Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 P 6/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 10/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Rahmen der Einkommensabrechnung nach § 115 Abs. 1 S. 1 und 2 ZPO ist auch eine soziale Komponente zu berücksichtigen mit der Folge dass beispielsweise Pflegegeld grundsätzlich nicht anzurechnen ist.
1. Zur Rechtmäßigkeit der Herabstufung von der Pflegestufe II in die Stufe I bei Reduzierung des zeitlichen Hilfebedarfs in der Grundpflege auch ohne Veränderungen in den Diagnosen.
2. Im Vordergrund stehen im Recht der Pflegeversicherung nicht die Diagnosen, sondern der zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege und in der hauswirtschaftlichen Versorgung.
1. Zur Rechtmäßigkeit der Herabstufung von der Pflegestufe II in die Stufe I bei Reduzierung des zeitlichen Hilfebedarfs in der Grundpflege auch ohne Veränderungen in den Diagnosen.
2. Im Vordergrund stehen im Recht der Pflegeversicherung nicht die Diagnosen, sondern der zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege und in der hauswirtschaftlichen Versorgung.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Berufungsverfahren zuletzt noch die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 1. April 2011 bis 29. Februar 2012.
Der Kläger beantragte am 17. März 2008 die Gewährung von Geldleistungen aus der Pflegeversicherung. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern stellte in einem Widerspruchsgutachten vom 8. Mai 2008 als pflegebegründende Diagnosen eine Spinalkanalstenose in den Segmenten LWK 3/4 und LWK 4/5, einen Zustand nach mehrfachen Operationen, massive Bewegungseinschränkungen, ein chronisches Schmerzsyndrom, Polyneuropathien beider Beide und Arme sowie sonstige Polyneuropathien fest. Es bestehe ein zeitlicher Hilfebedarf in der Grundpflege von im Tagesdurchschnitt 137 Minuten (Körperpflege 51 Minuten, Ernährung 10 Minuten, Mobilität 76 Minuten), im Bereich der Hauswirtschaft von 60 Minuten. Der Widerspruch sei berechtigt, vor allem da Zeiten für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung in Höhe von 35 Minuten anzuerkennen seien. Mit Bescheid vom 9. Mai 2008 gewährte die Beklagte ab 1. Februar 2008 Leistungen nach der Pflegestufe II.
Einen Antrag auf Höherstufung vom 17. August 2009 wegen Verschlimmerung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2009 ab, da der MDK in einer Stellungnahme vom 26. August 2008 feststellte, dass sich aus dem ärztlichen Befund der Dres. M./Dr. G. vom 12. August 2009 kein höherer Hilfebedarf ableiten lasse.
Der Kläger begründete seinen Widerspruch mit einer Schimmelpilzallergie, verursacht durch die Wohnverhältnisse. Die Beklagte holte ein erneutes Gutachten des MDK nach Hausbesuch vom 9. November 2009 ein. Es wurde zusätzlich zu den genannten Diagnosen ein allergisches Asthma bronchiale bei Sensibilisierung gegen Schimmelpilze mit Atemnot beschrieben. Die Alltagskompetenz sei nicht eingeschränkt. Der zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege betrage weiterhin 137 Minuten (Körperpflege 51 Minuten, Ernährung 10 Minuten, Mobilität 76 Minuten). Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Landshut hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 1. Februar 2010 täglich 197 Minuten im Bereich der Grundpflege und Bedarfszeiten anzuerkennen seien. Am 1. Juni 2010 hat er die Erweiterung der Klage wegen eines Mehrbedarfs an Pflege von wöchentlich sechs Stunden beantragt. Er hat sich dabei u.a. auf einen Arztbrief der Dres. B./K. vom 8. Juni 2000 bezogen. Der Kläger hat verschiedene ärztliche Befunde vorgelegt, u.a. den orthopädischen Befund des Prof. Dr. B. (Orthopädische Fachklinik S.) vom 14. Dezember 2010 sowie den Reha-Entlassungsbericht der DRK N. Reha-Klinik "G.S.", O., vom 25. September 2010 (stationäre Reha-Maßnahme vom 29. August bis 19. September 2010). Der MDK hat in Stellungnahmen vom 15. Dezember 2010 und 5. Januar 2011 ausgeführt, dass sich die Gehfähigkeit gegenüber dem Pflegegutachten 2008 von nur 1,5 m im häuslichen Bereich auf 60 bis 100 m am Gehstock gebessert habe. Es werde eine Überprüfung der Pflegestufe empfohlen.
Der MDK gelangte im Rahmen des von der Beklagten eingeleiteten Überprüfungsverfahrens in einem Gutachten nach Hausbesuch vom 18. Februar 2011 zu dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf in der Grundpflege nur mehr 54 Minuten (Körperpflege 24 Minuten, Ernährung 5 Minuten, Mobilität 25 Minuten) betrage, für die hauswirtschaftliche Versorgung 60 Minuten. Es habe sich eine deutliche Zunahme der Beweglichkeit gegenüber den beiden letzten Begutachtungen gezeigt. Bewegungen der oberen Extremitäten konnten zügig und ohne Schmerzäußerung durchgeführt werden. Ferner hätten sich keine Hinweise auf eine pflegerelevante Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Sinne einer Dyspnoe gezeigt. Somit sei eine Vollübernahme beim Waschen und Duschen sowie bei der mundgerechten Nahrungszubereitung nicht mehr nachvollziehbar; weite Teile der Verrichtungen könnten selbstständig erledigt werden. Begleitungs- und Wartezeiten zu Therapien seien nicht anrechenbar. Es liege daher nur mehr die Pflegestufe I vor. Die Alltagskompetenz sei nicht eingeschränkt.
Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2011 Pflegeleistungen in der Pflegestufe II gemäß § 48 Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) mit dem 31. März 2011 ein und hob gleichzeitig den Bescheid vom 9. Mai 2008 für die Zukunft auf. Ab 1. April 2011 gewährte sie Leistungen nach der Pflegestufe I. Zur Begründung bezog sie sich auf das Gutachten des MD
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2011 zurück. Als Rechtsbehelf sah der Bescheid die Möglichkeit der Klageerhebung vor. Die hiergegen erhobene Klage (Az.: S 6 P 45/11) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 1. Juni 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Der MDK hat in einer Stellungnahme vom 4. Mai 2011 die Rückstufung als fachlich richtig bewertet. Aus den im Anschluss vorgelegten Attesten wie der Hausärztin Dr. K. vom 4. April 2011 könne kein zusätzlicher grundpflegerischer Hilfebedarf abgeleitet werden. Die Behandlung der Intertrigo (Wundsein; Wolf) sei der Behandlungspflege zuzuordnen.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten der Internistin Dr. L. vom 15. September 2011 eingeholt. Als pflegebegründende Gesundheitsbeeinträchtigungen bestünden:
- Polyneuropathie mit Schädigung der langen Nervenbahnen,
- LWS-abhängige Beschwerden bei Zustand nach dreimaliger Bandscheibenoperation LWK 3/4 und LWK 4/5 im Jahre 1987, bei ausgeprägten Aufbraucherscheinungen der Wirbelgelenke, bei absoluter Spinalkanalstenose im Segment L 3/4, bei Arachnopathie (Schädigung der Rückenmarkshaut),
- chronisches Schmerzsyndrom,
- allergisches Asthma bronchiale,
- Schultergelenksbeschwerden beidseits bei Impingement und Nachweis von Sehnenverkalkungen,
- Prostatavergrößerungen mit Harnnachträufeln,
- Intertrigo in der Leistenregion,
- vordiagnostizierte Hirnleistungsstörung unklarer Genese sowie
- diätpflichtiger Diabetes mellitus.
Die anamnestischen Angaben zu den Gehschmerzen seien seit 2008 unverändert, die jedoch im Widerspruch insbesondere zu den Ausführungen von Prof. R. vom 11. Januar 2011 (Gehen bis zu 150 m mit Gehstock) sowie zum Reha-Entlassungsbericht vom 27. September 2010 (Gehstrecke mit Gehstock ca. 60 bis 100 m) stünden.
Der Hilfebedarf in der Grundpflege habe
- zum Zeitpunkt der Anerkennung der Pflegestufe II im Rahmen des Pflegegutachtens vom 5. Mai 2008 täglich 137 Minuten betragen,
- zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II im Rahmen des Pflegegutachtens vom 1. Februar 2011 täglich 54 Minuten,
- bei der jetzigen Begutachtung täglich 59 Minuten
betragen. Auf den Bereich Körperpflege entfalle ein Hilfebedarf von 29 Minuten. Der vom Kläger selbst angegebene Hilfebedarf von 76 Minuten sei aufgrund der objektivierbaren Befunde nicht nachvollziehbar. Der deutlich geringere Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege von 24 Minuten zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II im Vergleich zum festgestellten Hilfebedarf von 51 Minuten zum Zeitpunkt der Anerkennung der Pflegestufe II beruhte auf fehlenden Funktionseinschränkungen im Bereich der Schultergelenke mit der Folge der Reduzierung des Zeitbedarfs beim Duschen. Aktuell sei beim Duschen nur eine Teilübernahme erforderlich (Waschen des Rückens, des Unterkörpers und des Intimbereichs wegen bestehender Standunsicherheit). Im Bereich der Ernährung betrage der Hilfebedarf fünf Minuten, wie er auch im Jahre 2004 festgestellt worden sei. Im Bereich der Mobilität sei selbst der zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II festgestellte Hilfebedarf von 25 Minuten im Tagesdurchschnitt großzügig. Der vom Kläger angegebene Hilfebedarf von 85 Minuten sei in keiner Weise nachvollziehbar.
Zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II im Rahmen der Pflegebegutachtung am 1. Februar 2011 sei eine deutlich bessere Funktion im Bereich der oberen Extremitäten festgestellt worden als im Jahre 2008 angegeben wurde. Daraus resultiere im Bereich der Körperpflege und der Mobilität ein deutlich niedrigerer Hilfebedarf.
In Anbetracht der Tatsache, dass in der Pflegedokumentation des Krankenhauses
R. über die drei stationären Aufenthalte im Jahr 2008 und auch in der Dokumentation über den stationären Reha-Aufenthalt in der DRK N.-Reha-Klinik dokumentiert sei, dass der Kläger keinerlei Hilfe im Bereich der Grundpflege benötigte, und er anamnestisch zu diesem Zeitpunkt angegeben habe, mit dem Gehstock 60 bis 100 m gehen zu können, sei selbst der nun festgestellte Hilfebedarf von 59 Minuten im Bereich der Grundpflege im Tagesdurchschnitt großzügig bewertet.
Der Kläger hat Einwendungen gegen das Gutachten erhoben und weitere medizinische Befunde vorgelegt, u.a. der Neurologischen Klinik des Klinikums D-Stadt vom 21. Oktober 2011. Es seien von der Sachverständigen nicht alle Diagnosen festgestellt worden. Auch habe sich der Gesundheitszustand verschlechtert, so z.B. im orthopädischen Bereich. Er könne tatsächlich nur noch 6 m gehen. Er hat u.a. darauf hingewiesen, dass er alle sechs Wochen in seine Heimatstadt E-Stadt mit der Bahn fahre; er müsse "regelrecht über die Gleise des Hauptbahnhofes D-Stadt getragen werden, weil dieser keine Lifte und auch keine Rampen hat." Gegenüber dem Landgerichtsarzt in dem Verfahren 10 CS 106 Js 636/11 hat er am 1. Juni 2011 angegeben, er sei nicht transportfähig.
Die Entfernung einer Zyste im Gesäßbereich, die für den 4. November 2011 geplant gewesen ist, werde nach Ansicht der Beklagten vom 3. November 2011, gestützt auf eine Äußerung des MDK, den täglichen Pflegeaufwand nur für einige Tage erhöhen. Die Beklagte hat ferner eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK vom 13. Januar 2012 vorgelegt, der zu den in der Zwischenzeit vorgelegten Unterlagen und Befunden Stellung bezogen hat. Hieraus ergäben sich keine neuen Erkenntnisse, die zu einer anderen Bewertung der Pflegestufe führen würden.
Der Kläger hat die Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung zum 29. Februar 2012 gekündigt.
Einen klägerischen Antrag auf Ablehnung des Kammervorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit hat das Bayerische Landessozialgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 zurückgewiesen (Az.: L 9 SF 415/11 AB).
Zuletzt hat der Kläger im Klageverfahren vor dem Sozialgericht sinngemäß beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2010 zu verurteilen, bei ihm für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 1. Februar 2010 einen täglichen Grundpflegebedarf von 197 Minuten anzuerkennen und ab 8. Juni 2010 wöchentlich weitere 6 Stunden an Mehrbedarf anzuerkennen sowie weiter den Bescheid vom 17. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2011 aufzuheben und ihm Leistungen nach Pflegestufe III sowie ein Schmerzensgeld von 10.000 EUR zu gewähren. In der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2012 hat das Sozialgericht mit Beschluss einen Antrag auf Absetzung des Termins zur mündlichen Verhandlung, den Antrag, im Wege der Prozesskostenhilfe einen weiteren Rechtsanwalt beizuordnen, und einen Antrag auf Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens abgelehnt. Mit Urteil vom 19. Januar 2012 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Leistungen bis 31. März 2011. Es folgte dabei weitgehend den MDK-Gutachten vom 26. August 2009 und 9. November 2009 sowie dem Gutachten der Dr. L ... Auch die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach der Pflegestufe II ab 1. April 2011 gemäß § 48 SGB X sei demnach rechtmäßig gewesen. Der Kläger könne einen Teil des Grundpflegebedarfs selbst erledigen.
Mit der Berufung hat der Kläger zunächst die Feststellung beantragt, bei ihm ab 18. November 2010 eine "fortschreitende" Erkrankung der osteochondralen Veränderungen der LWS anzuerkennen und ihm für die Zeit vom 18. November 2010 einen täglichen Grundpflegebedarf von 189 Minuten anzuerkennen. Ferner hat er die Einholung eines neuropsychiatrischen und neuroradiologischen Fachgutachtens gemäß § 109 SGG begehrt. Als Gutachter hat er den Dr. F. benannt, diesen Antrag jedoch mit Schreiben vom 12. Juni 2012 wieder zurückgenommen.
Er hat ferner den Entlassungsbericht der A. Klinik S. vom 12. Juni 2012 (Abteilung für neurologische und neuropsychologische Rehabilitation) übersandt. Es ist dort eine beinbetonte Polyneuropathie, anamnestisch toxische Lösemitteleinwirkung, eine mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen, eine emotional/aggressive instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert worden.
Der bestellte Prozessbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 19. Juli 2012 den Klageanspruch auf den Zeitraum vom 18. November 2010 bis 29. Februar 2012 (Beendigung des Versicherungsverhältnisses) nach der Pflegestufe II beschränkt. Der Kläger leide unter einer komplexen Beschwerdesymptomatik des Stütz- und Bewegungsapparates sowie des Nervensystems. Aufgrund der chronischen Schmerzsymptomatik sei auch eine Wesensveränderung im Sinne einer reaktiven Depression eingetreten. Die multiplen Beeinträchtigungen bedingten einen Pflegebedarf in der geltend gemachten Höhe. Die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG durch Dr. F. ist erneut beantragt worden, mit Schriftsatz vom 17. September 2012 jedoch ebenfalls wieder zurückgenommen worden. Insgesamt habe sich der Gesundheitszustand des Klägers weiter verschlechtert, sein Rücken sei "total versteift" und die Restbeweglichkeit fast völlig eingeschränkt. Er sei kaum mehr in der Lage, seine Wohnung zu verlassen. Auch zu den behandelnden Ärzten in D-Stadt könne er nur noch im Liegen transportiert werden.
Der Senat hat einen Befundbericht des Neurochirurgen Dr. D. vom 24. August 2012 eingeholt, der über fortschreitende erhebliche mehrsegmentale degenerative LWS-Veränderungen berichtet hat. Die Allgemeinärztin Dr. S. hat in ihrem Befundbericht vom Oktober 2012 einen gleichgebliebenen Gesundheitszustand angegeben.
Der Kläger hat weitere Atteste, u.a. der Hautärztin Dr. K. zum Ausmaß einer chronischen rezidivierenden Intertrigo der Leisten sowie axillär beidseits übersandt. Er dusche zweimal täglich, müsse danach gut abgetrocknet werden und im Nachhinein geföhnt werden. Der hierfür vom MDK angenommene Hilfebedarf von 15 Minuten sei "geradezu als böswillig" zu bezeichnen. Durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Intimbereich hätte sich die Pflegezeit nochmals weiter erhöht.
Er hat ferner eine Äußerung seiner Krankenschwester und Pflegeperson J. N. vom 25. September 2011 übersandt. Sie hat die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers aufgezeigt. Insgesamt sei es in der vorgegebenen Zeit unmöglich, den Kläger professionell zu pflegen und zu betreuen. Mit einer eidesstattlichen Versicherung vom 5. März 2011 hat diese zu Feststellungen des MDK-Gutachters B. S. Stellung genommen.
Der Kläger hat ferner ein weiteres Gutachten des Landgerichtsarztes Medizinaldirektor Dr. B. vom 26. Januar 2012 nach Hausbesuch übermittelt: Zur Frage der Verhandlungsfähigkeit habe sich seit der Beurteilung am 9. Juni 2011 keine wesentliche Änderung ergeben. Die Situation habe sich aufgrund des derzeit bestehenden depressiven Syndroms mit auch latenten Suizidgedanken eher verschlechtert. Die psychopathologische Situation habe sich nicht verändert.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass eine depressive Störung unter medikamentöser Therapie durch die gerichtliche Sachverständige bereits berücksichtigt worden sei. Da der Kläger seit 1. März 2012 nicht mehr bei ihr versichert sei, wirkten sich neuere Entwicklungen des Krankheitsbildes bzw. Veränderungen der Pflegebedürftigkeit auf den hier streitigen Zeitraum nicht mehr aus.
Der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat mit Schriftsatz vom 21. Mai 2013 noch eine Stellungnahme des Arztes für Neurochirurgie K. vom 8. Dezember 2011 sowie vom 26. Januar 2012 übersandt. Notwendig sei eine Begutachtung durch ein fachorientiertes Team. Eine Begutachtung durch einen Lungenarzt, einen Internisten, HNO-Arzt oder Allgemeinarzt sei nicht ausreichend. Mit Schriftsätzen vom 10. Juni 2013 hat er ferner ein Attest des Dr. D. vom 6. Dezember 2010 und Ausführungen des Klägers zu dem Gutachten des MDK vom 8. Mai 2008 übersandt.
Mit Beschluss vom 4. Mai 2012 hat der Senat Prozesskostenhilfe bewilligt und den Prozessbevollmächtigten beigeordnet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. Januar 2012 sowie den Bescheid vom 17. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. April 2011 bis einschließlich 29. Februar 2012 Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II statt I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakten des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Streitig ist gemäß dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag nur noch das Vorliegen der Pflegestufe II in der Zeit vom 1. April 2011 bis 29. Februar 2012. Für die Zeit danach besteht aufgrund der bestätigten Kündigung durch den Kläger kein Versicherungsverhältnis zur Beklagten mehr, so dass die Leistungspflicht der Beklagten mit dem 29. Februar 2012 endete. Dabei ist antragsgemäß nicht mehr Streitgegenstand der Bescheid der Beklagten vom 8. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2010, mit dem die Beklagte eine Höherstufung von Pflegestufe II in die Stufe III ablehnte. Streitgegenstand ist die Aufhebung des Bescheides vom 9. Mai 2008, mit dem die Beklagte Pflegegeld in der Pflegestufe II zusagte, und die Einstellung der Leistungen nach der Pflegestufe II zum 31. März 2011. Tatsächlich bezog der Kläger somit bis 31. März 2011 Leistungen nach der Pflegestufe II. Diese wurde mit Bescheid vom 17. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2011 ab 1. April 2011 eingestellt. Zuverlässige Klageart ist die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG.
Für die Zeit vom 1. April 2011 bis 29. Februar 2012 besteht kein Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe II.
Die Pflegegeldgewährung erfolgte vorliegend mit Bescheid vom 9. Mai 2008 unbefristet. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 S. 1 SGB X). Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei der Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung. Mit Bescheid vom 9. Mai 2008, einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, gewährte die Beklagte Pflegegeld nach der Pflegestufe II. Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung trat eine entsprechende Verbesserung im Sinne einer Reduzierung des relevanten Pflegebedarfs in der Grundpflege ein, so dass nur mehr die Voraussetzungen für die Pflegestufe I gegeben sind.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen:
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung;
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung;
3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass dem Kläger in dem fraglichen Zeitraum Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II statt I nicht zustehen. Das Sozialgericht bezog sich dabei vor allem auf die gutachterlichen Äußerungen der Dr. L. sowie des MD
Unbeachtlich sind für das vorliegende Verfahren die gesundheitliche Entwicklung ab 1. März 2012 und eine eventuell damit verbundene Erhöhung des Pflegebedarfs. Dies wäre allein gegenüber dem neuen Versicherungsträger geltend zu machen.
Der Senat stellt wie das Sozialgericht auf das schlüssige und überzeugende Gutachten der Dr. L. ab, das am 15. September 2011 und somit in dem noch streitigen Zeitraum nach Hausbesuch erstellt wurde. Danach ergibt sich eine deutliche Reduzierung des Grundpflegebedarfs von 135 Minuten in der Zeit zwischen 2008 und 2010 auf 54 Minuten am 1. Februar 2010 und 59 Minuten während der Begutachtung. Dies begründet sich aufgrund einer deutlich verbesserten Funktion im Bereich der oberen Extremitäten (insbesondere der Schultergelenke) als gegenüber im Jahre 2008 festgestellt mit der Folge der Reduzierung des Hilfebedarfs vor allem im Bereich der Körperpflege und der Mobilität. Ferner hat sich sowohl nach den Feststellungen des MDK als auch der Sachverständigen in dem streitigen Zeitraum die Gehfähigkeit von nur 1,5 m auf 60 bis 100 m am Gehstock gebessert gehabt.
Ein Vergleich des bei den einzelnen Tätigkeiten gutachterlich festgestellten zeitlichen Hilfebedarfs zwischen den Jahren 2008 und 2011 macht die Reduzierung des Hilfebedarfs im Einzelnen deutlich:
Tätigkeit MDK 05/08 L.
Körperpflege: 51 29
Ganzkörperwäsche
Teilwäsche Oberkörper
Teilwäsche Unterkörper 15 0
Teilwäsche Hände/Gesicht
Duschen (1 x) 15 15
Baden
Zahnpflege 2 2
Kämmen 1 0
Rasieren 4 4
Wasserlassen
Stuhlgang 6 0
Richten der Bekleidung 8 8
Wechseln v. Windeln/Wasserlassen
Wechsel v. Windeln/Stuhlgang
Wechseln kleiner Vorlagen
Wechseln/Entleeren Urinbeutel
Wechseln/Entleeren Stomabeutel
Ernährung: 10 5
Mundgerechte Zubereitung 10 5
Nahrungsaufnahme oral
Nahrungsaufnahme Sonde
Mobilität: 76 25
Aufstehen/Zu-Bett-Gehen
Umlagern
Ankleiden gesamt 12 6
Ankleiden Ober-/Unterkörper 10
Entkleiden gesamt 6 10
Entkleiden Ober-/Unterkörper 8
Stehen 5 8
Gehen
Treppensteigen
Verl./Wiederaufsuchen Wohnung 35 1
Gesamt Grundpflege: 137 59
Hauswirtschaftl. Versorgung: 60 60
Beim Duschen ist nur mehr eine Teilübernahme (Waschen des Rückens, des Unterkörpers und wegen der Standunsicherheit infolge der Polyneuropathie auch des Intimbereichs) erforderlich gewesen. Dabei berücksichtigte die Sachverständige auch die wiederkehrenden Hautrötungen und Entzündungen mit Pilzbefall im Bereich beider Leisten. Das Einreiben mit Dermatika berücksichtigte sie im Zusammenhang mit der Verrichtung Duschen. Als Erschwernisfaktor wertete sie das Gewicht und die Größe des Klägers. Ein vermehrtes Waschen im Bereich des Unterkörpers sei nicht sinnvoll und würde nur zu zusätzlichen Reizungen der Haut im Genitalbereich führen. Ein Hilfebedarf beim Kämmen ist nicht mehr gegeben, ebenso beim Nachreinigen nach dem Stuhlgang.
Im Bereich der Mobilität ergibt sich durch die Verbesserung der Beweglichkeit im Schulterbereich eine deutliche Reduzierung des Hilfebedarfs beim An- und Entkleiden. Dabei berücksichtigte die Gutachterin auch das Tragen von Kompressionsstrümpfen.
Eine Erhöhung des Hilfebedarfs trat beim Stehen (von 5 auf 8 Minuten) ein.
Auf den Fahrten zu den Therapien und zu den Ärzten benötigte der Kläger nach Einschätzung der Sachverständigen nur mehr 1 Minute/Tag Hilfe. Hilfe ist nur mehr beim Überwinden der zwei Stufen bei der Haustür notwendig. Hierfür setzte die Gutachterin im Tagesdurchschnitt eine Minute an. Aufgrund der vorliegenden Dokumentationen wie im Rahmen des stationären Reha-Aufenthaltes vom 29. August bis 19. September 2010 hat sich auch die Gehfähigkeit auf 60 bis 100 m mit Gehstock erhöht. 2008 betrug die Gehstrecke nach dem MDK-Gutachten hingegen nur maximal 1,5 m. Dies deckt sich auch mit der Einschätzung des MDK vom Februar 2011. Anrechenbar sind danach nur die Ein- und Ausstiegshilfen in und aus einem Kfz, 15mal in der Woche mit jeweils 1/2 Minute, so dass auch der MDK nur mehr zu einem Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von 1 Minute am Tag gelangte.
Die Sachverständige hat die vorliegenden ärztlichen Befunde berücksichtigt und als pflegebegründende Diagnosen sowohl die orthopädischen Beschwerden insbesondere im Bereich der LWS als auch die Polyneuropathie, ein Intertrigo in der Leistenregion, eine Hirnleistungsstörung unklarer Genese, einen diätpflichtigen Diabetes mellitus, ein allergisches Asthma bronchiale, ein chronisches Schmerzsyndrom sowie eine Prostatavergrößerungen berücksichtigt. Auch die noch bestehenden Schultergelenksbeschwerden beidseits bei Impingement und Nachweis von Sehnenverkalkungen wurden von ihr festgestellt. Maßgeblich ist im Rahmen der Gewährung von Pflegegeld jedoch nicht die Diagnose, sondern der sich hieraus ergebende erforderliche zeitliche Pflegebedarf. Insoweit kann sich im Laufe der Zeit auch eine Reduzierung des Pflegebedarfs bei gleichbleibender Grunddiagnose ergeben. Die tatsächlichen Verbesserungen im Bereich der Grundpflege hat die Sachverständige schlüssig und überzeugend dargelegt.
Soweit zuletzt noch ein Attest des Dr. D. vom 6. Dezember 2010 vorgelegt wurde, lagen der Gutachterin im Rahmen der Begutachtung verschiedene neurochirurgische Befunde des Dr. D. vor, u.a. auch der vom 6. Dezember 2010.
Die Einvernahme der vom Kläger benannten Pflegepersonen als Zeugen ist nicht erforderlich. Zum einen liegen die schriftlichen Äußerungen der Frau N. dem Senat vor, zum anderen hat die Sachverständige dargelegt, dass die vom Kläger angegebenen Zeiten in Einzelbereichen der durchgeführten Grundpflege nicht nachvollziehbar sind. Darüber hinaus ist zwar grundsätzlich auf die individuellen Bedürfnisses des Versicherten bei der Pflege und den erforderlichen Zeitaufwand abzustellen. Allerdings verlangt der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) eine gewisse Standardisierung des Pflegebedarfs, die am Maßstab des allgemein Üblichen auszurichten ist (vgl. Udsching, SGB XI, 3. Aufl., § 15 Rdnr. 4). An diesen Maßstab, der durch Pflegerichtlinien konkretisiert wird, hat sich sowohl der MDK als auch die Sachverständige Dr. L. gehalten. Im Rahmen des Hausbesuchs durch die Sachverständige war ferner als Pflegeperson Frau M. anwesend.
Der Antrag auf Begutachtung nach § 109 SGG durch Dr. F. wurde vom Kläger bzw. dessen Prozessbevollmächtigten zurückgenommen. Es besteht auch keine Veranlassung, ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Amts wegen einzuholen. Im Vordergrund stehen, wie dargelegt, im Recht der sozialen Pflegeversicherung nicht die Diagnosen, sondern der zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege und in der hauswirtschaftlichen Versorgung. Aus diesem Grunde ist auch von Amts wegen keine "Begutachtung durch ein entsprechendes fachorientiertes Team" von Ärzten verschiedener Fakultäten angezeigt. Hierzu ist der Sachverhalt umfassend und zeitnah aufgeklärt.
Die Aufhebung des Bescheides vom 9. Mai 2008 durch die streitgegenständlichen Bescheide für die Zukunft nach § 48 SGB X ist daher nicht zu beanstanden. Auch die formellen Voraussetzungen sind eingehalten, insbesondere wurde mit Schreiben vom 1. März 2011 eine Anhörung durchgeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Berufungsverfahren zuletzt noch die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 1. April 2011 bis 29. Februar 2012.
Der Kläger beantragte am 17. März 2008 die Gewährung von Geldleistungen aus der Pflegeversicherung. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern stellte in einem Widerspruchsgutachten vom 8. Mai 2008 als pflegebegründende Diagnosen eine Spinalkanalstenose in den Segmenten LWK 3/4 und LWK 4/5, einen Zustand nach mehrfachen Operationen, massive Bewegungseinschränkungen, ein chronisches Schmerzsyndrom, Polyneuropathien beider Beide und Arme sowie sonstige Polyneuropathien fest. Es bestehe ein zeitlicher Hilfebedarf in der Grundpflege von im Tagesdurchschnitt 137 Minuten (Körperpflege 51 Minuten, Ernährung 10 Minuten, Mobilität 76 Minuten), im Bereich der Hauswirtschaft von 60 Minuten. Der Widerspruch sei berechtigt, vor allem da Zeiten für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung in Höhe von 35 Minuten anzuerkennen seien. Mit Bescheid vom 9. Mai 2008 gewährte die Beklagte ab 1. Februar 2008 Leistungen nach der Pflegestufe II.
Einen Antrag auf Höherstufung vom 17. August 2009 wegen Verschlimmerung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2009 ab, da der MDK in einer Stellungnahme vom 26. August 2008 feststellte, dass sich aus dem ärztlichen Befund der Dres. M./Dr. G. vom 12. August 2009 kein höherer Hilfebedarf ableiten lasse.
Der Kläger begründete seinen Widerspruch mit einer Schimmelpilzallergie, verursacht durch die Wohnverhältnisse. Die Beklagte holte ein erneutes Gutachten des MDK nach Hausbesuch vom 9. November 2009 ein. Es wurde zusätzlich zu den genannten Diagnosen ein allergisches Asthma bronchiale bei Sensibilisierung gegen Schimmelpilze mit Atemnot beschrieben. Die Alltagskompetenz sei nicht eingeschränkt. Der zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege betrage weiterhin 137 Minuten (Körperpflege 51 Minuten, Ernährung 10 Minuten, Mobilität 76 Minuten). Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Landshut hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 1. Februar 2010 täglich 197 Minuten im Bereich der Grundpflege und Bedarfszeiten anzuerkennen seien. Am 1. Juni 2010 hat er die Erweiterung der Klage wegen eines Mehrbedarfs an Pflege von wöchentlich sechs Stunden beantragt. Er hat sich dabei u.a. auf einen Arztbrief der Dres. B./K. vom 8. Juni 2000 bezogen. Der Kläger hat verschiedene ärztliche Befunde vorgelegt, u.a. den orthopädischen Befund des Prof. Dr. B. (Orthopädische Fachklinik S.) vom 14. Dezember 2010 sowie den Reha-Entlassungsbericht der DRK N. Reha-Klinik "G.S.", O., vom 25. September 2010 (stationäre Reha-Maßnahme vom 29. August bis 19. September 2010). Der MDK hat in Stellungnahmen vom 15. Dezember 2010 und 5. Januar 2011 ausgeführt, dass sich die Gehfähigkeit gegenüber dem Pflegegutachten 2008 von nur 1,5 m im häuslichen Bereich auf 60 bis 100 m am Gehstock gebessert habe. Es werde eine Überprüfung der Pflegestufe empfohlen.
Der MDK gelangte im Rahmen des von der Beklagten eingeleiteten Überprüfungsverfahrens in einem Gutachten nach Hausbesuch vom 18. Februar 2011 zu dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf in der Grundpflege nur mehr 54 Minuten (Körperpflege 24 Minuten, Ernährung 5 Minuten, Mobilität 25 Minuten) betrage, für die hauswirtschaftliche Versorgung 60 Minuten. Es habe sich eine deutliche Zunahme der Beweglichkeit gegenüber den beiden letzten Begutachtungen gezeigt. Bewegungen der oberen Extremitäten konnten zügig und ohne Schmerzäußerung durchgeführt werden. Ferner hätten sich keine Hinweise auf eine pflegerelevante Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Sinne einer Dyspnoe gezeigt. Somit sei eine Vollübernahme beim Waschen und Duschen sowie bei der mundgerechten Nahrungszubereitung nicht mehr nachvollziehbar; weite Teile der Verrichtungen könnten selbstständig erledigt werden. Begleitungs- und Wartezeiten zu Therapien seien nicht anrechenbar. Es liege daher nur mehr die Pflegestufe I vor. Die Alltagskompetenz sei nicht eingeschränkt.
Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2011 Pflegeleistungen in der Pflegestufe II gemäß § 48 Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) mit dem 31. März 2011 ein und hob gleichzeitig den Bescheid vom 9. Mai 2008 für die Zukunft auf. Ab 1. April 2011 gewährte sie Leistungen nach der Pflegestufe I. Zur Begründung bezog sie sich auf das Gutachten des MD
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2011 zurück. Als Rechtsbehelf sah der Bescheid die Möglichkeit der Klageerhebung vor. Die hiergegen erhobene Klage (Az.: S 6 P 45/11) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 1. Juni 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Der MDK hat in einer Stellungnahme vom 4. Mai 2011 die Rückstufung als fachlich richtig bewertet. Aus den im Anschluss vorgelegten Attesten wie der Hausärztin Dr. K. vom 4. April 2011 könne kein zusätzlicher grundpflegerischer Hilfebedarf abgeleitet werden. Die Behandlung der Intertrigo (Wundsein; Wolf) sei der Behandlungspflege zuzuordnen.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten der Internistin Dr. L. vom 15. September 2011 eingeholt. Als pflegebegründende Gesundheitsbeeinträchtigungen bestünden:
- Polyneuropathie mit Schädigung der langen Nervenbahnen,
- LWS-abhängige Beschwerden bei Zustand nach dreimaliger Bandscheibenoperation LWK 3/4 und LWK 4/5 im Jahre 1987, bei ausgeprägten Aufbraucherscheinungen der Wirbelgelenke, bei absoluter Spinalkanalstenose im Segment L 3/4, bei Arachnopathie (Schädigung der Rückenmarkshaut),
- chronisches Schmerzsyndrom,
- allergisches Asthma bronchiale,
- Schultergelenksbeschwerden beidseits bei Impingement und Nachweis von Sehnenverkalkungen,
- Prostatavergrößerungen mit Harnnachträufeln,
- Intertrigo in der Leistenregion,
- vordiagnostizierte Hirnleistungsstörung unklarer Genese sowie
- diätpflichtiger Diabetes mellitus.
Die anamnestischen Angaben zu den Gehschmerzen seien seit 2008 unverändert, die jedoch im Widerspruch insbesondere zu den Ausführungen von Prof. R. vom 11. Januar 2011 (Gehen bis zu 150 m mit Gehstock) sowie zum Reha-Entlassungsbericht vom 27. September 2010 (Gehstrecke mit Gehstock ca. 60 bis 100 m) stünden.
Der Hilfebedarf in der Grundpflege habe
- zum Zeitpunkt der Anerkennung der Pflegestufe II im Rahmen des Pflegegutachtens vom 5. Mai 2008 täglich 137 Minuten betragen,
- zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II im Rahmen des Pflegegutachtens vom 1. Februar 2011 täglich 54 Minuten,
- bei der jetzigen Begutachtung täglich 59 Minuten
betragen. Auf den Bereich Körperpflege entfalle ein Hilfebedarf von 29 Minuten. Der vom Kläger selbst angegebene Hilfebedarf von 76 Minuten sei aufgrund der objektivierbaren Befunde nicht nachvollziehbar. Der deutlich geringere Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege von 24 Minuten zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II im Vergleich zum festgestellten Hilfebedarf von 51 Minuten zum Zeitpunkt der Anerkennung der Pflegestufe II beruhte auf fehlenden Funktionseinschränkungen im Bereich der Schultergelenke mit der Folge der Reduzierung des Zeitbedarfs beim Duschen. Aktuell sei beim Duschen nur eine Teilübernahme erforderlich (Waschen des Rückens, des Unterkörpers und des Intimbereichs wegen bestehender Standunsicherheit). Im Bereich der Ernährung betrage der Hilfebedarf fünf Minuten, wie er auch im Jahre 2004 festgestellt worden sei. Im Bereich der Mobilität sei selbst der zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II festgestellte Hilfebedarf von 25 Minuten im Tagesdurchschnitt großzügig. Der vom Kläger angegebene Hilfebedarf von 85 Minuten sei in keiner Weise nachvollziehbar.
Zum Zeitpunkt der Aberkennung der Pflegestufe II im Rahmen der Pflegebegutachtung am 1. Februar 2011 sei eine deutlich bessere Funktion im Bereich der oberen Extremitäten festgestellt worden als im Jahre 2008 angegeben wurde. Daraus resultiere im Bereich der Körperpflege und der Mobilität ein deutlich niedrigerer Hilfebedarf.
In Anbetracht der Tatsache, dass in der Pflegedokumentation des Krankenhauses
R. über die drei stationären Aufenthalte im Jahr 2008 und auch in der Dokumentation über den stationären Reha-Aufenthalt in der DRK N.-Reha-Klinik dokumentiert sei, dass der Kläger keinerlei Hilfe im Bereich der Grundpflege benötigte, und er anamnestisch zu diesem Zeitpunkt angegeben habe, mit dem Gehstock 60 bis 100 m gehen zu können, sei selbst der nun festgestellte Hilfebedarf von 59 Minuten im Bereich der Grundpflege im Tagesdurchschnitt großzügig bewertet.
Der Kläger hat Einwendungen gegen das Gutachten erhoben und weitere medizinische Befunde vorgelegt, u.a. der Neurologischen Klinik des Klinikums D-Stadt vom 21. Oktober 2011. Es seien von der Sachverständigen nicht alle Diagnosen festgestellt worden. Auch habe sich der Gesundheitszustand verschlechtert, so z.B. im orthopädischen Bereich. Er könne tatsächlich nur noch 6 m gehen. Er hat u.a. darauf hingewiesen, dass er alle sechs Wochen in seine Heimatstadt E-Stadt mit der Bahn fahre; er müsse "regelrecht über die Gleise des Hauptbahnhofes D-Stadt getragen werden, weil dieser keine Lifte und auch keine Rampen hat." Gegenüber dem Landgerichtsarzt in dem Verfahren 10 CS 106 Js 636/11 hat er am 1. Juni 2011 angegeben, er sei nicht transportfähig.
Die Entfernung einer Zyste im Gesäßbereich, die für den 4. November 2011 geplant gewesen ist, werde nach Ansicht der Beklagten vom 3. November 2011, gestützt auf eine Äußerung des MDK, den täglichen Pflegeaufwand nur für einige Tage erhöhen. Die Beklagte hat ferner eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK vom 13. Januar 2012 vorgelegt, der zu den in der Zwischenzeit vorgelegten Unterlagen und Befunden Stellung bezogen hat. Hieraus ergäben sich keine neuen Erkenntnisse, die zu einer anderen Bewertung der Pflegestufe führen würden.
Der Kläger hat die Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung zum 29. Februar 2012 gekündigt.
Einen klägerischen Antrag auf Ablehnung des Kammervorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit hat das Bayerische Landessozialgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 zurückgewiesen (Az.: L 9 SF 415/11 AB).
Zuletzt hat der Kläger im Klageverfahren vor dem Sozialgericht sinngemäß beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2010 zu verurteilen, bei ihm für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 1. Februar 2010 einen täglichen Grundpflegebedarf von 197 Minuten anzuerkennen und ab 8. Juni 2010 wöchentlich weitere 6 Stunden an Mehrbedarf anzuerkennen sowie weiter den Bescheid vom 17. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2011 aufzuheben und ihm Leistungen nach Pflegestufe III sowie ein Schmerzensgeld von 10.000 EUR zu gewähren. In der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2012 hat das Sozialgericht mit Beschluss einen Antrag auf Absetzung des Termins zur mündlichen Verhandlung, den Antrag, im Wege der Prozesskostenhilfe einen weiteren Rechtsanwalt beizuordnen, und einen Antrag auf Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens abgelehnt. Mit Urteil vom 19. Januar 2012 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Leistungen bis 31. März 2011. Es folgte dabei weitgehend den MDK-Gutachten vom 26. August 2009 und 9. November 2009 sowie dem Gutachten der Dr. L ... Auch die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach der Pflegestufe II ab 1. April 2011 gemäß § 48 SGB X sei demnach rechtmäßig gewesen. Der Kläger könne einen Teil des Grundpflegebedarfs selbst erledigen.
Mit der Berufung hat der Kläger zunächst die Feststellung beantragt, bei ihm ab 18. November 2010 eine "fortschreitende" Erkrankung der osteochondralen Veränderungen der LWS anzuerkennen und ihm für die Zeit vom 18. November 2010 einen täglichen Grundpflegebedarf von 189 Minuten anzuerkennen. Ferner hat er die Einholung eines neuropsychiatrischen und neuroradiologischen Fachgutachtens gemäß § 109 SGG begehrt. Als Gutachter hat er den Dr. F. benannt, diesen Antrag jedoch mit Schreiben vom 12. Juni 2012 wieder zurückgenommen.
Er hat ferner den Entlassungsbericht der A. Klinik S. vom 12. Juni 2012 (Abteilung für neurologische und neuropsychologische Rehabilitation) übersandt. Es ist dort eine beinbetonte Polyneuropathie, anamnestisch toxische Lösemitteleinwirkung, eine mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen, eine emotional/aggressive instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert worden.
Der bestellte Prozessbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 19. Juli 2012 den Klageanspruch auf den Zeitraum vom 18. November 2010 bis 29. Februar 2012 (Beendigung des Versicherungsverhältnisses) nach der Pflegestufe II beschränkt. Der Kläger leide unter einer komplexen Beschwerdesymptomatik des Stütz- und Bewegungsapparates sowie des Nervensystems. Aufgrund der chronischen Schmerzsymptomatik sei auch eine Wesensveränderung im Sinne einer reaktiven Depression eingetreten. Die multiplen Beeinträchtigungen bedingten einen Pflegebedarf in der geltend gemachten Höhe. Die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG durch Dr. F. ist erneut beantragt worden, mit Schriftsatz vom 17. September 2012 jedoch ebenfalls wieder zurückgenommen worden. Insgesamt habe sich der Gesundheitszustand des Klägers weiter verschlechtert, sein Rücken sei "total versteift" und die Restbeweglichkeit fast völlig eingeschränkt. Er sei kaum mehr in der Lage, seine Wohnung zu verlassen. Auch zu den behandelnden Ärzten in D-Stadt könne er nur noch im Liegen transportiert werden.
Der Senat hat einen Befundbericht des Neurochirurgen Dr. D. vom 24. August 2012 eingeholt, der über fortschreitende erhebliche mehrsegmentale degenerative LWS-Veränderungen berichtet hat. Die Allgemeinärztin Dr. S. hat in ihrem Befundbericht vom Oktober 2012 einen gleichgebliebenen Gesundheitszustand angegeben.
Der Kläger hat weitere Atteste, u.a. der Hautärztin Dr. K. zum Ausmaß einer chronischen rezidivierenden Intertrigo der Leisten sowie axillär beidseits übersandt. Er dusche zweimal täglich, müsse danach gut abgetrocknet werden und im Nachhinein geföhnt werden. Der hierfür vom MDK angenommene Hilfebedarf von 15 Minuten sei "geradezu als böswillig" zu bezeichnen. Durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Intimbereich hätte sich die Pflegezeit nochmals weiter erhöht.
Er hat ferner eine Äußerung seiner Krankenschwester und Pflegeperson J. N. vom 25. September 2011 übersandt. Sie hat die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers aufgezeigt. Insgesamt sei es in der vorgegebenen Zeit unmöglich, den Kläger professionell zu pflegen und zu betreuen. Mit einer eidesstattlichen Versicherung vom 5. März 2011 hat diese zu Feststellungen des MDK-Gutachters B. S. Stellung genommen.
Der Kläger hat ferner ein weiteres Gutachten des Landgerichtsarztes Medizinaldirektor Dr. B. vom 26. Januar 2012 nach Hausbesuch übermittelt: Zur Frage der Verhandlungsfähigkeit habe sich seit der Beurteilung am 9. Juni 2011 keine wesentliche Änderung ergeben. Die Situation habe sich aufgrund des derzeit bestehenden depressiven Syndroms mit auch latenten Suizidgedanken eher verschlechtert. Die psychopathologische Situation habe sich nicht verändert.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass eine depressive Störung unter medikamentöser Therapie durch die gerichtliche Sachverständige bereits berücksichtigt worden sei. Da der Kläger seit 1. März 2012 nicht mehr bei ihr versichert sei, wirkten sich neuere Entwicklungen des Krankheitsbildes bzw. Veränderungen der Pflegebedürftigkeit auf den hier streitigen Zeitraum nicht mehr aus.
Der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat mit Schriftsatz vom 21. Mai 2013 noch eine Stellungnahme des Arztes für Neurochirurgie K. vom 8. Dezember 2011 sowie vom 26. Januar 2012 übersandt. Notwendig sei eine Begutachtung durch ein fachorientiertes Team. Eine Begutachtung durch einen Lungenarzt, einen Internisten, HNO-Arzt oder Allgemeinarzt sei nicht ausreichend. Mit Schriftsätzen vom 10. Juni 2013 hat er ferner ein Attest des Dr. D. vom 6. Dezember 2010 und Ausführungen des Klägers zu dem Gutachten des MDK vom 8. Mai 2008 übersandt.
Mit Beschluss vom 4. Mai 2012 hat der Senat Prozesskostenhilfe bewilligt und den Prozessbevollmächtigten beigeordnet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. Januar 2012 sowie den Bescheid vom 17. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. April 2011 bis einschließlich 29. Februar 2012 Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II statt I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakten des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Streitig ist gemäß dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag nur noch das Vorliegen der Pflegestufe II in der Zeit vom 1. April 2011 bis 29. Februar 2012. Für die Zeit danach besteht aufgrund der bestätigten Kündigung durch den Kläger kein Versicherungsverhältnis zur Beklagten mehr, so dass die Leistungspflicht der Beklagten mit dem 29. Februar 2012 endete. Dabei ist antragsgemäß nicht mehr Streitgegenstand der Bescheid der Beklagten vom 8. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2010, mit dem die Beklagte eine Höherstufung von Pflegestufe II in die Stufe III ablehnte. Streitgegenstand ist die Aufhebung des Bescheides vom 9. Mai 2008, mit dem die Beklagte Pflegegeld in der Pflegestufe II zusagte, und die Einstellung der Leistungen nach der Pflegestufe II zum 31. März 2011. Tatsächlich bezog der Kläger somit bis 31. März 2011 Leistungen nach der Pflegestufe II. Diese wurde mit Bescheid vom 17. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2011 ab 1. April 2011 eingestellt. Zuverlässige Klageart ist die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG.
Für die Zeit vom 1. April 2011 bis 29. Februar 2012 besteht kein Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe II.
Die Pflegegeldgewährung erfolgte vorliegend mit Bescheid vom 9. Mai 2008 unbefristet. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 S. 1 SGB X). Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei der Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung. Mit Bescheid vom 9. Mai 2008, einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, gewährte die Beklagte Pflegegeld nach der Pflegestufe II. Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung trat eine entsprechende Verbesserung im Sinne einer Reduzierung des relevanten Pflegebedarfs in der Grundpflege ein, so dass nur mehr die Voraussetzungen für die Pflegestufe I gegeben sind.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen:
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung;
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung;
3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass dem Kläger in dem fraglichen Zeitraum Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II statt I nicht zustehen. Das Sozialgericht bezog sich dabei vor allem auf die gutachterlichen Äußerungen der Dr. L. sowie des MD
Unbeachtlich sind für das vorliegende Verfahren die gesundheitliche Entwicklung ab 1. März 2012 und eine eventuell damit verbundene Erhöhung des Pflegebedarfs. Dies wäre allein gegenüber dem neuen Versicherungsträger geltend zu machen.
Der Senat stellt wie das Sozialgericht auf das schlüssige und überzeugende Gutachten der Dr. L. ab, das am 15. September 2011 und somit in dem noch streitigen Zeitraum nach Hausbesuch erstellt wurde. Danach ergibt sich eine deutliche Reduzierung des Grundpflegebedarfs von 135 Minuten in der Zeit zwischen 2008 und 2010 auf 54 Minuten am 1. Februar 2010 und 59 Minuten während der Begutachtung. Dies begründet sich aufgrund einer deutlich verbesserten Funktion im Bereich der oberen Extremitäten (insbesondere der Schultergelenke) als gegenüber im Jahre 2008 festgestellt mit der Folge der Reduzierung des Hilfebedarfs vor allem im Bereich der Körperpflege und der Mobilität. Ferner hat sich sowohl nach den Feststellungen des MDK als auch der Sachverständigen in dem streitigen Zeitraum die Gehfähigkeit von nur 1,5 m auf 60 bis 100 m am Gehstock gebessert gehabt.
Ein Vergleich des bei den einzelnen Tätigkeiten gutachterlich festgestellten zeitlichen Hilfebedarfs zwischen den Jahren 2008 und 2011 macht die Reduzierung des Hilfebedarfs im Einzelnen deutlich:
Tätigkeit MDK 05/08 L.
Körperpflege: 51 29
Ganzkörperwäsche
Teilwäsche Oberkörper
Teilwäsche Unterkörper 15 0
Teilwäsche Hände/Gesicht
Duschen (1 x) 15 15
Baden
Zahnpflege 2 2
Kämmen 1 0
Rasieren 4 4
Wasserlassen
Stuhlgang 6 0
Richten der Bekleidung 8 8
Wechseln v. Windeln/Wasserlassen
Wechsel v. Windeln/Stuhlgang
Wechseln kleiner Vorlagen
Wechseln/Entleeren Urinbeutel
Wechseln/Entleeren Stomabeutel
Ernährung: 10 5
Mundgerechte Zubereitung 10 5
Nahrungsaufnahme oral
Nahrungsaufnahme Sonde
Mobilität: 76 25
Aufstehen/Zu-Bett-Gehen
Umlagern
Ankleiden gesamt 12 6
Ankleiden Ober-/Unterkörper 10
Entkleiden gesamt 6 10
Entkleiden Ober-/Unterkörper 8
Stehen 5 8
Gehen
Treppensteigen
Verl./Wiederaufsuchen Wohnung 35 1
Gesamt Grundpflege: 137 59
Hauswirtschaftl. Versorgung: 60 60
Beim Duschen ist nur mehr eine Teilübernahme (Waschen des Rückens, des Unterkörpers und wegen der Standunsicherheit infolge der Polyneuropathie auch des Intimbereichs) erforderlich gewesen. Dabei berücksichtigte die Sachverständige auch die wiederkehrenden Hautrötungen und Entzündungen mit Pilzbefall im Bereich beider Leisten. Das Einreiben mit Dermatika berücksichtigte sie im Zusammenhang mit der Verrichtung Duschen. Als Erschwernisfaktor wertete sie das Gewicht und die Größe des Klägers. Ein vermehrtes Waschen im Bereich des Unterkörpers sei nicht sinnvoll und würde nur zu zusätzlichen Reizungen der Haut im Genitalbereich führen. Ein Hilfebedarf beim Kämmen ist nicht mehr gegeben, ebenso beim Nachreinigen nach dem Stuhlgang.
Im Bereich der Mobilität ergibt sich durch die Verbesserung der Beweglichkeit im Schulterbereich eine deutliche Reduzierung des Hilfebedarfs beim An- und Entkleiden. Dabei berücksichtigte die Gutachterin auch das Tragen von Kompressionsstrümpfen.
Eine Erhöhung des Hilfebedarfs trat beim Stehen (von 5 auf 8 Minuten) ein.
Auf den Fahrten zu den Therapien und zu den Ärzten benötigte der Kläger nach Einschätzung der Sachverständigen nur mehr 1 Minute/Tag Hilfe. Hilfe ist nur mehr beim Überwinden der zwei Stufen bei der Haustür notwendig. Hierfür setzte die Gutachterin im Tagesdurchschnitt eine Minute an. Aufgrund der vorliegenden Dokumentationen wie im Rahmen des stationären Reha-Aufenthaltes vom 29. August bis 19. September 2010 hat sich auch die Gehfähigkeit auf 60 bis 100 m mit Gehstock erhöht. 2008 betrug die Gehstrecke nach dem MDK-Gutachten hingegen nur maximal 1,5 m. Dies deckt sich auch mit der Einschätzung des MDK vom Februar 2011. Anrechenbar sind danach nur die Ein- und Ausstiegshilfen in und aus einem Kfz, 15mal in der Woche mit jeweils 1/2 Minute, so dass auch der MDK nur mehr zu einem Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von 1 Minute am Tag gelangte.
Die Sachverständige hat die vorliegenden ärztlichen Befunde berücksichtigt und als pflegebegründende Diagnosen sowohl die orthopädischen Beschwerden insbesondere im Bereich der LWS als auch die Polyneuropathie, ein Intertrigo in der Leistenregion, eine Hirnleistungsstörung unklarer Genese, einen diätpflichtigen Diabetes mellitus, ein allergisches Asthma bronchiale, ein chronisches Schmerzsyndrom sowie eine Prostatavergrößerungen berücksichtigt. Auch die noch bestehenden Schultergelenksbeschwerden beidseits bei Impingement und Nachweis von Sehnenverkalkungen wurden von ihr festgestellt. Maßgeblich ist im Rahmen der Gewährung von Pflegegeld jedoch nicht die Diagnose, sondern der sich hieraus ergebende erforderliche zeitliche Pflegebedarf. Insoweit kann sich im Laufe der Zeit auch eine Reduzierung des Pflegebedarfs bei gleichbleibender Grunddiagnose ergeben. Die tatsächlichen Verbesserungen im Bereich der Grundpflege hat die Sachverständige schlüssig und überzeugend dargelegt.
Soweit zuletzt noch ein Attest des Dr. D. vom 6. Dezember 2010 vorgelegt wurde, lagen der Gutachterin im Rahmen der Begutachtung verschiedene neurochirurgische Befunde des Dr. D. vor, u.a. auch der vom 6. Dezember 2010.
Die Einvernahme der vom Kläger benannten Pflegepersonen als Zeugen ist nicht erforderlich. Zum einen liegen die schriftlichen Äußerungen der Frau N. dem Senat vor, zum anderen hat die Sachverständige dargelegt, dass die vom Kläger angegebenen Zeiten in Einzelbereichen der durchgeführten Grundpflege nicht nachvollziehbar sind. Darüber hinaus ist zwar grundsätzlich auf die individuellen Bedürfnisses des Versicherten bei der Pflege und den erforderlichen Zeitaufwand abzustellen. Allerdings verlangt der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) eine gewisse Standardisierung des Pflegebedarfs, die am Maßstab des allgemein Üblichen auszurichten ist (vgl. Udsching, SGB XI, 3. Aufl., § 15 Rdnr. 4). An diesen Maßstab, der durch Pflegerichtlinien konkretisiert wird, hat sich sowohl der MDK als auch die Sachverständige Dr. L. gehalten. Im Rahmen des Hausbesuchs durch die Sachverständige war ferner als Pflegeperson Frau M. anwesend.
Der Antrag auf Begutachtung nach § 109 SGG durch Dr. F. wurde vom Kläger bzw. dessen Prozessbevollmächtigten zurückgenommen. Es besteht auch keine Veranlassung, ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Amts wegen einzuholen. Im Vordergrund stehen, wie dargelegt, im Recht der sozialen Pflegeversicherung nicht die Diagnosen, sondern der zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege und in der hauswirtschaftlichen Versorgung. Aus diesem Grunde ist auch von Amts wegen keine "Begutachtung durch ein entsprechendes fachorientiertes Team" von Ärzten verschiedener Fakultäten angezeigt. Hierzu ist der Sachverhalt umfassend und zeitnah aufgeklärt.
Die Aufhebung des Bescheides vom 9. Mai 2008 durch die streitgegenständlichen Bescheide für die Zukunft nach § 48 SGB X ist daher nicht zu beanstanden. Auch die formellen Voraussetzungen sind eingehalten, insbesondere wurde mit Schreiben vom 1. März 2011 eine Anhörung durchgeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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