L 5 KR 14/11 KL

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 14/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt. &8195;

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte oder der Beigeladene für die Aufsicht über die Klägerin zuständig ist.

Mit Schreiben vom 1. Februar 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass diese ein bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger sei und sie in Übereinstimmung mit dem Beigeladenen die Aufsicht über die Klägerin übernehme.

Hiergegen richtet sich die am 10. Februar 2011 von der Klägerin beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhobene Klage.

Die Klägerin ist aus einer Fusion der I und der Ia hervorgegangen, die ursprünglich ihre Zuständigkeit nur im jeweiligen Bundesland hatten. Diese Begrenzung wurde durch Öffnungsbeschlüsse der Ia mit Wirkung zum 2. Oktober 2001 und der I mit Wirkung vom 1. Juli 2003 aufgegeben. Im Jahre 2007 hat die Klägerin durch Satzungsbestimmung ihren Zuständigkeitsbereich auf das Land Bremen erweitert. Gegenwärtig unterhalten einzelne Betriebe mit Versicherten bei der Klägerin unselbständige Nebenbetriebe in weiteren Bundesländern.

Der Senat hat mit Beschluss vom 22. März 2011 das Land Schleswig-Holstein beigeladen und mit weiterem Beschluss vom 14. April 2011 in dem Verfahren L 5 KR 2/11 ER festgestellt, dass die Klage vom 10. Februar 2011 aufschiebende Wirkung hat.

Zur Begründung ihrer Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, dass das Schreiben der Beklagten vom 1. Februar 2011 einen feststellenden Verwaltungsakt darstelle. Dieser sei formell rechtswidrig, da es ihm an der erforderlichen Begründung fehle. Der Verwaltungsakt sei aber auch materiell rechtswidrig. Die Beklagte gehe unzutreffend davon aus, dass es sich bei der Klägerin nunmehr um eine bundesunmittelbare Körperschaft handele. Dem liege die unrichtige Rechtsauffassung zugrunde, dass sich die Einstufung einer I als landesunmittelbar oder bundesunmittelbar nach der jeweiligen aktuellen Situation richte, wobei ausschlaggebend für die Bewertung der Zuständigkeit einer geöffneten I das tatsächliche Vorhandensein von betreuten Betrieben – einschließlich unselbstständiger Nebenbetriebe – in mehr als drei Bundesländern sei. Die Klägerin macht geltend, dass nach der Gesetzesbegründung zu § 173 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) demgegenüber für die Erstreckung der Zuständigkeit allein der Zustand zum Zeitpunkt der Öffnung der Kasse entscheidend sei. Zu diesem Zeitpunkt hätten – anders als gegenwärtig – einzelne Betriebe mit bei ihr Versicherten keine unselbstständigen Nebenbetriebe in weiteren Ländern unterhalten. Es gelte eine statische und keine dynamische Betrachtung. Maßgeblich für die territoriale Zuständigkeit sei mithin nicht der Anknüpfungspunkt "Betrieb", sondern der Anknüpfungspunkt "tragende Innung". Selbst wenn man jedoch von einer betriebsbezogenen Betrachtung ausginge, sei diese auf selbstständige Betriebe eingeschränkt, da ein unselbstständiger Betriebsteil kein Betrieb im sozialversicherungsrechtlichen Sinn sei und daher eine Region nicht erschließen könne. Wollte man jeden einzelnen hinzukommenden unselbstständigen Nebenbetrieb für ausreichend erachten, das Zuständigkeitsgebiet zu erweitern, so ergäbe sich der Zustand einer relativen Beliebigkeit. Im Extremfall entstehe ein Hin und Her der Zuständigkeit einer Kasse und damit verbunden der Aufsicht. Derart weitreichend dürfe wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit Art. 87 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit § 173 Abs. 2 Satz 2 SGB V nicht interpretiert werden. Im Sinne einer verfassungskonformen Umsetzung sei eine länderfreundliche, d. h. restriktive Auslegung geboten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich der Erstreckungsbereich bei geöffneten Innungskrankenkassen gemäß § 173 Abs. 2 Satz 2 SGB V nach dem Bestehen oder Nichtbestehen von Innungsbetrieben und gegebenenfalls unselbstständigen Betriebsteilen im jeweiligen Bundesland richte. Der Wortlaut der Norm verdeutliche dabei unter Verwendung des Begriffs "Bestehen", dass es auf die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. auf das aktuelle Bestehen oder Nichtbestehen von Innungsbetrieben ankomme. Dementsprechend könne der Erstreckungsbereich einer I auch Veränderungen unterworfen sein mit Auswirkungen auf die aufsichtsbehördliche Zuständigkeit. Dieses dynamische Verständnis des Erstreckungs- und Zuständigkeitsbereichs sei im Gesetz angelegt. Dies zugrundegelegt sei die Klägerin eine bundesunmittelbare Krankenkasse, die der Aufsicht der Beklagten unterstehe, da ihr Erstreckungsbereich nunmehr vier Bundesländer umfasse. Ausgelöst werde dies durch den der Trägerinnung (Landesinnung des Gebäudereinigerhandwerks Schleswig-Holstein) angehörenden Innungsbetrieb der Firma S. Dieser Betrieb habe unselbstständige Betriebsteile in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Hamburg. Allein dies reiche für die Annahme der Bundesunmittelbarkeit der Klägerin aus.

Die Beklagte teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin hinsichtlich einer eng am Wortlaut orientierten Auslegung des § 173 Abs. 2 Satz 2 SGB V nicht. Art. 87 Abs. 2 GG beinhalte die verfassungsrechtliche Verankerung des Nebeneinanders von landes- und bundesunmittelbaren Versicherungsträgern und der daraus folgenden Aufsichtszuständigkeit von Ländern bzw. dem Bund. Danach liege Landesunmittelbarkeit im gesetzlichen Normalfall bei einer Erstreckung eines Sozialversicherungsträgers auf das Gebiet eines Bundeslandes vor. Abweichend hiervon könnten Sozialversicherungsträger dann ebenfalls als landesunmittelbar geführt werden, wenn der Erstreckungsbereich maximal drei Bundesländer umfasse. Der Erstreckungsbereich geöffneter Betriebs- und Innungskrankenkassen sei in § 173 Abs. 2 Satz 2 SGB V klar geregelt. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich dieser Norm seien nicht ersichtlich. Die von der Klägerin beschriebene Gefahr eines ständigen Wechsels der Aufsichtszuständigkeit könne die Beklagte aus ihrer Aufsichtspraxis nicht bestätigen. Zwar komme es infolge von Fusionen vereinzelt zu einem Wechsel der Aufsichtszuständigkeit. Hierbei handele es sich jedoch nur um wenige, ohne größere praktische Schwierigkeiten umsetzbare Fälle. Die Bundesunmittelbarkeit der Klägerin sei im Übrigen nicht das Ergebnis einer bundesfreundlichen Auslegung des Gesetzes, sondern eine Folge tatsächlich eingetretener Veränderungen im Bereich der Innungsbetriebe der Klägerin, welche die Klägerin im Übrigen zumindest im Falle von Bremen früher auch gar nicht bestritten habe.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er schließt sich den Ausführungen der Beklagten an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts ergibt sich aus § 29 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klägerin hat mit der Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG die richtige Klageart gewählt. Diese ist auf die Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtet. Das angefochtene Schreiben der Beklagten vom 1. Februar 2011 stellt einen Verwaltungsakt und keine Mitteilung mit ausschließlich deklaratorischem Charakter dar. Dieses Schreiben beinhaltet eine Aufforderung der Aufsichtsbehörde gegenüber dem der Aufsicht (vermeintlich) unterstehenden Sozialversicherungsträger. In ihr wird nicht nur eine Rechtsfolge dargestellt, nämlich der Wechsel der für die Klägerin zuständigen Aufsichtsbehörde von dem Beigeladenen auf die Beklagte. Darüber hinaus fordert in dem Schreiben die Beklagte die Klägerin auch auf, ihr diverse Unterlagen vorzulegen bzw. Angaben zu machen. Sie weist zudem auf notwendige Änderungen der Satzung hin. Damit gleicht dieser Fall dem vom Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 16. Dezember 1965 (Az.: 3 RK 33/62 in SozR Nr. 3 zu GG Art. 87) entschiedenen, in dem das Bundesversicherungsamt ebenfalls nach einem (umstrittenen) Zuständigkeitswechsel die klagende Betriebskrankenkasse zur Übersendung diverser Unterlagen aufgefordert hatte. Vom BSG ist darin eine mit der Anfechtungsklage anfechtbare "Anordnung" bzw. "Verfügung" gesehen worden, ohne dass dies näher problematisiert wurde. Dieser Rechtsauffassung schließt sich der Senat auch vor dem Hintergrund an, dass der Gesetzgeber mit § 54 Abs. 3 SGG einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein gesondertes Klagerecht dergestalt eingeräumt hat, dass mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde mit der Begründung begehrt werden kann, die Anordnung überschreite das Aufsichtsrecht. Diese Regelung dient dazu, die Anfechtbarkeit aller Maßnahmen der Aufsichts- und Mitwirkungsbehörden zu gewährleisten, die in die Rechtssphäre der Selbstverwaltungskörperschaften eingreifen. Durch sie sollen Zweifel im Hinblick auf die Gestaltung der Rechtskontrolle im Verhältnis zwischen Staatsaufsicht und Selbstverwaltung ausgeräumt werden (Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Teil V Anm. I).

Unzweifelhaft handelt es sich bei Aufsichtsanordnungen als Aufsichtsmittel gemäß § 89 Sozialgesetzbuch, Vierter Teil (SGB IV) um Verwaltungsakte, gegenüber denen die verpflichtete Behörde Anfechtungsklage erheben kann. Denn inhaltlich handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (vgl. § 31 Sozialgesetzbuch, Zehnter Teil – SGB X –). Der Umfang der Bedeutung des jeweiligen Aktes ist dabei unerheblich und hat auf die Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, keine Auswirkungen. Letztlich darf bei der Bewertung des Schreibens vom 1. Feb¬ruar 2011 auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass in der Feststellung der Zuständigkeit bzw. des Zuständigkeitswechsels der aufsichtsführenden Behörden ein Element festgestellt wird, das bei einer späteren Überprüfung einer Aufsichtsanordnung Gegenstand dieser Überprüfung im Rahmen ihrer Rechtmäßigkeit ist. Im Falle der fehlenden Zuständigkeit würde dies zu einer Aufhebung der Anordnung führen.

Aus diesem Grunde ist auch das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für die Anfechtungsklage zu bejahen, obwohl die Aufsicht von der Beklagten nach denselben Rechtsgrundlagen auszuüben ist wie vom Beigeladenen. Dass von der Klägerin Unterschiede in der Aufsichtspraxis der Beklagten und des Beigeladenen gesehen werden, ist hingegen für die Begründung eines Rechtsschutzinteresses ohne Belang. Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage sind hier nicht zweifelhaft.

Die Klage ist jedoch nicht begründet, denn die Klägerin unterliegt als bundesunmittelbare Krankenkasse der aufsichtsbehördlichen Zuständigkeit der Beklagten.

Gemäß Art. 87 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ist eine Krankenkasse nach § 90 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IV nur solange landesunmittelbar, wie sich ihr Zuständigkeitsbereich nicht über das Gebiet von drei Ländern hinaus erstreckt und die betroffenen Länder ein aufsichtsführendes Land bestimmt haben. Erstreckt sie sich über einen größeren Bereich, wird sie qua Gesetz bundesunmittelbar der Aufsicht durch die Beklagte unterstellt. Für geöffnete Innungskrankenkassen, zu denen die Klägerin nach § 1 Abs. 4 Satz 1 ihrer Satzung gehört, ergibt sich der Zuständigkeitsbereich gemäß § 90a Abs. 2 SGB IV in Verbindung mit § 173 Abs. 2 Satz 2 SGB V [unsystematisch geregelt im Sechsten Kapitel zweiter Abschnitt "Wahlrechte der Mietglieder"] aus dem so genannten Erstreckungsbereich. Dieser wird bestimmt durch die Region, für die sie ihrer Satzung nach zuständig ist.

Bei geöffneten Innungskrankenkassen hängt der Erstreckungsbereich nach Auffassung des Senats vom Bestehen bzw. Nichtbestehen von Innungsbetrieben und gegebenenfalls unselbstständigen Betriebsteilen im jeweiligen Bundesland ab, wobei nach dem Gesetz kein Zehn-Mitglieder-Kriterium (wie bei den Betriebskrankenkassen) besteht. Einer von der gesetzlichen Regelung abweichenden Satzung kommt keine rechtliche Wirkung zu (Sonnhoff in Hauck/Noftz, SGB V, § 173 Rdn. 22, Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, SGB V, § 194 Rdn. 7). Der Wortlaut von § 173 Abs. 2 Satz 2 SGB V ("bestehen") verdeutlicht, dass es auf die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. auf das gegenwärtige Bestehen oder Nichtbestehen von Innungsbetrieben ankommt. Der Auslegung einer Norm werden immer durch ihren Wortlaut Grenzen gesetzt, die nicht überschritten werden dürfen. Eine abweichende Normauslegung im Sinne eines statischen Verständnisses ist vom Wortlaut nicht mehr gedeckt und deshalb auch nicht statthaft.

Daher trifft auch die Auffassung der Klägerin nicht zu, dass sie es nach der Öffnung ihrer Krankenkasse noch selbst in der Hand habe, wie weit ihr Erstreckungsbereich gehe. Ihre in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerte Zielvorstellung, nur eine allen Versicherten offenstehende Krankenkasse für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sein zu wollen, ist rechtlich mit den Öffnungsbeschlüssen (und im Übrigen auch mit der satzungsmäßigen Erstreckung auf Bremen) nicht zu vereinbaren. Gleiches gilt für § 1 Abs. 4 Satz 2 ihrer Satzung, wonach die Öffnung nur für die Gebiete der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Bremen gilt. Hat sich eine Innungskrankenkasse zur Öffnung entschlossen und dies – wie die Klägerin – in ihrer Satzung festgelegt (§ 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V), muss sie damit rechnen, dass es in ihrem Erstreckungsbereich zu Veränderungen kommen kann. Die Öffnung stellt eine grundlegende Neuausrichtung der Krankenkasse dar, durch die der sachliche Bezug zur Trägerinnung aufgegeben wird. Sie verändert den Charakter von einer handwerklich geprägten zu einer allgemein zugänglichen Kasse. Dies hat weitreichende Folgen im Organisationsrecht (vgl. §§ 157 ff. SGB V), die den Einfluss der Innungen auf organisatorische Änderungen aufheben und besondere Haftungsregelungen begründen (vgl. auch Peters in KassKomm, SGB V, § 173 Rdn. 26a).

Maßgeblich werden die Veränderungen dabei durch die betrieblichen Verhältnisse bestimmt. Kommt ein neuer Innungsbetrieb oder ein unselbstständiger Betriebsteil eines Innungsbetriebs in einem bislang nicht vom Erstreckungsbereich umfassten Land hinzu, erweitert sich dieser gewissermaßen automatisch, d. h. ohne eine Möglichkeit der Einflussnahme hierauf durch die Innungskrankenkasse. So geht auch die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur von einer so genannten "dynamischen" Zuständigkeitsregelung aus (Wiegand in Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 173 Rdn. 16 ff.; Sonnhoff in Hauck/Noftz, SGB V, § 173 Rdn. 22; Blöcher in juris PK, SGB V, § 173 Rdn. 34; Baier in Krauskopf a. a. O., § 173 Rdn. 13 ff.; Just in Becker/Kinggrehn, SGB V, § 173 Rdn. 8; Peters in KassKomm a. a. O.; Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, 710 S. 2 – anderer Ansicht Schnapp NZS 2004, Seite 113). Durch die Öffnung der Innungskrankenkasse tritt sie in den Wettbewerb der Krankenkassen ein mit der für sie in der Zukunft nicht mehr steuerbaren Folge, dass das Wahlrecht nach § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V für alle Versicherungspflichtigen und Berechtigten gilt, die in einem Land wohnen oder beschäftigt sind, in dem der Betrieb, die Betriebsstätte oder ein unselbstständiger Betriebsteil seinen Sitz hat.

Bei der Bestimmung des Erstreckungsbereichs sind dabei auch unselbstständige Betriebsteile einzubeziehen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist von der sozialversicherungsrechtlichen Einheit des Betriebs auszugehen, nach der sich die Zuständigkeit einer Krankenkasse für einen (Innungs-)Betrieb stets auch auf unselbstständige Nebenbetriebsstätten erstreckt (BSG, Urteil vom 13. Juli 1978, Az.: 8/3 RK 22/77 in juris Rdn. 18 f, anderer Ansicht Determann WzS 2001, Seite 97). Dementsprechend wird in der Gesetzesbegründung zu § 173 SGB V für die Bestimmung des Erstreckungsbereichs auch ausdrücklich auf "unselbstständige Betriebsteile" abgestellt (BT-Drucks. 12/3608 § 173 Seite 113; siehe auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Dezember 1991, L 4 KR 1793/87). Die in dieser Bundestagsdrucksache genannte Zeitform ("erstreckte") bringt dabei allerdings nicht – wie die Klägerin meint – zum Ausdruck, dass es für den Erstreckungsbereich allein auf den Zeitpunkt der erstmaligen Öffnung einer Krankenkasse ankommt. Die Gesetzesbegründung beschreibt an dieser Stelle vielmehr den Erstreckungsbereich zum Zeitpunkt der Öffnung und damit den Ausgangspunkt, nicht aber einen dauerhaft festgeschriebenen Zustand einer geöffneten Krankenkasse. Zu Recht wird daher in der Literatur (Baier in Krauskopf SGB V, § 173 Rdn. 18) darauf hingewiesen, dass einer anderen Auslegung der klare Wortlaut der Norm entgegensteht.

Eine eng am Wortlaut ausgerichtete Auslegung der Norm, die als Anknüpfungspunkt den Innungsbetrieb einschließlich seiner unselbstständigen Nebenbetriebe sieht, ist aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten, da bei den daraus folgenden Zuständigkeitsregelungen Normenklarheit herrschen muss. Der Senat hält es für verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber diesen Anknüpfungspunkt gewählt hat. Dies ist ohne Weiteres mit dem im Grundgesetz verankerten Föderalismus vereinbar, denn Art. 87 Abs. 2 GG räumt den Ländern bereits eine über das einzelne Bundesland hinausgehende Kompetenz ein, die erst bei einer Erstreckung einer Innungskrankenkasse über vier Länder endet. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre nach Auffassung des Senats viel eher die statische Betrachtungsweise, weil sich durch die betriebliche Wirklichkeit der Innungsbetriebe Innungskrankenkassen entwickeln könnten, die sich im Extremfall über das ganze Bundesgebiet erstrecken und gleichwohl unter Aufsicht eines einzelnen Landes blieben. Eine Bundeskompetenz drängt sich insoweit geradezu auf. Deshalb ist Art. 87 Abs. 2 GG verfassungskonform im Sinne einer dynamischen Zuständigkeitsregelung der Aufsicht auszulegen. Das von der Klägerin befürchtete "Hin und Her" bei der Zuständigkeit der Aufsicht bei einer dynamischen Betrachtungsweise ist eine reine Vermutung, die nicht durch Tatsachen aus der Vergangenheit belegt wurde. Selbst wenn es im Einzelfall dazu käme, muss dies in Kauf genommen werden, um klar abzugrenzen, wie weit (territorial gesehen) die Zuständigkeit der Länder geht. Die von Schikorsky (WzS 2005, Seite 97) vertretene Gegenauffassung überzeugt den Senat nicht, denn entgegen der dort geäußerten Bedenken, die Verteilung der Bund/Länder-Kompetenz sei nicht eindeutig und transparent, ist die Abgrenzung klar handhabbar (mindestens ein unselbstständiger Betriebsteil in einem vierten Land). Die Konsequenz, dass es am Ende fast nur noch bundesunmittelbare Innungskrankenkassen geben wird, hält der Senat entgegen Schikorsky nicht für problematisch, denn sie ist Abbild der betrieblichen Wirklichkeit. Genauso automatisch, wie der Zuständigkeitsbereich der Innungskrankenkasse der Reichweite seiner Mitgliedsbetriebe folgt, folgt die Aufsichtszuständigkeit dieser Entwicklung. Die Innungskrankenkasse wird quasi "von selbst" bundesunmittelbar (vgl. Kater KrV 1983, Seite 205).

Für den Senat steht fest – dies wird im Übrigen auch von keinem der Beteiligten bestritten –, dass jedenfalls die Innungsbäckerei von A mit Betriebssitz in M (Schleswig-Holstein) gegenwärtig mehrere unselbstständige Betriebsteile (Filialen bzw. Verkaufsstellen) in Hamburg und Niedersachsen (z. B. S , B , L ) unterhält. Ob dies auch gleichermaßen für weitere von der Beklagten und vom Beigeladenen genannte Betriebe (z. B. Konditorei J , Firma S und andere) zutrifft, kann daher aus o. g. Gründen genauso wie die Frage, ob dies auch schon im Zeitpunkt der Öffnung der Krankenkasse der Fall war, dahinstehen. Dem Internetauftritt der Firma von A lässt sich allerdings entnehmen, dass deren Filialen in Hamburg und Niedersachsen bereits seit den 90er Jahren bestehen.

Deshalb hat die Beklagte in dem von der Klägerin angefochtenen Verwaltungsakt zu Recht festgestellt, dass diese als bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger ihrer Aufsicht untersteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Von einer Beteiligung des Beigeladenen an der Kostentragung hat der Senat im Hinblick darauf abgesehen, dass dieser einen ausdrücklichen Antrag nicht gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Der Senat lässt die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, weil er den streiterheblichen Rechtsfragen, nicht zuletzt wegen der – soweit ersichtlich – hierzu bislang fehlenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, grundsätzliche Bedeutung beimisst.

Der Sach- und Streitstand bietet für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, sodass dieser nach § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in Höhe von 5.000,00 EUR festzusetzen ist.
Rechtskraft
Aus
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