L 15 SF 5/13 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 SF 587/12 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 5/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Wird von mehreren Streitgenossen nicht allen Streitgenossen Prozesskostenhilfe bewilligt, hat der beigeordnete Anwalt, der auch den/die anderen, nicht bedürftigen Streitgenossen vertritt, hinsichtlich der gegen die Staatskasse entstandenen Verfahrensgebühr nicht nur auf die Erhöhungsbeträge nach Nr. 1008 VV RVG Anspruch, welche auf die bedürftigen Streitgenossen fallen.
2. In gleicher Weise darf dem beigeordneten Anwalt nicht die Terminsgebühr mit der Begründung vorenthalten werden, er könne sich deswegen an dem nicht bedürftigen Streitgenossen schadlos halten.
3. Gegebenenfalls kann die Staatskasse Regress beim nicht bedürftigen Streitgenossen nehmen. Für eine Vorabkürzung der Anwaltsvergütung besteht jedoch kein Raum.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 27. November 2012 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.

Der Beschwerdegegner vertrat die damaligen Kläger in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (S 51 AS 2327/09), das schließlich durch Klagerücknahme erledigt wurde. Die Klagepartei bestand aus zwei Streitgenossen, wobei der Beschwerdegegner nur einer Streitgenossin (im Folgenden: StrG 1) im Wege der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet wurde. Im Hinblick auf den zweiten Streitgenossen (im Folgenden: StrG 2) ist offenbar unklar, wie dessen Verhältnis zum Beschwerdegegner konkret ausgestaltet war, insbesondere, ob ein Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners gegen StrG 2 entstanden ist.

Die Urkundsbeamtin beim Sozialgericht München sprach dem Beschwerdegegner unter dem Datum 26.06.2012 die Hälfte der beantragten Vergütung (darunter eine Verfahrens- und eine Terminsgebühr) zu (262,40 EUR). Die Reduktion auf die Hälfte begründete sie sinngemäß damit, der Beschwerdegegner habe zwei Streitgenossen vertreten, wobei er aber nur StrG 1 beigeordnet worden war. Daher dürfe der Staatskasse nur die Hälfte der Gesamtkosten aufgebürdet werden.

Auf die Erinnerungen sowohl des Beschwerdegegners als auch der Staatskasse hat der Kostenrichter beim Sozialgericht München mit Beschluss vom 27.11.2012 die Vergütung auf insgesamt 464,10 EUR festgesetzt, was dem Erinnerungsantrag des Beschwerdegegners entsprochen hat. Die Erinnerung der Staatskasse hat er in vollem Umfang zurückgewiesen.

Gegen den Beschluss vom 27.11.2012 richtet sich die am 10.12.2012 eingelegte Beschwerde der Staatskasse. Diese trägt zur Begründung vor, sie habe dem Beschwerdegegner nur den Erhöhungsbetrag nach Nr. 1008 VV RVG zu leisten. Wegen aller anderen Vergütungskomponenten einschließlich der Terminsgebühr, so die Staatskasse sinngemäß, müsse sich der Beschwerdegegner an StrG 2 halten.

Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts S 51 AS 2327/09 beigezogen.

II.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

Die zulässige Beschwerde der Staatskasse ist unbegründet. Der Kostenrichter hat zutreffend die zu zahlende Vergütung so festgesetzt, wie es der Beschwerdegegner beantragt hatte.

Der Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens umfasst die Verfahrens- und die Terminsgebühr dem Grund und der Höhe nach.

In der Begründung zum Beschluss vom 27.11.2012 hat der Kostenrichter das aktuelle Meinungsspektrum zu der Problematik, welche Vergütung aus der Staatskasse dem Anwalt zusteht, wenn dieser nur einzelnen Personen aus einer Streitgenossenschaft beigeordnet ist, richtig dargestellt. Der Senat verzichtet angesichts dessen auf einen entsprechenden allgemeinen Abriss.

1. Der Senat stimmt dem Kostenrichter darin zu, dass die von der Staatskasse vertretene Ansicht, die mittelbar auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) basiert (mittelbar, weil die BGH-Rechtsprechung allein die PKH-Bewilligung durch das Prozessgericht betrifft) und von verschiedenen Instanzgerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit rezipiert wurde, abzulehnen ist. Der Kostenrichter hat im Wesentlichen argumentiert, der Vertrauensschutz der Partei könne verletzt sein, wenn die ursprünglich uneingeschränkte PKH-Bewilligung über das nachfolgende Verfahren nach §§ 55 RVG eine Einschränkung erfahren würde.

Damit hat der Kostenrichter zu Recht offen gelassen, ob die PKH-Bewilligung samt Beiordnung als solche von vornherein auf die Erhöhungsbeträge reduziert werden darf. In der Tat kommt es darauf nicht an. Der Vollständigkeit halber weist der Senat aber auf Bedenken hin: Im Beschluss vom 08.05.2013 - L 15 SF 104/12 B hat der Senat - wenn auch beiläufig - geäußert, auch für das Prozessgericht sei das PKH-Leistungsrecht nicht frei disponibel. Vielmehr, so der Senat, würden die "Leistungen" in § 122 ZPO und §§ 45 ff. RVG grundsätzlich unveränderbar festgelegt. Nach dem Gesetz sehe allein § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Möglichkeit individueller Anordnungen seitens des Gerichts vor. Für den vorliegenden Fall ist diese Norm aber nicht einschlägig. Denn hier geht es nicht um einen "Regress" für erbrachte Leistungen bei der Partei, wie ihn § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO meint, sondern um eine Modifikation der Leistungen an den beigeordneten Anwalt von vornherein. Anders als der BGH im Beschluss vom 01.03.1993 - II ZR 179/91 vermag sich der Senat nicht von einer insoweit bestehenden Gestaltungsfreiheit des Prozessgerichts zu überzeugen (so wie hier Wrobel-Sachs in: Büttner/dies./Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Auflage 2012, Rn. 48 m.w.N.). Formt das Prozessgericht den Leistungsanspruch gleichwohl im Rahmen der PKH-Bewilligung um, so führt dies nicht zur Nichtigkeit dieses Beschlusses; das wiederum bedeutet, dass vom Prozessgericht geregelte Einschränkungen, egal ob rechtmäßig oder nicht, nachfolgend grundsätzlich bindend sind.

Letztlich kann dieses Problem unentschieden bleiben, weil jedenfalls der Staatskasse im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine derartige Modifikationsbefugnis nicht zusteht. Der vorliegende Fall zeichnet sich dadurch aus, dass das Prozessgericht uneingeschränkt PKH bewilligt hatte. Bei dieser Konstellation hätte sich die Staatskasse strikt an §§ 45 ff. RVG halten und dem Beschwerdegegner die volle Verfahrens- und Terminsgebühr auszahlen müssen. Für die Auszahlung lediglich des Erhöhungsbetrags fehlt jede Rechtsgrundlage.

Die von der Staatskasse präferierte Vorgehensweise würde nicht nur den Verfahrensregeln der §§ 45 ff. RVG zuwiderlaufen. Der Senat hält es auch im Ergebnis für nicht darstellbar, dass sich die Staatskasse auf Kosten der nicht bedürftigen Streitgenossen nahezu voll entlastet. Die Staatskasse möchte sich nicht nur bei der Verfahrensgebühr auf den bloßen Erhöhungsbetrag beschränken, sie will auch die Terminsgebühr vollständig dem nicht bedürftigen Streitgenossen überlassen. Letztendlich würde dies entweder eine Einstandspflicht des einen Streitgenossen für den anderen begründen, die dem Prozesskostenhilferecht an sich fremd ist (Einstandspflicht grundsätzlich nur im Rahmen des unterhaltsrechtlichen Prozesskostenvorschusses). Oder - wenn man einen solchen Regress zulässt (vgl. dazu Landgericht Osnabrück, Beschluss vom 01.10.2007 - 1 O 1485/07, Rn. 8, m.w.N.) - der bedürftige Streitgenosse, hier StrG 1, wäre im Innenverhältnis mit dem nicht bedürftigen Streitgenossen, hier StrG 2, dessen Regress ausgesetzt; dieser Regress fällt umso höher aus, je umfänglicher der Nichtbedürftige vom Anwalt herangezogen worden ist.

2. Gerechter erscheint der Ansatz des Oberlandesgerichts Köln (Beschluss vom 09.06.2009 - 17 W 108/09), wonach die Staatskasse nur das zu leisten hat, was im Innenverhältnis der Streitgenossen auf den Bedürftigen, hier StrG 1, fallen würde. Dem ist letztlich auch die Urkundsbeamtin beim Sozialgericht München im Wesentlichen gefolgt. Diese Berechnungstechnik hat den Vorteil, dass einerseits der nichtbedürftige Streitgenosse nicht an der PKH-Bewilligung partizipieren kann; sein Vorteil besteht nur darin, dass ein Prozess mit zwei Streitgenossen allgemein "billiger" ist als zwei eigenständige Prozesse von Einzelpersonen. Andererseits kann sich die Staatskasse bei dieser Handhabung ihrer Einstandspflicht für den bedürftigen Streitgenossen nicht entziehen.

Soweit allerdings dieses Prinzip im vorliegenden Fall dadurch realisiert würde, dass die von der Staatskasse zu leistende Vergütung auf die Hälfte der Wahlanwaltsvergütung "gedeckelt" würde, wäre dies mit den gesetzlichen Vorgaben gleichfalls nicht zu vereinbaren. Nach der gesetzlichen Struktur erwirbt der beigeordnete Rechtsanwalt einen gesonderten Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, der zu dem gegen den Mandanten hinzutritt. Mit der Beiordnung und den entsprechenden anwaltlichen Tätigkeiten entstehen gegen die Staatskasse eigenständige Vergütungsansprüche (es erfolgt kein Schuldbeitritt der Staatskasse, geschweige denn eine Schuldübernahme), die von der Wahlanwaltsvergütung unabhängig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 03.07.2013 - L 15 SF 241/12 B). Die Gebühren gegen die Staatskasse müssen neu zur Entstehung gebracht werden. Es handelt sich um die gleichen Vergütungskomponenten wie bei der Wahlanwaltsvergütung. Das bedeutet, dass mit dem Eintritt des jeweiligen Entstehungstatbestands eine Verfahrensgebühr oder eine Terminsgebühr gegen die Staatskasse zusteht. Überlegungen, welche die Vergütungsbemessung an Tatbestände binden wollen, die nur die Wahlanwaltsvergütung betreffen, sind fehl am Platz. Vereinfacht ausgedrückt muss die gegen die Staatskasse zustehende Vergütung zunächst so berechnet werden, als ob es die Wahlanwaltsvergütung nicht daneben gäbe. Vor diesem Hintergrund muss im vorliegenden Fall der Umstand, dass ein weiterer, nicht bedürftiger Streitgenosse vorhanden war, vorerst unberücksichtigt bleiben. Das bedeutet, dass für den Beschwerdegegner eine volle Verfahrensgebühr (ohne Erhöhungsbetrag) und eine volle Terminsgebühr entstanden sind.

Das häufig dagegen vorgebrachte Argument, die ungeminderte Auszahlung der Vergütung an den Anwalt würde den nicht bedürftigen Streitgenossen ungerechtfertigt an der PKH-Bewilligung partizipieren lassen, erscheint nicht stichhaltig. Denn eine "Bereinigung", die dafür sorgt, dass die Staatskasse gerade nicht auch in weitem Umfang StrG 2 entlastet, kann über § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG realisiert werden. Der Senat interpretiert diese Bestimmung dahin, dass, soweit dem Anwalt ein Anspruch gegen den nicht bedürftigen Streitgenossen zusteht, dieser mit der Befriedigung des Rechtsanwalts durch die Staatskasse auf diese übergeht (aA Dürbeck in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/ders., a.a.O., Rn. 810). Der Senat ist der Meinung, dass als "Partei" im Sinn von § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG auch der vom beigeordneten Anwalt mitvertretene nicht bedürftige Streitgenosse angesehen werden sollte, auch wenn im Prozesskostenhilferecht mit "Partei" ansonsten nur die bedürftige Partei gemeint ist. Es dürfte nichts dagegen sprechen, den Begriff "Partei" hier abweichend zu interpretieren. Hinzu kommt, dass die Legalzession des § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht speziell auf Forderungen gegen die bedürftige Partei zugeschnitten ist. Vielmehr werden auch Ansprüche gegen ersatzpflichtige Gegner erfasst. Damit kommt zum Ausdruck, dass die Staatskasse generell von Zahlungen oder Zahlungsverpflichtungen anderer Personen auf die Wahlanwaltsvergütung profitieren soll. Der Senat sieht keine Rechtfertigung, warum der nicht bedürftige Streitgenosse anders als der ersatzpflichtige Gegner behandelt werden soll; denn auch er schuldet (auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 RVG) Zahlungen auf die Wahlanwaltsvergütung.

Müller-Rabe (in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, § 59 Rn. 33) kommt zum gleichen Ergebnis. Allerdings lehnt er die Legalzession nach § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG ab und plädiert dafür, die Staatskasse müsse gegen den nicht bedürftigen Streitgenossen den Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB geltend machen. Dabei ist jedoch unklar, auf welchem Weg die Staatskasse den Anspruch nach § 426 BGB erwerben soll; denn sie schuldet die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG nicht als Gesamtschuldnerin. In Konsequenz dessen tritt Dürbeck (a.a.O.) für eine analoge Anwendung von § 426 Abs. 2 BGB ein. Nach Ansicht des Senats wäre es jedoch kohärenter, die Legalzession mittels der dargestellten Auslegung des Begriffs "Partei" auf § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG zu stützen. Auf diese Weise ließe sich der Übergang der Forderung dem Grunde nach systemnäher und ohne Analogie beigründen. Lediglich zum Umfang des Forderungsübergangs müsste § 426 Abs. 2 BGB in Analogie aktiviert werden; denn der Forderungsübergang sollte nur insoweit stattfinden, als der nicht bedürftige Streitgenosse, hier StrG 2, im Innenverhältnis mit dem bedürftigen Streitgenossen zur Tragung der Anwaltskosten verpflichtet ist. Zugleich muss dem Anwalt so viel an "Forderungsresten" erhalten bleiben, dass er gegen den nicht bedürftigen Streitgenossen den Teil der Wahlanwaltsvergütung (auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 RVG) realisieren kann, um den diese die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG übersteigt; das gebietet § 59 Abs. 1 Satz 2 RVG.

Wie man es auch dogmatisch begründet: Die Staatskasse kann grundsätzlich beim nicht bedürftigen Streitgenossen, also bei StrG 2, außerhalb des Verfahrens nach §§ 45 ff. RVG Regress nehmen. Die Einzelheiten dieses Forderungsübergangs sind kompliziert und sollen an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Festzustellen ist aber, dass mit Hilfe der im RVG enthaltenen Regelungen - vor allem § 59 RVG, je nach Fall aber auch § 58 RVG - letztlich eine gerechte Lastenverteilung erreicht werden kann. Daher besteht nicht nur keine gesetzliche Handhabe, sondern auch keine praktische Notwendigkeit, die an den Beschwerdegegner auszuzahlende Vergütung von vornherein zu reduzieren.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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