L 9 B 68/06 AS

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 AS 42/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 B 68/06 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 16. Februar 2006 wird aufgehoben. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. aus B-Stadt bewilligt.

Gründe:

Die am 22. März 2006 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (24. März 2006), mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 16. Februar 2006 aufzuheben und der Klägerin Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. aus B-Stadt zu gewähren,

hat Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig.

Zwar hat die Klägerin die Beschwerdefrist versäumt, denn der angefochtene Beschluss wurde der Bevollmächtigten der Klägerin am 21. Februar 2006 zugestellt, die Beschwerde ist aber nicht innerhalb der Monatsfrist (§ 173 SGG), sondern erst am 22. März 2006 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen. Der Klägerin ist aber von Amts wegen Wiedereinsetzung nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gewähren, weil sie ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Sie durfte nämlich davon ausgehen, dass die am 20. März 2006 aufgegebene Sendung nach dem üblichen Postlauf einen Tag nach Aufgabe zur Post bei dem Empfänger eingehen wird (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 67 Rdnr. 6a m.w.N.).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]).

Zwar ist zweifelhaft, ob es sich bei der Meldeaufforderung nach §§ 59 SGB II, 309 SGB III um einen Verwaltungsakt handelt (Düe in: Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, § 309 Rdnr. 6 m.w.N.; vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 2005 – B 11a/11 AL 39/04 R – SGb 2005, 594 m.w.N.). Geht man – wie das Sozialgericht – davon aus, dass die Meldeaufforderung keinen selbstständig anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt und ein Sanktionsbescheid nicht erlassen wurde, sprechen diese Umstände zwar für die Unzulässigkeit einer gegen die Meldeaufforderung gerichteten Klage. Das Sozialgericht hat allerdings unter Berücksichtigung dieses Lösungsansatzes übersehen, dass die Beklagte die Meldeaufforderung als Verwaltungsakt angesehen und dementsprechend den dagegen erhobenen Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen hat. Ergeht hinsichtlich der erledigten Meldeaufforderung ein Widerspruchsbescheid, so ist der Arbeitslose beschwert. Denn durch die Zurückweisung des Widerspruchs wird der Eindruck erweckt, die Meldeaufforderung sei bestandskräftig geworden. Der Widerspruchsbescheid ist dann aufzuheben (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. November 2005 – L 6 AL 60/04 –; BVerwG vom 20. Januar 1989 - 8 C 30/87BVerwGE 81, 226). Das Sozialgericht hätte daher die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage bejahen müssen.

Gleiches gilt, wenn man die Meldeaufforderung als Verwaltungsakt ansieht. In diesem Falle hätte sich die Meldeaufforderung, in der für die Erfüllung der Meldeobliegenheit ein genau bestimmter Zeitpunkt (14. Dezember 2005) festgelegt war, durch Zeitablauf erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass von ihr keine belastenden Wirkungen mehr ausgingen. Die Klage könnte dann als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG zulässig sein (zu den Voraussetzungen vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. November 2005 s.o. m.w.N.), soweit ein Feststellungsinteresse der Klägerin zu bejahen ist. Sollte das Sozialgericht diesem Ansatz folgen, wird es die Frage der Wiederholungsgefahr zu prüfen haben. Insoweit hat die Beklagte ihr Verhalten (bewusste Terminsüberschneidung zur Verhinderung des Auftretens von Beiständen) in der örtlichen Presse ausdrücklich gerechtfertigt (Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, Ausgabe für die Stadt Witzenhausen / Nordhessen vom 18. Januar 2006).

Hinsichtlich der Begründetheit einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen:

Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X kann ein Beteiligter zu Verhandlungen und Besprechungen mit einem Beistand erscheinen. Beistand ist eine Person des Vertrauens, die nicht Bevollmächtigter ist (Rixen in: LPK-SGB X, 1. Aufl. 2004, § 13 Rdnr. 22). Daraus, dass es sich bei dem Beistand um eine Person des Vertrauens handelt, folgt zwingend, dass der Beteiligte die Person auswählen kann; er hat also entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur Anspruch auf irgendeinen Beistand. Der Beteiligte hat aber keinen Anspruch auf mehrere Beistände. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X (vgl. Rixen s.o. Rdnr. 23). Der Beistand muss auch nicht bei der Behörde (vor-) angemeldet werden; es genügt, wenn der Beistand zusammen mit dem Beteiligten präsent ist (Rixen s.o. m.w.N.). Durch die von der Beklagten praktizierte bewusste Terminsüberschneidung zur Verhinderung des Auftretens von Beiständen wird die Inanspruchnahme eines bestimmten Beistandes vereitelt. Diese Praxis dürfte mit dem Zweck der Regelung des § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht vereinbar sein. Zuzugestehen ist der Beklagten aber, dass sie es nicht hinnehmen muss, dass Besprechungstermine mit Hilfeempfängern zur Frage der Eingliederung in den Arbeitsmarkt von Beiständen durch "belehrende Monologe" konterkariert werden, und Hilfeempfänger dabei nicht zu Wort kommen. Die Beklagte muss sich dabei aber den im Gesetz zugelassenen Instrumentarien bedienen. Insoweit hat sie die Möglichkeit, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 13 Abs. 5 bis 7 SGB X) den Beistand, etwa wenn er zum sachgemäßen Vortrag nicht fähig ist (§ 13 Abs. 6 Satz 1 SGB X), ganz oder teilweise zurückzuweisen. Nicht möglich ist aber der indirekte Ausschluss des Beistandes durch eine zeitgleiche Meldeaufforderung.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Bewilligungsverfahren wie das Hauptsacheverfahren kostenfrei ist (§ 183 SGG) und eine Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten nicht stattfindet (§ 73a SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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