Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 175 AS 14088/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 2071/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2013 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtliche Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I
Der griechische Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II.
Der 1972 geborene Antragsteller besitzt die griechische Staatsbürgerschaft und hält sich seit 5. Oktober 2012 bzw nach einer Unterbrechung seit 17. April 2013 in der Bundesrepublik auf. Er beantragte am 7. Mai 2013 bei der Antragsgegnerin Arbeitslosengeld II und gab als Grund des Aufenthalts in der Bundesrepublik an, er habe in Griechenland, wo noch seine Ehefrau und seine drei Kinder lebten, keine Arbeit gefunden und sei zur Arbeitssuche nach Deutschland gekommen. Als Arbeitnehmer sei er in der Bundesrepublik noch nicht tätig gewesen. Über Einkommen und Vermögen verfüge er nicht. Ihm wurde am 10. Oktober 2012 ein deutscher Sozialversicherungsausweis ausgestellt. Eine Leistungsbewilligung wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27. Mai 2013 versagt. Gegen die Ablehnung der Bewilligung hat der Antragsteller mit Schreiben vom 6. Juni 2013 am 10. Juni 2013 Widerspruch erhoben. Über diesen ist noch nicht entschieden.
Der Antragsteller hat am 7. Juni 2013 das Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Seine Finanzmittel seien weitgehend erschöpft, ein griechischer Freund habe ihm am 15. September 2012 ein Darlehen über 2.500 EUR gegeben. Zur Zeit lebe er nur von der Großzügigkeit seiner Freunde. Weil er in Folge von Mietschulden seine bisherige Unterkunft verlor, wohne er ab 1. Juli 2013 vorübergehend bei einem Freund. Er reduzierte den Antrag auf die Regelleistung (Schreiben vom 11. Juli 2013).
Der Antragsteller hat beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, dem Antragsteller ab 7. Juni 2013 vorläufig, längstens bis zu einer Entscheidung der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II monatlich in Höhe von 382,00 EUR zu zahlen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Aufenthaltsrecht ergebe sich allein aus der Arbeitssuche, so dass der Ausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife. Dieser Ausschluss verstoße auch nicht gegen Europarecht, insofern folge die Antragsgegnerin der Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg (u.a. Beschluss vom 29.02.2012, L 20 AS 2347/11 B ER) und des LSG NRW (Beschluss vom 15.06.2012, L 19 AS 834/12 B ER).
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 12. Juli 2013 dem Antrag für den Zeitraum vom 7. Juni bis 30. November 2013, längstens bis zur Entscheidung der Hauptsache stattgegeben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II seien erfüllt. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II werde vom vorrangigen Europarecht verdrängt, insbesondere gebiete Art 3 Abs 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 die Gleichbehandlung der EU-Ausländer mit deutschen Staatsangehörigen. Der Antragsteller habe einen Bedarf von 382 EUR glaubhaft gemacht. Kosten für eine Unterkunft habe er nicht mehr. Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass der Antragsteller ohne die existenzsichernden Leistungen seine existentiellen Bedarf zum Leben nicht decken könne.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde vom 2. August 2013. Der Beschluss sei materiell-rechtlich fehlerhaft und stelle für die Antragsgegnerin eine nicht zu rechtfertigende Beschwer dar. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife im Falle des Antragstellers, weil sich dessen Aufenthaltsrecht allein aus der Arbeitssuche ergebe. Die Regelung sei nicht europarechtswidrig. Aufgrund des mit Wirkung zum 19. Dezember 2011 erklärten Vorbehaltes der Bundesrepublik Deutschland könne sich der Antragsteller auch nicht auf das europäische Fürsorgeabkommen berufen.
Die Antragsgegnerin beantragt in der Sache,
1. den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2013 aufzuheben, 2. den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen, 3. die Vollstreckung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2013 einstweilen auszusetzen. Der Antragsteller hat darauf hingewiesen, dass er nach Vorlage des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2013 seit 18. Juli 2013 wieder bei seinem frühren Vermieter wohne und hat die Meldebescheinigung vom 18. Juli 2013 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
II
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Der Antragsteller konnte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe des Regelbedarfs verlangen.
Weil der Antragsteller eine Änderung des bestehenden Zustandes verlangt hat, ist die Entscheidung auf der Grundlage von § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zu treffen. Danach kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Nach zutreffender ständiger Rechtsprechung erscheint die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, wenn die Rechtsverfolgung erhebliche Erfolgsaussicht hat (Anordnungsanspruch) und bei Abwägung der Interessen der Beteiligten die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Regelung diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen und für ihre Realisierung ohne die Regelung erhebliche Gefahren drohen, also ein besonderer Eilbedarf für eine Entscheidung besteht und die besondere Eile rechtfertigt (Anordnungsgrund). Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 23 mwN). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 26 mwN). Eine solche verlangt, die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG ebd).
Aus einer derartigen Folgenabwägung ergibt sich im Falle des Antragstellers die Notwendigkeit der vom Sozialgericht verfügten Anordnung. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld nach §§ 7 Abs 1, 19, 20 SGB II für den tenorierten Bewilligungszeitraum sind beim Antragsteller erfüllt. Dieser verfügt insbesondere nicht über die ausreichenden Mittel, aktuell für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Er ist auch erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 8 Abs 1 und 2 SGB II. Die gesundheitliche Erwerbsfähigkeit ist glaubhaft. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Dies ist für den Antragsteller als Unionsbürger der Fall.
Ob der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II für den Antragsteller wirksam ist, entscheidet der Senat im Rahmen des Eilverfahrens nicht, weil es sich um eine bislang höchst umstrittene und äußerst komplexe Rechtsfrage handelt. Deren Beantwortung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dabei ist zum Einen zu klären, inwieweit für Unionsbürger ein Gleichbehandlungsrecht nach Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 besteht und über § 30 Abs 2 SGB I unmittelbar rechtswirksam sein kann, während § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II einen Anwendungsbereich nur für ausländische Unionsbürger hat, weil anderen Ausländern ein Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitsuche nicht eingeräumt ist. Die Beantwortung dieser Frage wird von den Gerichten sehr unterschiedlich vorgenommen (für die Gleichbehandlung: u.a. SG Berlin, Urteile vom 24.05.2011, S 149 AS 17644/09, vom 27.03.2012, S 110 AS 28262/11; vom 25. August 2012, S 55 AS 13349/12; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14.07.2011, L 7 AS 107/11 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, L 14 AS 7623/12 B ER, SG Dresden, Beschluss vom 05.08.2011, S 36 AS 3461/11 ER; SG Berlin, Beschlüsse vom 27.04.2012, S 55 AS 8242/12 ER, vom 08.05.2012, S 91 AS 8804/12, vom 20.06.2012, S 189 AS 15170/12 ER, vom 29.06.2012, S 96 AS 15360/12 ER; a. A. insbesondere Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.2012, L 20 AS 2347/11 B ER, vom 03.04.2012, L 5 AS 1257/11 B ER und vom 12.06.2012, L 29 AS 1044/12 B ER). Zudem wird nachvollziehbar vertreten, dass dabei das Verhältnis der Richtlinie 2004/38/EG zu den Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 zu klären ist und deshalb eine verbindliche Entscheidung letztendlich nur der EuGH vornehmen könne. Schließlich kann § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II durch das Europäische Fürsorgeabkommen verdrängt werden. Gewichtige Argumente gegen die Wirksamkeit des Vorbehalts, auf den sich auch die Antragsgegnerin beruft, sind zu diskutieren (SG Berlin, Urteil vom 19.12.2012, S 55 AS 18011/12, RdNr 51ff). Auch insoweit könnte eine Klärung des Verhältnisses des Europäischen Fürsorgeabkommens zur EU-VO 883/2004 durch den EuGH erfolgen.
Sofern diese Rechtsfragen juristisch umstritten sind und insofern die endgültige Entscheidung der Beurteilung durch das BSG bzw durch den EuGH vorbehalten bleibt, hat die einstweilige Anordnung im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung zu erfolgen, schon auch deshalb, weil die vorläufige Regelung in besonderer Weise das sich aus Art 1 Abs 1 und 20 Abs 1 – Sozialstaatlichkeit GG ableitende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und den Umstand zu berücksichtigen hat, dass der Lebensbedarf immer nur aktuell befriedigt werden kann und eine spätere Entscheidung in der Hauptsache dazu rückwirkend nichts mehr tatsächlich beitragen kann.
Die Folgenabwägung führt hier zu der vom Sozialgericht getroffenen Anordnung, weil dem Grundrecht des Antragstellers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei dessen aktueller Mittellosigkeit nur fiskalische Interessen der Antragsgegnerin gegenüberstehen. Ohne die Anordnung würde die Realisierung des Grundrechts vereitelt. Dass der Antragsteller sich bislang nur mittels geliehener Gelder über Wasser hielt, ist dabei unbeachtlich. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen hat der Antragsteller erfüllt (s.o.).
Die Höhe der Leistungen ergibt sich aus dem zur Existenzsicherung gesetzlich vorgesehenen Regelbedarf von derzeit 382,00 EUR, den das Sozialgericht zutreffend berücksichtigt hat. Die Befristung der Anordnung erscheint angemessen und ist nicht angefochten.
Der Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Vollstreckung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin nach § 199 Abs 2 Satz 1 SGG ist durch diesen Beschluss erledigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung durch den Antragsteller.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
I
Der griechische Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II.
Der 1972 geborene Antragsteller besitzt die griechische Staatsbürgerschaft und hält sich seit 5. Oktober 2012 bzw nach einer Unterbrechung seit 17. April 2013 in der Bundesrepublik auf. Er beantragte am 7. Mai 2013 bei der Antragsgegnerin Arbeitslosengeld II und gab als Grund des Aufenthalts in der Bundesrepublik an, er habe in Griechenland, wo noch seine Ehefrau und seine drei Kinder lebten, keine Arbeit gefunden und sei zur Arbeitssuche nach Deutschland gekommen. Als Arbeitnehmer sei er in der Bundesrepublik noch nicht tätig gewesen. Über Einkommen und Vermögen verfüge er nicht. Ihm wurde am 10. Oktober 2012 ein deutscher Sozialversicherungsausweis ausgestellt. Eine Leistungsbewilligung wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27. Mai 2013 versagt. Gegen die Ablehnung der Bewilligung hat der Antragsteller mit Schreiben vom 6. Juni 2013 am 10. Juni 2013 Widerspruch erhoben. Über diesen ist noch nicht entschieden.
Der Antragsteller hat am 7. Juni 2013 das Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Seine Finanzmittel seien weitgehend erschöpft, ein griechischer Freund habe ihm am 15. September 2012 ein Darlehen über 2.500 EUR gegeben. Zur Zeit lebe er nur von der Großzügigkeit seiner Freunde. Weil er in Folge von Mietschulden seine bisherige Unterkunft verlor, wohne er ab 1. Juli 2013 vorübergehend bei einem Freund. Er reduzierte den Antrag auf die Regelleistung (Schreiben vom 11. Juli 2013).
Der Antragsteller hat beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, dem Antragsteller ab 7. Juni 2013 vorläufig, längstens bis zu einer Entscheidung der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II monatlich in Höhe von 382,00 EUR zu zahlen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Aufenthaltsrecht ergebe sich allein aus der Arbeitssuche, so dass der Ausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife. Dieser Ausschluss verstoße auch nicht gegen Europarecht, insofern folge die Antragsgegnerin der Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg (u.a. Beschluss vom 29.02.2012, L 20 AS 2347/11 B ER) und des LSG NRW (Beschluss vom 15.06.2012, L 19 AS 834/12 B ER).
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 12. Juli 2013 dem Antrag für den Zeitraum vom 7. Juni bis 30. November 2013, längstens bis zur Entscheidung der Hauptsache stattgegeben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II seien erfüllt. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II werde vom vorrangigen Europarecht verdrängt, insbesondere gebiete Art 3 Abs 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 die Gleichbehandlung der EU-Ausländer mit deutschen Staatsangehörigen. Der Antragsteller habe einen Bedarf von 382 EUR glaubhaft gemacht. Kosten für eine Unterkunft habe er nicht mehr. Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass der Antragsteller ohne die existenzsichernden Leistungen seine existentiellen Bedarf zum Leben nicht decken könne.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde vom 2. August 2013. Der Beschluss sei materiell-rechtlich fehlerhaft und stelle für die Antragsgegnerin eine nicht zu rechtfertigende Beschwer dar. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife im Falle des Antragstellers, weil sich dessen Aufenthaltsrecht allein aus der Arbeitssuche ergebe. Die Regelung sei nicht europarechtswidrig. Aufgrund des mit Wirkung zum 19. Dezember 2011 erklärten Vorbehaltes der Bundesrepublik Deutschland könne sich der Antragsteller auch nicht auf das europäische Fürsorgeabkommen berufen.
Die Antragsgegnerin beantragt in der Sache,
1. den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2013 aufzuheben, 2. den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen, 3. die Vollstreckung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2013 einstweilen auszusetzen. Der Antragsteller hat darauf hingewiesen, dass er nach Vorlage des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2013 seit 18. Juli 2013 wieder bei seinem frühren Vermieter wohne und hat die Meldebescheinigung vom 18. Juli 2013 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
II
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Der Antragsteller konnte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe des Regelbedarfs verlangen.
Weil der Antragsteller eine Änderung des bestehenden Zustandes verlangt hat, ist die Entscheidung auf der Grundlage von § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zu treffen. Danach kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Nach zutreffender ständiger Rechtsprechung erscheint die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, wenn die Rechtsverfolgung erhebliche Erfolgsaussicht hat (Anordnungsanspruch) und bei Abwägung der Interessen der Beteiligten die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Regelung diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen und für ihre Realisierung ohne die Regelung erhebliche Gefahren drohen, also ein besonderer Eilbedarf für eine Entscheidung besteht und die besondere Eile rechtfertigt (Anordnungsgrund). Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 23 mwN). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 26 mwN). Eine solche verlangt, die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG ebd).
Aus einer derartigen Folgenabwägung ergibt sich im Falle des Antragstellers die Notwendigkeit der vom Sozialgericht verfügten Anordnung. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld nach §§ 7 Abs 1, 19, 20 SGB II für den tenorierten Bewilligungszeitraum sind beim Antragsteller erfüllt. Dieser verfügt insbesondere nicht über die ausreichenden Mittel, aktuell für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Er ist auch erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 8 Abs 1 und 2 SGB II. Die gesundheitliche Erwerbsfähigkeit ist glaubhaft. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Dies ist für den Antragsteller als Unionsbürger der Fall.
Ob der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II für den Antragsteller wirksam ist, entscheidet der Senat im Rahmen des Eilverfahrens nicht, weil es sich um eine bislang höchst umstrittene und äußerst komplexe Rechtsfrage handelt. Deren Beantwortung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dabei ist zum Einen zu klären, inwieweit für Unionsbürger ein Gleichbehandlungsrecht nach Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 besteht und über § 30 Abs 2 SGB I unmittelbar rechtswirksam sein kann, während § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II einen Anwendungsbereich nur für ausländische Unionsbürger hat, weil anderen Ausländern ein Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitsuche nicht eingeräumt ist. Die Beantwortung dieser Frage wird von den Gerichten sehr unterschiedlich vorgenommen (für die Gleichbehandlung: u.a. SG Berlin, Urteile vom 24.05.2011, S 149 AS 17644/09, vom 27.03.2012, S 110 AS 28262/11; vom 25. August 2012, S 55 AS 13349/12; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14.07.2011, L 7 AS 107/11 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, L 14 AS 7623/12 B ER, SG Dresden, Beschluss vom 05.08.2011, S 36 AS 3461/11 ER; SG Berlin, Beschlüsse vom 27.04.2012, S 55 AS 8242/12 ER, vom 08.05.2012, S 91 AS 8804/12, vom 20.06.2012, S 189 AS 15170/12 ER, vom 29.06.2012, S 96 AS 15360/12 ER; a. A. insbesondere Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.2012, L 20 AS 2347/11 B ER, vom 03.04.2012, L 5 AS 1257/11 B ER und vom 12.06.2012, L 29 AS 1044/12 B ER). Zudem wird nachvollziehbar vertreten, dass dabei das Verhältnis der Richtlinie 2004/38/EG zu den Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 zu klären ist und deshalb eine verbindliche Entscheidung letztendlich nur der EuGH vornehmen könne. Schließlich kann § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II durch das Europäische Fürsorgeabkommen verdrängt werden. Gewichtige Argumente gegen die Wirksamkeit des Vorbehalts, auf den sich auch die Antragsgegnerin beruft, sind zu diskutieren (SG Berlin, Urteil vom 19.12.2012, S 55 AS 18011/12, RdNr 51ff). Auch insoweit könnte eine Klärung des Verhältnisses des Europäischen Fürsorgeabkommens zur EU-VO 883/2004 durch den EuGH erfolgen.
Sofern diese Rechtsfragen juristisch umstritten sind und insofern die endgültige Entscheidung der Beurteilung durch das BSG bzw durch den EuGH vorbehalten bleibt, hat die einstweilige Anordnung im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung zu erfolgen, schon auch deshalb, weil die vorläufige Regelung in besonderer Weise das sich aus Art 1 Abs 1 und 20 Abs 1 – Sozialstaatlichkeit GG ableitende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und den Umstand zu berücksichtigen hat, dass der Lebensbedarf immer nur aktuell befriedigt werden kann und eine spätere Entscheidung in der Hauptsache dazu rückwirkend nichts mehr tatsächlich beitragen kann.
Die Folgenabwägung führt hier zu der vom Sozialgericht getroffenen Anordnung, weil dem Grundrecht des Antragstellers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei dessen aktueller Mittellosigkeit nur fiskalische Interessen der Antragsgegnerin gegenüberstehen. Ohne die Anordnung würde die Realisierung des Grundrechts vereitelt. Dass der Antragsteller sich bislang nur mittels geliehener Gelder über Wasser hielt, ist dabei unbeachtlich. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen hat der Antragsteller erfüllt (s.o.).
Die Höhe der Leistungen ergibt sich aus dem zur Existenzsicherung gesetzlich vorgesehenen Regelbedarf von derzeit 382,00 EUR, den das Sozialgericht zutreffend berücksichtigt hat. Die Befristung der Anordnung erscheint angemessen und ist nicht angefochten.
Der Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Vollstreckung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin nach § 199 Abs 2 Satz 1 SGG ist durch diesen Beschluss erledigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung durch den Antragsteller.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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