genannten schwerbehinderten Menschen (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial benachteiligten Menschen vergleichbar sind.

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Denn der Kläger ist wegen seiner Erkrankungen nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Beim Kläger besteht auf psychiatrischem Fachgebiet eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ. Die wesentlichen Charakterzüge hierbei sind eine emotionale Instabilität und eine mangelnde Impulskontrolle. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer überdauernden psychotischen Erkrankung - insbesondere aus dem schizophrenen Formenkreis - liegen jedoch nicht vor. Deshalb kann es beim Kläger zu Ausbrüchen von gewalttätigem oder bedrohlichem Verhalten kommen, vor allem bei Kritik durch andere oder nach Alkoholkonsum. Andererseits besteht beim Kläger eine Alkoholabstinenz seit nunmehr sechs Jahren. Aufgrund dieser Erkrankungen ist der Kläger nicht gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. C. am 20.02.2012 erstattete nervenärztliche Gutachten, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird. Dieser Beurteilung hat sich auch Dr. A. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 15.06.2010 angeschlossen, in welcher er mitgeteilt hat, der Kläger könne gelegentlich an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger ständig an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr teilnehmen kann, können auch der Zeugenaussage des Dr. A. vor dem SG am 13.02.2013 nicht entnommen werden. Dr. A. hat vielmehr angegeben, er könne nicht genau sagen, ob der Kläger aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Er wisse, dass der Kläger zeitweise an Treffen der religiösen Gemeinschaft teilgenommen habe. Danach hat der Kläger keine Platzangst oder Soziophobie, sondern ist bestimmt durch den Kampf der dunklen Mächte, die ihn im Sinne einer Bedrohung angreifen könnten.

Zur Überzeugung des Senats ergibt sich eine andere Beurteilung auch nicht aus der von Dr. A. am 22.04.2013 ausgestellten ärztlichen Bescheinigung, wonach der Kläger keine öffentlichen Veranstaltungen besuchen könne, weil diese bei ihm aufgrund seiner Erkrankung starken emotionalen Druck und eine "Aggression nach innen" mit vermehrtem Verlangen nach Alkohol auslösten. Zutreffend ist zwar, dass der Kläger keine Veranstaltungen mehr besuchen sollte, bei denen die Gefahr besteht, dass er wieder Alkohol konsumiert und es zu unkontrolliertem bzw. gewalttätigem Verhalten kommt. Diese Gefahr besteht jedoch nicht schon dann, wenn der Kläger öffentliche Veranstaltungen besucht. Denn es gibt eine Vielzahl solcher Veranstaltungen, bei denen sonstige Zwecke des Zusammenkommens im Vordergrund stehen. Allein der Umstand, dass bei solchen Veranstaltungen - auch - Alkohol ausgeschenkt wird, steht einer Teilnahme durch den Kläger nicht entgegen. So mag es bei einer Theater-, Kino- oder Konzertaufführung sein, dass davor oder im Anschluss auch alkoholische Getränke angeboten werden. Dies gilt jedoch nicht für die eigentliche Aufführung. Darüber hinaus mag es sein, dass Museen oder Zoos auch Cafés oder Restaurants angeschlossen sind, in denen alkoholische Getränke verkauft werden. Gleichwohl kann die eigentliche Veranstaltung besucht werden, ohne Speisen oder Getränke zu konsumieren. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass allein durch den Besuch solcher Veranstaltungen die Gefahr erhöht wird, dass der Kläger nicht mehr abstinent lebt und ihm die Teilnahme hieran deshalb nicht möglich ist. Denn diese Situation ist der beim Einkauf von Lebensmitteln vergleichbar, wo in Lebensmittelgeschäften - neben sonstigen Lebensmitteln - auch alkoholische Getränke angeboten werden. Damit verbleiben eine Vielzahl von öffentlichen Veranstaltungen, an denen der Kläger noch teilnehmen kann.

Der Kläger ist auch nicht deshalb am Besuch öffentlicher Veranstaltungen gehindert, weil bei ihm befürchtet werden muss, dass er bei deren Besuch durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stört. Zwar kann ein schwerbehinderter Mensch auch dann von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sein, wenn es den anderen Teilnehmern unzumutbar ist, ihn wegen der Auswirkungen seiner Behinderungen zu ertragen. Dabei ist der Öffentlichkeit jedoch ein hohes Maß an Belastung durch behinderungsbedingte Auffälligkeiten zuzumuten, weil das Schwerbehindertengesetz und nachfolgend das SGB IX die Eingliederung und nicht die Ausgrenzung Behinderter bezwecken (BSG, Urteil v.10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - juris Leitsatz 1). Zudem sind die vorgenannten Verhaltensweisen beim Kläger nur dann zu erwarten, wenn er Alkohol konsumiert hat, nicht jedoch schon beim Besuch von öffentlichen Veranstaltungen.

Nicht zutreffend ist, dass dem Kläger das Merkzeichen "RF" bereits einmal zuerkannt gewesen ist. Lediglich in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.01.2009 ist die Feststellung des begehrten Merkzeichens befürwortet worden. In der nachfolgenden Stellungnahme vom 14.04.2009 ist jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen verneint worden. Ein Rechtsanspruch auf die Feststellung oder eine irgendwie geartete Bindungswirkung lässt sich hieraus nicht ableiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved