L 9 R 3714/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 922/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3714/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1950 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und 1973 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Er war in der Zeit von 1973 bis 2002 mit Unterbrechungen als ungelernter Maurer und Hilfsarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 01.03.2003 bis 28.02.2006 war er als selbstständiger Kurierfahrer tätig. Für diesen Zeitraum sind Pflichtbeiträge für die gesetzliche Rentenversicherung im Versicherungsverlauf des Klägers vermerkt. Die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit wurde mit einem Existenzgründungszuschuss der damaligen Bundesanstalt für Arbeit bis 28.02.2006 gefördert. Seit dem 01.05.2006 ist der Kläger arbeitslos (unterbrochen durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung vom 06.08.2007 bis 30.09.2007) und bezieht Arbeitslosengeld II.

Am 20.11.2008 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der den Kläger im Auftrag der Beklagten untersuchende Dr. S. stellte in seinem Gutachten vom 29.01.2009 ein Wirbelsäulen-Syndrom mit degenerativen Veränderungen, Kalksalzminderung, muskulärer Dysbalance und partiellen Bewegungsminderungen ohne radikuläre motorische Defizite, beginnende Hüftgelenksverschleißerscheinungen ohne belangvolle Bewegungseinschränkungen, einen erhöhten Blutdruck sowie ein Körperübergewicht fest. Er hielt die rehabilitativen Möglichkeiten für noch nicht ausgeschöpft. Bei einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit rate er zur Durchführung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme mit orthopädischem Schwerpunkt.

Der Kläger befand sich daraufhin auf Veranlassung der Beklagten vom 11.03.2009 bis 01.04.2009 zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik Ü. im A ... In deren Entlassungsbericht vom 03.04.2009 wurde über ein chronisches Schmerzsyndrom mit reaktiver depressiver Verstimmung, Lumboischialgien bei schweren degenerativen Veränderungen, muskulärer Insuffizienz und myostatischer Überlastung, Cervicocephalgien, ein metabolisches Syndrom mit bauchbetonter Adipositas, eine Hypertonie und HDL-Mangel sowie über ein thorakales Wirbelsäulen-Syndrom berichtet. Die Leistungsfähigkeit für die Tätigkeit eines Kurierfahrers sei auf drei bis unter sechs Stunden eingeschränkt. Ebenso seien leichte Tätigkeiten in Tagesschicht nur drei bis unter sechs Stunden möglich. Es werde von einer depressiven Überlagerung bei chronischem Schmerzsyndrom ausgegangen, sodass der Kläger teilweise auch eine erreichte Verbesserung nicht wahrnehme. Die Entlassung erfolge als zunächst noch arbeitsunfähig, die Fortführung der antidepressiven Therapie werde aber zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen führen. Aufgrund der allgemein verminderten Belastbarkeit könnten ihm nur noch körperlich und psychisch leichte Tätigkeiten vier- bis sechsstündig zugetraut werden. Dabei sollte der Wechsel der Arbeitshaltung möglich sein und länger anhaltende Zwangshaltungen und schweres Heben vermieden werden. Problematisch stellten sich auch die Verständigungsschwierigkeiten dar. Anforderungen an eine rasche Umstellungsfähigkeit und ein schnelles Reaktionsvermögen könnten nicht gestellt werden. Die Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erschienen gering, obwohl eine Teilzeitbeschäftigung eher positiv gesehen werde.

Mit Bescheid vom 11.05.2009 lehnte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsminderung ab. Sie ging davon aus, dass der Kläger mit seinem vorhandenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten von mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch verwies der Kläger auf auftretende Nacken- und Kopfschmerzen, schwere Depressionen "mit Folgen", eine Tagesmüdigkeit, Erregungszustände, Durchschlafstörungen, schwere Kreuzschmerzen, Lähmungserscheinungen und eine Gehbehinderung sowie auf immer wieder auftretende Brustschmerzen. Die Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und beauftragte Dr. S. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens. Dr. S. stellte in seinem Gutachten vom 04.11.2009 Anpassungsstörungen, Wirbelsäulen-Veränderungen ohne sensomotorische Ausfälle sowie beginnende degenerative Hüftgelenksveränderungen fest. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei der Kläger durchaus in der Lage, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr auszuüben. Er könne leichte körperliche Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitshaltungen in Tagesschicht oder Früh-/Spätschicht verrichten. Tätigkeiten mit dem Erfordernis einer uneingeschränkten Konzentration und Reaktion seien nicht leidensgerecht. Das Umstellungs- und Anpassungsvermögen sei nicht eingeschränkt. Tätigkeiten mit vermehrtem Publikumsverkehr sollten gegenwärtig und vorläufig nicht wahrgenommen werden. Auch seien Tätigkeiten mit vermehrten emotionalen Belastungen nicht leidensgerecht. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 15.03.2010 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben.

Zur Begründung hat er auf einen Bandscheibenvorfall im August 1996 verwiesen, auf sein Wirbelsäulenleiden und Hüftgelenksbeschwerden sowie auf die Angaben seiner behandelnden Ärzte.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen beim Orthopäden Dr. L. (sachverständige Zeugenaussagen vom 17.12.2010 und 14.02.2011 [Blatt 29 f. und 46 ff. der Gerichtsakte]), beim Orthopäden Dr. N. (sachverständige Zeugenaussage vom 17.02.2011 [Bl. 56 der Gerichtsakte]) und beim Neurologen und Psychiater Dr. S. (sachverständigen Zeugenaussage vom 27.04.2011 [Bl. 63 f. der Gerichtsakte]). Wegen der gemachten Aussagen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.07.2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, auch nicht bei Berufsunfähigkeit. Der Kläger könne den Beruf des Kurierfahrers zur Überzeugung der Kammer nicht mehr vollschichtig, also nicht mehr wenigstens sechs Stunden täglich bei einer 5-Tage-Woche verrichten. Dies ergebe sich aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen. Der Kläger leide an einem Wirbelsäulensyndrom, an degenerativen Veränderungen im Sinne von Spondylose sowie Osteochondrose, einer Kalksalzminderung, einer muskulären Dysbalance, an partiellen Bewegungsminderungen ohne radikuläre motorische Defizite und an beginnenden Hüftgelenksverschleißerscheinungen ohne belangvolle Bewegungseinschränkungen. Aufgrund dieser Erkrankungen sei ein Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen erforderlich, was nach Auffassung der Kammer zwar durch die Kurierfahrertätigkeit an sich gewährleistet sei. Bei dieser Tätigkeit sei jedoch ein Heben und Tragen von schweren Lasten nicht zu vermeiden. Auf psychiatrischem Fachgebiet lägen bei dem Kläger Anpassungsstörungen vor. Hiermit seien ausweislich der Ausführungen von Dr. S. qualitative Leistungseinschränkungen für eine uneingeschränkte Konzentration und Reaktion verbunden, weshalb die vollschichtige Ausübung einer Tätigkeit als Kurierfahrer nicht mehr leidensgerecht sei. Der Kläger sei aber nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Tätigkeit als selbstständiger Kurierfahrer sei dem des Ungelernten zuzuordnen. Hierfür bedürfe es allein einer Einarbeitung, die jedenfalls nicht über drei Monate hinausgehe. Der Kläger verfüge insoweit weder über eine darüber hinausgehende Ausbildung noch seien mit dieser Tätigkeit besondere Anforderungen verbunden, die eine Höherstufung nach dem sogenannten Mehrstufenschema rechtfertigen könnten.

Der Kläger könne darüber hinaus leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ohne vermehrten Publikumsverkehr und ohne vermehrte emotionale Belastung, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten, ohne länger anhaltende Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Nachtschicht, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Klettern oder Steigen, ohne besonderen Zeitdruck (z. B. Akkord, Fließband), ohne Gefährdung durch Kälte, Nässe und Zugluft, ohne besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen) noch sechs Stunden täglich verrichten. Das in der Rehaklinik diagnostizierte chronische Schmerzsyndrom habe von Dr. S. nicht bestätigt werden können und sei im Übrigen auch von dem behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. S. nicht festgestellt worden. Soweit im ärztlichen Entlassungsbericht im Rahmen des positiven und negativen Leistungsbildes ausgeführt werde, der Kläger könne noch vier bis sechs Stunden täglich arbeiten, stehe dies in Übereinstimmung mit der Annahme eines vollschichtigen Leistungsvermögens. Ein solches läge nämlich bereits dann vor, wenn der Kläger sechs Stunden arbeitstäglich Tätigkeiten verrichten könne. Von einem solchen vollschichtigen Leistungsvermögen gingen auch Dr. S. und Dr. S. aus.

Gegen den ihm am 28.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 29.08.2011 (Montag) Berufung eingelegt.

Er hält daran fest, nicht in der Lage zu sein, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Er habe seinen zuletzt ausgeübten Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Zuvor habe er jahrelang als Maurer gearbeitet, sodass er einen entsprechenden Berufsschutz genieße. Die sogenannten Verweisungstätigkeiten und das sogenannte Mehrstufenschema stellten eine offensichtliche Diskriminierung ungelernter Menschen dar und seien im Hinblick auf Artikel 3 Grundgesetz und den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verfassungsrechtlich bedenklich. Danach würden Angestellte sowie Menschen, die überwiegend eine geistige Tätigkeit ausübten, im Vergleich zu Menschen, die körperlich arbeiteten, ohne sachlichen Grund besser gestellt. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung sei nicht zu ersehen. Wie die Beklagte trotz der offengelegten qualitativen Leistungseinschränkungen noch zu einem Arbeitsvermögen von wenigstens sechs Stunden komme, bleibe ihr Geheimnis. Er leide sehr wohl unter dem in der Rehaklinik vom 03.04.2009 diagnostizierten chronischen Schmerzsyndrom.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. Juli 2011 sowie den Bescheid vom 11. Mai 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 2. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat Dr. I., H. als Sachverständigen nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehört. Das auf zwei Seiten ohne Wiedergabe des Akteninhaltes und ohne Darlegung von Untersuchungsbefunden vorgelegte Gutachten (eingegangen 26.03.2012) hat ausgeführt, dass der Kläger an schweren Depressionen mit psychosomatischer Ausbreitung, Antriebsmangel, innerlicher Unruhe, sozialem Rückzug, Durchschlafstörungen, Verhaltensstörungen, seelischen Erschöpfungszuständen, arterieller Hypertonie und Kreislaufdysregulationen, chronischer Bronchitis mit rezidivierenden Bronchitiden, einem akuten thorakalen Syndrom, somatoformen Schmerzstörungen, immer wieder auftretenden akuten Polyarthralgien, Lumboischialgien, akuten rezidivierenden HWS-/BWS-/LWS-Syndromen, Arthralgien, Cervicocephalgien, Osteopathie, rezidivierenden Otalgien leide. Hierdurch bestünden ein Klopfschmerz über dem BWS-/LWS-Bereich, Lasègue positiv, intermittierende Wurzel-reizsymptomatiken, in allen Ebenen schmerzhaft eingeschränkte Hüftbewegungen, Lumbo-ischialgien, eine Gehbehinderung, arterielle Hypertonie mit Kreislaufdysregulationen, eine chronische Bronchitis mit rezidivierenden Bronchitiden, Cervikocephalgien (Bewegungen des Cervikalbereiches schmerzhaft eingeschränkt), ein paravertebraler Muskelhartspann, eine somatoforme Schmerzstörung, akute rezidivierende Arthralgien, akute Cephalgieanfälle und ein schwerster Leistungsknick. Aufgrund der gesamten Diagnosen und Symptomatiken sowie auch altersbedingt sei der Patient aus seiner ärztlichen Sicht als primär behandelnder Arzt nur unterhalb von drei Stunden täglich in der Lage zu arbeiten. Wegen der schweren Depressionen bestünden ein schwerer Leistungsknick, Antriebsmangel, innerliche Unruhe, sozialer Rückzug sowie Durchschlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Hirnleistungsstörungen. Eine Arbeit könne daher nicht ausgeübt werden können. Wegen der schweren Wirbelsäulenbeschwerden im HWS-/BWS-Bereich sowie wegen immer wieder auftretender Myotendopathien sei eine Tätigkeit nur unterhalb von drei Stunden möglich. Aufgrund der Reizbarkeit, der immer wieder auftretenden Polyarthralgien sowie der immer wieder akut auftretenden Cervikocephalgien sei keine Erwerbsfähigkeit mehr gegeben. Hierzu hat er Befundberichte des Neurologen und Psychiater Dr. S., des Orthopäden und Chirurgen Dr. L. sowie einen Bericht über eine Computertomografie des Schädels des Radiologischen Zentrums S. vom 30.05.2011 und den Reha-Entlassungsbericht der Klinik Ü. vorgelegt.

Unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme von Medizinaldirektor Lemmerhofer hielt die Beklagte daran fest, dass der geltend gemachte Anspruch nicht bestehe.

Hierauf hat der Kläger nochmals erwidert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit - §§ 43, 240 SGB VI - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit deshalb nicht besteht, weil der Kläger noch wenigstens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück.

Ergänzend hierzu ist unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses im Berufungsverfahren darauf hinzuweisen, dass sich eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage auch nicht mit dem auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholten Gutachten von Dr. I. begründen lässt. Das Gutachten wurde offensichtlich ohne erneute Untersuchung erstellt und ohne dass der Sachverständige angibt, auf welche Befunde er die Vielzahl der wiedergegebenen Diagnosen stützt. Soweit er in diesem Zusammenhang auf die mit dem Gutachten eingereichten Befundberichte (u.a. Berichte von Dr. S. v. 23.11.2009, 05.08.2011, 15.12.2011, 09.03.2012; Dr. L. v. 05.11.2010 und 01.12.2011 und den Reha-Entlassungsbericht der Reha-Klinik Ü. vom 02.04.2009) verweist, ergibt sich hieraus nichts Neues, da diese bereits weitgehend Gegenstand sozialmedizinischer Beurteilung und Begutachtung gewesen sind. Eine Verschlimmerung der von Dr. S. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 27.04.2011 mitgeteilten Befunde lässt sich den Berichten vom 09.03.2012 und 15.11.2012 ("depressive Episode") nicht entnehmen. Über die dort beschriebenen Hemmungen, eine Niedergeschlagenheit, eine reduzierte affektive Schwingungsfähigkeit und eine reaktiv ausgelöste depressive Episode berichtete Dr. S. schon im Rahmen dieser Zeugenaussage, ohne dass er hierdurch eine quantitative Leistungsminderung auf unter sechs Stunden für begründet ansah. Der Senat sieht daher keine Veranlassung, an der bereits von Dr. S. abgegebenen Leistungsbeurteilung zu zweifeln, wonach dem Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch weiterhin wenigstens sechs Stunden am Tag zumutbar sind. Die von Dr. I. genannte Diagnose einer schweren Depression mit psychosomatischer Ausbreitung lässt sich weder mit dem Gutachten selbst noch mit den vorliegenden Befundberichten behandelnder Ärzte verifizieren und vermag daher schon deshalb nicht zu überzeugen. Gleiches gilt für den von ihm beschriebenen schweren Leistungsknick, die Konzentrationsstörungen und für die Hirnleistungsstörungen. Auch insoweit finden sich keine Befunde, die die entsprechenden Diagnosen rechtfertigen könnten. Vielmehr hat Dr. S. solche in seinem Gutachten gerade ausgeschlossen. Damit setzt sich Dr. I. aber nicht auseinander, weshalb seine hieraus abgeleitete Leistungsbeurteilung auch nicht zu überzeugen vermag. Der Senat sieht darüber hinaus die Annahme im Reha-Entlassungsbericht der Klinik Ü., der Kläger leide an einem Schmerzsyndrom, durch das Gutachten von Dr. S. und die Stellungnahme des behandelnden Nervenarztes Dr. S. für widerlegt an.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht für die auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Einschränkungen. Auch hier lässt das Gutachten eigene Befunderhebungen vermissen. Hierzu liegen die sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. L. vom 17.12.2010 und 14.02.2011 (zweimaliger Behandlung im November 2010, Diagnose: Lumboischialgie) und von Dr. N. vom 17.02.2011 vor. Dr. N. berichtete über eine Behandlung des Klägers zwischen dem 26.11.2007 und 02.03.2009 wegen eines BWS-Syndroms mit Blockierung CTÜ (12/08 bis 03/09), wegen einer Osteopenie und eines degenerativen LWS-Syndroms. Hieraus lassen sich zeitliche Leistungseinschränkungen nicht ableiten. Wegen der degenerativen Hüftgelenksveränderungen, wie sie Dr. S. in seinem im Urkundenbeweis verwertbaren Gutachten beschrieben hat, sowie wegen der Wirbelsäulenveränderungen ohne sensomotorische Ausfälle lassen sich allenfalls qualitative Einschränkungen begründen, die - wie das SG zutreffend begründet hat - die beantragte Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu rechtfertigen vermögen.

Der Kläger ist somit nicht erwerbsgemindert, zumal sich auch in der Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein Leistungsvermögen von täglich weniger als sechs Stunden begründen lässt. Insbesondere muss für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten - anders als bei Teilzeitkräften - weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden, noch ist die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 u.a. SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass das SG die beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit schon deshalb abgelehnt hat, weil der Kläger keinen Berufsschutz für seine selbstständige Tätigkeit als Kurierfahrer (noch für die ebenfalls ungelernte Tätigkeit als Maurer und Hilfsarbeiter) in Anspruch nehmen kann. Soweit der Kläger geltend macht, "das so genannte Mehrstufenschema" stelle eine offensichtliche Diskriminierung ungelernter Menschen dar und sei mit dem "Gleichbehandlungsgrundsatz" nicht vereinbar, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Es ist schon nicht ersichtlich, was der Kläger konkret geltend macht. Denn die Entscheidung des SG stellt klar, dass eine Verweisungstätigkeit nicht benannt werden muss, weil der Kläger über keine Berufsausbildung verfügt und eine mit einer solchen vergleichbare Tätigkeit nicht ausgeübt hat. Nach § 240 Abs. 2 S. 2 SGB VI umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umgangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Gegenstand der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Rahmen des Mehrstufenschemas ist die Ausgestaltung des Begriffes der "Zumutbarkeit", welche das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 10.11.1981 (1 BvL 18/77, 1 BvL 19/77, zitiert nach Juris) schon zur Vorgängerregelung (§ 1246 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung [RVO]) nicht beanstandet hat. Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen, zumal sich der Kläger mit dieser Rechtsprechung auch nicht auseinandergesetzt hat.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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