Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 647/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 91/13 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Im Rahmen der Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutz ist das Interesse des Versicherten an der Behandlung seiner eingeschränkten Fortbewegungsfähigkeit stärker zu gewichten, als das Interesse der Versichertengemeinschaft vor gg. im nachhinein zu Unrecht erbrachten Leistungen der Krankenversicherung geschützt zu werden.
Zur wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung bei eingeschränkter Mobilität.
Zur wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung bei eingeschränkter Mobilität.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 7.2.2013 wird aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache, längstens befristet bis zum 31.5.2014 verpflichtet, die Antragstellerin nach ärztlicher Verordnung mit Dronabinol zu versorgen.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist im einstweiligen Rechtsschutz streitig ein vorläufiger Anspruch der Antragstellerin auf Leistung von Rezepturarzneimitteln mit dem Wirkstoff Dronabinol.
Dronabinol ist der isolierte Hauptwirkstoff der Cannabispflanze. Das Arzneimittel wird zur Anwendung in Dragee- oder Tropfenform oder zur Inhalation von einer Apotheke nach ärztlicher Verordnung hergestellt. Dronabinol ist ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz.
Die Antragstellerin, geboren 1969, ist an Multipler Sklerose erkrankt. Es besteht ein vorherrschend schubförmiger Verlauf. Die Antragstellerin ist aufgrund einer ausgeprägten spastischen Tetraparese mit Lähmungserscheinungen vor allem an den Beinen in ihrer Gehfähigkeit deutlich beeinträchtigt. Längere Strecken kann die Antragstellerin nur noch mit dem Rollstuhl zurücklegen. Dabei bestehen zusätzliche Schwierigkeiten bei der Fortbewegung im Rollstuhl aufgrund einer zunehmenden schmerzhaften Spastik an der rechten Hand. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen "G", "aG" und "B" sind vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, Versorgungsamt, festgestellt. Die Antragstellerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Schwaben eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und erhält Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jobcenter A-Stadt. Ein monatliches Pflegegeld wird für die bei der Antragstellerin festgestellte Pflegestufe I ausgezahlt.
Die Antragstellerin hatte zunächst bis Dezember 2011 Dronabinol auf Kassenrezept erhalten. Danach hat die Antragstellerin Dronabinol in den Monaten Februar bis Juni 2012 auf Privatrezept bezogen und die Kosten selbst getragen. Der behandelnde Facharzt für Neurologie Dr. A. hat nach Ende der Dronabinol-Therapie im Juni 2012 "wiederum extreme Zuckungen" protokolliert. Eine sich daran anschließende Behandlung mit dem Arzneimittel Sativex(r) wurde nach Schwindelanfällen und Gleichgewichtsstörungen bereits nach einem Monat beendet. Dr. A. dokumentierte daraufhin wieder eine "massive Spastik" und "massive Schmerzen". Unter dem Datum 13.12.2012 hat Dr. A. vermerkt, dass ohne Dronabinol-Verabreichung weiterhin stark einschießende und schmerzhafte Verkrampfungen besonders der Beinmuskulatur bestünden, dass andere Medikamente bis "zum Anschlag" austherapiert seien und bei weiteren Dosiserhöhungen nicht mehr erträgliche oder im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Antragstellerin gefährliche Nebenwirkungen aufträten. Längere Strecken seien von der Antragstellerin im Verlauf des Jahres 2012 nur noch mit einem Rollstuhl zu bewältigen gewesen. Es sei zu einer drastischen Gehverschlechterung gekommen. Die Nutzung des Rollstuhls sei wegen der zunehmenden schmerzhaften Spastik in der rechten Hand ebenfalls nur noch sehr eingeschränkt möglich gewesen. Im Dezember 2012 wurde der Antragstellerin ein Port eingesetzt zur Erleichterung von intravenösen Medikamentengaben. Auf den Inhalt des vom Sozialgericht Augsburg eingeholten Befundberichts von Dr. A. vom 23.12.2012, Bl. 79 ff der Akte S 12 KR 573/12, wird ausdrücklich Bezug genommen. Die praktische Ärztin Dr. L. hat in einem ebenfalls für das Sozialgericht Augsburg erstellten Befundbericht angegeben, die Antragstellerin habe unter der Therapie mit Dronabinol über "eine deutliche Verringerung der einschließenden Spastiken und der daraus resultierenden Schmerzen" berichtet. Das Gehen und die Bewältigung des Alltags seien deutlich besser gelungen. Auf den Inhalt des Befundberichts vom 20.12.2012, Bl. 71 f. der Akte S 12 KR 573/12 wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 18.12.2011 hatte die Antragstellerin bereits bei der Antragsgegnerin eine Kostenübernahme für die Behandlung mit Dronabinol beantragt. Mit Schreiben vom 9.3.2012 lehnte die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf eine eingeholte Stellungnahme des MDK Bayern eine Kostenübernahme im Rahmen des Off-Label-Use ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.10.2012 wies die Antragsgegnerin den dagegen eingelegten Widerspruch als unbegründet zurück und sah eine Verordnungsfähigkeit von Dronabinol auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht als gegeben an. Dagegen hat die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Der Rechtsstreit ist dort anhängig unter dem Aktenzeichen S 12 KR 573/12.
Mit Schreiben vom 5.12.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Augsburg beantragt, die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin nach ärztlicher Verordnung mit Dronabinol zu versorgen. Zur Begründung hat die Antragstellerin im Wesentlichen ausgeführt, die Spastik der rechten Körperhälfte mache das Gehen kaum noch möglich. Es drohe der Antragstellerin ein Verlust der Gehfähigkeit. Die rechte Hand sei in ihrer Feinmotorik deutlich beeinträchtigt. Hinzu komme eine nicht mehr tolerable Schmerzzunahme. Eine alternative Behandlung mit Sativex(r) sei aufgrund massiven Schwindels und Gleichgewichtsstörungen nicht möglich. Ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in dem bereits anhängigen Hauptsacheverfahren sei der Antragstellerin nicht zumutbar. Die Antragstellerin hat zudem ein ärztliches Attest der praktischen Ärztin Dr. L. vom 18.3.2012 vorgelegt, wonach ein Therapieversuch mit Dronabinol zu einer deutlichen Verbesserung der massiven schmerzhaften Spastiken geführt habe. Dagegen hätten Valproinsäure und Baclofen nicht mehr angesprochen. Dr. L. hat mit Attest vom 26.6.2012 nochmals bestätigt, dass eine Behandlung mit Dronabinol zur Linderung der Muskelkrämpfe angezeigt sei. Der Neurologe Dr. A. hat in einem dem Sozialgericht vorgelegten Attest vom 20.3.2012 festgehalten, erst die Zugabe von Dronabinol habe die Schmerzen aufgrund der Spastik an Arm- und Beinmuskulatur deutlich vermindern können, so dass der Antragstellerin das Gehen wieder möglich gewesen sei und zumindest schmerzfreie Zeiten während des Tages hätten erreicht werden können. Eine Alternativbehandlung mit Sativex(r) habe letztlich auch wegen schwerer psychischer Nebenwirkungen nicht fortgeführt werden können. Auch eine Dosiserhöhung der sonstigen Schmerzmedikation habe nicht den gewünschten Effekt gehabt. Nach Absetzen von Dronabinol sei es zu einer nicht mehr tolerablen Schmerzzunahme und einer Verstärkung der Spastik gekommen, so dass das Gehen massiv erschwert bzw. kaum noch möglich sei. Auch die Feinmotorik der rechten Hand sei deutlich beeinträchtigt. Eine Behandlung mit Dronabinol sei unumgänglich und nach Auffassung von Dr. A. aus neurologischer Sicht dringend indiziert. Mit Attest vom 18.6.2012 hat Dr. A. nochmals bestätigt, dass es durch das Absetzen der Dronabinolbehandlung zu einer für die Antragstellerin nicht mehr tolerablen Schmerzzunahmen und zu einer Verstärkung der Spastik gekommen sei. Das Gehen sei massiv erschwert und kaum noch möglich. Alternative medikamentöse und auch nicht medikamentöse Behandlungen, wie z.B. intensive Physiotherapie hätten dagegen nicht zu einer relevanten Symptomverbesserung geführt. Die Physiotherapeutin K. hat zudem schriftlich bestätigt, dass die Antragstellerin nach Absetzen des Medikaments, extreme Spastiken und Schmerzen im rechten Bein gehabt habe. Es sei nicht möglich gewesen, dieses anzufassen und zu behandeln. Das Gleichgewichtstraining im Stand sei nur sehr stark eingeschränkt möglich gewesen. Zu den Einzelheiten wird auf den Inhalt der von der Antragstellerin vorgelegten Stellungnahmen, Bl. 8 ff der Akte des Sozialgerichts, S 12 KR 647/12 ER, Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 7.2.2013 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Sozialgericht hat einen Anordnungsgrund "nicht eindeutig [ ...] bejahen" können. Zur Behandlung der Spastik stünden nicht nur Arzneimittel sondern auch Mittel der Physiotherapie zur Verfügung. Ebenso sei die Einnahme von Schmerzmitteln möglich. Da insbesondere die Möglichkeit der stationären Rehabilitation noch nicht ausgeschöpft worden sei, sehe das Sozialgericht keinen Anordnungsgrund. Einen Anordnungsanspruch hat das Sozialgericht ebenfalls als nicht gegeben angesehen. Die ambulante ärztliche Behandlung mit Dronabinol sei eine neue Behandlungsmethode und vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht anerkannt. Auch die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise geltende Leistungspflicht der Antragsgegnerin lägen nicht vor. Es liege keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Auch eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung bestehe nicht. Bei der Antragstellerin stehe der Verlust beziehungsweise die Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und aufgrund der eingeschränkten Einsatzfähigkeit der rechten Hand von Alltagskompetenzen im Vordergrund. Inwieweit dies ausreiche, um eine "wertungsmäßig zumindest vergleichbare Erkrankung" anzunehmen, erscheine dem Gericht fraglich. Fraglich sei zudem die Voraussetzung, dass eine anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe. Das Sozialgericht hat ausgeführt, möglicherweise sei die Behandlung mit Sativex(r) zu früh beendet worden. Da die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht abschließend eingeschätzt werden könnten, hat das Sozialgericht anhand einer Folgenabwägung entschieden und das Interesse der Antragsgegnerin und der durch sie vertretenen Versichertengemeinschaft stärker gewichtet als das der Antragstellerin auf vorläufige Leistung von Dronabinol. Die Antragstellerin sei im Falle einer Klageabweisung finanziell nicht in der Lage, die erbrachten Leistungen zurückzuerstatten. Eine Verbesserung der Spastik sei auch zu einem späteren Zeitpunkt noch möglich. Eine unwiederbringliche Verschlechterung des Krankheitsbildes erfolge auch nicht bei Verzicht auf die begehrte Behandlung mit Dronabinol.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und vorgetragen, sie sei ohne Verordnung von Dronabinol in ihrer alltäglichen Selbstständigkeit stark eingeschränkt.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 7.2.2013 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nach ärztlicher Verordnung mit dem Medikament Dronabinol zu versorgen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Der Antragstellerin sei eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme bewilligt worden. Damit stehe neben der Physiotherapie und der Schmerzbehandlung eine weitere Behandlungsalternative zur Verfügung. Die besonderen Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer neuen Behandlungsmethode lägen nicht vor.
Die Antragstellerin hat in der Zeit vom 18.4.2013 bis zum 13.5.2013 an einer ambulanten neurologischen Rehabilitationsmaßnahme im Gesundheitszentrum P. teilgenommen. Das Therapieprogramm hat Physiotherapie, Ergotherapie auf neurophysiologischer Grundlage in Verbindung mit medizinischer Trainingstherapie und Ergometertraining umfasst, eingeschlossen physikalische Maßnahmen wie Zweizellenbad, Magnetfeldtherapie und Thermotherapie. In ihrem fachärztlichen Bericht vom 16.5.2013 haben die Ärzte des Gesundheitszentrums P. bestätigt, dass der Rehabilitationsverlauf immer wieder auch bei den Therapien durch die plötzlich einschießende Spastik erschwert und durch die multimodalen Therapien keine wesentliche Verbesserung erzielt worden seien. Bei der abschließenden Untersuchung sei der Befund unverändert zur Aufnahme gewesen. Eine weitere Behandlung mit Dronabinol werde dringend empfohlen. Die Antragstellerin hat zudem ein neurologisches Attest des Dr. A. vom 19.6.2013 vorgelegt, in dem dieser von einer Untersuchung der Antragstellerin am 3.6.2013 berichtet. Dr. A. hat ausgeführt, die Rehabilitationsmaßnahme habe kaum einen positiven Effekt gebracht. Insbesondere die massive Gehbeeinträchtigung und die drastischen Schmerzen der Antragstellerin seien nicht reduziert. Die Behandlung mit Dronabinol sei nach wie vor indiziert.
Der Senat hat neben den Akten des Sozialgerichts Augsburg im einstweiligen Rechtsschutz auch die Akten aus dem Hauptsacheverfahren, Aktenzeichen S 12 KR 573/12, einschließlich der Akten des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Versorgungsamt, und der Akten der Deutschen Rentenversicherung Schwaben zum Verfahren beigezogen.
II.
Die von der Antragstellerin zulässig erhobene Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz, SGG) ist zumindest teilweise auch begründet. Der Senat hat lediglich die Dauer der einstweiligen Anordnung gegenüber dem Begehren der Antragstellerin eingegrenzt.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin vorläufig auf ärztliche Verordnung Dronabinol auf Kosten der Antragsgegnerin zu leisten. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin erfolgt zunächst befristet bis zum 30.4.2014.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung - § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine solche Regelungsanordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung, ZPO). Dabei bilden Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund wegen ihres funktionellen Zusammenhangs ein bewegliches System. Je größer das Gewicht des einen, umso geringer sind die Anforderungen an den anderen (vgl. K. in: Meyer-Ladewig /K./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rn. 27).
1.) Ein Anordnungsgrund der Antragstellerin nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO und damit die Notwendigkeit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zur Abwendung wesentlicher Nachteile (vgl. K., in: Meyer-Ladewig/K./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rn. 27a) ist zumindest glaubhaft gemacht. Es drohen der Antragstellerin wesentliche Nachteile, zu deren Abwendung der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig ist.
Die Fürsorge für Menschen, die zu den gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufgrund von Krankheit und Behinderung nicht in der Lage sind, gehört im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu den sozialen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft. Dem Staat ist die Würde des Menschen in einer solchen Situation der Hilfebedürftigkeit besonders anvertraut (vgl. BVerfGE 103, 197 unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 GG). Deshalb folgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip auch die Pflicht der Rechtsprechung, diese Grundsätze bei der Anwendung des einfachen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.2.2009, 1 BvR 120/09, Rz. 13).
Zu einem aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip folgenden Anspruch auf Schaffung von Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein (vgl. BVerfGE 82, 60 ) gehört auch der Anspruch auf Fürsorgeleistungen, die dem Verlust der Mobilität des Einzelnen entgegenwirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.2.2009, 1 BvR 120/09, zum Eilrechtsschutz über die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung). Wie von Dr. A. in seinem Befundbericht vom 23.12.2012 ausführlich und glaubhaft beschrieben, kam es im Jahr 2012 zu einer drastischen Verschlechterung der Mobilität der Antragstellerin. Die Antragstellerin ist in ihrer Gehfähigkeit stark eingeschränkt. Die Nutzung des Rollstuhls wurde zusätzlich erschwert durch Spastiken und Schmerzen an der rechten Hand. Aufgrund dieser erheblichen Einschränkungen nicht nur der Gehfähigkeit, sondern auch der Fortbewegung im Rollstuhl besteht eine besondere Dringlichkeit, die der Antragstellerin ein Abwarten der Klärung ihres Anspruchs in der Hauptsache, ggf. auch nach zeitaufwändiger Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, als nicht zumutbar erscheinen lässt.
Unabhängig davon, dass ein Anordnungsgrund unter Hinweis auf eine Vorleistungspflicht des Versicherten nicht verneint werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. November 2007, 1 BvR 2496/07, Rz. 28 - zitiert nach juris), könnte auch eine vorläufige Kostentragung von der Antragstellerin nicht verlangt werden. Die Antragstellerin bezieht neben ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungen des Jobcenters nach dem SGB II und ist nicht in der Lage neben den Kosten ihres Lebensunterhalts das begehrte Medikament mit einem monatlichen Aufwand in Höhe von mehr als 400 Euro monatlich selbst zu finanzieren.
2.) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch auf Erlass der einstweiligen Anordnung. Die von der Antragstellerin beantragte Leistung ist unstreitig nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten. Dronabinol ist für die ambulante Behandlung in Deutschland nicht zugelassen. Es gilt § 135 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Bei der Entscheidung über die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind bei der Anwendung und Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V jedoch die Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowie aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten und das Recht der Antragstellerin auf eine Leistungserbringung durch die gesetzliche Krankenversicherung, die dem Schutz seines Lebens gerecht wird, zu wahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, Rz. 62 - zitiert nach juris). Nach den mittlerweile im Gesetz normierten, vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Voraussetzungen können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, ausnahmsweise eine Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (§ 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V).
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Erbringung einer medizinischen Leistung zur Behandlung einer der lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Das Bundessozialgericht stellt strenge Anforderungen an das Vorliegen einer solchen Krankheit und die Voraussetzungen dafür, wann diese mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.3.2007, B 1 KR 30/06 R, Rz. 16). Neben notstandsähnlichen Situationen, die einen der Lebenserhaltung dienenden akuten Behandlungsbedarf begründen, bezieht das Bundessozialgericht Erkrankungen ein, in denen es um einen nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion geht (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, Rz. 20). Dies ist hier der Fall. Die Gehfähigkeit ist sicher eine herausgehobene Körperfunktion des Menschen, die seine Mobilität und damit einen wesentlichen Aspekt eines menschenwürdigen Daseins betrifft. Die Antragstellerin ist in ihrer Gehfähigkeit stark beeinträchtigt. Das Gehen ist massiv erschwert und auf längere Strecken nicht mehr möglich. Zudem bestehen Spastiken und Schmerzen an der rechten Hand, die darüber hinaus eine Fortbewegung mit dem Rollstuhl erschweren und die Mobilität der Antragstellerin zusätzlich beeinträchtigen. Auch eine in der Zeit vom 18.4.2013 bis zum 13.5.2013 durchgeführte ambulante Rehabilitationsmaßnahme führte zu keiner Verbesserung der Beschwerdesymptomatik.
Die behandelnden Ärzte und Therapeuten der Antragstellerin haben zudem übereinstimmend glaubhaft erklärt, dass die Behandlung mit Dronabinol zu einer deutlichen Verbesserung der Gehfähigkeit der Antragstellerin geführt hat. So hat die Ärztin Dr. L. in ihrem Attest vom 18.3.2012 eine deutliche Verbesserung der massiven schmerzhaften Spastiken und mit Attest vom 26.6.2012 nochmals bestätigt, dass eine Behandlung mit Dronabinol zur Linderung der Muskelkrämpfe angezeigt sei. Dies geht auch aus dem Befundbericht vom 20.12.2012 hervor. Der Neurologe Dr. A. hat in seinem dem Sozialgericht vorgelegten Attest vom 20.3.2012 festgehalten, erst die Zugabe von Dronabinol habe die Schmerzen aufgrund der Spastik an Arm- und Beinmuskulatur deutlich vermindern können. Mit Attest vom 18.6.2012 hat Dr. A. nochmals ausgeführt, dass es durch das Absetzen der Dronabinolbehandlung zu für die Antragstellerin nicht mehr tolerablen Schmerzzunahmen und zu einer Verstärkung der Spastik gekommen sei. Auch in seinem Befundbericht vom 23.12.2012 hat Dr. A. die erfolgreiche Anwendung von Dronabinol beschrieben. Die Physiotherapeutin K. hat zudem bestätigt, dass die Antragstellerin nach Absetzen des Medikaments, extreme Spastiken und Schmerzen im rechten Bein gehabt habe. Auch nach Beendigung der ambulanten Rehabilitationsmaßnahme haben die Ärzte des Gesundheitszentrums P. in ihrem Bericht vom 16.5.2013 und auch Dr. A. in seinem Attest vom 19.6.2013 eine Behandlung mit Dronabinol dringend empfohlen. Damit ist zumindest glaubhaft gemacht, dass die Behandlung mit Dronabinol eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf der Antragstellerin verspricht.
Nicht abschließend festgestellt werden kann durch den Senat, ob nach den strengen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V zur Therapie der Antragstellerin keine andere, zudem allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung mehr zur Verfügung steht. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die bereits versuchte, jedoch nach kurzer Zeit wieder abgebrochene Therapie mit Sativex(r). Dr. A. hat dazu ausgeführt, eine solche Alternativbehandlung habe letztlich auch wegen schwerer psychischer Nebenwirkungen nicht fortgeführt werden können. Ob dieser Therapieversuch wie vom Sozialgericht Augsburg ausgeführt, möglicherweise zu früh abgebrochen wurde, müsste durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens weiter aufgeklärt werden.
In einem Fall des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V darf die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes nur auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage gestützt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, Rz. 11). Ist dies wegen der Eilbedürftigkeit - wie im vorliegenden Fall - nicht möglich, muss nach einer Folgenabwägung für die beeinträchtigten Rechtsgüter entschieden werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt: Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, Rz. 11). Dies ist aufgrund der schwerwiegenden Erkrankung der Antragstellerin der Fall. Es ist der Antragstellerin nicht zuzumuten bis zum rechtskräftigen Abschluss eines ggf. wegen der einzuholenden medizinischen Sachverständigengutachten noch länger dauernden Hauptsacheverfahrens mit einer eingeschränkten Gehfähigkeit und einer dadurch stark begrenzten Mobilität zu leben. Auch unter Berücksichtigung des Interesses der von der Antragsgegnerin repräsentierten Versichertengemeinschaft, zu Unrecht erbrachte Leistungen erstattet zu bekommen - was aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin im Falle eines für die Antragstellerin negativen Urteils in der Hauptsache nicht realistisch erscheint - ist das Interesse der Antragstellerin angesichts des Gewichts der hier zu schützenden Rechtsgüter stärker zu gewichten.
Die Verpflichtung der Antragsgegnerin wird im einstweiligen Rechtsschutz bis zum 30.5.2014 befristet angeordnet. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die unter Berücksichtigung des aktuellen Gesundheitszustands der Antragstellerin getroffene Gerichtsentscheidung nicht unbegrenzt Geltung beanspruchen kann. Ein weitergehender Anspruch der Antragstellerin ist ggf. aufgrund der dann geltenden Tatsachen zu prüfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 Satz 1, § 193 Abs. 1 SGG entsprechend. Auch wenn die einstweilige Anordnung längstens befristet auf den 31.5.2014 erfolgt und nicht - wie von der Antragstellerin begehrt - unbegrenzt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens - erscheint angesichts der Länge der Anordnungsdauer eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin insgesamt gerechtfertigt.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz und ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist im einstweiligen Rechtsschutz streitig ein vorläufiger Anspruch der Antragstellerin auf Leistung von Rezepturarzneimitteln mit dem Wirkstoff Dronabinol.
Dronabinol ist der isolierte Hauptwirkstoff der Cannabispflanze. Das Arzneimittel wird zur Anwendung in Dragee- oder Tropfenform oder zur Inhalation von einer Apotheke nach ärztlicher Verordnung hergestellt. Dronabinol ist ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz.
Die Antragstellerin, geboren 1969, ist an Multipler Sklerose erkrankt. Es besteht ein vorherrschend schubförmiger Verlauf. Die Antragstellerin ist aufgrund einer ausgeprägten spastischen Tetraparese mit Lähmungserscheinungen vor allem an den Beinen in ihrer Gehfähigkeit deutlich beeinträchtigt. Längere Strecken kann die Antragstellerin nur noch mit dem Rollstuhl zurücklegen. Dabei bestehen zusätzliche Schwierigkeiten bei der Fortbewegung im Rollstuhl aufgrund einer zunehmenden schmerzhaften Spastik an der rechten Hand. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen "G", "aG" und "B" sind vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, Versorgungsamt, festgestellt. Die Antragstellerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Schwaben eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und erhält Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jobcenter A-Stadt. Ein monatliches Pflegegeld wird für die bei der Antragstellerin festgestellte Pflegestufe I ausgezahlt.
Die Antragstellerin hatte zunächst bis Dezember 2011 Dronabinol auf Kassenrezept erhalten. Danach hat die Antragstellerin Dronabinol in den Monaten Februar bis Juni 2012 auf Privatrezept bezogen und die Kosten selbst getragen. Der behandelnde Facharzt für Neurologie Dr. A. hat nach Ende der Dronabinol-Therapie im Juni 2012 "wiederum extreme Zuckungen" protokolliert. Eine sich daran anschließende Behandlung mit dem Arzneimittel Sativex(r) wurde nach Schwindelanfällen und Gleichgewichtsstörungen bereits nach einem Monat beendet. Dr. A. dokumentierte daraufhin wieder eine "massive Spastik" und "massive Schmerzen". Unter dem Datum 13.12.2012 hat Dr. A. vermerkt, dass ohne Dronabinol-Verabreichung weiterhin stark einschießende und schmerzhafte Verkrampfungen besonders der Beinmuskulatur bestünden, dass andere Medikamente bis "zum Anschlag" austherapiert seien und bei weiteren Dosiserhöhungen nicht mehr erträgliche oder im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Antragstellerin gefährliche Nebenwirkungen aufträten. Längere Strecken seien von der Antragstellerin im Verlauf des Jahres 2012 nur noch mit einem Rollstuhl zu bewältigen gewesen. Es sei zu einer drastischen Gehverschlechterung gekommen. Die Nutzung des Rollstuhls sei wegen der zunehmenden schmerzhaften Spastik in der rechten Hand ebenfalls nur noch sehr eingeschränkt möglich gewesen. Im Dezember 2012 wurde der Antragstellerin ein Port eingesetzt zur Erleichterung von intravenösen Medikamentengaben. Auf den Inhalt des vom Sozialgericht Augsburg eingeholten Befundberichts von Dr. A. vom 23.12.2012, Bl. 79 ff der Akte S 12 KR 573/12, wird ausdrücklich Bezug genommen. Die praktische Ärztin Dr. L. hat in einem ebenfalls für das Sozialgericht Augsburg erstellten Befundbericht angegeben, die Antragstellerin habe unter der Therapie mit Dronabinol über "eine deutliche Verringerung der einschließenden Spastiken und der daraus resultierenden Schmerzen" berichtet. Das Gehen und die Bewältigung des Alltags seien deutlich besser gelungen. Auf den Inhalt des Befundberichts vom 20.12.2012, Bl. 71 f. der Akte S 12 KR 573/12 wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 18.12.2011 hatte die Antragstellerin bereits bei der Antragsgegnerin eine Kostenübernahme für die Behandlung mit Dronabinol beantragt. Mit Schreiben vom 9.3.2012 lehnte die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf eine eingeholte Stellungnahme des MDK Bayern eine Kostenübernahme im Rahmen des Off-Label-Use ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.10.2012 wies die Antragsgegnerin den dagegen eingelegten Widerspruch als unbegründet zurück und sah eine Verordnungsfähigkeit von Dronabinol auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht als gegeben an. Dagegen hat die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Der Rechtsstreit ist dort anhängig unter dem Aktenzeichen S 12 KR 573/12.
Mit Schreiben vom 5.12.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Augsburg beantragt, die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin nach ärztlicher Verordnung mit Dronabinol zu versorgen. Zur Begründung hat die Antragstellerin im Wesentlichen ausgeführt, die Spastik der rechten Körperhälfte mache das Gehen kaum noch möglich. Es drohe der Antragstellerin ein Verlust der Gehfähigkeit. Die rechte Hand sei in ihrer Feinmotorik deutlich beeinträchtigt. Hinzu komme eine nicht mehr tolerable Schmerzzunahme. Eine alternative Behandlung mit Sativex(r) sei aufgrund massiven Schwindels und Gleichgewichtsstörungen nicht möglich. Ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in dem bereits anhängigen Hauptsacheverfahren sei der Antragstellerin nicht zumutbar. Die Antragstellerin hat zudem ein ärztliches Attest der praktischen Ärztin Dr. L. vom 18.3.2012 vorgelegt, wonach ein Therapieversuch mit Dronabinol zu einer deutlichen Verbesserung der massiven schmerzhaften Spastiken geführt habe. Dagegen hätten Valproinsäure und Baclofen nicht mehr angesprochen. Dr. L. hat mit Attest vom 26.6.2012 nochmals bestätigt, dass eine Behandlung mit Dronabinol zur Linderung der Muskelkrämpfe angezeigt sei. Der Neurologe Dr. A. hat in einem dem Sozialgericht vorgelegten Attest vom 20.3.2012 festgehalten, erst die Zugabe von Dronabinol habe die Schmerzen aufgrund der Spastik an Arm- und Beinmuskulatur deutlich vermindern können, so dass der Antragstellerin das Gehen wieder möglich gewesen sei und zumindest schmerzfreie Zeiten während des Tages hätten erreicht werden können. Eine Alternativbehandlung mit Sativex(r) habe letztlich auch wegen schwerer psychischer Nebenwirkungen nicht fortgeführt werden können. Auch eine Dosiserhöhung der sonstigen Schmerzmedikation habe nicht den gewünschten Effekt gehabt. Nach Absetzen von Dronabinol sei es zu einer nicht mehr tolerablen Schmerzzunahme und einer Verstärkung der Spastik gekommen, so dass das Gehen massiv erschwert bzw. kaum noch möglich sei. Auch die Feinmotorik der rechten Hand sei deutlich beeinträchtigt. Eine Behandlung mit Dronabinol sei unumgänglich und nach Auffassung von Dr. A. aus neurologischer Sicht dringend indiziert. Mit Attest vom 18.6.2012 hat Dr. A. nochmals bestätigt, dass es durch das Absetzen der Dronabinolbehandlung zu einer für die Antragstellerin nicht mehr tolerablen Schmerzzunahmen und zu einer Verstärkung der Spastik gekommen sei. Das Gehen sei massiv erschwert und kaum noch möglich. Alternative medikamentöse und auch nicht medikamentöse Behandlungen, wie z.B. intensive Physiotherapie hätten dagegen nicht zu einer relevanten Symptomverbesserung geführt. Die Physiotherapeutin K. hat zudem schriftlich bestätigt, dass die Antragstellerin nach Absetzen des Medikaments, extreme Spastiken und Schmerzen im rechten Bein gehabt habe. Es sei nicht möglich gewesen, dieses anzufassen und zu behandeln. Das Gleichgewichtstraining im Stand sei nur sehr stark eingeschränkt möglich gewesen. Zu den Einzelheiten wird auf den Inhalt der von der Antragstellerin vorgelegten Stellungnahmen, Bl. 8 ff der Akte des Sozialgerichts, S 12 KR 647/12 ER, Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 7.2.2013 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Sozialgericht hat einen Anordnungsgrund "nicht eindeutig [ ...] bejahen" können. Zur Behandlung der Spastik stünden nicht nur Arzneimittel sondern auch Mittel der Physiotherapie zur Verfügung. Ebenso sei die Einnahme von Schmerzmitteln möglich. Da insbesondere die Möglichkeit der stationären Rehabilitation noch nicht ausgeschöpft worden sei, sehe das Sozialgericht keinen Anordnungsgrund. Einen Anordnungsanspruch hat das Sozialgericht ebenfalls als nicht gegeben angesehen. Die ambulante ärztliche Behandlung mit Dronabinol sei eine neue Behandlungsmethode und vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht anerkannt. Auch die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise geltende Leistungspflicht der Antragsgegnerin lägen nicht vor. Es liege keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Auch eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung bestehe nicht. Bei der Antragstellerin stehe der Verlust beziehungsweise die Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und aufgrund der eingeschränkten Einsatzfähigkeit der rechten Hand von Alltagskompetenzen im Vordergrund. Inwieweit dies ausreiche, um eine "wertungsmäßig zumindest vergleichbare Erkrankung" anzunehmen, erscheine dem Gericht fraglich. Fraglich sei zudem die Voraussetzung, dass eine anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe. Das Sozialgericht hat ausgeführt, möglicherweise sei die Behandlung mit Sativex(r) zu früh beendet worden. Da die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht abschließend eingeschätzt werden könnten, hat das Sozialgericht anhand einer Folgenabwägung entschieden und das Interesse der Antragsgegnerin und der durch sie vertretenen Versichertengemeinschaft stärker gewichtet als das der Antragstellerin auf vorläufige Leistung von Dronabinol. Die Antragstellerin sei im Falle einer Klageabweisung finanziell nicht in der Lage, die erbrachten Leistungen zurückzuerstatten. Eine Verbesserung der Spastik sei auch zu einem späteren Zeitpunkt noch möglich. Eine unwiederbringliche Verschlechterung des Krankheitsbildes erfolge auch nicht bei Verzicht auf die begehrte Behandlung mit Dronabinol.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und vorgetragen, sie sei ohne Verordnung von Dronabinol in ihrer alltäglichen Selbstständigkeit stark eingeschränkt.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 7.2.2013 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nach ärztlicher Verordnung mit dem Medikament Dronabinol zu versorgen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Der Antragstellerin sei eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme bewilligt worden. Damit stehe neben der Physiotherapie und der Schmerzbehandlung eine weitere Behandlungsalternative zur Verfügung. Die besonderen Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer neuen Behandlungsmethode lägen nicht vor.
Die Antragstellerin hat in der Zeit vom 18.4.2013 bis zum 13.5.2013 an einer ambulanten neurologischen Rehabilitationsmaßnahme im Gesundheitszentrum P. teilgenommen. Das Therapieprogramm hat Physiotherapie, Ergotherapie auf neurophysiologischer Grundlage in Verbindung mit medizinischer Trainingstherapie und Ergometertraining umfasst, eingeschlossen physikalische Maßnahmen wie Zweizellenbad, Magnetfeldtherapie und Thermotherapie. In ihrem fachärztlichen Bericht vom 16.5.2013 haben die Ärzte des Gesundheitszentrums P. bestätigt, dass der Rehabilitationsverlauf immer wieder auch bei den Therapien durch die plötzlich einschießende Spastik erschwert und durch die multimodalen Therapien keine wesentliche Verbesserung erzielt worden seien. Bei der abschließenden Untersuchung sei der Befund unverändert zur Aufnahme gewesen. Eine weitere Behandlung mit Dronabinol werde dringend empfohlen. Die Antragstellerin hat zudem ein neurologisches Attest des Dr. A. vom 19.6.2013 vorgelegt, in dem dieser von einer Untersuchung der Antragstellerin am 3.6.2013 berichtet. Dr. A. hat ausgeführt, die Rehabilitationsmaßnahme habe kaum einen positiven Effekt gebracht. Insbesondere die massive Gehbeeinträchtigung und die drastischen Schmerzen der Antragstellerin seien nicht reduziert. Die Behandlung mit Dronabinol sei nach wie vor indiziert.
Der Senat hat neben den Akten des Sozialgerichts Augsburg im einstweiligen Rechtsschutz auch die Akten aus dem Hauptsacheverfahren, Aktenzeichen S 12 KR 573/12, einschließlich der Akten des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Versorgungsamt, und der Akten der Deutschen Rentenversicherung Schwaben zum Verfahren beigezogen.
II.
Die von der Antragstellerin zulässig erhobene Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz, SGG) ist zumindest teilweise auch begründet. Der Senat hat lediglich die Dauer der einstweiligen Anordnung gegenüber dem Begehren der Antragstellerin eingegrenzt.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin vorläufig auf ärztliche Verordnung Dronabinol auf Kosten der Antragsgegnerin zu leisten. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin erfolgt zunächst befristet bis zum 30.4.2014.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung - § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine solche Regelungsanordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung, ZPO). Dabei bilden Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund wegen ihres funktionellen Zusammenhangs ein bewegliches System. Je größer das Gewicht des einen, umso geringer sind die Anforderungen an den anderen (vgl. K. in: Meyer-Ladewig /K./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rn. 27).
1.) Ein Anordnungsgrund der Antragstellerin nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO und damit die Notwendigkeit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zur Abwendung wesentlicher Nachteile (vgl. K., in: Meyer-Ladewig/K./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rn. 27a) ist zumindest glaubhaft gemacht. Es drohen der Antragstellerin wesentliche Nachteile, zu deren Abwendung der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig ist.
Die Fürsorge für Menschen, die zu den gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufgrund von Krankheit und Behinderung nicht in der Lage sind, gehört im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu den sozialen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft. Dem Staat ist die Würde des Menschen in einer solchen Situation der Hilfebedürftigkeit besonders anvertraut (vgl. BVerfGE 103, 197 unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 GG). Deshalb folgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip auch die Pflicht der Rechtsprechung, diese Grundsätze bei der Anwendung des einfachen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.2.2009, 1 BvR 120/09, Rz. 13).
Zu einem aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip folgenden Anspruch auf Schaffung von Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein (vgl. BVerfGE 82, 60 ) gehört auch der Anspruch auf Fürsorgeleistungen, die dem Verlust der Mobilität des Einzelnen entgegenwirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.2.2009, 1 BvR 120/09, zum Eilrechtsschutz über die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung). Wie von Dr. A. in seinem Befundbericht vom 23.12.2012 ausführlich und glaubhaft beschrieben, kam es im Jahr 2012 zu einer drastischen Verschlechterung der Mobilität der Antragstellerin. Die Antragstellerin ist in ihrer Gehfähigkeit stark eingeschränkt. Die Nutzung des Rollstuhls wurde zusätzlich erschwert durch Spastiken und Schmerzen an der rechten Hand. Aufgrund dieser erheblichen Einschränkungen nicht nur der Gehfähigkeit, sondern auch der Fortbewegung im Rollstuhl besteht eine besondere Dringlichkeit, die der Antragstellerin ein Abwarten der Klärung ihres Anspruchs in der Hauptsache, ggf. auch nach zeitaufwändiger Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, als nicht zumutbar erscheinen lässt.
Unabhängig davon, dass ein Anordnungsgrund unter Hinweis auf eine Vorleistungspflicht des Versicherten nicht verneint werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. November 2007, 1 BvR 2496/07, Rz. 28 - zitiert nach juris), könnte auch eine vorläufige Kostentragung von der Antragstellerin nicht verlangt werden. Die Antragstellerin bezieht neben ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungen des Jobcenters nach dem SGB II und ist nicht in der Lage neben den Kosten ihres Lebensunterhalts das begehrte Medikament mit einem monatlichen Aufwand in Höhe von mehr als 400 Euro monatlich selbst zu finanzieren.
2.) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch auf Erlass der einstweiligen Anordnung. Die von der Antragstellerin beantragte Leistung ist unstreitig nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten. Dronabinol ist für die ambulante Behandlung in Deutschland nicht zugelassen. Es gilt § 135 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Bei der Entscheidung über die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind bei der Anwendung und Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V jedoch die Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowie aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten und das Recht der Antragstellerin auf eine Leistungserbringung durch die gesetzliche Krankenversicherung, die dem Schutz seines Lebens gerecht wird, zu wahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, Rz. 62 - zitiert nach juris). Nach den mittlerweile im Gesetz normierten, vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Voraussetzungen können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, ausnahmsweise eine Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (§ 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V).
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Erbringung einer medizinischen Leistung zur Behandlung einer der lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Das Bundessozialgericht stellt strenge Anforderungen an das Vorliegen einer solchen Krankheit und die Voraussetzungen dafür, wann diese mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.3.2007, B 1 KR 30/06 R, Rz. 16). Neben notstandsähnlichen Situationen, die einen der Lebenserhaltung dienenden akuten Behandlungsbedarf begründen, bezieht das Bundessozialgericht Erkrankungen ein, in denen es um einen nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion geht (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, Rz. 20). Dies ist hier der Fall. Die Gehfähigkeit ist sicher eine herausgehobene Körperfunktion des Menschen, die seine Mobilität und damit einen wesentlichen Aspekt eines menschenwürdigen Daseins betrifft. Die Antragstellerin ist in ihrer Gehfähigkeit stark beeinträchtigt. Das Gehen ist massiv erschwert und auf längere Strecken nicht mehr möglich. Zudem bestehen Spastiken und Schmerzen an der rechten Hand, die darüber hinaus eine Fortbewegung mit dem Rollstuhl erschweren und die Mobilität der Antragstellerin zusätzlich beeinträchtigen. Auch eine in der Zeit vom 18.4.2013 bis zum 13.5.2013 durchgeführte ambulante Rehabilitationsmaßnahme führte zu keiner Verbesserung der Beschwerdesymptomatik.
Die behandelnden Ärzte und Therapeuten der Antragstellerin haben zudem übereinstimmend glaubhaft erklärt, dass die Behandlung mit Dronabinol zu einer deutlichen Verbesserung der Gehfähigkeit der Antragstellerin geführt hat. So hat die Ärztin Dr. L. in ihrem Attest vom 18.3.2012 eine deutliche Verbesserung der massiven schmerzhaften Spastiken und mit Attest vom 26.6.2012 nochmals bestätigt, dass eine Behandlung mit Dronabinol zur Linderung der Muskelkrämpfe angezeigt sei. Dies geht auch aus dem Befundbericht vom 20.12.2012 hervor. Der Neurologe Dr. A. hat in seinem dem Sozialgericht vorgelegten Attest vom 20.3.2012 festgehalten, erst die Zugabe von Dronabinol habe die Schmerzen aufgrund der Spastik an Arm- und Beinmuskulatur deutlich vermindern können. Mit Attest vom 18.6.2012 hat Dr. A. nochmals ausgeführt, dass es durch das Absetzen der Dronabinolbehandlung zu für die Antragstellerin nicht mehr tolerablen Schmerzzunahmen und zu einer Verstärkung der Spastik gekommen sei. Auch in seinem Befundbericht vom 23.12.2012 hat Dr. A. die erfolgreiche Anwendung von Dronabinol beschrieben. Die Physiotherapeutin K. hat zudem bestätigt, dass die Antragstellerin nach Absetzen des Medikaments, extreme Spastiken und Schmerzen im rechten Bein gehabt habe. Auch nach Beendigung der ambulanten Rehabilitationsmaßnahme haben die Ärzte des Gesundheitszentrums P. in ihrem Bericht vom 16.5.2013 und auch Dr. A. in seinem Attest vom 19.6.2013 eine Behandlung mit Dronabinol dringend empfohlen. Damit ist zumindest glaubhaft gemacht, dass die Behandlung mit Dronabinol eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf der Antragstellerin verspricht.
Nicht abschließend festgestellt werden kann durch den Senat, ob nach den strengen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V zur Therapie der Antragstellerin keine andere, zudem allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung mehr zur Verfügung steht. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die bereits versuchte, jedoch nach kurzer Zeit wieder abgebrochene Therapie mit Sativex(r). Dr. A. hat dazu ausgeführt, eine solche Alternativbehandlung habe letztlich auch wegen schwerer psychischer Nebenwirkungen nicht fortgeführt werden können. Ob dieser Therapieversuch wie vom Sozialgericht Augsburg ausgeführt, möglicherweise zu früh abgebrochen wurde, müsste durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens weiter aufgeklärt werden.
In einem Fall des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V darf die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes nur auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage gestützt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, Rz. 11). Ist dies wegen der Eilbedürftigkeit - wie im vorliegenden Fall - nicht möglich, muss nach einer Folgenabwägung für die beeinträchtigten Rechtsgüter entschieden werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt: Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, Rz. 11). Dies ist aufgrund der schwerwiegenden Erkrankung der Antragstellerin der Fall. Es ist der Antragstellerin nicht zuzumuten bis zum rechtskräftigen Abschluss eines ggf. wegen der einzuholenden medizinischen Sachverständigengutachten noch länger dauernden Hauptsacheverfahrens mit einer eingeschränkten Gehfähigkeit und einer dadurch stark begrenzten Mobilität zu leben. Auch unter Berücksichtigung des Interesses der von der Antragsgegnerin repräsentierten Versichertengemeinschaft, zu Unrecht erbrachte Leistungen erstattet zu bekommen - was aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin im Falle eines für die Antragstellerin negativen Urteils in der Hauptsache nicht realistisch erscheint - ist das Interesse der Antragstellerin angesichts des Gewichts der hier zu schützenden Rechtsgüter stärker zu gewichten.
Die Verpflichtung der Antragsgegnerin wird im einstweiligen Rechtsschutz bis zum 30.5.2014 befristet angeordnet. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die unter Berücksichtigung des aktuellen Gesundheitszustands der Antragstellerin getroffene Gerichtsentscheidung nicht unbegrenzt Geltung beanspruchen kann. Ein weitergehender Anspruch der Antragstellerin ist ggf. aufgrund der dann geltenden Tatsachen zu prüfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 Satz 1, § 193 Abs. 1 SGG entsprechend. Auch wenn die einstweilige Anordnung längstens befristet auf den 31.5.2014 erfolgt und nicht - wie von der Antragstellerin begehrt - unbegrenzt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens - erscheint angesichts der Länge der Anordnungsdauer eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin insgesamt gerechtfertigt.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz und ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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