L 10 R 3843/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 3119/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3843/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 12.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist nur noch die Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Die am 1967 geborene Klägerin ist s. Staatsangehörige und seit ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutsch¬land 1992 als Küchenhilfe tätig, aktuell als Büffetkraft in Teilzeit bei einer täglichen Arbeitszeit von 14:30 Uhr bis 19:00 Uhr.

Die Klägerin durchlief Ende 2008 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Im Reha-Entlassungsbericht der M.-Klinik Bad B. wurden chronisch rezidivierende Cervicobrachialgien bei bekanntem Bandscheibenvorfall C 5/6 linksseitig, eine allgemeine Haltungsschwäche mit Rundrückenbildung sowie ein Verdacht auf Somatisierungsstörung mit ängstlicher Komponente diagnostiziert. Die Klägerin könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Küchenhilfe nurmehr in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben; für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wurde ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr angenommen.

Den Rentenantrag der Klägerin vom 04.02.2010 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.09.2010 und Widerspruchsbescheid vom 02.11.2010 auf der Grundlage eines von ihr beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. eingeholten nervenärztlichen Gutachtens ab. Dr. M. fand bei der Klägerin keine Hinweise für eine schwere Depression mit Denk- oder Wahrnehmungsstörungen sowie für eine hirnorganische oder psychotischen Erkrankung. Er diagnostizierte eine Somatisierungsstörung sowie eine Angst- und depressive Störung gemischt und erachtete die Klägerin für in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr auszuüben.

Das am 06.12.2010 angerufene Sozialgericht Konstanz hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. B. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat mitgeteilt, das maßgebliche Leiden für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit liege im neurologischen und orthopädischen Bereich. Auf psychiatrisch-psycho¬thera¬peutischem Fachgebiet liege keine Arbeitsunfähigkeit vor. Der Arzt für Orthopädie Dr. K. hat die Klägerin - ebenso wie der Hausarzt Dr. C. - nur noch in der Lage gesehen, vier Stunden täglich zu arbeiten; dieser Zustand bestünde seit erstmaliger Vorstellung in seiner Praxis im Juli 2008.

Daraufhin hat das Sozialgericht ein Gutachten beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eingeholt. Dieser hat bei der Klägerin eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, Angst und depressive Störung, gemischt sowie eine Neigung zu Wirbelsäulenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne schwerwiegende Funktionseinschränkung und ohne radiku-läre Symptomatik diagnostiziert. Es handele sich jeweils um eine leichte seelische Störung, die keine zeitliche Leistungsminderung rechtfertige. Im Grunde habe sich kein psychopathologischer Befund von Krankheitswert feststellen lassen. Er hat die Klägerin für imstande erachtet, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden seien körperliche Schwerarbeiten, ständiges Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, ständige Überkopfarbeiten, Tätigkeiten überwiegend im Freien unter Einwirkung von Kälte, Zugluft und Nässe und letztlich wohl auch Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an die psychische Belastbarkeit. Mit Urteil vom 12.07.2012 hat das Sozialgericht auf dieser Grundlage die Klage abgewiesen.

Gegen das ihr am 20.07.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.08.2012 Berufung eingelegt. Sie beanstandet, die gesamte Untersuchung beim Sachverständigen Dr. H. habe nur ca. 20 Minuten gedauert und sei in großer Eile durchgeführt worden. Eine solche Begutachtungsdauer könne nicht ausreichend sein, um eine zuverlässige Beurteilung sowohl auf neurologischem wie auch orthopädischem Fachgebiet vornehmen zu können. Das Sozialgericht wäre im übrigen im Hinblick auf die Untersuchungsmaxime des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehalten gewesen, auch ein orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen. Mittlerweile habe sich auch ihr Gesundheitszustand sowohl in orthopädischer als auch neurologischer Hinsicht nicht unerheblich verschlechtert, wovon Dr. K. sachverständig Zeugnis ablegen könne.

Die Klägerin beantragt (Schriftsatz Bl. 25 LSG-Akte),

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 12.07.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2010 zu verurteilen, ihr Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Der Sachverständige Dr. H. hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, er habe die Klägerin am 10.05.2011 in der Zeit von 14:45 Uhr bis 16:15 Uhr eingehend exploriert und untersucht.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Rechtsstreits ist allein noch die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Nur diesen Rentenanspruch verfolgt die Klägerin ausweislich des von ihrem Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren zuletzt gestellten Antrages (vgl. Schriftsatz Bl. 25 LSG-Akte), so dass der Bescheid vom 01.09.2010 im Übrigen bestandskräftig geworden ist.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die hier maßgebliche Rechtsgrundlage (§ 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI) dargestellt und auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. H. zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin auch nicht die Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erfüllt, weil sie unter Beachtung der von den beiden Gutachtern genannten qualitativen Einschränkungen zumindest leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Wie das Sozialgericht verneint auch der Senat die Notwendigkeit eines orthopädischen Gutachtens. Das Sozialgericht hat darüber hinaus zutreffend ausgeführt, dass bereits auf Grund des Geburtsdatums der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) ausscheidet. Der Senat sieht daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Soweit die Klägerin mit Blick auf die von Dr. K. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft aufgelisteten Diagnosen Zweifel äußert, ob insoweit die Begutachtung durch Dr. H. ausreicht, teilt der Senat diese Bedenken nicht. Dr. H. hat auch auf funktionelle Einschränkungen in Gefolge der aus orthopädischer Sicht beschriebenen Gesundheitsstörungen geachtet. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die bloße Auflistung von Diagnosen durch den behandelnden Orthopäden keine Rückschlüsse auf die daraus folgenden Einschränkungen zulässt und dass das von Dr. K. an erster Stelle angegebene Triggersyndrom unter dem Gesichtspunkt "Fibromyalgie" (s. die von der Beklagten zur sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. K. vorgelegte Stellungnahme von Dr. D. ) durchaus in das nervenärztliche Fachgebiet fällt. Wenn Dr. H. schlussendlich im Rahmen der Untersuchung keine wesentlichen Einschränkungen seitens des Halte- und Bewegungsapparates gefunden hat, ist ein weiteres Gutachten zu diesem Gesichtspunkt nicht erforderlich.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht das weitere Berufungsvorbringen der Klägerin. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob tatsächlich die gesamte Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. H. , wie von der Klägerin vorgetragen, nur ca. 20 Minuten gedauert hat. Eine Vernehmung der angebotenen Zeugen bedarf es daher nicht. Maßgebend sind zum einen nicht allein die anlässlich der Begutachtung erhobenen Untersuchungsbefunde und die Dauer der Untersuchung, sondern auch die weiteren in den Akten dokumentierten Befunde, die der Sachverständige ausgewertet und berücksichtigt hat. Im Übrigen entscheidet in erster Linie der begutachtende Arzt, welche Untersuchung und welche Dauer für eine Beurteilung und Beantwortung der vom Gericht gestellten Fragen ausreicht. Es ist zwar zuzugeben, dass bei der Beurteilung von Auswirkungen psychischer Störungen Kernstück der psychiatrischen Diagnostik die Erhebung eines ausführlichen psychischen Befundes ist, der sich unter anderem auf die Beobachtung des Verhaltens sowie des vom zu Begutachtenden berichteten Erlebten stützen sollte. Entscheidend ist aber letztlich, dass der Sachverständige die für sein Fachgebiet relevanten Befunde erhebt und die Angaben des Probanden einer kritischen Überprüfung unterzieht, um so zu einer nachvollziehbaren Einschätzung des Leistungsvermögens zu gelangen. Angesichts der im Gutachten von Dr. H. dargestellten, von ihm selbst erhobenen umfangreichen Befunde internistischer (eine halbe Seite), neurologischer (drei Seiten, u.a. mit Funktionsprüfung und Palpation der gesamten Wirbelsäule, mit Prüfung der Reflexe, der Koordination, Geh- und Stehfähigkeit) und psychischer (annähernd eine Seite) Art neben einer mehr als drei Seiten langen Anamnese hat der Senat indes keine Zweifel, dass der Sachverständige Dr. H. ausreichend Zeit für eine nervenärztliche Befundung der Klägerin aufgewandt hat, auch wenn diese in nur 20 Minuten erfolgt sein sollte. Denn es liegt ein erschöpfender Befund auf nervenärztlichem Gebiet vor, auf dessen Grundlage die Leistungseinschätzung des Dr. H. ohne weiteres nachvollziehbar ist. Defizite was die Untersuchung anbelangt, hat auch die Klägerin nicht dargestellt. Sie hat vielmehr gegenüber Dr. H. ausdrücklich (Bl. 51 LSG-Akte) alle ihr wichtig erscheinenden Dinge angesprochen. Der Senat sieht sich deshalb nicht gehindert, die Einschätzungen des Sachverständigen Dr. H. seiner Entscheidung zugrundezulegen.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass sich ihre Beschwerden in orthopädischer wie auch in neurologischer Hinsicht gegenüber der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. H. nicht unerheblich verschlechtert hätten (so leide sie mittlerweile unter Wirbelsäulenbeschwerden mit erheblichen Funktionseinschränkungen und Rückenschmerzen, die bis in den Kopf in Form von Kopfschmerzen reichen würden, weshalb die Einnahme von zweimal täglich, manchmal dreimal täglich Ibuprofen 600 mg erforderlich sei, zusätzlich einmal täglich Tetrazepam; die Funktionseinschränkungen und Rückenschmerzen bestünden von der Halswirbelsäule bis zur Lendenwirbelsäule und insbesondere beim Bücken), kann sich zum einen der Senat nicht davon überzeugen, dass darin eine wesentliche Verschlechterung begründet liegt. Denn bereits in der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Orthopäden Dr. K. von 28.02.2011 finden sich entsprechende Ausführungen zu den Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin. Im Rahmen der Anamnese im Gutachten von Dr. H. hat die Klägerin ebenfalls Rückenprobleme, die ständigen Kopfschmerzen sowie die verkrampfte Muskulatur im Nacken als maßgebliche Beschwerden benannt. Demgemäß hat der Sachverständige Dr. H. an Gesundheitsstörungen bei der Klägerin unter anderen die Neigung zu Wirbelsäulenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen festgestellt. Bereits zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin als Medikation unter anderem Ibuprofen 600 mit zwei Gaben täglich sowie Lorazepam als Muskelrelaxans verschrieben erhalten. Nachdem somit eine wesentliche Änderung der Medikation seither nicht erfolgt ist, kann davon ausgegangen werden, dass keine wesentliche Verschlechterung insoweit eingetreten ist und die bisherige (und auch gegenwärtige) Medikation den - wie dargelegt - unveränderten Schmerzbeschwerden der Klägerin ausreichend Rechnung trägt.

Den vorgetragenen Beschwerden kann zum anderen durch die vom Sachverständigen Dr. H. benannten qualitativen Einschränkungen ausreichend begegnet werden. Soweit die Klägerin nun aufgrund ihrer Rückenschmerzen Beeinträchtigungen im besonderen beim Bücken geltend macht, kann auch diesen Beeinträchtigungen durch Vermeidung von Tätigkeiten, die mit häufigem Bücken verbunden sind, Rechnung getragen werden, ohne dass damit zugleich eine quantitative Einschränkung verbunden wäre.

Angesichts dessen hat der Senat keine Veranlassung für weitere Ermittlungen von Amts wegen gesehen; insbesondere ist weder eine neuerliche Vernehmung des behandelnden Orthopäden Dr. K. noch die Einholung weiterer Gutachten auf orthopädischem oder neurologischem Gebiet geboten. Die entsprechenden Beweisanträge der Klägerin lehnt der Senat daher ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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