S 18 KR 387/09

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 387/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Bemerkung
Rehabilitationssport im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX muss tatsächlich ärztlich betreut und überwacht sein; die bloße "Rufbereitschaft" eines Arztes reicht nicht aus. Das setzt voraus, dass der Arzt zu den Patienten tatsächlich in Kontakt tritt, über
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Gewährung von Rehabilitationssport.

Am 02.03.2009 beantragte die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung des Facharztes für Orthopädie Dipl.-Med. F. die Gewährung von 50 Übungseinheiten in 18 Monaten Gymnastik als Rehabilitationssport im Reha- und Gesundheitssportverein D. e.V. wegen chronischer Wirbelsäulenbeschwerden (Postnukleotomiesyndrom, chronische Zerikobrachialgie, chronischer Lumbago, Gonarthose beidseits, Thorakalsyndrom) zur Vermeidung einer Verschlimmerung und Stabilisierung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05.03.2009 ab. Die Klägerin habe bereits zu Lasten der Beklagten am Rehabilitationssport teilgenommen und könne das Erlernte nun im Alltag anwenden. Den unter Hinweis auf die krankheitsbedingten Einschränkungen (insbesondere Kniegelenkarthrose), die individuelle Betreuung und die Geräteausstattung in der Rehabilitationssportgruppe sowie den therapeutischen Effekt des Rehabilitationsports - im Gegensatz zur Rückenschule - erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2009 zurück. Rehabilitationssport unter Aufsicht eines Übungsleiters sei nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung beim gegenwärtigen Krankheitsbild und den derzeitigen Beschwerden medizinisch nicht mehr notwendig, die Klägerin könne in Eigenregie weiter üben.

Hiergegen richtet sich die am 13.07.2009 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage, mit der die Klägerin sinngemäß beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2009 zu verurteilen, ihr weiterhin Rehabilitationssport zu gewähren. An den gesundheitlichen Einschränkungen, die der vorangegangenen Bewilligung von Rehabilitationssport zu Grunde lagen, habe sich nichts geändert, so dass die Leistung weiter zu gewähren sei. Die Physiotherapeutin der Rehabilitationssportgruppe habe die Leistungen laufend mit dem Krankheitsbild abgestimmt, ständig variiert und angepasst. Dies sei in einem Fitnessstudio nicht der Fall. Daheim fehlten ihr die Geräte für Muskelaufbau und -stabilisierung.

Die Beklagte beantragt die Klageabweisung. Sie beruft sich auf eine weitere Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 08.06.2009, in der Dipl.-Med. Krause die Auffassung vertritt, das geforderte individuelle Eingehen auf die aktuelle Schmerzsituation jedes Patienten und die Korrektur der Übungen unter Anpassung an die Belastbarkeit überschreite den inhaltlichen Rahmen des Rehabilitationssports. Ein solches Training sei, wenn es medizinisch erforderlich sei, im Rahmen gerätegestützter Krankengymnastik in Gruppen bis drei Personen durchzuführen. Übungen an technischen Geräten seien in der Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining ausgeschlossen. Es sei schon kein Grund erkennbar, warum das Übungsprogramm ständig durch einen Therapeuten den Schmerzzuständen angepasst werden müsse.

Auf Anfrage des Gerichts teilte der behandelnde Facharzt für Orthopädie, Dipl.-Med. F., mit, die Klägerin könne die Übungen zwar auch in Eigenregie durchführen, jedoch sollten eine regelmäßige Betreuung durch einen Sport- bzw. Physiotherapeuten sowie eine optimale Anpassung des Übungsprogramms an den Schmerzzustand ermöglicht werden. Es bedürfe nicht zwingend gerätegestützer Übungen. Diese seien für die betroffenen Funktionsgruppen jedoch zielgerichteter, effektiver und therapeutisch wirksamer. Das Gericht hat den Abschlussbericht der stationären Rehabilitationsmaßnahme in Bad W. (vom 07.01. bis 28.01.2010) beigezogen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Auskunft des Arztes vom 26.04.2010, den Rehabilitationsentlassungsbericht und das Schreiben des Reha- und Gesundheitssportvereins D. e.V. von September 2012 (Bl. 34 bis 36, Bl. 52 bis 61 und Bl. 101 der Sozialgerichtsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann über den Rechtsstreit gemäß § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten auf Anfrage keine Gründe vorgetragen haben, die einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid entgegen stehen.

Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide vom 05.03.2009 und vom 18.06.2009 sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Leistung als Rehabilitationssport zu Lasten der Beklagten.

Beantragt hat die Klägerin - wie auch ärztlich verordnet - Rehabilitationssport. Die begehrte Leistung wird vom Reha- und Gesundheitssportverein D. e.V. auch ausdrücklich als Rehabilitationssport angeboten. Rehabilitationssport kann wegen der spezifischen Zielrichtung und Inhalte des Rehabilitationssports (dazu eingehend Bundessozialgericht, Urteil vom 02.11.2010, Az. B 1 KR 8/10 R, Rn. 18 ff.) nicht durch andere Leistungen wie beispielsweise Übungsbehandlung und Krankengymnastik im Bewegungsbad (§ 32 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b und Nr. 3 Buchst. b der Heilmittel-Richtlinie) oder Funktionstraining (§ 44 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) ersetzt und der den Gegenstand des Verfahrens bestimmende Antrag der Klägerin demzufolge auch nicht im Sinne solcher Leistungen, die zudem als solche nicht ärztlich verordnet sind (vgl. § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V, § 3 Abs. 1 Satz 1 Heilmittel-Richtlinie), umgedeutet werden.

Der Umfang, in dem Rehabilitationssport von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst ist, ergibt sich aus § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX. Danach werden die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ergänzt durch ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung, einschließlich Übungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Frauen und Mädchen, die der Stärkung des Selbstbewusstseins dienen.

Die hier beantragte Gymnastik im Reha- und Gesundheitssportverein D. e.V. entspricht nicht den in § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX als Rehabilitationssport definierten Leistungen, die von den Trägern der Rehabilitation zu gewähren sind. Ausweislich der Auskunft des Reha- und Gesundheitssportvereins e.V. von September 2012 fehlt es an der ärztlichen Betreuung und Überwachung der Gruppen. Im Gegensatz zum ärztlich verordneten Funktionstraining in Gruppen (§ 44 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX), reicht für Rehabilitationssport eine nur "fachkundige Anleitung und Überwachung" (z.B. durch Physiotherapeuten, Rückenschullehrer und Übungsleiter mit C-Lizenz) nicht aus. Ein Facharzt für Orthopädie und Chirurgie ist hier zwar im Haus erreichbar, jedoch nicht anwesend. Nr. 12.1 Satz 1 Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining sieht dagegen die Betreuung der Rehabilitationssportgruppen durch einen Arzt vor, der die Teilnehmer und den Übungsleiter bei Bedarf während der Übungsveranstaltung berät. Das setzt zwar keine ständige Anwesenheit voraus, eine bloße "Rufbereitschaft" für Bedarfsfälle genügt jedoch nicht. Um den gesetzlichen Vorgaben des § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX zu genügen, muss eine Betreuung und Überwachung tatsächlich erfolgen und nicht nur möglich sein. Das setzt voraus, dass der Arzt zu den Patienten tatsächlich in Kontakt tritt, über die individuellen Befunde und das jeweilige Trainingsprogramm informiert ist und sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit selbst ein Bild über den aktuellen Zustand der Teilnehmer und die Übungsmaßnahmen verschafft, um die Tätigkeit des Übungsleiters fachübergreifend zu begleiten und ggf. gemeinsam mit diesem die Ausgestaltung des Übungsprogramms dem jeweils aktuellen Gesundheits- und Trainingszustand der Patienten individuell anzupassen. Übungen ohne solche Betreuung und Überwachung durch den Arzt sind vom gesetzlichen Begriff des Rehabilitationssports als Leistung der Krankenversicherung nicht umfasst.

Auch soweit die Klägerin ihr Klagebegehren mit der Notwendigkeit von Übungen an Geräten zum Muskelaufbau und zur Muskelstabilisierung begründet, entspricht die beantragte Gymnastik nicht den Voraussetzungen des Rehabilitationssports nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX. Zwar hat der behandelnde Orthopäde wegen des intensiveren und nachhaltigeren Therapieeffekts ausdrücklich Geräteübungen empfohlen. Dem stehen indessen die inhaltlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Rehabilitationssports in Nr. 4.7 3. Spstr. der Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining entgegen. Danach sind vom Rehabilitationssport und Funktionstraining Maßnahmen ausgeschlossen, die Übungen an technischen Geräten beinhalten, die zum Muskelaufbau oder zur Ausdauersteigerung dienen (z.B. Sequenztrainingsgeräte, Geräte mit Seilzugtechnik, Hantelbank, Arm-/Beinpresse, Laufband, Rudergerät, Crosstrainer); eine Ausnahme stellt insoweit lediglich das Training auf Fahrradergometern in Herzgruppen dar. Ärzte sind nicht befugt, die Prüfung der wirtschaftlichen Verordnung von Heilmitteln an Hand von Richtgrößen nach § 84 Abs. 8 Satz 1 und Abs. 6 Satz 4 in Verbindung mit § 106 Abs. 5a SGB V zu umgehen, indem sie Versicherten an Stelle medizinisch gebotener Heilmittel (z.B. gerätegestützte Krankengymnastik) Rehabilitationssport verordnen. Stellen sich die erbrachten Leistungen dann tatsächlich als Heilmittel dar, steht einer Kostenübernahme der als Rehabilitationssport deklarierten Leistungen durch die Krankenkasse entgegen, dass einerseits der verordnete Rehabilitationssport tatsächlich nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechend durchgeführt und andererseits die tatsächlich erbrachten Heilmittel nicht ärztliche verordnet worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 SGG. Die Berufung ist gemäß § 143 SGG kraft Gesetzes zulässig; dabei geht das Gericht davon aus, dass die begehrte gerätegestützte Behandlung in Gruppen mit individueller Betreuung durch eine Physiotherapeutin als Selbstzahlerleistung in Physiotherapiepraxen zu Preisen von ca. 35,00 EUR je Einheit (Beihilfesatz für medizinische Trainingstherapie und gerätegestützte Krankengymnastik) angeboten wird und deshalb 50 Einheiten die Erwachsenheitssumme von 750,00 EUR überschreiten. Die rechtlich unzutreffende Deklarierung als Rehabilitationssport ist insoweit unerheblich. Maßgeblich für den Wert einer Dienstleistung sind die von der Klägerin für die gleiche Leistung alternativ privat aufzuwendenden Kosten.
Rechtskraft
Aus
Saved