Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AL 379/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2012 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Gründungszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ermessensfehlerfrei neu zu entscheiden.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Gründungszuschusses (im folgenden GZ) im Hinblick auf die vom Kläger zum 01.02.2012 aufgenommene hauptberufliche Tätigkeit als selbständiger Ingenieur.
Der am 09.04.19xx geborene Kläger ist studierter Diplom-Ingenieur. Er war seit 1990 bei der Firma A. Abfall Entsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet mbH, Essen beschäftigt. Ab Mai 2007 war der Kläger als Geschäftsführer in einer Tochtergesellschaft der AGR abgeordnet. Nachdem sich die AGR im März 2011 von dieser Beteiligung getrennt hatte, wurde der Kläger unter Streichung seiner Zulagen nur noch im Vertriebsinnendienst beschäftigt. Vor diesem Hintergrund meldete sich der Kläger im Mai 2011 bei der Beklagten und ließ sich von dem zuständigen Sachbearbeiter über die Möglichkeiten eines Gründungszuschusses bezüglich einer möglichen Selbständigkeit beraten. Gleichzeitig wurde in diesem Gespräch ein Vermittlungsprofil für den Zielberuf Projektleiter erstellt. Ein Arbeitsgesuch stellte der Kläger zu diesem Termin noch nicht.
Am 28.06.2011 kündigte der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis mit dem Kläger aus dringenden betriebsbedingten Gründen ordentlich und fristgerecht zum 31.12.2011. Zuvor war der Betriebsrat zu der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden und hatte der Kündigung nicht widersprochen. Der Kläger legte keine Kündigungsschutzklage ein und erhielt deshalb vom Arbeitgeber gemäß § 1a KSchG eine Abfindung für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in Höhe eines halben Monatsverdienstes.
Er meldet sich bei der Beklagten fristgerecht arbeitslos/arbeitssuchend und beantragte am 20.12.2011 Arbeitslosengeld ab 01.01.2012. Die Beklagte schloss mit dem Kläger am 20.10.2011 eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) mit dem Ziel "Integration in Arbeit als Projektleiter, alternativ Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit" und unterbreitete ihm zahlreiche Vermittlungsvorschläge, die jedoch alle erfolglos blieben. Zusätzlich bewarb sich der Kläger eigeninitiativ. Insgesamt schrieb er 38 Bewerbungen, aus denen zwei erfolglose Bewerbungsgespräche resultierten. In die EGV vom 20.12.2011 wurde dann seitens der zuständigen Sachbearbeiterin als Zielsetzung "Abgang in die Selbständigkeit" aufgenommen. Die Beklagte verpflichtete sich in dieser EGV wie folgt: "wir bieten Ihnen ggf. Finanzierung eines GZ bei Vorliegen der Voraussetzungen und nach Prüfung der Notwendigkeit und die Möglichkeit sich weiter freiwillig selber zu versichern". Als Bemühung des Klägers wurde festgehalten "Ich mache mich voraussichtlich zum 02.01.2012 selbständig mit der Übernahme eines Ingenieurbüros. Ich halte die Agentur für Arbeit über den Sachstand der Existenzgründung auf dem Laufenden. Ich beantrage GZ und ggf. die freiwillige Weiterversicherung und reiche die erforderlichen Unterlagen und den Fragebogen Existenzgründung umgehend ein".
Vor diesem Hintergrund stellte der Kläger am 20.12.2011 bei der Beklagten den Antrag auf Gewährung eines GZ zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III (a.F.) ab 01.02.2012 und fügte dem Antrag einen ausführlichen Businessplan, die Stellungnahme der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 SGB III (a.F.) der Steuerberatungssozietät L. & W. sowie eine Bescheinigung des Finanzamtes über die Anzeige der Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG bei.
Mit Bescheid vom 27.02.2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf GZ ab. Im Rahmen der Ermessensausübung müsse neben dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Vermittlungsvorrang beachtet werden. Als Dipl.-Ing. (TU) mit langjähriger Erfahrung als Projektleiter/Projektingenieur mit Ausübung von Leitungspositionen sei die Situation auf dem für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarkt sehr gut. Es sei zu erwarten, dass der Kläger in einem überschaubaren Zeitraum in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne. Außerdem übernehme der Kläger ein bereits bestehendes Ingenieurbüro. Sein Buisnessplan lasse eindeutig erkennen, dass das Gewerbe bei einem geplanten Jahresumsatz von 365,7 TEUR und einem geplanten Umsatzwachstum von 15% für 2013 auch ohne GZ tragfähig sei.
Den hiergegen eingelegten ausführlich begründeten Widerspruch vom 20.03.2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2012 als unbegründet zurück. Zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Abs. 2 des § 57 SGB III (a.F.) vor. Allerdings sei die Grundvoraussetzung des Absatzes 1 Satz 1, nämlich die Beendigung der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme der selbständigen Tätigkeit höchst fraglich. Der Kläger sei aufgrund tarifrechtlicher Vorschriften unkündbar gewesen. Dennoch habe er auf die Einlegung einer Kündigungsschutzklage gegen die Arbeitgeberkündigung verzichtet. Aus den ersten Beratungsgesprächen und aus dem Businessplan ginge hervor, dass der Kläger seine Selbständigkeit von Anfang an geplant habe. Er habe damit die Notwendigkeit einer Eingliederung ins Erwerbsleben selbst geschaffen. Eine selbstverursachte Beschäftigungslosigkeit mit dem Ziel sich selbständig zu machen, rechtfertige nicht die Gewährung eines GZ aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung. Aber selbst wenn der Kläger alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen würde, bestünde kein Rechtsanspruch auf den GZ. Der Gesetzgeber habe die Gewährung des GZ vielmehr in das Ermessen der Bundesagentur für Arbeit gestellt. Im Rahmen der Ermessenausübung müssten die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 71 b Abs. 4 SGB IV ebenso beachtet werden, wie das Prinzip des Vermittlungsvorrangs (§ 4 Abs. 2 SGB III). Im Bescheid vom 27.02.2012 seien die Integrationsmöglichkeiten ausführlich beschrieben worden. Aus der täglichen Vermittlungspraxis sei bekannt, dass Ingenieure "in der Regel gar nicht erst arbeitslos werden". Sie verfügten meist über ein Netzwerk von Kontakten, worüber bei Bedarf offene Stellen schnell besetzt würden. Ingenieure, welche wie der Kläger über eine langjährige Berufserfahrung und auch Geschäftsführererfahrung verfügten, blieben, so zeige die Praxis, selten lange arbeitslos. Sofern der Kläger im Rahmen seines Widerspruchs darauf verweise, er habe sich um eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt bemüht und sich im Jahr 2011 insgesamt 38-mal erfolglos beworben, so könne dies nicht zu einer anderen Entscheidung führen. Darüber hinaus solle eine Förderung mit GZ nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann erfolgen, wenn sie quasi "letztes Mittel" zur Beendigung der Arbeitslosigkeit sei. Aufgrund der günstigen Prognose für Ingenieure und dem Vermittlungsvorrang sehe die Beklagte deshalb keine Notwendigkeit, die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit des Klägers zu fördern. Die vorgelegten Zahlen aus dem Businessplan ließen den Schluss zu, dass der Kläger nicht auf die Gewährung des GZ angewiesen sein werde. Außerdem übernehme der Kläger einen seit Jahren auf dem Markt eingeführten Betrieb. Der Kläger müsse keine erheblichen Investitionen tätigen, wie sie sonst überlicherweise zu Beginn einer Existenzgründung anfielen.
Am 31.07.2012 hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Der ablehnende Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, weil die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Sie habe missachtet, dass der Kläger den Schritt in die Selbständigkeit immer nur als Alternative zu einer neuen abhängigen Beschäftigung erwogen habe. Die Beklagte habe in ihre Ermessensausübung nicht einbezogen, dass der Kläger im Jahr 2011 38 erfolglose Bewerbungen geschrieben habe. Sie habe bei ihrer Prognose zu den Vermittlungschancen offensichtlich auch nicht das Lebensalter des Klägers berücksichtigt. Sie habe sich auch nicht dazu geäußert, dass es ihr selbst – trotz der als gut einschätzten Vermittlungschancen – nicht gelungen ist, den Kläger erfolgreich zu vermitteln. Außerdem habe sie fehlerhaft die im Businessplan prognostizierten Umsatzzahlen einem zu erwartenden Ertrag gleichgesetzt und verkannt, dass es sich insoweit nur um Prognosen und nicht um reale Erträge handelt. Tatsächlich hätten sich die prognostizierten Zahlen nicht realisiert. Obwohl der Kläger bereits 120.000 EUR in das Unternehmen gesteckt habe, schreibe es rote Zahlen. Er habe daher bereits den Beratervertrag mit dem Vorinhaber und 2 Mitarbeiter kündigen müssen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2012 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Gewährung von Gründungszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ermessensfehlerfrei neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und ergänzt noch, nach § 57 Abs. 1 SGB III sei Voraussetzung, dass der GZ der Sicherung des Lebensunterhaltes in der Zeit nach der Existenzgründung diene. Der GZ sei damit eine Soziallleistung, die auf die Bedürftigkeit der Antragsteller abstelle und nicht gezahlt werden dürfe, wenn der Lebensunterhalt des Antragstellers aufgrund der Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit von Anfang an gesichert sei. Die Liquiditätsplanung 2012, überschrieben mit "realistisches Szenario" lasse nur den Schluss zu, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert sei. Im Übrigen habe der Kläger durch Nichtstellung eines Arbeitsgesuchs im Beratungsgespräch vom 26.05.2011 dokumentiert, dass er gar nicht in Arbeit vermittelt werden wollte. Aus dem Beratungsvermerk zu diesem Gespräch, welches er noch vor seiner Kündigung vom 28.06.2011 geführt habe, gehe eindeutig hervor, dass der Kläger schon vor seiner Kündigung angestrebt habe, sich selbstständig zu machen. Außerdem sei der Kläger unkündbar gewesen, sodass die Arbeitslosigkeit zum 01.01.2012 durch den Kläger vermeidbar gewesen wäre. Aus diesem Grund sei auch eine Sperrzeit festgesetzt worden. Bei einer solchen Sachlage werde der mit dem GZ angestrebte Zweck verfehlt, sodass es unabhängig von einer Ermessensausübung nicht zu einer GZ-Förderung kommen könne. Zudem wäre es widersprüchlich, die Versichertengemeinschaft mit einer Sperrzeit zu schützen und sie dann mit der Erbringung der Mittel für den GZ zu belasten. Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und die Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Entscheidung der Beklagten vom 27.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2012 ist ermessensfehlerhaft und verletzt den Kläger in seinen Rechten auf ermessensfehlerfreie Ermessenausübung.
Der Kläger hat gemäß §§ 57,58 SGB III a.F. i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessenausübung im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung eines GZ zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Entscheidung sind §§ 57, 58 SGB III in der vom 28.12.11 bis zum 01.04.2012 geltenden Fassung (BGBl. I S. 2854 ). Danach können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten (§ 57 Abs. 1 SGB III).
Weitere Voraussetzung ist, dass der Antragsteller bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Absatz 3 SGB III beruht, der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt (§ 57 Abs. 2 SGB III).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses sind bei dem Kläger erfüllt. Der Kläger hat durch die hauptberufliche Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit seine zuvor bestehende Arbeitslosigkeit beendet. Er hatte zu diesem Zeitpunkt noch mehr als 150 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld, der nicht auf § 147 Abs. 3 SGB III beruhte. Die Tragfähigkeit der Existenzgründung ist nachgewiesen und die entsprechende Sachkenntnis des Klägers dargelegt. Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen des § 57 Abs. 2 SGB III vorliegen, ergibt sich auf der Rechtsfolgenseite die Ermessensentscheidung der Beklagten. Beim Gründungszuschuss bezieht sich das Ermessen der Verwaltung darauf, ob sie einen Gründungszuschuss bewilligen will (Entschließungsermessen). Der Beklagten wird durch die gesetzliche Regelung des § 57 SGB III allerdings kein freies Ermessen eingeräumt, sondern ein pflichtgemäßes, d. h. rechtlich gebundenes Ermessen (vgl. § 39 SGB I). Missachtet ein Leistungsträger bei seiner Entscheidung die rechtlichen Bindungen, liegt ein Ermessensfehler vor, der der Kontrolle der Sozialgerichte unterliegt.
Die Ermessensentscheidung der Beklagten unterliegt allerdings nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Die Entscheidung der Beklagten ist lediglich in den Grenzen der §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überprüfbar. Das Gericht war mithin darauf beschränkt zu kontrollieren, ob
1. die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Ermessensbetätigung
nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch)
2. mit ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene
Rechtsfolge gesetzt hat (Ermessensüberschreitung) oder
3. von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit /
Ermessensmissbrauch).
Nach der gerichtlichen Prüfung hat die Beklagte vorliegend aus mehrfachen Gründen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht.
1. Zu Recht haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführt, die Beklagte habe sich ermessenfehlerhaft auf den Vermittlungsvorrang gemäß § 4 Abs. 2 SGB III berufen. Aus dem Vermittlungsvorrang des § 4 Abs. 2 SGB III ist abzuleiten, dass die Vermittlung in Arbeit Vorrang vor Leistungen der aktiven Arbeitsförderung hat. Insoweit hat die Beklagte stets individuell zu prüfen, ob eine möglichst nachhaltige Integration innerhalb des Bezugszeitraums realistisch ist, ob sofort oder in absehbarer Zeit Stellenangebote unterbreitet werden können und ob individuelle Hemmnisse bestehen, die den Integrationserfolg behindern. Es hat eine entsprechende Dokumentation der Prüfung des Vermittlungsvorrangs im Beratungsvermerk zu erfolgen (vgl. die Geschäftsanweisungen der Beklagten zum GZ, Pkt. 93.02).
In die im angegriffenen Bescheid getroffene Prognose über die Vermittlungschancen hat die Beklagte vorliegend in grob fehlerhafter Weise zum einen nicht einbezogen, dass der Kläger im Jahr 2011 38 erfolglose Bewerbungsbemühungen auch auf zahlreiche Vermittlungsvorschläge der Beklagten unternommen und auch in dem von der Beklagten geforderten Maß dokumentiert hat. Es stellt einen erheblichen Ermessensfehler dar, wenn die Beklagte im Widerspruchsbescheid dazu ausführt, diese erfolglosen Bewerbungsbemühungen könnten nicht zu einer Änderung der Vermittlungsprognose führen. Damit lässt die Beklagte bewusst ganz entscheidungserhebliche Tatsachen außen vor.
Zum anderen weicht die in dem angegriffenen Bescheid dargestellte Vermittlungsprognose offensichtlich von einer zuvor getroffenen Prognose ab, ohne dass dafür eine Begründung gegeben wird. Mit den EGV´s vom 20.10.2012 und 20.11.2011 hat die Beklagte nämlich als Eingliederungsziel die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zunächst alternativ zur Integration in Arbeit als Projektleiter und schließlich als Hauptziel mit dem Kläger vereinbart. Insoweit wird auf den Gesetzeswortlaut der § 35 Abs. 4 SGB III (a.F.), § 37 SGB III n.F. verwiesen, die den Sinn und Zweck einer EGV im Rahmen des Vermittlungsprozesses beschreibt. Durch eine EGV wird die Eingliederungsstrategie der Arbeitsagentur und des Arbeitslosen nachprüfbar dokumentiert. Arbeitsagentur und Arbeitsloser sollen sie gemeinsam erarbeiten. Sie soll fortgeschrieben und den sich ändernden Verhältnissen angepasst werden. Soweit die Beklagte in den mit dem Kläger abgeschlossenen EGV´s vom 20.10.2011 und 20.11.2011 selbst die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Integrationsziel verfolgte, hat sie damit dokumentiert, dass sie die Vermittlung des Klägers in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis offensichtlich nicht als ausreichend erfolgversprechend bewertete. Sie setzt sich zu ihren eigenen Bewertungen in Widerspruch, wenn sie mit dem Kläger die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in zwei EGV´s vereinbart und sich im Zuge dessen sogar verpflichtet "Wir fördern Ihre Selbständigkeit mit GZ bei Vorliegen der Voraussetzungen und ermöglichen Ihnen eine Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung" (Wortlaut der EGV vom 20.10.2011) und nach Erreichung des Integrationsziels "Selbständigkeit" und Stellung des Antrags auf GZ nunmehr eine andere Vermittlungsprognose trifft und GZ unter Berufung hierauf versagt (vgl. hierzu auch Urteil des SG Mannheim vom 23.08.2012, Az.: S 14 AL 2139/12).
2. Grob ermessensfehlerhaft hat die Beklagte zudem angenommen, der GZ sei eine Sozialleistung, die auf die Bedürftigkeit des Antragstellers abstelle, und den Ermessensfehler noch ausdehnend angenommen, der Antragsteller sei nicht bedürftig, weil er ein bereits bestehendes Ingenieurbüro übernehme und die Zahlen im Liquiditätsplan ausweisen würden, dass der Kläger nicht auf den GZ angewiesen sei. Für die Annahme, der GZ sei eine Sozialleistung, die auf die Bedürftigkeit des Antragstellers abstelle, lassen sich weder nach der Auslegung des Wortlautes noch aus systematischen oder teleologischen Betrachtungen irgendwelche Hinweise finden. Zwar enthält der Wortlaut des § 57 Abs. 1 SGB III die Passage "Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, können zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzsicherung einen Gründungszuschuss erhalten". Allerdings drückt sich hierin nur der Gesetzeszweck aus, nämlich dem Gründer für die erste meist schwierige Anfangsphase der Neugründung (6-9 Monate gemäß § 58 SGB III) eine von den unsicheren Einnahmen aus der Selbständigkeit unabhängige Absicherung des Lebensunterhaltes und der sozialen Sicherung zu gewähren. Eine Tatbestandsvoraussetzung in dem Sinne, dass die prognostizierten Einnahmen aus der Selbständigkeit nicht ausreichen dürfen, um auch den Lebensunterhalt und die eigene soziale Absicherung zu gewährleisten, lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies widerspräche auch der Tatbestandsvoraussetzung in Abs. 2, S. 1 Nr. 3 des § 57 SGB III, dass die geplante Selbständigkeit tragfähig sein muss und würde zu dem Zirkelschluss führen, dass bei gegebener Tragfähigkeit kein GZ zu gewähren ist. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich eine Bedürftigkeit voraussetzen wollen, hätten hierfür klare gesetzgeberische Vorgaben gemacht werden müssen, da es nicht im Ermessen der ausführenden Executive liegen darf, Bedürftigkeitsgrenzen festzulegen.
Wie die Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits richtig ausgeführt haben, ist die Beklagte zudem unter Zugrundelegung der Annahme, die Zahlen des Liquiditätsplanes 2012 würden belegen, dass der Kläger auf den GZ nicht angewiesen ist, fehlerhaft davon ausgegangen, "Bedürftigkeit" in der von ihr definierten Weise läge beim Kläger nicht vor. Sie hat dabei nämlich ganz offensichtlich verkannt, dass die im Liquiditäts- und Finanzierungsplan ausgewiesen Zahlen keine Ist-Bestände aus einer betriebs-wirtschaftlichen Einnahmen-Überschuss-Rechnung sind, sondern lediglich Prognosen, deren Richtigkeit sich erst noch in der Realität beweisen muss. Außerdem hat sie verkannt, dass Umsätze nicht mit einem Gewinn im Sinne einer dem Kläger verbleibenden Einnahme gleichzusetzen sind, sondern von den Umsätzen zunächst noch die dem Unternehmen entstehenden Ausgabenpositionen abgezogen werden müssen. Schließlich hat die Beklagte außen vor gelassen, dass der Kläger zwar ein bestehendes Ingenieurbüro übernommen hat und insoweit weniger Investitionskosten für Räumlichkeiten, Material, Personalrekrutierung etc. als bei einer Neugründung anfallen, der Kläger jedoch an den Vorinhaber einen Kaufpreis in Höhe von 170.000 EUR zahlen musste.
3. Ermessensfehlerhaft ist zudem, dass die Beklagte basierend auf bloßen Vermutungen, Annahmen und Wertungen unterstellt, der Kläger habe seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt, um für seine geplante Selbständigkeit GZ-Leistungen beantragen zu können. Insoweit geht die Beklagte schon fehlerhaft davon aus, der "unverschuldete" Eintritt der Arbeitslosigkeit sei ein Tatbestandsmerkmal, dessen Nichtvorliegen zum Ausschluss einer GZ-Gewährung führe und es in der Folge gar keiner Ermessensausübung mehr bedürfe. Diese Auslegung wird aber weder durch den Wortlaut noch durch die Systematik des § 57 SGB III gestützt. Tatbestandsmerkmale sind allein:
- die Aufnahme einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit
- hierdurch Beendigung seiner Arbeitslosigkeit
- Anspruch auf Entgeltersatzleistungen / ABM
- Restanspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen
- Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung
- Kenntnis- und Fähigkeitsnachweis.
Die Beklagte kann die Umstände der Gründung, eine bereits bestehende Gründungsabsicht vor Beginn der Arbeitslosigkeit und/oder ein Mitwirken an der Herbeiführung der Arbeitslosigkeit z.B. durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit der alleinigen Absicht sich selbständig zu machen jedoch in ihre Ermessenserwägungen einbeziehen, um zu prüfen, ob eine Bewilligung des GZ dessem eigentlichen Zweck zuwiderläuft. Dies setzt jedoch voraus, dass die Motive des Antragstellers eindeutig sind und die Beklagte ihre Ermessenserwägungen diesbezüglich nicht lediglich auf bloße Annahmen oder Unterstellungen stützt (vgl. dazu Urteile der Kammer vom 06.03.2013, Az.: S 33 AL 341/12 und vom 24.04.2013, Az.: S 33 AL 384/12).
Vorliegend unterstellt die Beklagte dem Kläger, er habe von Anfang an vor gehabt, sich selbständig zu machen und seine Arbeitslosigkeit quasi herbeigeführt, um in den Genuss der GZ-Leistungen zu kommen. Hierbei stützt sie sich selektiv auf die Angaben des Klägers in dem Beratungsgespräch vom 26.05.2012 und den Umstand, dass der Kläger gegen die Arbeitgeberkündigung keine Kündigungsschutzklage eingelegt hat. Dabei lässt sie wiederum bewusst unberücksichtigt, dass sich der Kläger im Jahr 2011 insgesamt 38-mal erfolglos um abhängige Beschäftigungsverhältnisse bemüht hat und eine Selbständigkeit immer nur als Alternative betrachtet hat. Er hat sich fristgerecht nach Erhalt seiner Kündigung bei der Beklagten arbeitssuchend gemeldet und ist allen Vermittlungsvorschlägen der Beklagten aktiv gefolgt. Er hat sich sogar bei Zeitarbeitsfirmen beworben. Zwischen Bekanntwerden der Kündigung am 28.06.2011 und tatsächlicher Existenzgründung am 01.02.2012 lagen rund 7 Monate. Bei der Einordnung des Umstandes, dass der Kläger gegen seine Kündigung nicht arbeitsgerichtlich vorgegangen ist, muss berücksichtigt werden, dass dem Kläger seine Geschäftsführerfunktion entzogen und er vom Arbeitgeber nur noch unterwertig beschäftigt worden ist. Eine Ermessensentscheidung auf Vermutungen und Annahmen zu stützen und zudem noch gegebene Tatsachen, nämlich dass sich der Kläger auf 38 abhängige Beschäftigungsverhältnisse beworben hat, bewusst außer Acht zu lassen, entspricht nicht den Grundsätzen tatsachengeleiteter, sachlicher Ermessenausübung unter Einbezug der individuellen Gegebenheiten.
Nach alledem war der ablehnende Bescheid vom 27.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 20.11.2012 auf Gewährung eines GZ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ermessensfehlerfrei erneut zu bescheiden. Bei der Neuentscheidung wird sich die Beklagte insbesondere damit auseinander zu setzen haben, dass sie in den EGV´s vom 20.10.2011 und 20.11.2011 mit dem Kläger gemeinsam die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zur Beendigung seiner Arbeitslosigkeit als Integrationsziel festgelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Gründungszuschusses (im folgenden GZ) im Hinblick auf die vom Kläger zum 01.02.2012 aufgenommene hauptberufliche Tätigkeit als selbständiger Ingenieur.
Der am 09.04.19xx geborene Kläger ist studierter Diplom-Ingenieur. Er war seit 1990 bei der Firma A. Abfall Entsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet mbH, Essen beschäftigt. Ab Mai 2007 war der Kläger als Geschäftsführer in einer Tochtergesellschaft der AGR abgeordnet. Nachdem sich die AGR im März 2011 von dieser Beteiligung getrennt hatte, wurde der Kläger unter Streichung seiner Zulagen nur noch im Vertriebsinnendienst beschäftigt. Vor diesem Hintergrund meldete sich der Kläger im Mai 2011 bei der Beklagten und ließ sich von dem zuständigen Sachbearbeiter über die Möglichkeiten eines Gründungszuschusses bezüglich einer möglichen Selbständigkeit beraten. Gleichzeitig wurde in diesem Gespräch ein Vermittlungsprofil für den Zielberuf Projektleiter erstellt. Ein Arbeitsgesuch stellte der Kläger zu diesem Termin noch nicht.
Am 28.06.2011 kündigte der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis mit dem Kläger aus dringenden betriebsbedingten Gründen ordentlich und fristgerecht zum 31.12.2011. Zuvor war der Betriebsrat zu der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden und hatte der Kündigung nicht widersprochen. Der Kläger legte keine Kündigungsschutzklage ein und erhielt deshalb vom Arbeitgeber gemäß § 1a KSchG eine Abfindung für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in Höhe eines halben Monatsverdienstes.
Er meldet sich bei der Beklagten fristgerecht arbeitslos/arbeitssuchend und beantragte am 20.12.2011 Arbeitslosengeld ab 01.01.2012. Die Beklagte schloss mit dem Kläger am 20.10.2011 eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) mit dem Ziel "Integration in Arbeit als Projektleiter, alternativ Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit" und unterbreitete ihm zahlreiche Vermittlungsvorschläge, die jedoch alle erfolglos blieben. Zusätzlich bewarb sich der Kläger eigeninitiativ. Insgesamt schrieb er 38 Bewerbungen, aus denen zwei erfolglose Bewerbungsgespräche resultierten. In die EGV vom 20.12.2011 wurde dann seitens der zuständigen Sachbearbeiterin als Zielsetzung "Abgang in die Selbständigkeit" aufgenommen. Die Beklagte verpflichtete sich in dieser EGV wie folgt: "wir bieten Ihnen ggf. Finanzierung eines GZ bei Vorliegen der Voraussetzungen und nach Prüfung der Notwendigkeit und die Möglichkeit sich weiter freiwillig selber zu versichern". Als Bemühung des Klägers wurde festgehalten "Ich mache mich voraussichtlich zum 02.01.2012 selbständig mit der Übernahme eines Ingenieurbüros. Ich halte die Agentur für Arbeit über den Sachstand der Existenzgründung auf dem Laufenden. Ich beantrage GZ und ggf. die freiwillige Weiterversicherung und reiche die erforderlichen Unterlagen und den Fragebogen Existenzgründung umgehend ein".
Vor diesem Hintergrund stellte der Kläger am 20.12.2011 bei der Beklagten den Antrag auf Gewährung eines GZ zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III (a.F.) ab 01.02.2012 und fügte dem Antrag einen ausführlichen Businessplan, die Stellungnahme der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 SGB III (a.F.) der Steuerberatungssozietät L. & W. sowie eine Bescheinigung des Finanzamtes über die Anzeige der Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG bei.
Mit Bescheid vom 27.02.2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf GZ ab. Im Rahmen der Ermessensausübung müsse neben dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Vermittlungsvorrang beachtet werden. Als Dipl.-Ing. (TU) mit langjähriger Erfahrung als Projektleiter/Projektingenieur mit Ausübung von Leitungspositionen sei die Situation auf dem für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarkt sehr gut. Es sei zu erwarten, dass der Kläger in einem überschaubaren Zeitraum in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne. Außerdem übernehme der Kläger ein bereits bestehendes Ingenieurbüro. Sein Buisnessplan lasse eindeutig erkennen, dass das Gewerbe bei einem geplanten Jahresumsatz von 365,7 TEUR und einem geplanten Umsatzwachstum von 15% für 2013 auch ohne GZ tragfähig sei.
Den hiergegen eingelegten ausführlich begründeten Widerspruch vom 20.03.2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2012 als unbegründet zurück. Zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Abs. 2 des § 57 SGB III (a.F.) vor. Allerdings sei die Grundvoraussetzung des Absatzes 1 Satz 1, nämlich die Beendigung der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme der selbständigen Tätigkeit höchst fraglich. Der Kläger sei aufgrund tarifrechtlicher Vorschriften unkündbar gewesen. Dennoch habe er auf die Einlegung einer Kündigungsschutzklage gegen die Arbeitgeberkündigung verzichtet. Aus den ersten Beratungsgesprächen und aus dem Businessplan ginge hervor, dass der Kläger seine Selbständigkeit von Anfang an geplant habe. Er habe damit die Notwendigkeit einer Eingliederung ins Erwerbsleben selbst geschaffen. Eine selbstverursachte Beschäftigungslosigkeit mit dem Ziel sich selbständig zu machen, rechtfertige nicht die Gewährung eines GZ aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung. Aber selbst wenn der Kläger alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen würde, bestünde kein Rechtsanspruch auf den GZ. Der Gesetzgeber habe die Gewährung des GZ vielmehr in das Ermessen der Bundesagentur für Arbeit gestellt. Im Rahmen der Ermessenausübung müssten die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 71 b Abs. 4 SGB IV ebenso beachtet werden, wie das Prinzip des Vermittlungsvorrangs (§ 4 Abs. 2 SGB III). Im Bescheid vom 27.02.2012 seien die Integrationsmöglichkeiten ausführlich beschrieben worden. Aus der täglichen Vermittlungspraxis sei bekannt, dass Ingenieure "in der Regel gar nicht erst arbeitslos werden". Sie verfügten meist über ein Netzwerk von Kontakten, worüber bei Bedarf offene Stellen schnell besetzt würden. Ingenieure, welche wie der Kläger über eine langjährige Berufserfahrung und auch Geschäftsführererfahrung verfügten, blieben, so zeige die Praxis, selten lange arbeitslos. Sofern der Kläger im Rahmen seines Widerspruchs darauf verweise, er habe sich um eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt bemüht und sich im Jahr 2011 insgesamt 38-mal erfolglos beworben, so könne dies nicht zu einer anderen Entscheidung führen. Darüber hinaus solle eine Förderung mit GZ nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann erfolgen, wenn sie quasi "letztes Mittel" zur Beendigung der Arbeitslosigkeit sei. Aufgrund der günstigen Prognose für Ingenieure und dem Vermittlungsvorrang sehe die Beklagte deshalb keine Notwendigkeit, die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit des Klägers zu fördern. Die vorgelegten Zahlen aus dem Businessplan ließen den Schluss zu, dass der Kläger nicht auf die Gewährung des GZ angewiesen sein werde. Außerdem übernehme der Kläger einen seit Jahren auf dem Markt eingeführten Betrieb. Der Kläger müsse keine erheblichen Investitionen tätigen, wie sie sonst überlicherweise zu Beginn einer Existenzgründung anfielen.
Am 31.07.2012 hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Der ablehnende Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, weil die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Sie habe missachtet, dass der Kläger den Schritt in die Selbständigkeit immer nur als Alternative zu einer neuen abhängigen Beschäftigung erwogen habe. Die Beklagte habe in ihre Ermessensausübung nicht einbezogen, dass der Kläger im Jahr 2011 38 erfolglose Bewerbungen geschrieben habe. Sie habe bei ihrer Prognose zu den Vermittlungschancen offensichtlich auch nicht das Lebensalter des Klägers berücksichtigt. Sie habe sich auch nicht dazu geäußert, dass es ihr selbst – trotz der als gut einschätzten Vermittlungschancen – nicht gelungen ist, den Kläger erfolgreich zu vermitteln. Außerdem habe sie fehlerhaft die im Businessplan prognostizierten Umsatzzahlen einem zu erwartenden Ertrag gleichgesetzt und verkannt, dass es sich insoweit nur um Prognosen und nicht um reale Erträge handelt. Tatsächlich hätten sich die prognostizierten Zahlen nicht realisiert. Obwohl der Kläger bereits 120.000 EUR in das Unternehmen gesteckt habe, schreibe es rote Zahlen. Er habe daher bereits den Beratervertrag mit dem Vorinhaber und 2 Mitarbeiter kündigen müssen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2012 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Gewährung von Gründungszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ermessensfehlerfrei neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und ergänzt noch, nach § 57 Abs. 1 SGB III sei Voraussetzung, dass der GZ der Sicherung des Lebensunterhaltes in der Zeit nach der Existenzgründung diene. Der GZ sei damit eine Soziallleistung, die auf die Bedürftigkeit der Antragsteller abstelle und nicht gezahlt werden dürfe, wenn der Lebensunterhalt des Antragstellers aufgrund der Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit von Anfang an gesichert sei. Die Liquiditätsplanung 2012, überschrieben mit "realistisches Szenario" lasse nur den Schluss zu, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert sei. Im Übrigen habe der Kläger durch Nichtstellung eines Arbeitsgesuchs im Beratungsgespräch vom 26.05.2011 dokumentiert, dass er gar nicht in Arbeit vermittelt werden wollte. Aus dem Beratungsvermerk zu diesem Gespräch, welches er noch vor seiner Kündigung vom 28.06.2011 geführt habe, gehe eindeutig hervor, dass der Kläger schon vor seiner Kündigung angestrebt habe, sich selbstständig zu machen. Außerdem sei der Kläger unkündbar gewesen, sodass die Arbeitslosigkeit zum 01.01.2012 durch den Kläger vermeidbar gewesen wäre. Aus diesem Grund sei auch eine Sperrzeit festgesetzt worden. Bei einer solchen Sachlage werde der mit dem GZ angestrebte Zweck verfehlt, sodass es unabhängig von einer Ermessensausübung nicht zu einer GZ-Förderung kommen könne. Zudem wäre es widersprüchlich, die Versichertengemeinschaft mit einer Sperrzeit zu schützen und sie dann mit der Erbringung der Mittel für den GZ zu belasten. Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und die Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Entscheidung der Beklagten vom 27.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2012 ist ermessensfehlerhaft und verletzt den Kläger in seinen Rechten auf ermessensfehlerfreie Ermessenausübung.
Der Kläger hat gemäß §§ 57,58 SGB III a.F. i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessenausübung im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung eines GZ zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Entscheidung sind §§ 57, 58 SGB III in der vom 28.12.11 bis zum 01.04.2012 geltenden Fassung (BGBl. I S. 2854 ). Danach können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten (§ 57 Abs. 1 SGB III).
Weitere Voraussetzung ist, dass der Antragsteller bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Absatz 3 SGB III beruht, der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt (§ 57 Abs. 2 SGB III).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses sind bei dem Kläger erfüllt. Der Kläger hat durch die hauptberufliche Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit seine zuvor bestehende Arbeitslosigkeit beendet. Er hatte zu diesem Zeitpunkt noch mehr als 150 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld, der nicht auf § 147 Abs. 3 SGB III beruhte. Die Tragfähigkeit der Existenzgründung ist nachgewiesen und die entsprechende Sachkenntnis des Klägers dargelegt. Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen des § 57 Abs. 2 SGB III vorliegen, ergibt sich auf der Rechtsfolgenseite die Ermessensentscheidung der Beklagten. Beim Gründungszuschuss bezieht sich das Ermessen der Verwaltung darauf, ob sie einen Gründungszuschuss bewilligen will (Entschließungsermessen). Der Beklagten wird durch die gesetzliche Regelung des § 57 SGB III allerdings kein freies Ermessen eingeräumt, sondern ein pflichtgemäßes, d. h. rechtlich gebundenes Ermessen (vgl. § 39 SGB I). Missachtet ein Leistungsträger bei seiner Entscheidung die rechtlichen Bindungen, liegt ein Ermessensfehler vor, der der Kontrolle der Sozialgerichte unterliegt.
Die Ermessensentscheidung der Beklagten unterliegt allerdings nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Die Entscheidung der Beklagten ist lediglich in den Grenzen der §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überprüfbar. Das Gericht war mithin darauf beschränkt zu kontrollieren, ob
1. die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Ermessensbetätigung
nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch)
2. mit ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene
Rechtsfolge gesetzt hat (Ermessensüberschreitung) oder
3. von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit /
Ermessensmissbrauch).
Nach der gerichtlichen Prüfung hat die Beklagte vorliegend aus mehrfachen Gründen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht.
1. Zu Recht haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführt, die Beklagte habe sich ermessenfehlerhaft auf den Vermittlungsvorrang gemäß § 4 Abs. 2 SGB III berufen. Aus dem Vermittlungsvorrang des § 4 Abs. 2 SGB III ist abzuleiten, dass die Vermittlung in Arbeit Vorrang vor Leistungen der aktiven Arbeitsförderung hat. Insoweit hat die Beklagte stets individuell zu prüfen, ob eine möglichst nachhaltige Integration innerhalb des Bezugszeitraums realistisch ist, ob sofort oder in absehbarer Zeit Stellenangebote unterbreitet werden können und ob individuelle Hemmnisse bestehen, die den Integrationserfolg behindern. Es hat eine entsprechende Dokumentation der Prüfung des Vermittlungsvorrangs im Beratungsvermerk zu erfolgen (vgl. die Geschäftsanweisungen der Beklagten zum GZ, Pkt. 93.02).
In die im angegriffenen Bescheid getroffene Prognose über die Vermittlungschancen hat die Beklagte vorliegend in grob fehlerhafter Weise zum einen nicht einbezogen, dass der Kläger im Jahr 2011 38 erfolglose Bewerbungsbemühungen auch auf zahlreiche Vermittlungsvorschläge der Beklagten unternommen und auch in dem von der Beklagten geforderten Maß dokumentiert hat. Es stellt einen erheblichen Ermessensfehler dar, wenn die Beklagte im Widerspruchsbescheid dazu ausführt, diese erfolglosen Bewerbungsbemühungen könnten nicht zu einer Änderung der Vermittlungsprognose führen. Damit lässt die Beklagte bewusst ganz entscheidungserhebliche Tatsachen außen vor.
Zum anderen weicht die in dem angegriffenen Bescheid dargestellte Vermittlungsprognose offensichtlich von einer zuvor getroffenen Prognose ab, ohne dass dafür eine Begründung gegeben wird. Mit den EGV´s vom 20.10.2012 und 20.11.2011 hat die Beklagte nämlich als Eingliederungsziel die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zunächst alternativ zur Integration in Arbeit als Projektleiter und schließlich als Hauptziel mit dem Kläger vereinbart. Insoweit wird auf den Gesetzeswortlaut der § 35 Abs. 4 SGB III (a.F.), § 37 SGB III n.F. verwiesen, die den Sinn und Zweck einer EGV im Rahmen des Vermittlungsprozesses beschreibt. Durch eine EGV wird die Eingliederungsstrategie der Arbeitsagentur und des Arbeitslosen nachprüfbar dokumentiert. Arbeitsagentur und Arbeitsloser sollen sie gemeinsam erarbeiten. Sie soll fortgeschrieben und den sich ändernden Verhältnissen angepasst werden. Soweit die Beklagte in den mit dem Kläger abgeschlossenen EGV´s vom 20.10.2011 und 20.11.2011 selbst die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Integrationsziel verfolgte, hat sie damit dokumentiert, dass sie die Vermittlung des Klägers in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis offensichtlich nicht als ausreichend erfolgversprechend bewertete. Sie setzt sich zu ihren eigenen Bewertungen in Widerspruch, wenn sie mit dem Kläger die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in zwei EGV´s vereinbart und sich im Zuge dessen sogar verpflichtet "Wir fördern Ihre Selbständigkeit mit GZ bei Vorliegen der Voraussetzungen und ermöglichen Ihnen eine Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung" (Wortlaut der EGV vom 20.10.2011) und nach Erreichung des Integrationsziels "Selbständigkeit" und Stellung des Antrags auf GZ nunmehr eine andere Vermittlungsprognose trifft und GZ unter Berufung hierauf versagt (vgl. hierzu auch Urteil des SG Mannheim vom 23.08.2012, Az.: S 14 AL 2139/12).
2. Grob ermessensfehlerhaft hat die Beklagte zudem angenommen, der GZ sei eine Sozialleistung, die auf die Bedürftigkeit des Antragstellers abstelle, und den Ermessensfehler noch ausdehnend angenommen, der Antragsteller sei nicht bedürftig, weil er ein bereits bestehendes Ingenieurbüro übernehme und die Zahlen im Liquiditätsplan ausweisen würden, dass der Kläger nicht auf den GZ angewiesen sei. Für die Annahme, der GZ sei eine Sozialleistung, die auf die Bedürftigkeit des Antragstellers abstelle, lassen sich weder nach der Auslegung des Wortlautes noch aus systematischen oder teleologischen Betrachtungen irgendwelche Hinweise finden. Zwar enthält der Wortlaut des § 57 Abs. 1 SGB III die Passage "Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, können zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzsicherung einen Gründungszuschuss erhalten". Allerdings drückt sich hierin nur der Gesetzeszweck aus, nämlich dem Gründer für die erste meist schwierige Anfangsphase der Neugründung (6-9 Monate gemäß § 58 SGB III) eine von den unsicheren Einnahmen aus der Selbständigkeit unabhängige Absicherung des Lebensunterhaltes und der sozialen Sicherung zu gewähren. Eine Tatbestandsvoraussetzung in dem Sinne, dass die prognostizierten Einnahmen aus der Selbständigkeit nicht ausreichen dürfen, um auch den Lebensunterhalt und die eigene soziale Absicherung zu gewährleisten, lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies widerspräche auch der Tatbestandsvoraussetzung in Abs. 2, S. 1 Nr. 3 des § 57 SGB III, dass die geplante Selbständigkeit tragfähig sein muss und würde zu dem Zirkelschluss führen, dass bei gegebener Tragfähigkeit kein GZ zu gewähren ist. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich eine Bedürftigkeit voraussetzen wollen, hätten hierfür klare gesetzgeberische Vorgaben gemacht werden müssen, da es nicht im Ermessen der ausführenden Executive liegen darf, Bedürftigkeitsgrenzen festzulegen.
Wie die Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits richtig ausgeführt haben, ist die Beklagte zudem unter Zugrundelegung der Annahme, die Zahlen des Liquiditätsplanes 2012 würden belegen, dass der Kläger auf den GZ nicht angewiesen ist, fehlerhaft davon ausgegangen, "Bedürftigkeit" in der von ihr definierten Weise läge beim Kläger nicht vor. Sie hat dabei nämlich ganz offensichtlich verkannt, dass die im Liquiditäts- und Finanzierungsplan ausgewiesen Zahlen keine Ist-Bestände aus einer betriebs-wirtschaftlichen Einnahmen-Überschuss-Rechnung sind, sondern lediglich Prognosen, deren Richtigkeit sich erst noch in der Realität beweisen muss. Außerdem hat sie verkannt, dass Umsätze nicht mit einem Gewinn im Sinne einer dem Kläger verbleibenden Einnahme gleichzusetzen sind, sondern von den Umsätzen zunächst noch die dem Unternehmen entstehenden Ausgabenpositionen abgezogen werden müssen. Schließlich hat die Beklagte außen vor gelassen, dass der Kläger zwar ein bestehendes Ingenieurbüro übernommen hat und insoweit weniger Investitionskosten für Räumlichkeiten, Material, Personalrekrutierung etc. als bei einer Neugründung anfallen, der Kläger jedoch an den Vorinhaber einen Kaufpreis in Höhe von 170.000 EUR zahlen musste.
3. Ermessensfehlerhaft ist zudem, dass die Beklagte basierend auf bloßen Vermutungen, Annahmen und Wertungen unterstellt, der Kläger habe seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt, um für seine geplante Selbständigkeit GZ-Leistungen beantragen zu können. Insoweit geht die Beklagte schon fehlerhaft davon aus, der "unverschuldete" Eintritt der Arbeitslosigkeit sei ein Tatbestandsmerkmal, dessen Nichtvorliegen zum Ausschluss einer GZ-Gewährung führe und es in der Folge gar keiner Ermessensausübung mehr bedürfe. Diese Auslegung wird aber weder durch den Wortlaut noch durch die Systematik des § 57 SGB III gestützt. Tatbestandsmerkmale sind allein:
- die Aufnahme einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit
- hierdurch Beendigung seiner Arbeitslosigkeit
- Anspruch auf Entgeltersatzleistungen / ABM
- Restanspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen
- Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung
- Kenntnis- und Fähigkeitsnachweis.
Die Beklagte kann die Umstände der Gründung, eine bereits bestehende Gründungsabsicht vor Beginn der Arbeitslosigkeit und/oder ein Mitwirken an der Herbeiführung der Arbeitslosigkeit z.B. durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit der alleinigen Absicht sich selbständig zu machen jedoch in ihre Ermessenserwägungen einbeziehen, um zu prüfen, ob eine Bewilligung des GZ dessem eigentlichen Zweck zuwiderläuft. Dies setzt jedoch voraus, dass die Motive des Antragstellers eindeutig sind und die Beklagte ihre Ermessenserwägungen diesbezüglich nicht lediglich auf bloße Annahmen oder Unterstellungen stützt (vgl. dazu Urteile der Kammer vom 06.03.2013, Az.: S 33 AL 341/12 und vom 24.04.2013, Az.: S 33 AL 384/12).
Vorliegend unterstellt die Beklagte dem Kläger, er habe von Anfang an vor gehabt, sich selbständig zu machen und seine Arbeitslosigkeit quasi herbeigeführt, um in den Genuss der GZ-Leistungen zu kommen. Hierbei stützt sie sich selektiv auf die Angaben des Klägers in dem Beratungsgespräch vom 26.05.2012 und den Umstand, dass der Kläger gegen die Arbeitgeberkündigung keine Kündigungsschutzklage eingelegt hat. Dabei lässt sie wiederum bewusst unberücksichtigt, dass sich der Kläger im Jahr 2011 insgesamt 38-mal erfolglos um abhängige Beschäftigungsverhältnisse bemüht hat und eine Selbständigkeit immer nur als Alternative betrachtet hat. Er hat sich fristgerecht nach Erhalt seiner Kündigung bei der Beklagten arbeitssuchend gemeldet und ist allen Vermittlungsvorschlägen der Beklagten aktiv gefolgt. Er hat sich sogar bei Zeitarbeitsfirmen beworben. Zwischen Bekanntwerden der Kündigung am 28.06.2011 und tatsächlicher Existenzgründung am 01.02.2012 lagen rund 7 Monate. Bei der Einordnung des Umstandes, dass der Kläger gegen seine Kündigung nicht arbeitsgerichtlich vorgegangen ist, muss berücksichtigt werden, dass dem Kläger seine Geschäftsführerfunktion entzogen und er vom Arbeitgeber nur noch unterwertig beschäftigt worden ist. Eine Ermessensentscheidung auf Vermutungen und Annahmen zu stützen und zudem noch gegebene Tatsachen, nämlich dass sich der Kläger auf 38 abhängige Beschäftigungsverhältnisse beworben hat, bewusst außer Acht zu lassen, entspricht nicht den Grundsätzen tatsachengeleiteter, sachlicher Ermessenausübung unter Einbezug der individuellen Gegebenheiten.
Nach alledem war der ablehnende Bescheid vom 27.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 20.11.2012 auf Gewährung eines GZ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ermessensfehlerfrei erneut zu bescheiden. Bei der Neuentscheidung wird sich die Beklagte insbesondere damit auseinander zu setzen haben, dass sie in den EGV´s vom 20.10.2011 und 20.11.2011 mit dem Kläger gemeinsam die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zur Beendigung seiner Arbeitslosigkeit als Integrationsziel festgelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
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