L 8 AS 1282/12 B KO

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 21 SF 675/10 E
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 1282/12 B KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Rechtsanwaltsvergütung im sozialgerichtlichen Verfahren

Das Entstehen der Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG erfordert eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialgerichtlichen Verfahren abgegolten wird. Regelmäßig nIcht ausreichend ist die bloße Abgabe von Prozesserklärungen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 29. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwalts.

Der Leistungen nach dem SGB II beziehende Kläger führte vor dem Sozialgericht Dresden (SG), vertreten durch den Beschwerdeführer, das Verfahren S 21 AS 6423/08, in dem im Wesentlichen um die Rechtmäßigkeit der Absenkung der Regelleistung aufgrund der Ablehnung einer dem Kläger vom Rechtsvorgänger des Beteiligten angebotenen Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (sog. "1-Euro-Job") gestritten wurde. Mit Beschluss vom 30.03.2009 bewilligte das SG dem Kläger PKH unter Beiordnung des Beschwerdeführers. Der Rechtsstreit erledigte sich durch Annahme des vom Beteiligten am 05.05.2010 abgegebenen vollen Anerkenntnisses.

Am 22.07.2010 hat der Beschwerdeführer beantragt, seine aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) 250,00 EUR Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 200,00 EUR Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG 190,00 EUR Kosten für Ablichtungen aus der Verwaltungsakte 26,35 EUR Entgelte für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 130,41 EUR Abzüglich Vorschusszahlung 321,30 EUR Summe 495,46 EUR

Mit Beschluss vom 09.11.2010 hat die Urkundsbeamtin des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt festgesetzt:

Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) 200,00 EUR Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 100,00 EUR Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 152,00 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Fotokopiekosten 26,35 EUR Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 94,69 EUR Summe 593,04 EUR Abzüglich Vorschusszahlung 321,30 EUR Gesamtsumme 271,74 EUR

Gegen die Absenkung der Verfahrens-, Erledigungs- und Terminsgebühr hat der Beschwerdeführer am 09.12.2010 Erinnerung eingelegt. Der Beschwerdegegner hat am 08.02.2011 Anschlusserinnerung eingelegt und beantragt, die Erledigungsgebühr abzusetzen. Mit Beschluss vom 29.10.2012 hat das SG den Vergütungsfestsetzungsbeschluss geändert und die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt festgesetzt:

Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) 250,00 EUR Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 100,00 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Fotokopiekosten 26,35 EUR Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 75,31 EUR Summe 471,66 EUR Abzüglich Vorschusszahlung 321,30 EUR Gesamtsumme 150,36 EUR

Es habe sich um einen insgesamt durchschnittliche Sache gehandelt, sodass die Verfahrensmittelgebühr verdient sei. Die Terminsgebühr sei nach angenommenen Anerkenntnis in Höhe von 100,00 EUR festzusetzen. Umfang, Schwierigkeit und Einkommensverhältnisse seien unterdurchschnittlich, die Bedeutung für den Kläger durchschnittlich gewesen. Insbesondere wäre ohne Annahme des Anerkenntnisses in einer mündlichen Verhandlung lediglich die Annahmeerklärung ohne weitere Erörterung abzugeben gewesen. Eine Erledigungsgebühr sei nicht angefallen, denn es habe keine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung vorgelegen, die zur Erledigung geführt habe. Auch eine Einigungsgebühr sei nicht entstanden, da es bei dem vollumfänglichen Anerkenntnis an einer vertraglichen Einigung der Parteien fehle.

Gegen den ihm am 28.11.2012 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 08.12.2012 Beschwerde erhoben, der das SG nicht abgeholfen hat. Unter Verweis auf sein bisheriges Vorbringen beantragt er, die Vergütung auf insgesamt 816,76 EUR abzüglich erhaltener Zahlungen festzusetzen. Zwar entstünde bei streitwertabhängigen Verfahren in ähnlicher Konstellation (volles Obsiegen) keine Einigungsgebühr. Es sei jedoch zweifelhaft, ob dies auch für das nicht streitwertgebundene sozialgerichtliche Verfahren gelte. Die Terminsgebühr sei nicht zu kürzen, denn es werde lediglich die Vermeidung von Verhandlungen und Entscheidungsabsetzungen honoriert, ohne Ersparniseffekte auf Seiten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.

Der Beschwerdegegner ist der Beschwerde entgegengetreten.

Dem Senat lagen die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens und des PKH-Beiheftes sowie die Akten des Verfahrens S 21 AS 64223/08 vor.

II.

1. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der an sich nach § 56 Abs. 1 Satz 2, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG zuständige Einzelrichter die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).

2. Die Beschwerde ist zulässig. § 178 Satz 1 SGG steht der Statthaftigkeit nicht entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom 22.04.2013 – L 8 AS 527/12 B KO – juris RdNr. 13). Der Beschwerdewert ist überschritten (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG), denn streitig ist eine Differenz zwischen beantragter und festgesetzter Termins- sowie Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von mehr als 200,00 EUR. Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.

3. Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen nicht zu niedrig festgesetzt.

Der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt erhält die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Vergütungsanspruch bestimmt sich nach den Beschlüssen, durch die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde (§ 48 Abs. 1 Satz 1 RVG). Für die Höhe der Vergütung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG auf das VV RVG zurückzugreifen, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie hier – das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist (§ 183 SGG), Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Für die Bestimmung der Gebühren hält der Senat an der Rechtsprechung zur so genannten "Chemnitzer Tabelle" (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 31.03.2010 – L 6 AS 99/10 B KO – juris) nicht fest (Senatsbeschluss vom 22.04.2013 – L 8 AS 527/12 B KO – juris RdNr. 24 ff.).

a) Eine Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG (Einigungs- oder Erledigungsgebühr) ist nicht entstanden.

aa) Das Entstehen einer Einigungsgebühr setzt voraus, dass ein Vertrag zustande kommt, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG). Denn der Sondertatbestand der Nr. 1006 VV RVG für das sozialgerichtliche Verfahren, in dem regelmäßig Betragsrahmengebühren anstatt Streitwertgebühren entstehen, suspendiert nicht von den (allgemeinen) Voraussetzungen des Nr. 1000 VV RVG für das Entstehen einer Einigungsgebühr; sondern nimmt diese vielmehr systematisch in Bezug. Selbst wenn man hier einen Vertrag bejahen würde, würde dieser lediglich die bloße Annahme eines vollen Anerkenntnisses beinhalten und deshalb keine Einigungsgebühr auslösen können (vgl. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG; so bereits die Rspr. des vormaligen Kostensenat des Sächsischen LSG, vgl. etwa Beschluss vom 24.01.2011 – L 6 AS 392/10 B KO – nicht veröffentlicht; ferner Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.04.2013 – L 15 SF 338/11 B – juris RdNr. 23; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.02.2013 – L 6 AS 448/12 B – juris RdNr. 24; Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, RVG, 20.Aufl., Nr. 1002 VV RVG RdNr. 5).

bb) Auch eine Erledigungsgebühr ist nicht entstanden. Die Erledigungsgebühr ist eine Erfolgsgebühr, die die Entlastung des Gerichts und das erfolgreiche anwaltliche Bemühen um die Herstellung des Rechtsfriedens ohne Sachentscheidung des Gerichts "durch die anwaltliche Mitwirkung" honoriert. Die "anwaltliche Mitwirkung" erfordert daher einen besonderen, nicht ganz unwesentlichen Beitrag des Rechtsanwalts zur Erledigung des Rechtsstreits ohne eine gerichtliche Entscheidung. An der Rechtsprechung des vormals für Kostensachen zuständigen Senats des Sächsischen LSG, der verschiedentlich bloße Prozesserklärungen ausreichen ließ (vgl. etwa Beschluss vom 30.07.2008 – L 6 B 337/08 AS-KO – nicht veröffentlicht [Erledigungserklärung]) hält der erkennende Senat nicht fest. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Entstehen der Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG im Vorverfahren (vgl. Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 62/12 R – juris RdNr. 23 m. w. N) kommt es vielmehr auf eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts an, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Verfahren abgegolten wird (ebenso: LSG Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.05.2013 – L 9 AS 142/13 B – juris RdNr. 20; Thüringer LSG, Beschluss vom 01.05.2013 – L 6 SF 105/13 B – juris RdNr. 6; Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.07.2011 – L 15 SF 82/10 B E – juris RdNr. 32; vgl. Gerold/Schmidt- Müller-Rabe, a. a. O., RdNr. 38).

Eine qualifizierte Mitwirkung in diesem Sinne begründet vorliegend jedoch weder die bloße Annahme des Anerkenntnisses noch die sonstigen Tätigkeiten des Beschwerdeführers im Verfahren. Letztere sind dem allgemeinen Betreiben des Geschäfts zuzurechnen und deshalb von der – nach der Festsetzung im angegriffenen Erinnerungsbeschluss nunmehr unstreitigen – Verfahrensgebühr abgegolten.

b) Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG ist vom SG ebenfalls in nicht zu niedriger Höhe festgesetzt worden. Die Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers auf die Mittelgebühr ist unbillig.

Die Terminsgebühr entsteht nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 zu Teil 3 VV RVG für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts sowie auch, wenn – wie hier – das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet (Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG). Innerhalb des hiernach einschlägigen Gebührenrahmens von 20,00 EUR bis 380,00 EUR bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisses des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG).

Bei einer – wie hier – fiktiven Terminsgebühr stoßen diese Bestimmungsgrundsätze allerdings an ihre Grenzen, denn tatsächlich hat kein Termin stattgefunden, nach dem sich die Gebühr bestimmen lässt. Wie der Senat zur vergleichbaren Situation des Entstehens einer "fiktiven" Terminsgebühr bei Erlass eines Gerichtsbescheides bereits entscheiden hat (vgl. Beschluss vom 03.07.2013 – L 8 R 665/12 B KO – juris RdNr. 27), ist vielmehr ausgehend von Sinn und Zweck der fiktiven Terminsgebühr – nämlich dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an einer u. U. zeitintensiven Terminsdurchführung zu nehmen, um so die Gerichte zu entlasten und den Beteiligten zeit- und kostenintensive Verfahren zu ersparen (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 208 ff) – sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Rechtsanwalt zugleich jeglichen Aufwand im Zusammenhang mit einer mündlichen Verhandlung erspart, dem Gebühreninteresse des Rechtsanwalts in durchschnittlich gelagerten Sozialrechtsfällen regelmäßig mit der Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr in Höhe der hälftigen Mittelgebühr Rechnung getragen. Besonderheiten, die insbesondere bei besonders schwierigen oder aufwändigen Verfahren (vgl. zur Orientierung an der Verfahrensgebühr etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.05.2012 – L 20 AY 139/11 B – juris RdNr. 34 m. w. N.) eine hiervon abweichende Bestimmung gebieten könnten, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

c) Die weiteren Auslagentatbestände sind nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt.

III.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG)

Dr. Wahl Kirchberg Salomo
Rechtskraft
Aus
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