L 10 R 85/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 3484/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 85/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23.11.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung strei-tig.

Der am 1950 geborene, aus dem ehemaligen J. stammende Kläger absolvierte in seinem Hei-matland ein Studium zum "Ökonom". Eine sonstige Berufsausbildung hat er nicht. Seit 1993 lebt er in Deutschland und war zuletzt bis Februar 2007 als Gipser und Stuckateur beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis endete aus betriebsbedingten Gründen aufgrund der schlechten Auftragslage. Seither ist der Kläger arbeitslos.

Vom 01. bis 23.08.2007 wurde der Kläger in der Reha-Klinik Ü. unter den Diagnosen eines thorakalen Schmerzsyndroms bei extremer fixierter Kyphose sowie eines psychophysischen Er-schöpfungszustandes bei chronischen Schmerzen und Belastungssituation stationär behandelt. Die behandelnden Ärzte erachteten leichte Tätigkeiten ohne lang anhaltende Zwangshaltungen und ohne ständiges Arbeiten mit den Armen über Kopf noch sechs Stunden und mehr für mög-lich; die zuletzt ausgeübte Tätigkeit wollten sie dem Kläger lediglich noch drei bis unter sechs Stunden täglich zumuten.

Nachdem ein erster im August 2008 gestellter Rentenantrag nach Einholung eines Gutachtens bei dem Orthopäden Dr. R. (Diagnosen: wiederkehrendes Brust- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom bei Fehlhaltung in Kombination mit einer Bandscheibendegeneration, Neigung zu Ma-genschleimhautentzündungen; Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich und mehr, für die Tätigkeit als Gipser weniger als drei Stunden täglich) erfolglos geblieben war, beantragte der Kläger im März 2009 erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminde-rung und verwies auf die zuvor erlittenen Lungenembolien. Der daraufhin mit einer Begutach-tung beauftragte Internist Dr. C. , der den Kläger im Juni 2009 untersuchte, führte aus, der Klä-ger habe im Februar 2009 vor dem Hintergrund einer tiefen Beinvenenthrombose rechts Lungen-embolien beidseits erlitten und er sei vor wenigen Tagen an einem Leistenbruch operiert worden. Aufgrund dessen sah er sich zu einer abschließenden Leistungsbeurteilung nicht in der Lage und schlug die Durchführung einer vorzeitigen Rehabilitationsmaßnahme vor. Die Beklagte stellte die Entscheidung über den Rentenantrag daraufhin zunächst zurück und bewilligte dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die er vom 23.09. bis 21.10.2009 in der Reha-Klinik Ü. durchführte (Diagnosen: chronisches Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung [fixierte BWS-Kyphose] und muskuläre Insuffizienz, deutliche Bewegungseinschränkung der LWS und der BWS, Zustand nach Lungenembolie bei tiefer Beinvenenthrombose rechts 02/09, Restbeschwer-den nach Herniotomie rechts, leichtgradige kombinierte Lungenfunktionsstörung). Ausweislich des Entlassungsberichts wurde der Kläger für fähig erachtet, leichte bis mittelschwere Tätigkei-ten möglichst im regelmäßigen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen sechs Stunden und mehr zu verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit länger dauernden Körperzwangshaltun-gen, häufigem Bücken sowie Überkopfarbeiten. Mit Bescheid vom 16.11.2009 lehnte die Be-klagte den Antrag des Klägers daraufhin mit der Begründung ab, mit dem vorhandenen Leis-tungsvermögen könne er Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumindest noch sechs Stunden täglich verrichten und sei daher weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Der dage-gen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit am 04.06.2010 zur Post gegebenen Wider-spruchsbescheid vom 02.06.2010 zurückgewiesen.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 06.07.2010 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage und machte im Wesentlichen geltend, Erwerbsminderung liege bereits aufgrund der stets vorhandenen Rückenschmerzen wegen seiner schweren thorakalen Kyphose und der als Folge der im Februar 2009 erlittenen Lungenembolie bestehenden Lungenfunktionsstörung vor. Hinzu komme, dass er angesichts des erlittenen Fersenbeinbruchs Probleme habe, schmerzfrei zu gehen.

Das SG hat die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. sowie den Facharzt für Orthopädie und Physikalische Medizin sowie Rehamedizin Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugen ange-hört. Dr. M. hat über die bekannte ausgeprägte fixierte Hyperkyphose der BWS mit Bewegungs-einschränkung und rezidivierenden Schmerzen, über eine weitere, im Januar 2011 erlittene tiefe Phlebothrombose, nunmehr im linken Bein, mit Lungenembolien sowie eine Calcaneusfraktur rechts berichtet, wodurch der Kläger noch weitere vier Wochen arbeitsunfähig sei. Selbst wenn dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher zu sagen sei, werde der Kläger eine leichte körperliche Tätigkeit über sechs Stunden täglich wahrscheinlich wieder ausüben können. Dr. K. hat von seit März 2007 zwei bis drei Mal jährlich erfolgten Vorstellungen des Klägers berichtet, bei denen er über Rückenschmerzen bzw. Schmerzen im rechten Sprunggelenk geklagt habe. Eine wesentliche Änderung sei seit Behandlungsbeginn nicht eingetreten. Wegen der Minderbelastbarkeit der Rumpfwirbelsäule sowie der Beine bei Zustand nach Unterschenkelthrombose beidseits und des rechten oberen Sprunggelenks bei Zustand nach Calcaneusfraktur hat er leichte Tätigkeiten ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten noch halbtags für möglich erachtet. Das SG hat darüber hin-aus das orthopädische Gutachten des Dr. S. aufgrund Untersuchung des Klägers vom 11.05.2012 eingeholt, der eine ausgeprägte fixierte BWS Hyperkyphose mit Keilwirbelbildung und osteochondrotischen Veränderungen, eine mittelschwere Arthrose des rechten unteren Sprungge-lenks bei Zustand nach Fersenbeinfraktur und einen Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose beidseits mit nachfolgender Lungenembolie und Marcumar-Therapie diagnostiziert und leichte Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis fünf Kilogramm ohne dauerndes Stehen oder Gehen, ohne häufiges Bücken, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Überkopfar-beiten noch sechs Stunden und mehr für zumutbar erachtet hat. Zu den gegen dieses Gutachten vom Kläger erhobenen Einwendungen, wonach zahlreiche Beschwerdeangaben aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht in die Beurteilung eingeflossen seien, hat sich der Sachverständige ergänzend geäußert.

Mit Urteil vom 23.11.2012 hat das SG die Klage im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten des Dr. S. , dessen Leistungsbeurteilung schlüssig und überzeugend sei, abgewiesen. Nicht nachvollziehbar seien die vom Kläger hiergegen nach Vorlage des Gutachtens erhobenen Einwendungen. Vielmehr habe der Sachverständige im Rahmen seiner ergänzenden Ausführungen hinreichend deutlich gemacht, dass sämtliche vom Kläger vorgebrachten Beschwerden - auch jene, die angeblich unberücksichtigt geblieben seien - in die Bewertung eingeflossen sind.

Gegen das seiner Bevollmächtigten am 07.12.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.01.2013 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung auf den erstin-stanzlichen Vortrag verwiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß (vgl. Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem SG),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23.11.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2010 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genom-men.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligen im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Be-schluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Klä-ger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Be-einträchtigungen im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen nicht voll erwerbsgemin-dert, weshalb ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht zusteht.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des - ausweislich des in der ersten Instanz gestellten An-trags - allein geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbs-minderung (§ 43 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, da er auch unter Berücksichtigung der bestehenden gesundheitlichen Beeinträchti-gungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualita-tiver Einschränkungen (ohne Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, ohne dauernde stehende oder gehende Tätigkeiten, ohne häufiges Bücken, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Überkopfarbeiten) körperlich leichte Tätigkeiten zumindest noch sechs Stunden täglich verrichten kann und daher nicht voll erwerbsgemindert ist. Zur Vermeidung von Wieder-holungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Ebenso wie das SG geht auch der Senat davon aus, dass der Kläger in seinem beruflichen Leis-tungsvermögen im Wesentlichen durch schmerzbedingte Funktionseinschränkungen von Seiten des Halte- und Bewegungsapparates, namentlich durch die ausgeprägte fixierte BWS-Hyperkyphose mit Keilwirbelbildung und osteochondrotischen Veränderungen sowie die mittel-schwere Arthrose im rechten unteren Sprunggelenk bei Zustand nach Fersenbeinfraktur einge-schränkt ist. Insoweit hat der Sachverständige Dr. S. für den Senat nachvollziehbar und überzeu-gend dargelegt, dass die ausgeprägten Wirbelsäulenveränderungen die Belastbarkeit und Beweg-lichkeit der Wirbelsäule stark einschränken, wodurch dem Kläger einerseits das Heben und Tra-gen von Lasten über fünf kg sowie andererseits längeres Gehen oder Stehen, Tätigkeiten mit häufigem Bücken und Überkopfarbeiten nicht mehr möglich sind. Aufgrund der arthrotischen Veränderungen im Bereich des unteren Sprunggelenks kommen darüber hinaus Tätigkeiten, die ein Gehen auf unebenem Boden erfordern, nicht mehr in Betracht; ferner verbieten sich hierdurch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Da der Kläger im Hinblick auf die durchgemachten tiefen Beinvenenthrombosen Marcumar einnimmt, wodurch sich bei Verletzungen eine verlängerte Blutungszeit ergibt, verbieten sich nach Auffassung des Senats über die von dem Sachver-ständigen genannten qualitativen Einschränkungen hinaus auch Tätigkeiten, die mit Verlet-zungsgefahren verbunden sind. Gründe, die der Ausübung einer diesen Einschränkungen Rech-nung tragenden Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich entgegen stehen könnten, sieht der Senat nicht. Auch die als Folge der Lungenembolien verbliebene leichtgradige Lungenfunk-tionsstörung ist mit einer solchen Tätigkeit vereinbar. Schließlich führen auch die arthrotischen Veränderungen im rechten unteren Sprunggelenk nicht zu einer so gravierenden Einschränkung des Gehvermögens, dass die Wegefähigkeit des Klägers eingeschränkt wäre.

Gründe für die Einholung eines weiteren Gutachtens sieht der Senat nicht. Insbesondere ist im Hinblick auf die im Vordergrund der Beeinträchtigungen des Klägers stehenden Gesundheitsstö-rungen der Sachverhalt durch das vorliegende orthopädische Gutachten des Sachverständigen Dr. S. hinreichend aufgeklärt. Der Sachverständige hat ausweislich seiner Darlegungen anlässlich der gutachtlichen Untersuchung des Klägers eine umfangreiche Anamnese erhoben, die vom Kläger geschilderten Beschwerden dokumentiert und eine ausführliche klinische Untersuchung durchgeführt. Auf dieser Grundlage hat er die Funktionseinschränkungen des Klägers dargelegt und hieraus ein in jeder Hinsicht nachvollziehbares Leistungsbild abgeleitet. Soweit der Kläger im Klageverfahren auf Beschwerden hingewiesen hat, die seines Erachtens angesichts seiner schlechten Deutschkenntnisse unberücksichtigt geblieben sein sollen, hat bereits das SG in dem angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, dass der Sachverständige - wie er im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme hinreichend deutlich begründet hat - alle vom Kläger geklagten we-sentlichen Beschwerden und Erkrankungen erfasst und in seinem Gutachten gewürdigt hat. Auch der Senat sieht keine Gesichtspunkte, die unter Zugrundelegung der ergänzenden nachträglichen Beschwerdeschilderungen des Klägers nicht in das Gutachten eingeflossen sein könnten. Gesichtspunkte, die gleichwohl unberücksichtigt geblieben sein sollen, hat der Kläger im Anschluss an die vom SG eingeholte ergänzende Stellungnahme des Dr. S. auch weder im Klageverfahren noch im Berufungsverfahren vorgebracht.

Nach alledem kann die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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