L 3 AL 109/13 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 1 AL 146/13 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 109/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 145 SGB III fingiert die Voraussetzung der objektiven Verfügbarkeit von Arbeitslosen im Sinne des Arbeitenkönnens gemäß § 138 SGB III, nicht des Arbeitendürfens oder der Arbeitsbereitschaft. Die Fiktion erstreckt sich nicht auf die übrigen Voraussetzungen des § 137 SGB III.

2. Das Arbeitslosengeld nach Maßgabe von § 145 SGB III wird nicht nahtlos bis zur Rente geleistet, sondern unterliegt denselben zeitlichen Beschränkungen wie das Arbeitslosengeld nach § 137 SGB III.
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 2. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, Arbeitslosengeld über den 21. Februar 2013 hinaus zu erhalten.

Dem 1963 geborenen Antragsteller wurde mit Bescheid vom 29. Februar 2012 für die Zeit vom 21. Februar 2012 bis 21. Februar 2013 für 360 Tage Arbeitslosengeld in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 25,55 EUR vorläufig bewilligt. Mit Änderungsbescheid vom 19. März 2012 erfolgte die Bewilligung gemäß § 117 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) endgültig. Mit Bescheid vom 2. April 2012 hob die Antragsgegnerin die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 6. April 2012 gemäß § 48 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf, da aufgrund des ärztlichen Gutachtens vom 5. März 2012 der Antragsteller auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar und nur noch weniger als drei Stunden täglich arbeiten könne. Damit stünde er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

Aufgrund des Widerspruchs des Klägers und nach Einholung einer gutachterlichen Äußerung vom 29. Mai 2013 wurde mit Bescheid vom 22. Juni 2012 der Aufhebungsbescheid vom 2. April 2012 aufgehoben und dem Antragsteller ab 6. April 2012 weiterhin Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III für 316 Tage ab dem 6. April 2012 (ursprüngliche Anspruchsdauer ab Anspruchsbeginn 360 Tage) zu einem täglichen Leistungsbetrag von 25,55 EUR bewilligt.

Am 7. April 2013 beantragte der Antragsteller die Überprüfung des Bescheides vom 22. Juni 2012. Ihm stehe Arbeitslosengeld gemäß § 145 SGB III über den 21. Februar 2013 hinaus zu. Mit Bescheid vom 4. März 2013 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Bescheid vom 22. Juni 2012 unverändert bleibe. Am 21. Februar 2012 sei ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von 360 Tagen entstanden.

Am 16. April 2013 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gewährung von Arbeitslosengeld ab dem 22. Februar 2013 gestellt, den das Sozialgericht mit Beschluss vom 2. Mai 2013 abgelehnt hat. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld betrage für den Antragsteller nach § 147 Abs. 2 SGB III zwölf Monate und ende daher am 21. Februar 2013. Ein Anspruch auf Leistungen nach § 145 SGB III unterliege denselben zeitlichen Beschränkungen wie derjenige nach § 138 SGB III.

Gegen den ihm am 8. Mai 2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 5. Juni 2013 Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerin sei im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm seit dem 22. Februar 2013 Arbeitslosengeld zu gewähren. Am 10. Oktober 2011 habe er bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gestellt. Gegen die ablehnende Entscheidung sei vor dem Sozialgericht Leipzig seit dem 23. April 2012 ein Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 4 R 480/12 anhängig. Der Anordnungsanspruch folge aus § 145 SGB III, wonach die Nahtlosigkeitsregelung des § 145 SGB III fortwirke, solange der Antragsgegner dessen Voraussetzungen nicht geprüft habe. Der Anordnungsanspruch ergebe sich daraus, dass eine vorläufige Regelung zur Vermeidung erheblicher Nachteile veranlasst sei. Er, der Antragsteller, erhalte seit dem 22. Februar 2013 keine Sozialleistungen mehr. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II scheide aus, da er nicht erwerbsfähig sei. Ansprüche aus Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) bestünden ebenfalls nicht.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichtes Leipzig vom 2. Mai 2013 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller seit dem 22. Februar 2013 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Der Anspruch auf Weiterzahlung von Arbeitslosengeld lasse sich insbesondere nicht auf § 145 SGB III stützen. Das Bundessozialgericht habe insoweit in einer Entscheidung (Urteil vom 31. Januar 2008, B 13 R 23/07 R) ausgeführt, dass die Leistungen nach § 125 SGB III (a. F.) nicht nahtlos bis zur Rente geleistet würden, sondern denselben zeitlichen Beschränkungen wie das Arbeits-losengeld nach § 119 SGB III (a. F.) unterliegen würde.

Die Antragsgegnerin hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. März 2013 mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2013 zurückgewiesen. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld richte sich nach § 147 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Der Antragsteller habe bei der Entstehung des Anspruches am 21. Februar 2012 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet und somit eine Anspruchsdauer von 10 Monaten erworben. Dies entspräche 300 Kalendertagen. Zuzüglich des aus dem am 1. Oktober 2009 entstandenen (Rest-)Anspruchs auf Arbeitslosengeld habe er gemäß § 127 Abs. 4 Halbsatz 1 SGB III Anspruch auf eine Höchstdauer von 360 Tagen. Darüber hinaus könne es dahinstehen, ob der Antragsteller Arbeitslosengeld unter den Voraussetzungen des § 145 SGB III bezogen habe. Selbst dieser ermögliche dem Arbeitslosen keinen Bezug von Arbeitslosengeld auf Dauer, sondern fingiere lediglich im Rahmen der festgestellten Anspruchsdauer das Leistungsvermögen des Arbeitslosen, sofern dieser wegen einer mehr als sechs Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit eine Beschäftigung nicht ausüben könne und die weiteren Voraussetzungen erfüllt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Richtiger Antrag zur Erlangung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Denn die Antragsgegnerin bewilligte zuletzt mit Bescheid vom 22. Juni 2012 Arbeitslosengeld gemäß § 136 ff. SGB III (in der seit 1. April 2012 geltenden Fassung) bis zum 21. Februar 2013. Der Antragsteller begehrt Arbeitslosengeld für einen längeren Zeitraum. Statthafte Klageart betreffend einer Klage auf Gewährung weiterer (vorläufiger) Leistungen ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2013 – B 10 EG 8/12 R – JURIS-Dokument, RdNr. 27). Richtiger Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist somit der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann erforderlich, wenn die begehrte Leistung durch die zuständige Behörde im Ausgangsbescheid entweder überhaupt nicht oder nicht in der beantragten Höhe bewilligt worden ist (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. Juli 2007 – L 3 B 414/06 AS-ER – JURIS-Dokument RdNr. 17; Sächs. LSG, Beschluss vom 3. September 2009 – L 3 AY 1/09 B ER – JURIS-Dokument RdNr. 20).

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde (vgl. u. a. Sächs. LSG, Beschluss vom 30. Mai 2011 – L 3 AS 342/11 B ER – JURIS-Dokument RdNr. 14; Sächs. LSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 – L 3 AS 124/13 ER – JURIS-Dokument RdNr. 24).

Das vom Antragsteller geführte Hauptsacheverfahren hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ihm wurde mit Bescheid vom 22. Juni 2012 zutreffend Arbeitslosengeld gemäß § 136 ff. SGB III bis zum 21. Februar 2013 bewilligt.

Zu Recht führte die Antragsgegnerin aus, dass es dahingestellt bleiben kann, ob beim Antragsteller die Voraussetzungen des § 145 Abs. 1 SGB III vorliegen, da § 145 SGB III lediglich eine Ausnahmevorschrift zu § 138 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 5 Nr. 1 SGB III darstellt und die Verfügbarkeit fingiert.

Nach § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat auch eine Person, die allein deshalb arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben können, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. § 145 SGB III fingiert die Voraussetzung der objektiven Verfügbarkeit von Arbeitslosen im Sinne des Arbeitenkönnens gemäß § 138 SGB III, nicht des Arbeitendürfens oder der Arbeitsbereitschaft. Die Fiktion erstreckt sich nicht auf die übrigen Voraussetzungen des § 137 SGB III (vgl. Brand in Brand, SGB III [6. Aufl., 2012], § 145 RdNr. 2).

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit sind in § 137 SGB III geregelt; die Regelungen über die Dauer des Anspruches finden sich in § 147 SGB III. Dort ist die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für sämtliche Arten von Arbeitslosengeldansprüchen nach § 136 ff. SGB III geregelt. Das Arbeitslosengeld nach Maßgabe von § 145 SGB III wird nicht nahtlos bis zur Rente geleistet, sondern unterliegt denselben zeitlichen Beschränkungen wie das Arbeitslosengeld nach § 137 SGB III (so zu den bis zum 31. März 2013 geltenden Vorgängerregelungen: BSG, Urteil vom 31. Januar 2008 – B 13 R 23/07 RZFE 2008, 395 = JURIS-Dokument RdNr. 44, m. w. N.). Das nach § 145 SGB III zu zahlende Arbeitslosengeld unterscheidet sich in seiner Qualität danach nicht vom "normalen Arbeitslosengeld". Abgesehen von dem Verzicht zugunsten des Leistungsbeziehers auf die Anspruchsvoraussetzungen, die seine Leistungsfähigkeit erfordern, soll er nicht besser, aber auch nicht schlechter, gestellt sein als ein nicht leistungsgeminderte Berechtigter. Deshalb verbraucht auch das nach § 145 SGB III gezahlte Arbeitslosengeld den Anspruch (vgl. Winkler, in: Gagel, SGB II/SGB III [50. Erg.-Lfg., 2013], § 145 RdNr. 11a), sodass folgerichtig dem Antragsteller ein Anspruch auf Arbeitslosengeld über den 21. Februar 2013 hinaus auch bei Anwendung des § 145 SGB III nicht mehr zustehen kann.

Der Senat hatte daher nicht darüber zu entscheiden, ob dem Antragsteller überhaupt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 145 SGB III zusteht und ein Anordnungsgrund gegeben ist. Letzterer ist nach der Rechtsprechung des Senats wegen der Möglichkeit, im Falle der Hilfebedürftigkeit Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) erhalten zu können, grundsätzlich nur gegeben, wenn die beanspruchte Leistung, hier das Arbeitslosengeld, erheblich über dem Grundsicherungsniveau liegt und der Antragsteller bei einer Verweisung auf die Leistung der Grundsicherung schwerwiegende und unzumutbare Nachteile erleiden würde (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 23. Februar 2012 – L 3 AL 164/11 B ER – JURIS-Dokument RdNr. 20; Sächs. LSG, Beschluss vom 18. April 2013 – L 3 AL 21/13 B ER – JURIS-Dokument RdNr. 22 f., jeweils mit Nachweisen zum Streitstand). Diese Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund wurden vorliegend nicht glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG)

Dr. Scheer Atanassov Krewer
Rechtskraft
Aus
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